Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Hexer Band 33

Robert Craven (Michael Schönenbröcher)
Der Hexer, Band 33
Wer die Götter erzürnt

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 08. Juli 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Manfred Everetz

Das Mysterium des Lebens. Wer es ergründet, der hat die Macht über den Tod, über die Zeit. Vergangene Materie wird er erwecken und das Fleisch dem Verfall entreißen. Doch hüte dich, Menschengeschlecht! Es ist verboten seit ewigen Zeiten, sich an Schöpfung zu versuchen. Triumph wird sich wandeln in unendliche Pein, und das Weltengefüge wird erbeben zum Jüngsten Gericht. Ist das eherne Gesetz der Götter gebrochen, werden die Pforten Nirwanas sich öffnen, und die Toten werden Rache nehmen an den Lebenden …

Leseprobe

In dem uralten, verfallenen Keller konnten sich nicht einmal die Ratten und Kakerlaken wohlfühlen. An den feuchtglänzenden Wänden wucherte graugrüner Schimmelpilz, und am Boden sammelten sich stinkende Pfützen einer undefinierbaren, schillernden Brühe. Aus zerborstenen, verdrehten Leitungsrohren, im Todeskampf erstarrten Schlangen gleich, tropfte eine ölige Flüssigkeit zu Boden.

Und doch hatte sich Ungeziefer in diesem verkommenen Kellerloch breitgemacht. Zwischen deckenhohen Transformatoren huschten die Ratten; die Reagenzgläser in den Regalen waren von dichten Spinnweben überzogen. Und trotz der allgegenwärtigen Feuchtigkeit schmeckte die Luft verbraucht und so trocken, dass das Atmen zu einer Qual wurde.

Eine einzelne rußende Petroleumlampe nur schaukelte an einem Draht von der Decke; trotzdem war die erschreckende Szenerie taghell erleuchtet. Zwischen kugelförmigen Polen zuckten grelle Blitze, tanzten irrlichternd über den Stahl und verbanden gewaltige Transformatoren durch ein Netz aus reiner Energie. Ein Knistern und Summen erfüllte den Raum wie das Wispern eines zürnenden Donnergottes.

Die gesamte Einrichtung des Kellers und auch der große, fleckige Seziertisch waren an einer der geborstenen Wände aufgestapelt worden, um einem übermannsgroßen, metallenen Zylinder Platz zu machen, der nun wie ein künstlicher Dämon aus Eisen und Glas im Zentrum des Raumes hockte, Blitze schleudernd und dräuend und auf morbide Art fast schön in seiner sterilen Hässlichkeit. Dutzende von fingerdicken Kabeln wanden sich von den verstaubten Apparaturen bis zu seinem zolldicken Mantel. Dünne Glasröhren verbanden ihn mit Behältern unter der niedrigen Decke: Röhren, in denen graue, kochende Flüssigkeit pulsierte.

Bis auf einige Messinstrumente und ein von Rost zerfressenes Schwungrad war die Haut des Zylinders glatt und eben. Nur auf seinem oberen Ende gab es ein kleines Sichtfenster wie ein dämonisch glotzendes Auge.

Und darüber gebeugt, in einen vor Schmutz starrenden, blutbefleckten Kittel gehüllt, das fettige graue Haar streng zurückgekämmt, stand eine Frau. Durch das dicke Glas der Hornbrille wirkten ihre Augen übergroß und kalt wie die eines Fisches.

Augen, in denen ein gieriges Funkeln aufblitzte, während sie sich noch weiter vorbeugte und mit dem Ärmel ihres Kittels das Sichtfenster blank zu wischen versuchte; mit dem einzigen Erfolg, dass der Schmutz noch weiter verschmierte und danach fast noch weniger zu sehen war.

»Mehr Elektrizität, Maximilian«, flüsterte die dürre Frau heiser. Ihre freie linke Hand vollführte kleine flatternde Bewegungen, um den Befehl zu unterstreichen. Als sie keine Antwort erhielt, blickte sie unwirsch auf, rückte mit einer fahrigen Bewegung ihre Brille zurecht und stemmte die Arme in die Seiten. Fast hätte sie dabei die Balance verloren; im letzten Moment erst krampfte sie ihre dürren Finger wieder um die oberste Sprosse der Leiter, auf der sie stand.

»Maximilian!« keifte sie mit schriller, unangenehmer Stimme. »Elender Träumer!«

Der junge Mann, der die Leiter hielt, zuckte sichtlich zusammen und löste seinen Blick von den Instrumenten. »Frau Professor?« Seine Augen wirkten trüb, als wäre er unversehens aus einem Traum gerissen worden und hätte den Weg zurück in die Wirklichkeit noch nicht ganz gefunden.

»Mehr Elektrizität! Elektrischer Strom, unfähiger Idiot!«, keifte die Alte. »Und so was will Medizin studiert haben – dass ich nicht lache! Ich hätte wohl besser doch meine Nichte, diese Träumerin Mary Shelley, zur Hilfe holen sollen! Willst du mein Lebenswerk sabotieren?«

»Es ist unser Werk, Frau Professor …«, wollte Maximilian einwenden, doch die Alte schnitt ihm mit einer übertrieben theatralischen Geste das Wort ab. »Papperlapapp! Dein einziger Beitrag ist dieser unnütze Säurekessel da oben«, sie deutete auf den großen Behälter, der genau über dem Stahlzylinder mit der Decke verankert war, »und den werden wir nicht einmal brauchen. Es geht alles genau nach Plan. Wie ich es berechnet habe! Deine lächerliche Angst, irgendetwas könnte schiefgehen … Nein, er wird leben, Maximilian. Leben!«

Der junge Mann ballte die Fäuste und schluckte die scharfe Erwiderung, die ihm auf der Zunge lag, im letzten Moment herunter. »Jawohl, Frau Professor. Mehr Elektrizität, Frau Professor.« Und leise fügte er hinzu: »Wirst schon sehen, was du davon hast, du alte Matrone.«

Dann trat er an einen der Transformatoren. Seine Haare stellten sich auf und wurden von einem unsichtbaren Sog in Richtung der großen, mit Kupferdraht umwickelten Spulen gezogen. Die Spannung war schon sehr groß; fast zu groß! Fünfhundert Volt könnte er noch verantworten, mehr nicht. Die Alte erkannte in ihrem Wahn schon nicht mehr die Gefahr, in der sie beide schwebten. Er aber, Maximilian, war noch sehr gut bei Verstand; vielleicht besser, als es der Alten recht sein konnte. Sie würde es noch merken – früh genug.

Behutsam schlossen sich seine kräftigen Hände um die Drehregler, steigerten durch eine einzige Umdrehung der Stahlräder das Zucken und Wüten der Blitze zu einem Inferno aus Licht und entfesselten Gewalten. Die Kupferspulen begannen zu glühen, und die plötzliche Hitze trieb Maximilian zwei Schritte zurück. Der Transformator war jetzt hoffnungslos überlastet. Wenn das Experiment glücken sollte, musste es rasch geschehen.

Hinter seinem Rücken erscholl ein Schrei des Entzückens. Maximilian fuhr herum. Frau Professor Anna Sibelius hatte ihr faltiges Gesicht dicht an das kleine Sichtfenster gepresst und klatschte mit beiden Händen begeistert gegen die Metallwandung des Zylinders. Dann ruckte ihr Kopf wieder hoch.

»Die Muskeln reagieren!«, schrie sie mit überschnappender Stimme. »Mehr Strom, Maximilian, mehr Strom!«

»Unmöglich! Wollen Sie, dass hier alles in die Luft fliegt?« Maximilian trat entschlossen an die Leiter heran. Nein, diesmal würde er nicht klein beigeben; nicht um diesen Preis.

Anna Sibelius war für einen Moment verwirrt. Widerworte von diesem … Dilettanten? Aber dann sah sie in seine Augen, und ihr Größenwahn erhielt einen kräftigen Dämpfer. Maximilians Blick war eiskalt – und er schien zu allem entschlossen.

»Dann eben …« Sekundenlang suchte sie nach einem Ausweg. »Das Glyzerin! Bring mir das Glyzerin; schnell doch! Auf dem Regal, das mittlere Fach.«

Der Blick ihrer Fischaugen huschte unruhig über die Instrumente, während sich Maximilian umwandte und mit schnellen Schritten das Labor durchquerte. Ihre Lippen formten flüsternd Worte, ohne dass sie es sich bewusst wurde: »Hundertzwanzig Grad … Höher darf die Temperatur nicht steigen … Das Ventil; ich muss es kurz öffnen …«

Ein helles Klirren drang an ihr Ohr und ließ sie herumfahren. Als sie sah, dass ihr Assistent sich nach den Scherben einer bauchigen Flasche bückte, die ihm offenbar zu Boden gefallen war, durchzuckte sie ein eisiger Schrecken. »Das Glyzerin! Du Trottel hast es …«

»Nein, nicht das Glyzerin«, unterbrach er sie. »Die Flasche daneben.«

Anna Sibelius erbleichte. Für Sekunden bebten ihre Lippen nur, ohne dass sie ein einziges Wort herausbringen konnte. »… Er?«, stieß sie endlich tonlos hervor. Ihr Adamsapfel fuhr nervös auf und ab. »Du … du hast IHN freigelassen? Du hast …«

Maximilian erstarrte. Hastig bückte er sich nach der Scherbe mit dem Etikett, bemerkte nicht einmal, dass das scharfe Glas seine Finger ritzte und Blut zu Boden tropfte. Dann stieß er hörbar die Luft aus und schüttelte den Kopf. »Kaliumlauge«, ächzte er. »Es ist nur Kaliumlauge.«

Frau Professor Sibelius wischte sich mit dem fettigen Ärmel den Schweiß aus der Stirn. Ihre Knie zitterten so heftig, dass sie sich kaum mehr auf der Leiter halten konnte.

»Nur die Lauge.« Auch ihre Stimme bebte. Sie musste ein paarmal schlucken, bis sie ihre alte Überheblichkeit zurückgewonnen hatte. »Verdammter Idiot!«, fuhr sie dann auf. »Um ein Haar hättest du alles verdorben. ER hätte alles verdorben! Jetzt her mit dem Glyzerin; rasch!«

Als er nun nach dem richtigen Behälter griff, fiel Maximilians Blick auf die Flasche aus trübem grünem Glas, die ihnen fast zum Verhängnis geworden wäre. Auf dem Etikett mit dem grinsenden Totenschädel stand nur ein einziges, in alten, verwischten Lettern geschriebenes Wort: KOBOLD

 

*

 

Zuerst war da nur Schmerz. Ein dumpfer Schmerz, auf keine bestimmte Stelle des Körpers konzentriert, sondern allgegenwärtig, nagend und in unstetem Rhythmus pulsierend. Und doch war er die erste Regung seiner Existenz; das erste Empfinden, das ihn über tote Materie wie Erde und Stein erhob.

Dann kam das Licht. Ein grelles, zuckendes Licht, das durch seine geschlossenen Lider drang und die Netzhäute peinigte. Das den dumpfen Schmerz steigerte zu rasender Qual.

Und schließlich … Gefühl. Das Empfinden, einen Körper zu besitzen und einige Teile davon bewegen zu können. Doch war es nur ein Gefühl, das jeder Amöbe, diesen primitivsten unter allen Lebensformen, zu eigen ist. Denn das Wichtigste fehlte ihm: die Intelligenz.

Noch war er nicht vollends erwacht, aber sein zerfressenes, totes Gehirn schickte bereits schwache Impulse aus, von einem Instinkt geleitet, der jeder Kreatur innewohnt. Seine Muskeln, oftmals nur mit geschickten Nadelstichen verbunden, spannten sich wie in einem Krampf, aber die Bewegungen waren ungelenk und fahrig. Der Wille, der sie leiten sollte, war noch nicht aufgestiegen aus dem Reich ewiger Finsternis, dem Leib und Geist bereits entrissen waren.

Ein schmerzhafter Schlag ging durch seinen massigen Körper, als die Blitze um ihn herum plötzlich an Intensität gewannen, als seine Muskeln sich wie in einem Schlage spannten und zu reißen drohten.

Und dann – ein Herzschlag. Zaghaft nur und von einer kaum enden wollenden Pause gefolgt. Dann ein zweiter … ein dritter …

Seine Lunge, brüchig vom Alkohol, in dem sie tagelang geruht hatte, blähte sich in einem ersten, schmerzhaften Atemzug. Und langsam begann das Gemisch aus Blut und verbotenen Essenzen in seinen Adern zu pulsieren, rann wie glühende Lava durch seinen Leib, erfüllte die toten Organe mit neuem, furchtbarem Leben.

Endlose Minuten sammelte das erweckte Hirn neue Kraft. Dann schickte es einen neuen, mühsamen Befehl aus.

Und endlich – öffneten sich seine Augenlider!