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Der Detektiv – Band 23 – Die Rätselbrücke – Teil 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 23
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Rätselbrücke

Teil 3

Von rechts her war plötzlich ein gellender Schrei erklungen, ein so schriller, heller Angstruf, dass unsere Köpfe mit einem Ruck herumflogen.

Ich muss hier über die Örtlichkeit noch hinzufügen, dass sich rechter Hand von uns eine mit dichtem Gebüsch bewachsene Berghalde hinaufzog und dass wir selbst etwas links von der Felszunge standen, während wir nach Osten zu durch ein hohes Distel- und Dornengestrüpp gedeckt waren.

Das, was wir nun miterlebten, war so aufregend, ereignete sich so urplötzlich, dass selbst Harst, dem es doch wahrlich nicht an Geistesgegenwart fehlt, minutenlang wie gelähmt am selben Platz verharrte.

Aus dem Gebüsch der Berghalde brach eine junge Farbige hervor, deren knallroter Kattunrock von Dornen völlig zerfetzt war. Wie eine Wahnsinnige raste sie auf die Brücke zu, sprang mit großen Sätzen über die Unebenheiten des Felsens und stieß noch mehrmals dieselben durchdringenden Angstrufe aus.

Sie hatte etwa die Mitte der Brücke, also die platte Spitze des Pfeilers erreicht, als wir einen ausgewachsenen Leopard bemerkten, der in beinahe gemächlichen Sprüngen, so, als wüsste er, dass ihm die Beute nicht entgehen könnte, hinter der Frau herlief. Erst als das Raubtier nun ebenfalls über die Brücke hinwegsetzte, riss Harst die Pistole aus der Tasche und folgte der Bestie. Ich blieb dicht hinter ihm. Blindlings rannte ich weiter, sah, wie Harst von der Felszunge, die über die Pfeilerplattform ein Stück hinwegragte, auf den Pfeiler hinabsprang; war nun selbst am Ende der Felszunge angelangt.

Ich wollte mich nach hinten zurückwerfen. Ich hatte jedoch bereits das Gleichgewicht verloren. Ich stürzte hinab in das Felsloch, das plötzlich dort gähnte, wo die Pfeilerplattform fraglos noch soeben, als die Frau und der Leopard diese Stelle passiert hatten, einen sicheren Absprung gestattet hatte.

Im Fallen sah ich noch, dass Harst vor mir in der Dunkelheit dieses Schachtes verschwand. Dann prallte ich mit der Stirn gegen eine Felskante und wurde bewusstlos.

Zum Glück war meine Verletzung nicht schwer. Ich kam bald wieder zu mir. Als ich die Augen öffnete, traf mich sofort ein greller Lichtschein. Er rührte von Harsts Taschenlampe her. Sofort vernahm ich auch Harsts Stimme.

»Wie geht es, mein Alter? Du hast Pech gehabt. Zu unserem Empfang war hier eine Streu aus Zweigen, Blättern und Moos bereit. Ich fiel weich.«

Ich hob die schweren Lider abermals. Harst saß neben mir mit untergeschlagenen Beinen und rauchte eine Mirakulum.

»Liege ganz still und erhole dich erst«, meinte er. »Du warst immerhin eine halbe Stunde ohne Bewusstsein. Wo wir uns befinden, weißt du: im Inneren des natürlichen Brückenpfeilers! Wir kennen jetzt also das Geheimnis der Rätselbrücke und manches andere noch. Wir sind also den Leuten auf den Leim gegangen. Wer konnte aber auch mit einem solchen Trick rechnen?«

Mein Kopf schmerzte noch zu sehr, als dass ich diese Sätze Harsts sofort hätte verarbeiten können. Ich verhielt mich regungslos und zergliederte ganz langsam Harsts Worte, fand darin schließlich so viel Unklares, dass ich leise fragte: »Was meinst du mit Trick?«

»Oh, die Negerin und den zahmen Jagdleopard, der die Frau so ohne besonderen Eifer verfolgte. Begreifst du nun, wie raffiniert die Bande es angestellt hat, meine Vorsicht zu Schanden zu machen?«

Ich schaute ihn an und sah, dass er lächelnd den Rauch der Zigarette von sich blies.

»Du … du lachst … in einer solchen Lage?«, meinte ich ganz verdutzt.

»Gewiss. Nichts ist scheußlicher, als das Gefühl, einer Gefahr gegenüberzustehen und doch nicht ergründen zu können, wie sie sich äußern wird. So erging es mir vor der Brücke. Nun weiß ich, was Palperlon und Konsorten uns zugedacht hatten. Nun sehe ich in allem vollständig klar.« Eine kleine Pause. Dann leise: »Mein lieber Schraut, Palperlon ist wirklich ein Mensch, der eine Verbrecherschule leiten könnte, eine Schule für Leute, die Gauner besseren Stils werden wollen. Zuweilen ist es beinahe ein geistiger Genuss, den Feinheiten seiner Pläne nachzuspüren.«