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Der Hexer 36

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 29
Necron – Legende des Bösen

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 13. Mai 1986, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Frank Brunner

Er lebte noch. Bruder Lecierc verstand nicht, warum das so war. Er war auch nicht in der Lage, mehr als einen Gedanken an dieses Wunder zu verschwenden. Er blutete aus zahllosen Wunden, seine Hände waren gefühllos und taub, und wo er entlangkroch, blieb eine glitzernde rote Spur auf dem Fels zurück. Er spürte nicht einmal mehr den Schmerz, der ihn nach seinem Erwachen schier in den Wahnsinn hatte treiben wollen. Jedes bisschen Kraft, das er noch hatte, galt der Aufgabe, weiterzukriechen, seinen geschundenen Leib Stück für Stück über den schwarzen Granit zu ziehen, immer weiter auf das Ziel zu, das irgendwo vor ihm lag. Das Tor …

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Das Labyrinth unter dem Pariser Hauptquartier der Tempelritter birgt zwei furchtbare Geheimnisse: Zum einen das Kristallhirn, der Schlüssel zum Transportsystem der GROßEN ALTEN, den Toren. Zum anderen den Puppet-Master des Ordens. Sarim de Laurec, der seit den Geschehnissen um das Kristallgehirn apathisch vor sich hinvegetiert.

Erinnern wir uns: In Amsterdam brachte der Orden der Tempelritter das Hirn in seine Gewalt. Bei dem Versuch, sein Mysterium zu ergründen, fanden die Master, der innere Zirkel des Ordens, fast den Tod. Der verderbliche Einfluss des Kleinodes begann, die Seelen der Tempelritter in sich aufzunehmen – was nur durch das beherzte Eingreifen Sarim de Laurecs verhindert werden konnte, der das Kristallhirn mit seinem Schwert spaltete. Dabei jedoch drang ein winziger Splitter in seine Schläfe – und brachte den Ordensbruder in die Gewalt des Kristalls. De Laurec begann mit seinen mechanischen Puppen gegen die ärgsten Gegner der GROßEN ALTEN vorzugehen: gegen Robert Craven und Howard Lovecraft. Nur die Macht des HEXERs konnte Howards Exekution verhindern und das Kristallhirn sowie Sarim de Laurec unter Kontrolle bringen. Doch für wie lange?

Nun scheint die Zeit des Wartens vorüber. Der Ritter, der de Laurec und den Kristall bewachen sollte, begeht einen unsinnigen Selbstmord, und bei der Wachablösung taucht plötzlich ein Mann mit einer gezackten Haarsträhne und Stockdegen auf und entführt den Puppet-Master und das Kristallhirn unter den Augen der Tempelritter.

Robert Craven? Alles deutet darauf hin.

Eilig unterrichtet der Meister des Ordens, Jean Balestrano, die Verbündeten in aller Welt vom Verrat des Hexers. Auch zu Necron schickt er durch ein Tor einen Abgesandten: Bruder Reynaud de Maizieres, der schon bei Cravens Auftritt zugegen war.

Sie erreichen Necrons Drachenburg gleichzeitig: de Maizieres und vier seiner Männer, und Robert Craven, der zusammen mit Shadow und Sitting Bull den gefahrvollen Weg zur Festung überwunden hat: eine Brücke, die nur existiert, wenn man an sie glaubt! Kurz vor dem Ziel jedoch fallen Necrons Wächterdämonen über die Freunde her – und de Maizieres, der die Vorgänge vom Eingang der Burg her verfolgt, eilt mit seinen Männern den Gefährten zu Hilfe. Zu spät erkennt er, wen er da gerettet hat: den Mann, der de Laurec und das Kristallhirn raubte!

Hasserfüllt will er Craven töten – als ein Diener Necrons auftaucht und sie alle in die Burg bittet. Als de Maizieres sich widersetzt und Robert töten will, lässt Necrons Vasall ihn von der Brücke stürzen und seine Männer ermorden. Und führt den Hexer in die Höhle des Löwen …

 

*

 

»Wartet hier.« Der schwarzgekleidete Drachenkrieger machte eine bestimmende Bewegung mit der Linken, um seine Worte zu unterstreichen, wandte sich um und verschwand gebückt durch die niedrige Tür, die den Gang vor uns abschloss. Es war die einzige Tür dieses Ganges, die einzige Öffnung überhaupt, sah man von dem zerborstenen Loch ab, durch das wir das titanische Hauptgebäude der Burg betreten hatten. Das dumpfe Krachen, mit dem sie hinter ihm ins Schloss fiel, erinnerte mich an das Zuschlagen eines Sargdeckels.

Ich schauderte. Für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl, von den nachtschwarzen Wänden erdrückt zu werden. Selbst das zuckende rote Licht der Fackeln, die in regelmäßigen Abständen in Halterungen an den Wänden steckten, schien in dem schwarzen Granit zu versickern.

Ich versuchte die Vorstellung abzuschütteln, aber ich gehöre seit jeher zu jenen bedauernswerten Menschen, die mit einer lebhaften Fantasie geschlagen sind. Statt sich dorthin zu trollen, wo sie hergekommen waren, wurden die entsetzlichen Visionen eher schlimmer. Für ein paar Sekunden glaubte ich das Gewicht der zahllosen Tonnen Fels und Mauerwerk, die sich über unseren Köpfen türmten, beinahe körperlich zu fühlen.

Shadow bewegte sich unruhig neben mir. Auch das Gesicht der El-o-hym wirkte angespannt und verkrampft Mit ihren feinen, ungleich schärferen Sinnen musste sie die dämonische Ausstrahlung dieser Alptraumburg weitaus stärker empfinden als ich. Für Shadow musste der Weg, den wir innerhalb der letzten zehn Minuten zurückgelegt hatten, im wahrsten Sinne des Wortes die Hölle gewesen sein.

Sonderbarerweise tat der Gedanke fast wohl. Es hatte nichts mit Schadenfreude zu tun; nein – es tat einfach gut, zu wissen, dass ich mit meiner Angst nicht allein war. Und irgendwie machte es Shadow menschlicher, dass auch sie sich fürchtete.

Sie musste meine Gefühle gespürt haben, denn genau in diesem Moment drehte sie sich halb zu mir herum und lächelte; ein sonderbar warmes, mitfühlendes Lächeln, das ihrem Engelsgesicht ein wenig von seiner sterilen Schönheit nahm und sie ein wenig verwundbarer, aber auch menschlicher erscheinen ließ. Sie sagte nichts, aber das war auch gar nicht nötig. Mit Ausnahme Priscyllas war Shadow vielleicht das einzige Wesen auf der Welt, mit dem ich mich auch ohne Worte verständigen konnte.

»Necron wusste die ganze Zeit, dass wir kommen, nicht wahr?«, fragte ich.

Shadow nickte. »Gegen seinen Willen wären wir niemals hierhergekommen«, sagte sie.

Ihre Worte überraschten mich kein bisschen. Der Weg hierher, zu dieser bizarren Burg hinter dem Ende der Welt, war so mit Hindernissen und Fallen gespickt gewesen, dass alles Glück der Welt nicht ausgereicht hätte, ihn auch nur zur Hälfte zu bewältigen, ohne ein dutzend Mal umgebracht zu werden.

Aber die Erkenntnis ließ mich kalt; so wie alles andere.

Seit wir das Tor der Drachenburg durchschritten hatten, war eine sonderbare Veränderung mit mir vonstattengegangen. Ich schien zweimal zu existieren: Es gab einen Robert Craven, der halb wahnsinnig vor Angst war und sich ebenso verzweifelt wie ergebnislos fragte, welcher Teufel ihn geritten haben mochte, freiwillig hierher zu kommen; eine Entscheidung, die etwa der gleichkam, freiwillig die Hand ins Maul eines mürrischen Haifisches zu legen und ihn am Gaumen zu kitzeln.

Aber es gab noch einen anderen Teil in mir, der alles, was bisher geschehen war – und alles, was noch geschehen mochte! –, mit beinahe stoischem Gleichmut betrachtete. Der Tod der fünf Tempelritter, unser eigenes Schicksal, das bevorstehende Treffen mit Necron und die einzig mögliche Konsequenz daraus – nämlich ein rasches, aber sicherlich höchst unerfreuliches Ende –, das alles ließ mich vollkommen unberührt.

Es gab nur noch einen einzigen Gedanken, der irgendwie von Bedeutung war – nämlich den, dass ich Priscylla wiedersehen würde.

Vielleicht würde ich danach sterben, aber wenn, dann hatte es sich gelohnt. Ich war in diesem Moment bereit, alles zu ertragen, was Necron mir antun konnte, wenn ich zuvor nur ein einziges Mal noch Priscyllas Gesicht sah.

»Dieser Ort ist nicht gut«, sagte Sitting Bull halblaut. »Wir sollten nicht hier sein.«

Um ein Haar hätte ich gelacht. Aber dann begegnete ich Sitting Bulls Blick, und die spöttische Bemerkung, die mir auf den Lippen lag, blieb mir buchstäblich im Halse stecken. Es war Sitting Bulls Art, seine Gedanken knapp und präzise auszudrücken, ohne die ganz und gar überflüssigen Schnörkel, die wir sogenannten zivilisierten Menschen uns angewöhnt hatten. Und treffender als er konnte man unsere Lage wohl kaum beschreiben. So nickte ich nur, warf Shadow ein neuerliches nervöses Lächeln zu und versuchte mich auf unsere Umgebung zu konzentrieren.

Es gab nicht viel zu sehen. Der Gang, durch den uns der Drachenkrieger geleitet hatte, verlief fenster- und türlos dreißig, vierzig Schritt weit geradeaus und endete vor einem schmucklosen, aber äußerst massiven Tor. Er erinnerte mehr an einen aus dem Berg gehauenen Stollen als an einen von Menschenhand gebauten Gang, und vielleicht war es das auch, denn ein Gutteil der bizarren Burg schien direkt aus dem Fels herausgemeißelt zu sein. Möglicherweise befanden wir uns in Wahrheit schon tief unter der Erde statt auf dem Gipfel eines Berges.

Möglicherweise auch nicht einmal mehr in unserer Welt.

Ich hatte den Berg in seiner ganzen Größe gesehen. Er war ein Gigant, ein zyklopischer Kegel aus schwarz erstarrter Lava und Granit, eine, wenn nicht zwei Meilen hoch und mit Flanken, die wie glattpoliertes schwarzes Glas schimmerten. Hätte es diesen Berg irgendwo in den Weiten der Mojave-Wüste tatsächlich gegeben, wäre er kaum über Jahrtausende hinweg unentdeckt geblieben, Necrons Wahnsinnsschirm und all seinen Heimtücken zum Trotz.

Nein – ich war ziemlich sicher, dass diese Burg nicht in der Mojave-Wüste lag. Vielleicht begann der Weg zu ihr irgendwo in ihren hitzedurchglühten Weiten, aber das war auch alles.

Als ich an diesem Punkt meiner Überlegungen angelangt war, beschloss ich, den Gedanken nicht weiter zu verfolgen. Es wäre müßig gewesen. Die Chance, lebend hier herauszukommen, stand ungefähr eine Million zu Null. Aber die Schätzung war eher zu optimistisch.

»Jemand kommt«, sagte Sitting Bull.

Ich schrak aus meinen Gedanken auf und lauschte. Natürlich hörte ich nichts, aber wenige Augenblicke später wurde die Tür unsanft aufgestoßen, und der Drachenkrieger kehrte zurück.

»Kommt.«

Wir gehorchten. Ohne ein weiteres Wort folgten wir dem schwarzgekleideten Killer.

Mein Herz begann schneller zu schlagen.