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Die Gespenster – Dritter Teil – 42. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Zweiundvierzigste Erzählung

Die beunruhigende Traumerscheinung
Eine Todesahnung

Ich war achtzehn Jahr alt und bereitete mich auf der Schule zur Akademie vor, als einer von meinen innigsten Jugendfreunden daselbst starb. Er war eben im Begriff, diese Schule zu verlassen, um sie mit einer anderen zu vertauschen, aber der Tod, der auch des blühenden Jünglings nicht schont, kam ihm zuvor. Kurze Zeit vorher, ehe er auf das Krankenlager geworfen wurde, von welchem er nicht wieder aufstand, hatte er mir, ohne seinen Tod auch nur von fern zu ahnen, freundschaftliche Abschiedsverse gemacht, von denen ich, da sie keine Ansprüche auf poetischen Wert machen, den Schluss nur deshalb hierher setze, weil er Bezug auf das Nachfolgende hat.

Und wenn der Vorsicht Hand einst winket,
auch da lass ungetrennt uns sein.
Ja, wenn der Geist einst höh’re Wonne trinket,
lass unsres Bundes uns noch freun!

Kaum hatte er diese Verse mir überreicht, so erkrankte er und starb. Ich konnte sie nun noch in einer traurigeren Hinsicht als Abschiedsverse betrachten. Tief gerührt trug ich mit einigen anderen Mitschülern ihn zu Grabe und lange konnte ich es nicht verschmerzen, ihn so unerwartet mir entrissen zu sehen.

Ungefähr vier Wochen danach hatte ich eine nächtliche Ahnung, die für ein jugendliches Alter und für eine lebhafte Einbildungskraft eine harte Prüfung genannt werden kann. Mir war, als befände ich mich in dem Zimmer der Predigerwitwe, bei welcher ich wohnte, und als sähe ich die Personen um mich, die sich gewöhnlich darin aufzuhalten pflegten. Auch war ich unbefangen unter ihnen, bis auf einmal die Gestalt meines verstorbenen Freundes in dieses Zimmer eintrat und auf mich zukam. Der Schrecken, der sich bei einer solchen Erscheinung eines jeden bemeistern würde, ergriff auch mich. Die Angst trieb mich in eine angrenzende Kammer. Aber schrecklich! Die Gestalt kam mir nach und stellte sich vor den Winkel, in welchen ich mich hingedrängt hatte, sodass ich nun nicht mehr ihr zu entfliehen vermochte.

»Ich komme«, sagte sie, »um dir Nachricht von der Ewigkeit zu geben.«

Ich wusste vor Angst nicht, ob und was ich antworten sollte. Da mir aber der für mich merkwürdige Umstand nicht entgangen war, dass der Geist vor den übrigen Anwesenden vorbeieilte und mich allein verfolgte, so fragte ich endlich stotternd: »Aber warum kommst du gerade zu mir?«

»Weil du nicht lange mehr leben wirst«, erwiderte der Todesprophet.

Nur die Erfahrung, dass man träumend fast nie konsequent denkt, spricht und handelt und Träume ein Gemisch von Sonderbarkeiten und Rätseln zu sein pflegen, kann den Umstand erklären, dass und warum diese Todesbotschaft so wenig Eindruck auf mich machte, dass ich ziemlich ruhig weiter fragen konnte: »Wann werde ich sterben?«

»Den Freitag über ein Jahr!«

Erst bei dieser näheren Bestimmung meiner Todeszeit fuhr ich heftig zusammen, sodass ich davon aus dem beängstigenden Traum erwachte. Mein Blut wallte heftig und eine unbeschreibliche Unruhe bemeisterte sich meiner in diesen Augenblicken des Erwachens. Umsonst versuchte ich stundenlang wieder einzuschlafen, umsonst dachte ich hundertmal: War es doch nur ein Traum? Ich stand auf und wollte mich außerhalb des Bettes erheitern, zerstreuen, aber die nichtige Traumgestalt schwebte meiner nun einmal aufrührerischen Einbildungskraft auch wachend noch eine Zeitlang vor. Nie hätte ich geglaubt, dass ein bloßer Traum auch noch den wachenden vernünftigen Menschen so fürchterlich tyrannisieren könne! Ich fühlte mich geneigt, zu weinen, und machte so meinem Herzen einigermaßen Luft.

Ich erzählte danach mit erkünstelter Gleichgültigkeit all meinen Hausgenossen den Traum, den ich selbst unbedeutend nannte, um gleichsam mich selbst zu übertreffen. Allein dies war nicht der Weg, der mich in der Tat hatte beruhigen können; und zwar darum nicht, weil alle, die ihn hörten, unvorsichtig und gedankenlos genug waren, ein sehr bedenkliches Gesicht zu machen und mir ein sehr übel angebrachtes Mitleid mit meinem Schicksal äußerten oder vorgaukelten.

Alles schien mir zu sagen, dass ich keinen gewöhnlichen Traum gehabt habe. Zugleich fiel mir die Geschichte von Personen ein, die in einem ähnlichen Fall gewesen waren, und dann wirklich zu der bestimmten Zeit gestorben sein sollen. Meine Einbildungskraft kam mir zu Hilfe. Ich verglich die Umstände und alle schienen mit bedenklich. Von ungefähr fand ich das Abschiedsgedicht, dessen ich vorhin erwähnte, wieder. Ich las es nun mit sehr erhöhtem Interesse. Der Eindruck war außerordentlich, welchen die letzten Verse auf mein nun gewöhnlich zur Wehmut gestimmtes Herz machten.

Was war natürlicher, als dass ich nun in dem Schluss des Gedichts eine offenbare Deutung auf meine baldige Wiedervereinigung mit dem verewigten Freund finden musste? Kurz, mein sonst heiterer Sinn wurde herrschend trübe, und um meinen unbefangenen frohen Mut war es geschehen. Der Vorfall hätte die Fassung eines Mannes überwältigen können, und ich war nur ein Jüngling, und zwar einer von dem lebhaftesten Empfindungssystem – niemand ist schläfrig zum Todesschlaf; jeder will noch ,gern ein Stündchen aufbleiben.

Von der Richtigkeit dieser Wahrnehmung mich zu überzeugen, kann wohl nicht leicht die Lage irgendeines gesunden Menschen mehr geeignet sein, als die meine war. Indessen muss ich zu meinem Ruhm sagen, dass mich nicht sowohl der Gedanke, dass ich bald sterben würde, quälte, als vielmehr der Umstand, dass ich die Zeit meines nahen Todes so bestimmt ein ganzes Jahr hindurch vorher wusste. Auch konnte nicht leicht die Mühe von Erfolg sein, welche ich mir gab, den Tag des Todes zu vergessen, denn es war der Tag vor Neujahr der letzte Tag eines bedeutenden Lebensabschnittes.

Mein Traum wurde in der ganzen Stadt, worin ich lebte, bekannt und man hatte zu wenig menschenfreundliches Zartgefühl, um mich nicht hören zu lassen, wie man von Zeit zu Zeit überall in Hinsicht auf den Traum, sich nach meinem Befinden erkundigt habe oder bei mir selbst erkundigte.

Meine Seele bedurfte im eigentlichsten Sinne des Arztes, den ich überall nicht fand. Nur sehr geübte Menschenkenner und praktische Menschenfreunde haben die Linderungsmittel in ihrer Gewalt, welche in einer solchen Gemütskrankheit mit Erfolg anwendbar sind.

Ich litt unbeschreiblich, obwohl ich keine Mühe sparte, mich zu erheitern, und keine List unbenutzt, keinen Weg uneingeschlagen ließ, mit Glück gegen meine Einbildungskraft zu kämpfen. Zu Zeiten gelang es mir zwar, mich über den unglückseligen Traum auf Stunden und selbst auf Tage hinwegzusetzen, dann aber verfiel ich wieder unwillkürlich in tiefe Traurigkeit. Ich kam mir wie ein Missetäter vor, der nun bald die Henkersmahlzeit zu sich nehmen soll. Indessen setzte ich meine Studien eifrig fort und wirklich fand ich in diesem eisernen Fleiß und in einer ununterbrochenen Tätigkeit das beste, wirksamste Mittel, meinen Gemütszustand, wo nicht zu verbessern doch zu übertragen, und gleichsam im Schlummer und in Unwirksamkeit zu erhalten. Ich nahm daher unter anderen auch Unterricht auf dem Klavier. Mein Lehrer in der Musik, Herr Angerstein, nun Prediger in der Altmark, der von meinem Traum und seiner Wirkung auf mich gehört hatte, lenkte unvermerkt das Gespräch auf diesen Gegenstand, bloß in der menschenfreundlichen Absicht, den Seelenarzt zu machen. Wirklich war es diesem feinen Menschenkenner vorbehalten, mich Seelenkranken nach und nach wieder gesund zu machen. Jede unserer Unterredungen bezweckte die Genesung meiner Einbildungskraft. Nie werde ich es diesem seltenen Arzt vergessen, was ich ihm schuldig wurde. Von besonderer Wohltätigkeit für mich waren seine Erzählungen von ähnlichen Träumen, in denen auch nicht das Geringste in Erfüllung gegangen war, und die nur so lange und insofern vorbedeutend gewesen waren, so lange und sofern man daran geglaubt hatte.

Von nun an gelangte meine Vernunft nach und nach wieder zu der ihr gebührenden Obergewalt über die Einbildungskraft und ich lernte meinen Traum allmählich als eine nichtige Fantasie als die keiner Aufmerksamkeit würdige Gaukelei eines unruhigen Schlafes betrachten. Nur einzelne trübe Stunden erschienen noch zuweilen, in welchen mit dem Rückblick auf jenes Traumgesicht die wildwerdende Fantasie wieder mit dem Verstand gleichsam durchging. Gewöhnlich entfliehen uns Jahre wie Stunden; aber dieses Jahr, worin Traum und Wahnglaube mir unnötiger Weise eine so schwere Prüfung aufgelegt hatten, machte für mich eine Ausnahme. Die gewisse Erwartung eines bevorstehenden widrigen Schicksals kann die unnatürliche Verwünschung des Unersetzbaren, des Unwiederbringlichen – der Zeit – verursachen.

Endlich nahte der bang entgegengesehene Todestag. Ich nahm all mein bisschen Philosophie und Selbstbeherrschung zusammen und dennoch begann ich ihn mit einigem Grauen. Eine geringe körperliche Unpässlichkeit, ein Schnupfen, der, gerade im Anmarsch, die meiste Unbehaglichkeit mit sich zu führen pflegt, hätte meiner noch immer nicht völlig überwältigten Traumdeutung und meinen nur gewaltsam, nur künstlich zum Schweigen gebrachten Besorgnissen, einen gefährlichen Spielraum eröffnen können. Aber Gott und Herrn Angerstein sei es gedankt! Der Tag ging glücklich vorüber und nie bin ich heiterer erwacht als am folgenden Morgen!

Dieser bedeutungslose Traum scheint, in Absicht seiner Folgen, keiner Bekanntmachung zu bedürfen, aber gewiss verdient er sie in Hinsicht auf den Trost, den er für diejenigen enthält, die ähnliche beunruhigende Träume haben und törichterweise beherzigen, wie ich den meinen beherzigte!