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Larry Moon Nr. 11 – Das Grauen aus der Tiefe

Dirk Krüger
Larry Moon Nr. 11
Das Grauen aus der Tiefe

Am Gardasee beschäftigen seltsame Todesfälle die dortige Polizei. Es ist rätselhaft, wodurch die Leute ums Leben kamen und was sie so übel zurichtete. Da man bei den Ermittlungen nicht weiterkommt, fordert man zur Unterstützung über Scotland Yards Sonderabteilung einen Spezialisten an. Wenig später trifft der Druide Larry Moon in Italien ein. Durch ihn erhofft man sich eine schnelle Aufklärung der Vorkommnisse. Doch selbst der Kämpfer gegen das Böse tappt lange bei seinen Nachforschungen im Dunkeln, bis er schließlich durch Zufall über ein Geheimnis stolpert, das globales Verderben heraufbeschwören kann und nur die Spitze eines Eisbergs darstellt …

Erhältlich ist dieser Band bei Amazon als Taschenbuch und E-Book.

Leseprobe

Gino und Carlo waren Brüder. Gino, der ältere von beiden, von der Statur her schlank und groß. Sein vier Jahre jüngerer Bruder klein und übergewichtig. Und obwohl sie äußerlich so unterschiedlich waren, gingen sie miteinander durch dick und dünn und teilten sogar ein gemeinsames Hobby. Es war das Angeln, das sie leidenschaftlich ausübten. Sie taten dies, wann immer sie Zeit dazu fanden. So fuhren sie auch an diesem ausklingenden Tag wie so oft mit ihrem Ruderboot raus auf den See. Dabei steuerten sie einen Punkt in der Nähe der Felseninsel an, denn dort hatten die Fische in der Vergangenheit immer besonders gut angebissen. Gino übernahm die erste Wegstrecke an den Rudern, während sein Bruder am Steuer saß und das Ziel fest im Blick behielt. Ungefähr nach der Hälfte der Strecke tauschten sie die Plätze, so wie sie es immer taten. Sie teilten sich nicht nur die Arbeit, sondern auch den gesamten Fang. Auf dem hölzernen Boden ihres Bootes hatten sie feinsäuberlich ihre Ruten, Kescher und sonstigen Angelutensilien zusammengelegt. Die Abendluft war angenehm und ein milder Wind wehte aus dem Norden heran. Der leichte Wellengang bereitete ihnen keine Probleme.

„Bin sehr gespannt, ob wir heute viele Forellen rausholen werden. Vielleicht beißt auch mal eine Capione. Wäre toll, wenn wir auch solch eine Leckerei fangen könnten …“, sagte Carlo etwas außer Atem von der Anstrengung. Kraftvoll tauchte er immer wieder die Ruder ins Wasser und trieb das Boot voran.

„Nächste Woche können wir mal wieder auf Aal gehen. Da ist diese gewisse Stelle in der Nähe des Ufers, du weißt schon welche, da wimmelt es nur so von denen“, kam es etwas gedankenverloren von Gino zurück. Er blickte über den See und genoss die sich mehr und mehr abkühlende Umgebungsluft. Die Dämmerung schritt schnell voran. Gino und Carlo fuhren gerne abends hinaus. Erstens hatten sie dann ihre Ruhe vor den Touristen, die ansonsten die Fische mit ihren Motorbooten und Jetskis vertrieben. Und zweitens bissen sie in den Abendstunden und in der Nacht besser als am Tage. Im Dunkeln auf dem Wasser herumzuschippern machte ihnen keine Angst, denn sie kannten den See wie ihre Westentasche und behielten stets die Orientierung. Carlo legte sich noch einmal in die Riemen und dann hatten sie ihre gewünschte Position ganz in der Nähe der Schlossinsel erreicht. Es war mittlerweile so dunkel geworden, dass man nur noch die Umrisse der Insel und des Gebäudes darauf erahnen konnte. Und in der Ferne, rund um das Festlandufer, erstrahlte eine Vielzahl von Lichtquellen. Der Mond stand fast voll am Firmament und spendete den beiden Anglern ein diffuses Licht. Das reichte ihnen jedoch vollkommen aus, um sich mit ihrer Ausrüstung zurechtzufinden, und darum benutzten sie nicht ihre mitgebrachten Taschenlampen. Jeder Handgriff saß, denn sie waren schon unzählige Male am Abend und in der Nacht rausgefahren. Sie unterhielten sich, wenn auch nur noch im Flüsterton. Gino zog einen Köder auf den Angelhaken und warf ihn dann schwungvoll und gekonnt aus. Die Schnur zischte durch die Luft und das Lockmittel verschwand in einiger Entfernung mit einem dezenten Platschen unter der Oberfläche. Carlo war ebenfalls so weit und tat es seinem Bruder nicht minder geschickt gleich. Dann steckten sie die Ruten in die am Boot befestigten Halterungen, die sie selbst angefertigt hatten, und setzten sich auf die Bänke. Nun hieß es, geduldig abzuwarten. Das Schaukeln des Bootes beruhigte sich und Ruhe kehrte ein.

„Petri heil“, flüsterte der Füllige.

„Petri dank“, erwiderte der Lange den Anglergruß mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen und reichte seinem Bruder eine Flasche Bier. Er bediente sich ebenfalls aus einer Kühlbox. Beide fühlten sich wohl wie schon lange nicht mehr. Dann schwiegen sie weiter und genossen das kühle Getränk. Ausdauernd warteten sie auf den ersten Biss. Und der ließ nicht lange auf sich warten. Gino hatte zuerst Glück. Statt einer Forelle zog er jedoch einen prächtigen Barsch aus dem See.

„Nicht schlecht, mein Lieber. Ein schöner Brocken. Aber ab jetzt bitte nur noch Forellen!“, grinste Carlo, während sich sein Bruder routiniert um den Fang kümmerte. Kurz darauf war die Angel wieder einsatzbereit und der nächste Köder verschwand im See. So vergingen die Stunden und das Glück war ihnen tatsächlich hold. Sie zogen einen Fisch nach dem anderen heraus und beschlossen deshalb, schon bald ans Ufer zurückzukehren.

„Lass uns unser Glück nicht überstrapazieren und uns nicht gierig werden, Carlo. Denn heute können wir mit unserem Fang mehr als zufrieden sein.“

„Nur einen noch … Ich hab‘s im Gefühl, dass ich noch etwas Großes rausziehen werde. Kennst du dieses Kribbeln in den Fingern nicht auch? Mein Instinkt hat mich in solch einem Fall noch nie getäuscht. Da unten schwimmt ein fetter Brocken, der es auf meinen Köder abgesehen hat. Also lass uns nur noch eine halbe Stunde abwarten. Wenn ich ihn bis dahin nicht am Haken habe, dann machen wir uns auf den Heimweg. Aber du wirst schon sehen, ich behalte recht.“ Gino nickte stumm und setzte sich wieder auf die Ruderbank. Er wollte seinem Bruder den Gefallen tun. Und außerdem hatte er mit seiner Vorahnung in der Vergangenheit tatsächlich schon oft richtig gelegen, was faszinierend war und ihn auch dieses Mal neugierig machte. Es konnte also nicht schaden, ihm noch etwas Zeit zuzugestehen, und so packte er schon einmal leise seine Sachen zusammen. Eine zweite Kühlbox war mit Fischen prall gefüllt. Da sie jedoch die vier Flaschen Bier und ihren mitgebrachten Proviant aus der anderen Box mittlerweile verzehrt hatten, war darin noch Platz für den mutmaßlichen Superfang. Zehn Minuten verstrichen, dann zwanzig. Ein Biss erfolgte in dieser Zeit nicht mehr. Doch dann geschah etwas anderes, Unerwartetes. Etwas, das das Leben der Brüder von jetzt auf gleich für immer verändern sollte. Gino hatte schon längst seine Ausrüstung verstaut und betrachtete gedankenverloren die glitzernden, teils bunten Lichtquellen von der Strandpromenade, während Carlo seine Rute immer noch ständig und aufmerksam im Blick behielt. Da prallte plötzlich etwas gegen die Außenwand des Bootes, sodass es sich leicht drehte.

„Hey, was war denn das? Schwimmt hier Treibholz im Wasser?“

„Nee, Gino, das war sicher das Urzeitmonster aus dem Gardasee“, flachste Carlo. „Liest du denn keine Boulevardpresse? Die haben das vor ein paar Jahren ganz groß im Sommerloch aufgezogen. Die Schlagzeile sollte sicher zusätzlich Touristen anlocken. Aber die Idee zündete nicht und das Unternehmen über das Grauen aus der Tiefe verlief im Sande. Nur noch Bekloppte glauben an die Sache …“, informierte ihn der Ältere scherzend.

„So ein Blödsinn. Klar dass die Sache in die Hose ging. Schließlich sind wir hier nicht in Schottland. Und diese Quatschblätter lese ich sowieso nicht. Steht nur Müll drin … sind mir sogar nicht mal gut genug, um darin alten Fisch einzuwickeln. Aber ich würde trotzdem gerne wissen, was dort tatsächlich im Wasser ist. Treibholz ist am wahrscheinlichsten, denn vor ein paar Wochen war doch dieser heftige Sturm. Womöglich hat‘s da einen Baum in den See gerissen. Warte mal, ich packe meine Taschenlampe aus und leuchte.“

„Und mein Fisch, der da draußen herumschwimmt? Willst du mir den mit deiner Funzel vertreiben?“, protestierte Carlo.

„Lass gut sein. Den dicken Brocken kannst du beim nächsten Mal rausholen, denn wir kommen wieder.“

„Okay. Während du also nachschaust, packe ich inzwischen meinen Kram zusammen.“ Dazu stand Carlo auf, packte sich die Angel und holte mit der Rolle flüssig die Schnur ein. Währenddessen kramte Gino in der Tasche nach der Lampe.

„Nanu? Eigentlich hat bei mir alles seinen Platz“, behauptete er, als er sie nicht gleich auf Anhieb fand. Schließlich ertastete er sie aber doch. Gerade wollte er die Taschenlampe einschalten, als erneut ein Ruck das Boot erschütterte. Dieser war jedoch viel heftiger als der zuvor. Gino griff reflexartig an den Bootsrand und hielt sich daran fest. Dabei fiel ihm die Lampe aber scheppernd auf den Boden. Sein Bruder hatte weniger Glück als er. Denn er stand bei der Kollision, konnte nirgendwo Halt finden und verlor sein Gleichgewicht, sodass er mit einem Aufschrei über Bord ging.

„Carlo“, hörte er noch den erschrockenen Ausruf seines Bruders, ehe das Wasser schäumend über seinem Kopf zusammenschlug und die Geräusche dämpfte. Sofort waren seine Sachen durchnässt und zogen ihn hinunter. Währenddessen tastete der Lange fahrig nach der Lampe, fand sie schließlich und schaltete sie ein. Sofort richtete er den Strahl auf die Stelle, wo er seinen Bruder vermutete. Aber da war niemand. Er ließ den Strahl hektisch kreisen. Nichts! Da glitt dicht unter der Oberfläche ein enormer Schatten dahin. Schwarz, riesig und in seinen Bewegungen elegant, so wie es nur ein Lebewesen vermochte, das in dem nassen Element zuhause war. Das, was immer es auch sein mochte, entfernte sich rasch vom Boot. Mit weit aufgerissenen Augen und staunend, fast wie hypnotisiert, klebte Ginos Blick auf dem etwas, bis er es nicht mehr wahrnahm.

Ein riesiger Fisch? Unmöglich. Aber was dann?, gingen ihm die Fragen durch den Kopf. Aber sofort darauf riss er sich aus der Starre los und suchte weiter fieberhaft und mit zugeschnürter Kehle nach seinem Bruder. Er wusste, eigentlich war der ein guter Schwimmer. Aber was, wenn er sich beim Sturz am Bootsrand den Kopf gestoßen, die Besinnung verloren und ihn die nasse Kleidung in die Tiefe gezogen hatte? Panik machte sich in ihm breit. Was konnte er schon tun? Er befürchtete schon das Schlimmste, als der suchende Leuchtstrahl auf etwas traf. Da war Carlo! Er rührte sich zwar nicht, trieb aber an der Oberfläche. Sein Gesicht lag im Wasser. Sofort reagierte Gino, ließ die Lampe einfach fallen, sodass sie unglücklich aufkam, zerbrach und erlosch. Augenblicklich war es dunkel und nur das matte Mondlicht sorgte für Orientierung. Es war ihm egal. Jetzt zählten andere Dinge und jede Sekunde. Zwar war er immer noch geschockt, gleichzeitig erleichtert Carlo wenigstens gefunden zu haben.

„Halt durch, Brüderchen!“, rief er ihm laut zu. „Ich bin sofort bei dir. Mach jetzt bloß keinen Quatsch. Ich ziehe dich raus.“ Er handelte so schnell es ihm möglich war. Mit kraftvollen Ruderzügen näherte er sich der Stelle, wo der Reglose trieb. Kaum hatte er diese erreicht, packte er auch schon mit einer Hand und festem Griff zu und erwischte Carlos Jacke. Hauptsache er hatte ihn erst einmal. Wie er ihn danach an Bord bekam, würde sich schon zeigen. Schnell kniete sich Gino auf den Bootsboden, stützte sich mit dem Oberkörper an der Bordwand ab und griff mit beiden Händen beherzt zu, drehte seinen Bruder zuerst mit dem Gesicht aus dem Wasser heraus, damit er atmen konnte. Dann führte er seine Arme unter Carlos Achseln durch und verschränkte sie vor dessen Brust, sodass er ihn bestmöglich festhalten konnte. Er atmete tief ein und aus, sammelte all seine Kraft und wuchtete dann den schlaffen Körper schon beim ersten Versuch an Bord. Das war sicherlich nur möglich gewesen, da die Angst um Carlo ihm übermenschliche Kraft verlieh. Mit zusammengebissenen Zähnen und geschlossenen Augen fiel er rücklings auf den Bootsboden und die Last seines Bruders begrub ihn. Carlo musste sich tatsächlich den Kopf angeschlagen haben, denn er rührte sich nicht und war scheinbar bewusstlos. Gino wühlte sich unter ihm hervor und kniete sich neben ihn. Sein Herz schlug ihm vor Aufregung bis in den Hals. Zum Glück, so dachte er, hatte er vor ein paar Jahren an einem Ersthelferkurs teilgenommen, sodass er sich nun zutraute, seinen Bruder zu reanimieren. Jedoch hoffte er darauf, dass das nicht notwendig sein würde. Gino griff dem Liegenden an den Hals, in den Bereich, wo die Schlagader verlief. Kein Puls! Und die Atmung? Er legte die Hände auf Carlos Brust und sein Ohr dicht vor dessen Nase und Mund. Auch da regte sich nichts. Kalter Schweiß brach ihm aus.

„Brüderchen“, stieß er fordernd hervor. „Was soll der Mist? Mach jetzt bloß nicht schlapp. Wir wollen doch auch in Zukunft noch zusammen angeln gehen. Alleine würde es mir keinen Spaß mehr machen. Also rühr dich jetzt!“ In diesem Moment glitt Ginos Blick weiter am Körper seines Bruders hinab und auf einmal stockte ihm der Atem und er wurde kreidebleich. Das Grauen schnürte ihm die Kehle zu und er wich zurück. Eine eiskalte Hand schien sein Herz zu umklammern. Denn was sich ihm nun im fahlen Mondlicht offenbarte, konnte an Schrecklichem kaum übertroffen werden. Und dieses Furchtbare erklärte auch, weshalb er seinen übergewichtigen Bruder zuvor so überraschend einfach aus dem Wasser hatte ziehen können. Denn Carlo war nur noch zur Hälfte vorhanden! Knapp unterhalb des Bauchnabels fehlte alles! Blutig rot quollen die Eingeweide aus dem Toten heraus und ergossen sich in einem bizarren Durcheinander auf die Bootsplanken. Gino reagierte mit einem heiseren Aufschrei. Er glaubte den Verstand verlieren zu müssen und konnte das Wahrgenommene kaum fassen. Sein Bruder tot? Zerfetzt von … was? Der unheimliche Schatten im Wasser? Dann sank er auf der Ruderbank in sich zusammen und blickte minutenlang wie unter einem Bann stehend auf das blutige Grauen. Wie er viel später wieder an Land kam und dort in seinem total verwirrten Zustand eine Polizeistation fand, und den Beamten dort stammelnd und apathisch wirkend eine durcheinandergewürfelte Beschreibung der Ereignisse schilderte, die natürlich auf großes Erstaunen stieß, war allen Anwesenden ein Rätsel. Der Mann stand völlig neben sich und befand sich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Zwar führte Gino die Carabinieri noch wie in Trance zum Ruderboot mit der Leiche seines Bruders, dann brach er davor zusammen und sank in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Und obwohl die Polizisten von ihm nur einen ungeordneten Haufen an Informationen bekommen hatten, ahnten alle Beteiligten dennoch und erkannten anhand der übel zugerichteten Leiche, dass erneut ein rätselhafter Todesfall am Gardasee stattgefunden hatte, dessen Ursache sicherlich auch dieses Mal wieder im Dunkeln blieb. Die unheimlichen Ereignisse hatten ein neues Kapitel aufgeschlagen …