Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Gespenster – Dritter Teil – 31. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Einunddreißigste Erzählung

Der seidene Nachtgeist zu Hanau

Der Kaufmann, Herr Münzenberger zu Hanau, mein Freund und Nachbar, hatte vor einiger Zeit das Unglück, seine sehr geliebte Gattin im Wochenbett durch den Tod zu verlieren. Einige Wochen danach hörten die Mädchen abends gegen Mitternacht ein Geräusch über sich. Es war, als ob daselbst jemand in einem seidenen Kleid auf- und niederginge. Dies spukhafte Wesen säuselte, wie man deutlich vernahm, über den langen Gang des zweiten Stockwerks hin, dann zur Treppe herab und verlor sich in dem im unteren Geschoss gelegenen Warenlager. In banger Erwartung horchten die Mädchen des nächstfolgenden Abends, ob das Gespenst wiederkommen würde. Kaum nahte sich die Spukstunde, so rauschte auch der Geist im seidenen Kleid wieder daher. So trieb er sein Wesen wochenlang, Nacht für Nacht, zur größten Plage des Gesindes, das sich wohl hütete, der geistigen Dame – denn sie zweifelten nicht, dass sie die jüngst verstorbene Hausfrau sei – in den Weg zu treten und ins Auge zu schauen. Lange verschwiegen sie ihrem Brotherrn das Vernommene, vertrauten es aber bald einigen Spinnfreundinnen an, durch welche das nächtliche Abenteuer in wenigen Tagen das allgemeine Märchen der Stadt wurde. So gelangte es nun auch zu Herrn Münzenbergers Ohren. Dieser, ein denkender, vorurteilloser Mann, zweifelte anfangs an der ganzen Sage und erforschte die Wahrheit derselben aufs Genaueste. Die Mädchen versicherten unbefangen, dass er leicht mit eigenen Ohren von der Richtigkeit ihrer Aussage sich überzeugen könne, wenn er es sich nur gefallen lassen wolle, einmal die Stunde des Spukens in ihrem Zimmer abzuwarten. Dies geschah.

Am nächsten Abend begab er sich, mit einer Laterne und einem Züchtigungsinstrumente versehen, in die Gesindestube. Schon war Mitternacht vorbei, ohne dass man das Geringste gehört hatte. Schon wollte er sich über den Aberglauben seiner Mädchen lustig machen, als plötzlich das spukhafte seidene Geräusch sich hören ließ. Sogleich ergriff er die Hetzpeitsche und befahl den Mädchen, die Laterne in der Hand, ihm zu folgen. Zwar wollten sie sich weigern, Augenzeugen von dem Erfolg der Untersuchung zu sein, indessen fügten sie sich doch in den ernsthafter wiederholten Befehl. Mit bebenden Schritten und klopfenden Herzen folgten sie ihrem kühnen Herrn. Alle vernahmen bis vor die Tür des Spukzimmers das Rauschen der seidenen Kleider. Sobald aber der Kaufmann die gut verschlossene Tür öffnete, verstummte es plötzlich und sie konnten, selbst bei der sorgfältigsten Untersuchung, nichts Verdächtiges wahrnehmen. Alle Fenster waren innen gut verhangen; von einem äußerlich gespielten Betrug fand sich auch nicht die kleinste Spur. Der Unwille des etwas betretenen Hausherrn wurde noch durch den Triumph der Mädchen vermehrt. Er hielt sich noch einige Zeit in der Garderobe auf, sah sich aber doch endlich genötigt, unbefriedigt zu Bett zu gehen.

Am folgenden Morgen kam er zu mir und klagte mir seine Verlegenheit. Wir beschlossen, die folgende Nacht gemeinschaftlich zu durchwachen. Ich fand daselbst noch einen Dritten vor – unseren gemeinschaftlichen Freund, Herrn Stadtschultheiß Hasenpflug, der in der nämlichen Absicht vom Kaufmann eingeladen worden war. Bei einem vertraulichen Abendpfeifchen erwarteten wir ruhig die Geisterstunde. Schon war Mitternacht vorüber und noch hatten wir nichts Rätselhaftes und Unnatürliches gehört. Endlich aber begann das Geräusch ganz auf die schon beschriebene Art. Wir machten uns ohne Verzug auf den Weg der Garderobe, öffneten die gut verschlossene Stube, durchsuchten auch den verborgensten Winkel und fanden nirgends das spukende Etwas. Verdrießlich über unsere fehlgeschlagene Hoffnung verfügten wir uns wieder in das untere Zimmer hinab, gaben indessen noch nicht alle Hoffnung auf, das Gespenst vielleicht noch in dieser Nacht zu entdecken. Nun war wieder alles still. Auf einmal ließ das unbekannte und unsichtbare Wesen sich wieder hören. Diesmal beschlossen wir, es, seiner Gewohnheit nach, von der Treppe herunterkommen zu lassen, um es dann im Erdgeschoss in Empfang zu nehmen. Es kam, glücklich für uns, zur Treppe herab. Längst bereit zu seinem Empfang, öffneten wir rasch die Tür und das Gespenst war entlarvt: Eine mächtige Katze, die sich mit einem Bogen Zuckerpapier schleppte, lief, uns allen sichtbar, davon. Offenbar hatte sie denselben von dem Vorrat dieses Papiers genommen, den der Kaufmann im Spukzimmer aufgetürmt hatte. Offenbar wollte sie ihn nach ihrem Nest im Warenlager hinschleppen, denn dieses Nest fand sich nachher daselbst und enthielt noch manche Überbleibsel zernagten ähnlichen Papieres. Aber noch blieb es uns ein Rätsel, wie die Katze in die gut verschlossene Stube einen Ein-  und Ausgang gefunden hatte. Der abermalige Anblick der Tür des Spukzimmers löste indessen sogleich alle unsere Zweifel. Ein sogenanntes Katzenloch, der Mäuse wegen an der ausgesägten Türecke angebracht, war hier ein Katzenloch geworden. Nun war die Reihe an Herrn Münzenberger, sein abergläubiges Gesinde, das sich vorher so unverhohlen seiner sichtbaren Verlegenheit triumphierend gefreut hatte, mitleidig zu belächeln.