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Catherine Parr Band 1 – Kapitel 2

Luise Mühlbach
Catherine Parr
Erstes Buch
Historischer Roman, M. Simion, Berlin 1851

II.
Glänzendes Elend

Dieser lange Tag der Zeremonien und Festlichkeiten näherte sich endlich seinem Ende. Katharina durfte bald hoffen, für heute dieses ewigen Repräsentierens und Lächelns, dieses unaufhörlichen Lobpreisens, dieser immer sich erneuernden Huldigungen überhoben zu sein!

Sie hatte sich an der Seite ihres Gemahls auf dem Balkon gezeigt und bei dem Jauchzen des Volkes sich freundlich grüßend geneigt. Sie hatte alsdann im großen Thronsaal ihren neu ernannten Hofstaat empfangen, mit jedem dieser Lords und Ladys einige nichtssagende, freundliche Worte gewechselt und an der Seite ihres Gemahls die Deputationen der Hauptstadt und des Parlaments Audienz gegeben. Aber es hatte sie schaudern gemacht, aus ihrem Munde dieselben Glückwünsche und Lobpreisungen zu vernehmen, mit denen sie schon fünf andere Frauen des Königs begrüßten!

Aber sie hatte es dennoch vermocht, zu lächeln und glücklich zu erscheinen, denn sie wusste sehr wohl, dass des Königs Blick sie niemals verließ und dass all diese Herren und Damen, welche ihr nun mit so viel Demut und anscheinend so aufrichtiger Huldigung entgegenkamen, im Grunde doch alle ihre erbitterten Feinde waren und es ihr niemals verzeihen würden, dass sie, welche noch gestern ihresgleichen gewesen war, heute zu ihrer Königin und Herrin sich emporgeschwungen hatte. Sie wusste, dass diese alle jedes ihrer Worte, jede ihrer Minen mit Spähaugen überwachten, um vielleicht daraus eine Anklage oder ein Todesurteil schmieden zu können.

Aber wie gesagt, sie lächelte dennoch! Sie lächelte, obwohl sie fühlte, dass der so leicht entflammte, so grausam strafende Zorn des Königs immerfort wie das Schwert des Damokles über ihrem Haupt schwebe.

Sie lächelte, damit dieses Schwert nicht herabfallen möge!

Endlich hatte man all diese Repräsentationen, diese Huldigungen und Freudenbezeichnungen überwunden und man kam zu dem behaglicheren und genussvolleren Teil des Festes.

Man ging zur Tafel. Dies war für Katharina der erste Moment des Erholens, der Ruhe. Denn wenn Heinrich VIII. sich zur Tafel setzte, so hörte er auf, erhabener König und eifersüchtiger Gemahl zu sein. So war er nur noch der gelehrte Esskünstler, der leidenschaftliche Gourmet. Ob die Pastete gut geraten und der Fasan wohlschmeckend sei, war für ihn alsdann eine weit wichtigere Frage als die Frage vom Wohl seines Volkes und dem Blühen seines Staates.

Nach der Tafel kam eine andere Erholung, ein neuer Genuss, und dieses Mal ein wirklicher, welcher sogar auf einige Zeit die finsteren Ahnungen und die traurigen Befürchtungen aus Katharinas Herzen verbannte und ihr Antlitz mit einem roten Schimmer der Heiterkeit und des glücklichen Lachens überhauchte.

Denn König Heinrich hatte seiner jungen Gemahlin eine neue eigentümliche Überraschung bereitet. Er hatte im Schloss von Whitehall ein Theater errichten lassen, auf welchem von den Herren des Hofes eine Komödie von Plautus dargestellt wurde. Dies war in der Tat ein neues Vergnügen, welches der gelehrte König das Verdienst hatte, zuerst in England eingeführt zu haben. Denn bis dahin kannte man nur die Moralität und Mysterienspiele. Heinrich hatte sich vorbehalten, für beide Theater ein Regenerator zu sein, sowohl für die geistliche als auch für die weltliche Bühne. Und wie er die Kirche frei gemacht von dem geistlichen Oberhaupt, dem Papst, so wollte er die Bühne frei machen von der Kirche und auf ihr andere minder ernste Schauspiele sehen als das Braten von Heiligen und das Hinschlachten gottbegeisterter Nonnen. Wozu auch solche Scheinhinrichtungen auf der Bühne darstellen lassen, da der König sie täglich in Wirklichkeit aufführen ließ? Heinrich wollte seiner jungen Königin ein neues, überraschendes Schauspiel darbieten, denn das Verbrennen christlicher Märtyrer und gottbegeisterter Jungfrauen war unter der Regierung dieses christlichen Königs etwas so Gewöhnliches und Alltägliches, dass er weder dem Hof noch sich selbst damit noch eine pikante Unterhaltung gewähren konnte.

Aber die Vorstellung eines römischen Lustspiels, das war jedenfalls ein neues, bekanntes Vergnügen, eine Überraschung für die junge Königin! Er ließ daher seiner Gemahlin den Curculio vorspielen und wenn Katharina freilich nur mit schachvollem Erröten die unzüchtigen und schamlosen Scherze des römischen Volksdichters anhören konnte, so fühlte sich Heinrich umso mehr dadurch belustigt und begleitete die obszönsten Einspielungen und die ungeniertesten Szenen mit seinem brüllenden Gelächter und seinem lauten Bravorufen!

Endlich war auch diese Festlichkeit überstanden und Katharina durfte sich nun mit ihrem Hofstaat in ihre inneren Gemächer zurückziehen.

Sie verabschiedete mit einem anmutigen Lächeln ihre Kavaliere und ließ ihre Frauen und ihre zweite Hofdame Anna Askew in ihr Toilettenzimmer gehen und ihres Rufes harren! Dann gab sie ihrer Freundin, Lady Jane Douglas den Arm und trat mit ihr in ihr Kabinett.

Als sie endlich allein, endlich unbewacht sich fühlte, verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht. Ein Ausdruck tiefer Trauer stand in ihren Zügen.

»Jane«, sagte sie, »ich bitte dich, schließe die Türen und ziehe die Vorhänge über die Fenster, damit niemand mich sehen, niemand mich hören kann! Niemand außer dir, meiner Freundin, der Gefährtin meiner glücklichen Kindheit! Oh mein Gott, mein Gott, warum bin ich so töricht gewesen, dieses stille einsame Schloss meines Vaters zu verlassen und hinauszugehen in die Welt, welche so voll Schrecken und Entsetzen ist!«

Ihre Hände vor ihr Antlitz liegend, sank sie weinend und zitternd auf die Ottomane nieder.

Lady Jane betrachtete sie mit einem eigentümlichen, schadenfrohem Lächeln.

»Sie ist Königin und sie weint!«, sagte sie zu sich selbst. »Mein Gott, wie kann man sich nur unglücklich fühlen, wenn man Königin ist!«

Sie näherte sich Katharina. Sich auf das Taburett zu ihren Füßen niedersetzend, drückte sie einen innigen Kuss auf die herabhängende Hand der Königin.

»Ew. Majestät weinen!«, sagte sie mit ihrem einschmeichelten Ton. »Mein Gott, Ihr seid also so unglücklich, und ich, welche mit lautem Jubelgeschrei die Kunde von dem überraschenden Glück meiner Freundin empfing, ich glaubte hier einer wonnestrahlenden, stolzen und seligen Königin zu begegnen. Ich empfand nur eine Angst, ich fürchtete nur, die Königin möchte aufgehört haben, meine Freundin zu sein! Deshalb drang ich in meinen Vater, sofort, nachdem Euer Befehl gekommen war, mit mir Dublin zu verlassen und hierher zu eilen. Oh mein Gott, ich wollte Euch sehen, in Eurem Glück und in Eurer Größe!«

Katharina ließ ihre Hände von ihrem Antlitz gleiten und sah mit einem wehmütigen Lächeln zu ihrer Freundin nieder.

»Nun«, sagte sie, »bist du nicht zufrieden mit dem, was du gesehen hast? Habe ich dir nicht den ganzen Tag die lächelnde Königin gezeigt, trug ich nicht ein goldgewirktes Kleid, flimmerte mein Hals nicht von Brillanten, prangte nicht ein Königsdiadem in meinem Haar und saß nicht ein König mir zur Seite! Lass es also nun genug sein, Jane! Du hast den ganzen Tag die Königin gesehen, gestatte mir jetzt, auf einen kurzen glücklichen Moment wieder das fühlende empfindende Weib zu sein welche in den Busen der Freundin all ihre Klagen und ihren Jammer ausströmen darf! Ach Jane, wenn du wüsstest, wie ich mich nach dieser Stunde gesehnt habe, wie ich ihr, als dem einzigen Balsam für mein armes, bis in den Tod getroffenes Herz entgegen seufzte, wie ich mir für diesen Tag vom Himmel nur dieses eine erflehte: Gib mir meine Freundin, gib mir meine Jane zurück, damit sie mit mir weinen kann, damit ich ein Wesen an meiner Seite habe, welches mich versteht und sich nicht täuschen lässt von dem jammervollen Prunk dieser äußeren Erscheinung.«

»Arme Katharina!«, flüsterte Lady Jane. »Arme Königin!«

Katharina schreckte zusammen und legte ihre von Brillanten funkelnde Hand auf Janes Lippen.

»Nenne mich nicht so!«, sagte sie. »Königin! Mein Gott, klingen in diesem einen Wort nicht alle Schrecknisse der Vergangenheit wieder? Königin! Heißt das nicht, zum Schafott und zum Blutgericht verdammt zu sein? Ach Jane, ein Todesschauer rinnt durch meine Glieder. Ich bin Heinrich VIII, sechste Königin. Ich werde also hingerichtet oder mit Schande belastet, verstoßen werden!«

Sie barg wieder ihr Antlitz in ihren Händen und ihre ganze Gestalt zitterte. Sie sah also nicht, mit welchem schadenfrohen Lächeln Lady Jane sie betrachtete. Sie ahnte nicht, mit welchem heimlichen Entzücken ihre Freundin ihre Klagen und ihre Seufzer vernahm.

Oh, ich bin wenigstens gerächt!, dachte Jane, während sie liebevoll das Haar der Königin streichelte. Ja, ich bin gerecht! Sie hat mir eine Krone geraubt, aber sie ist unglücklich. Und in den goldenen Becher, welchen sie an ihre Lippen setzt, wird sie nichts als Wermut finden! Nun, wenn diese sechste Königin nicht auf dem Schafott stirbt, so mögen wir es doch vielleicht bewirken können, dass sie vor Angst stirbt oder es für ein Glück erachtet, ihre Königskrone wieder zu Heinrichs Füßen niederlegen zu können!

Laut sagte sie dann: »Warum aber diese Befürchtungen, Katharina? Der König liebt Euch, der ganze Hof hat es gesehen, mit welchen zärtlichen und begeisterten Blicken er Euch heute angeschaut hat und wie er entzückt auf er auf jedes Eurer Worte lauschte! Gewiss, der König liebt Euch!«

Katharina fasste heftig ihre Hand. »Der König liebt mich«, flüsterte sie, »und ich, ich zittere vor ihm, ja, mehr noch, mir graut vor seiner Liebe! Seine Hände sind in Blut getaucht. Und wie ich ihn heute in seinem Purpur sah, schauderte mir und ich dachte: Wie bald, und auch mein Blut wird dieses Purpur färben!«

Jane lächelte. »Ihr seid krank, Katharina!«, sagte sie. »Dieses Glück hat Euch überrascht und Eure überreizten Nerven malen Euch nun allerlei Schreckbilder vor, das ist alles!«

»Nein, nein, Jane, diese Gedanken sind immer mit mir gewesen! Sie haben mich immer begleitet, seit der König mich zu seiner Gemahlin erwählte.«

»Und warum habt Ihr Euch alsdann ihm nicht verweigert?«, fragte Lady Jane. »Warum habt Ihr nicht Nein gesagt zu der Werbung des Königs?«

»Warum ich das nicht getan habe, fragst du? Ach, Jane, bist du denn so sehr ein Fremdling an diesem Hof, um nicht zu wissen, dass man entweder des Königs Befehle vollziehen oder sterben muss? Mein Gott, man beneidet mich! Man nennt mich die größte und mächtigste Frau von England. Man weiß nicht, dass ich ärmer und machtloser bin als die Bettlerin der Straße, welche doch mindestens die Macht hat, sich zu versagen, wenn sie will! Ich durfte mich nicht versagen und dieser Heiratsantrag hieß entweder seine Gemahlin werden zu werden oder in den Tod zu gehen! Und ich hatte nicht die Kraft, schon sterben zu wollen, Jane! Ich bin noch so jung, ich habe noch so viele Ansprüche an das Leben, und es hat mir noch so wenige davon erfüllt! Ach, mein armes, freudloses Dasein, was ist es denn anders gewesen als eine ewige Kette von Entsagungen und Entbehrungen, von entblätterten Blüten und trüben Nebelbilder! Es ist wahr, ich habe das, was man eigentlich Unglück nennt, noch niemals kennengelernt! Aber gibt es denn ein größeres Unglück, als nicht glücklich zu sein, als ein Leben ohne Wunsch und ohne Hoffnung zu durchseufzen und die ewige Langeweile einer genusslosen und doch von Luxus und Glanz umgebenen Existenz zu ertragen? Du warst nicht unglücklich, und doch bist du eine elternlose Weise. Ich habe meine Mutter so früh verloren, dass ich sie kaum gekannt habe. Und als mein Vater starb, musste ich es fast als ein Glück betrachten, denn er hatte mich niemals den Vater, sondern immer nur den strengen, tyrannischen Gebieter sehen lassen.«

»Aber du warst vermählt!«

»Vermählt!«, sagte Katharina mit einem trüben Lächeln. »Das heißt, mein Vater hatte mich an einen alten gichtkranken Mann verkauft, an dessen Lager ich einige trostlose, schauerlich langweilige Jahre verbrachte, bis Lord Neville mich zu einer reichen Witwe machte. Die Menschen nannten das freilich wiederum ein Glück, denn ich war nur eine reiche, unabhängige junge Witwe! Aber was half mir meine Unabhängigkeit, da man mich mit neuen Banden gefesselt hatte! Bis dahin war ich die Sklavin meines Vaters, meines Gemahls gewesen, nun wurde ich die Sklavin meines Reichtums! Ich hörte auf, Krankenpflegerin zu sein, nur um Verwalterin meiner Güter zu werden. Ach, diese Zeit war die langweiligste meines Lebens. Und doch verdanke ich ihr das einzige wirkliche Glück, denn in dieser Zeit lernte ich dich kennen, meine Jane, und mein Herz, welches noch niemals zärtlichere Gefühle kennengelernt hatte, flog dir mit allem Ungestüm einer ersten Leidenschaft entgegen. Glaube mir, meine Jane, als dieser längst verschollene Neffe meines Gemahls kam und mir die Erbschaft seiner Güter entriss und als Herr sie in Besitz nahm, da war der Gedanke, nun dich und deinen Vater, meinen Gutsnachbarn verlassen zu müssen, mein einziger Kummer. Die Menschen beklagten mich um die verlorenen Reichtümer. Ich danke Gott, dass er mich dieser Last überhoben hatte und zog nach London, um endlich zu leben, zu empfinden, um endlich das wahre Glück oder das wahre Unglück kennenzulernen.«

»Und was fandet Ihr?«

»Das Unglück, Jane, denn ich bin Königin!«

»Das ist Euer einziges Unglück?«

»Mein einziges, aber es ist groß genug, denn es verdammt mich zu ewiger Angst, zu ewiger Verstellung! Es verdammt mich, liebe zu heucheln, welche ich nicht empfinde, und Zärtlichkeiten zu erdulden, die mich schaudern machen, weil sie nur die Erbschaft von fünf unglückseligen Weibern sind! Jane, Jane, begreifst du das, einen Mann umarmen zu müssen, der drei Frauen gemordet und zwei verstoßen hat? Begreifst du es, diesen König küssen zu müssen, dessen Lippen sich ebenso leicht zu Liebesschwüren wie zu Todesurteile öffnen! Ach, Jane, warum bin ich so feige gewesen, nicht sterben zu wollen! Mein Gott, ist dies nicht ein tägliches Sterben, eine unaufhörliche Todesmarter. Habe ich nicht zuallererst mein Herz begraben müssen, ach so tief begraben, dass es niemals erwachen kann? Denn dieses Erwachen würde zugleich mein Todesurteil sein! Fasse es, Jane, verurteilt zu sein zu einem Leben ohne Liebe, ohne Glanz und Duft! Was habe ich denn getan, um eine solche farblose Existenz verschuldet zu haben? Wodurch habe ich denn gesündigt, um eine solche Strafe verwirkt zu haben? Mein Gott, ich bin 25 Jahre und mein Herz ist noch das Herz eines Kindes. Es kennt sich selbst noch nicht! Und nun ist es verdammt, sich niemals kennenzulernen, denn ich bin Heinrichs Gemahlin, und einen anderen lieben, hieße, das Schafott besteigen zu wollen! Das Schafott! Siehe, Jane, als der König zu mir trat, mir seine Liebe gestand und mir seine Hand antrug, da stieg plötzlich ein grauenvolles Bild vor mir auf. Es war nicht mehr der König, den ich vor mir sah, sondern der Henker! Und es war mir, als sehe ich drei Leichname zu seinen Füßen liegen und mit einem lauten Schrei sank ich selbst bewusstlos vor ihm nieder. Als ich erwachte, hielt mich der König in seinen Armen! Der Schrecken über das unerwartete Glück, glaubte er, hätte mich ohnmächtig gemacht! Er küsste mich und nannte mich seine Braut, er dachte nicht einmal daran, dass ich mich ihm verweigern könnte. Und ich, verachte mich, Jane, ich war so feige, dass ich nicht den Mut einer vollen Weigerung in mir finden konnte. Ja, ich war so feige, auch nicht sterben zu wollen. Ach, mein Gott, mir schien, als winke mir das Leben in diesem Augenblick mit tausend Freuden, tausend Entzückungen, die ich niemals kennengelernt und nach denen meine Seele dürstete wie nach dem Manna in der Wüste. Ich wollte leben, leben um jeden Preis! Ich wollte mir die Frist gewinnen, um noch einmal vielleicht des Glückes, der Liebe, des Genusses teilhaftig werden zu können! Siehe, Jane, die Menschen nennen mich ehrgeizig, sie sagen ich hätte Heinrich meine Hand gegeben, weil er ein König ist! Ach, die Menschen wissen nicht, wie mir geschaudert hat vor dieser Königskrone! Sie wissen nicht, dass ich in der Angst meines Herzens den König angefleht habe, mich nicht zu meiner Gemahlin, sondern – Jane verhülle dein Antlitz und wende dich von mir ab – sondern zu seiner Mätresse zu machen! Ich bot mich ihm dar, wie das Opferlamm sich dem Altar des blutdurstigen Gottes darbietet, mit gebundenen Händen, mit verzweifelnden Herzen! Aber Heinrich wies mein Opfer zurück. Er wollte eine Königin schaffen, um ein Weib zu besitzen, dass sein Eigentum sei, dessen Blut er vergießen kann als Herr und Gemahl! Ich bin also Königin! Ich habe mein Schicksal angenommen und hinfort wird mein Dasein ein ewiges Kämpfen und Ringen mit dem Tod sein. Ich will mich ihm wenigstens so teuer wie möglich verkaufen, und der Wahlspruch, welchen Cranmer gegeben hat, der soll fortan mein Führer sein auf meiner dornenvollen Lebensbahn!«

»Und wie lautet dieser Wahlspruch?«, fragte Jane.

»Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben«, erwiderte Katharina mit einem matten Lächeln, indem sie ihr Haupt auf ihre Brust senkte und sich ihrem schmerzlichen und ahnungsvollen Nachsinnen überließ.

Lady Jane stand ihr gegenüber und betrachtete mit einer grausamen Ruhe das schmerzlich zuckende Antlitz und die zuweilen ganz und gar erbebende Gestalt der jungen Königin, für welche ganz England heute Feste feierte und die doch so unglücklich und trauervoll ihr gegenüber saß.

Plötzlich richtete Katharina ihr Haupt empor. Ihr Antlitz hatte nun einen vollkommen anderen Ausdruck angenommen. Es war nun fest, entschlossen und kühn. Mit einem leisen Neigen des Kopfes reichte sie Lady Jane ihre Hand dar und zog die Freundin näher zu sich heran.

»Ich danke dir, Jane«, sagte sie, indem sie einen Kuss auf ihre Stirn drückte. »Ich danke dir! Du hast meinem Herzen wohl getan und es befreit von der drückenden Last seiner geheimen Schmerzen. Wer seinen Kummer aussprechen darf, der ist schon halb davon genesen. Ich danke dir also, Jane! Von nun an sollst du mich gefasst und heiter finden. Das Weib hat vor dir geklagt, aber die Königin weiß, dass sie eine ebenso schwierige wie erhabene Aufgabe zu erfüllen hat. Und ich gebe dir mein Wort darauf, dass ich sie erfüllen will! Das neue Licht, welches über der Welt aufgegangen ist, soll nicht mehr von Blut und von Tränen verdunkelt werden. Nicht mehr sollen in diesem unglücklichen Land die Vernünftigen und die Gerechten als Empörer und Hochverräter gerichtet werden! Das ist die Aufgabe, welche Gott mir gestellt hat. Und ich schwöre es, dass ich sie erfüllen werde! Willst du mir auch darin helfen, Jane?«

Lady Jane erwiderte einige leise Worte, die Katharina nicht verstand. Als sie ihren Blick auf sie richtete, gewahrte sie mit Erstaunen die leichenhafte Blässe, welche sich plötzlich über das Antlitz ihrer Hofdame ergossen hatte.

Katharina stutzte und sah ihr betroffen und forschend in die Augen.

Lady Jane schlug vor diesen forschenden und flammenden Blicken die Augen nieder. Ihr Fanatismus hatte sie für einen Moment überwältigt. So sehr sie sonst gewohnt war, ihre Gedanken und ihre Gefühle zu verbergen, hatte dieses Mal doch der Moment sie hingerissen und sie dem scharfblickenden Auge der Freundin verraten.

»Es ist lange her, seit wir uns nicht gesehen haben«, sagte Katharina traurig. »Drei Jahre! Das ist eine lange Zeit für das Herz eines jungen Mädchens! Und du warst diese drei Jahre mit deinem Vater in Dublin an diesem streng katholischen Hof! Das bedachte ich nicht! Aber wie sehr deine Gesinnung sich geändert haben möge, dein Herz, weiß ich, ist doch dasselbe geblieben, und immer noch wirst du die stolze, hochherzige Jane von ehemals sein, welche sich niemals zu einer Lüge erniedrigte, und hätte diese Lüge ihr auch Vorteil und Glanz gewährt! Ich frage dich also, Jane, welches ist deine Religion? Glaubst du an den Papst in Rom und an die alleinseligmachende Kirche oder folgst du der neuen Lehre, welche Luther und Calvin verkünden?«

Lady Jane lächelte. »Würde ich es wohl gewagt haben, vor Euch zu erscheinen«, sagte sie, »wenn ich mich noch zu der katholischen Kirche zählte? Katharina Parr wird von den Protestanten Englands als die neue Schutzherrin der gefährdeten Lehre begrüßt, und schon schleudern die katholischen Priester ihr Atem gegen Euch und verfluchen Euch und Eure gefahrvolles Dasein! Und Ihr fragt mich, ob ich eine Anhängerin dieser Kirche bin, welche Euch verlästert und verdammt? Ihr fragt mich, ob ich an diesen Papst glaube, welcher den König mit dem Bannfluch belegte, den König, welcher nicht bloß mein Herr und Gebieter, sondern auch der Gemahl meiner edlen und erhabenen Katharina ist! O Königin, Ihr liebt mich nicht, wenn Ihr solche Fragen an mich richten könnt!«

Gleichsam überwältigt von Schmerz sank Lady Jane zu Katharinas Füßen nieder und barg ihr Haupt in dem faltenreichen Gewand der Königin.

Katharina neigte sich zu ihr nieder, um sie aufzurichten und an ihr Herz emporzuheben. Plötzlich zuckte sie zusammen und eine tödliche Blässe überzog ihr Angesicht. »Der König!«, flüsterte sie. »Der König kommt hierher! Ach mein Gott, mein Gott! Es ist nicht genug, Heinrichs Gemahlin zu sein, er verlangt auch von mir, dass ich sein Weib werde!«