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Bullet Train

Kotaro Isaka
Bullet Train

Krimi, Thriller, gebunden, Hoffmann und Campe Verlag GmbH, Hamburg, April2022, 384 Seiten, 22,00 EUR, ISBN: 9783455013221, aus dem Japanischen übersetzt von Katja Busson

Chaos dank Neun-Euro-Tickets, überfüllte Abteile, zugemüllte Bordtoiletten, Verspätungen … Eigenarten, die für die japanischen Bahngesellschaften und somit deren Passagiere vollkommen fremdartig anmuten. Ständige Wartungen, modernste Technik,  Sauberkeit als höchstes Gut: Völlig zu Recht darf man sich im Land der aufgehenden Sonne damit brüsten, womöglich den weltweit effizientesten Bahnbetrieb zu besitzen. Für Nanao, dessen Arbeitsfeld zwischen Problemlöser und Mädchen für alles residiert – beides selbstredend auf ausgesprochen illegalen Pfaden – wären die eingangs beschriebenen Ärgerlichkeiten ein äußerst geringes Pfand dafür, dass der angenommene Auftrag ohne besondere Vorkommnisse über die Bühne geht. Wozu das Brimborium? Wegen eines läppischen Koffers. Okay, eines läppischen Koffers voller Geld, den sich Nanao aneignen soll. Und da Nanaos Foto aufgrund seiner geradezu magischen Anziehungskraft in Sachen Murphys Gesetz eigentlich direkt neben der Definition dieses Grundsatzes in jedem anständigen Lexikon abgebildet sein sollte (und die berufliche Diskretion freilich dadurch flöten ginge), ist auch dieser Job kein Zuckerschlecken, keine leicht verdiente Kohle. Mag der Hochgeschwindigkeitszug Richtung Morioka an diesem Abend angenehm leer sein, entpuppt sich besagter Shinkansen bereits nach wenigen Minuten dennoch als wahrer Tummelplatz für Killer und sonstige Irre. Wie etwa Tangerine und Lemon, zwei der besten Hitman der Branche und charakterlich so uneins wie Feuer und Wasser, diesmal als Kindermädchen für den Sohn eines ziemlich gewichtigen Unterweltbosses unterwegs. Oder ein alter Konkurrent Nanaos, der nicht unbedingt wohlwollend auf ihn zu sprechen ist. Oder der einstige, mittlerweile dem Alkohol zusprechende Auftragsmörder Kimura, der auf Rache für den eigenen Sohn aus ist, der in einem Krankenhaus zwischen Leben und Tod schwebt. Instabile Komponenten, die im Zusammenspiel ein ungemein explosives Gebräu bilden …

»In Noir, you‘re fucked«, beschrieb die Autorin Christa Faust einst prägnant und zielsicher das wesentliche Merkmal einer Krimigattung, die auch ein Jahrhundert nach den ersten literarischen Ausläufern vom Schlage Dashiell Hammetts oder Philip Marlowes nicht totzukriegen ist. Zum Glück. Über das fucked oder vielmehr die Gewissheit des Aufgeschmissenseins könnte der Protagonist von BULLET TRAIN, Nanao ein Liedchen trällern. Exemplarisch wird aus der Suche nach dem Geldkoffer, dem mitbestimmenden McGuffin der Geschichte, eine fiebrige wie abstruse Odyssee durch ein Labyrinth aus Gewalt, völlig unerwarteten Wendungen, Toten und Zugtoiletten, ehe man alles aufs Neue auf Links umkrempelt. Das Schicksal als mieser Verräter? Gehässiger Sadist ist treffender. Somit dürfen sich BULLET TRAIN beziehungsweise dessen geistiger Vater, der 1971 geborene Kotaro Isaka brüsten, geradezu exemplarisch für den modernen, würzig-frech-schwarzhumorigen Noirkrimi zu stehen, der ausnahmsweise nicht aus den Vereinigten Staaten stammt. Aber das Gros der Vorbilder. Somit sind vorbrachte Vergleiche Richtung Tarantino und den Coen-Brothers durchaus berechtigt. Gleichwohl besitzt Isaka eine eigene Stimme mitsamt dem eigensinnigen, manchmal auch ziemlich landestypisch zugeschnittenen Humor, der allerdings dank Katja Bussons überragender Übersetzung einen Kniff erhält und somit auch uns Mitteleuropäern zugängig gemacht wird. Wie ein Dirigent orchestriert Isaka diese wahnwitzige Zugfahrt; mühelos hüpft er zwischen den Zeitebenen, als wären es Springseile, streut falsche Fährten, lässt Nebensächlichkeiten übergangslos bedeutsam werden – alles, ohne dabei ansatzweise die Zügel schleifen zu lassen. Demzufolge sind die Sätze kurz, aber ohne eines Wortes zu viel oder zu wenig; die Dialoge präzise und passgenau und die drängende Frage, warum bislang noch keine weiteren Romane des Mannes auf Deutsch erschienen sind, konsequent. Die Frage nach einer Verfilmung hat sich mittlerweile erledigt: Ab dem 4. August gibt es BULLET TRAIN ebenfalls auf der großen Leinwand, freilich amerikanisiert dank eines Brad Pitt und einer Sandra Bullock in den Hauptrollen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Vorlage schlichtweg spektakulär ist und somit absoluter Lesebefehl!

(tsch)