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Nick Carter – Der Raubüberfall im Grand Central Depot – Kapitel 3

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Der Raubüberfall im Grand Central Depot
Ein Detektivroman

Patsy als Taschendieb

Patsy Murphy war zwar noch keine achtzehn Jahre alt, aber schon sehr gerissen. An seinem Meister hing er mit rührender Treue und war jeden Augenblick bereit, sich für Nick Carter in Stücke schlagen zu lassen.

Da an dem Abend, an welchem unsere Erzählung spielt, außer einigen Erkundigungsgängen für Patsy keine weitere Arbeit zur Hand gewesen war, so hatte dieser, als zum Supper keiner der beiden anderen zu Hause eingetroffen war, beschlossen, sich einmal auf eigene Faust zu unterhalten und ein Theater zu besuchen.

Als er um die Ecke der 14th Street biegen wollte, um in einen der dort gelegenen Musentempel einzutreten, nahm er plötzlich einen Mann wahr, den er wenige Wochen zuvor vergeblich zu beschatten versucht hatte. Nun war bei dem Jüngling das Pflichtgefühl bei Weitem stärker entwickelt als alles andere; sein Beruf war seine einzige Leidenschaft. Kein Wunder, dass er sofort aufs Theatergehen verzichtete und zum Schatten des ahnungslos Weiterschlendernden wurde.

Doch augenscheinlich hätte Patsy mit demselben Erfolg auch geradeso gut ins Theater gehen können, denn der von ihm Verfolgte schien offenbar kein besonderes Geschäft vorzuhaben. Er schlenderte von einer Kneipe zu der anderen; zumeist besuchte er Plätze, in welchen ihn niemand kannte und er ganz unbemerkt blieb. Darüber wurde es 11 Uhr abends. An der Ecke von 34th Street und Broadway wollte der Beschattete gerade wieder einen Saloon betreten, als er unter der Tür mit einem Bekannten zusammentraf. Beide hatten sich lange nicht gesehen und schwerlich verabredet, denn der Bekannte schien sehr erfreut zu sein und sprach dann eifrig auf den ihm nur zerstreut Zuhörenden ein. Dann wurde dieser aufmerksamer, und schließlich packte er seinen Bekannten beim Arm und zog ihn in das um diese Stunde stark besetzte Lokal.

Natürlich begab sich Patsy ebenfalls in die Wirtschaft. Er sah die beiden Freunde nebeneinander an der Bar stehen und zusammen trinken. Sie befanden sich nahe beim Eingang zum Nebenzimmer, in welches der mit Recht in New York so beliebte Family-Entrance – ein Zugang für solche, welche unbemerkt das Wirtschaftsinnere erreichen wollten – führte. Sofort verließ Patsy den Saloon wieder, um in der Minute darauf durch den Familieneingang das Lokal wieder zu betreten. Das Nebenzimmer, in welchem er sich nun befand, war fast menschenleer, doch durch die offen stehende Tür drang das summende Durcheinander der den Barroom füllenden Menge.

Ein flüchtiger Orientierungsblick belehrte Patsy, dass unmittelbar neben der zum Saloon führenden Tür sich die Herrentoilette und zwischen beiden sich eine mit einem dunklen Wollvorhang umkleidete Waschnische befand, die zum Gebrauch für etwaige Billardspieler diente, denn die Mitte des Nebenraumes nahm ein solcher Pooltable ein, der indessen unbenutzt dastand. Es gelang Patsy, hinter den Vorhang zu treten, sodass er nun auch vom Nebenzimmer aus nicht wahrgenommen werden konnte, sich aber so nahe dem Schankraum befand, dass es für ihn möglich war, mit seinem scharfen Gehör etwas von der Unterhaltung der beiden Männer aufzuschnappen.

»Möchte gar zu gern erfahren, was die beiden vorhaben«, sagte sich Patsy neugierig. »Mein Mann heißt Mert Coleman, soviel weiß ich … den Namen des anderen kenne ich nicht … doch ich habe ihn schon häufig genug in dem Saloon an der Ecke der 2nd Avenue und der 42th Street gesehen, und ich meine, dort verkehrt eine Bande, die aus Taschendieben und derartigem lichtscheuen Gesindel besteht – holla, was haben wir da!«, unterbrach er seinen Gedankengang und hielt den Atem an, denn seinem scharfen Ohr hatte sich der Name seines Meister bemerkbar gemacht.

Leise plaudernd kamen nun die beiden Männer näher. Wie Patsy durch den Spalt des Vorhanges bemerkten konnte, hatten sie ihre Gläser in der Hand und setzten sich nun an den nächsten Tisch vor das Billard, also in unmittelbarer Nähe des Lauschenden.

Das traf sich insofern günstig, als Patsy nunmehr in den Stand gesetzt war, jedes Wort, das zwischen den beiden fiel, zu vernehmen. Auf der anderen Seite aber konnte er den engen Ort nicht verlassen, ohne von den Männern bemerkt zu werden … Doch nein! Sein suchender Blick hatte ein Lichtfenster entdeckt, das direkt über der Waschgelegenheit angebracht war und in den Hof zu münden schien. Im Übrigen vertraute er auf sein Glück. Kamen nicht gerade Billardspieler, so mochte er in dem Winkel unbeobachtet bleiben, denn die in dem Saloon verkehrenden Gentlemen gehörten nicht gerade zu der Klasse derer, welche ihre Hände häufiger, als unbedingt notwendig ist, zu waschen pflegen.

Voll gespannter Aufmerksamkeit nahm Patsy wahr, wie Colemans Bekannter vorsichtig eine Aktentasche aus schwarzem Marokkoleder, elegant mit Messing beschlagen, aus der inneren Brusttasche seines Rockes zog und sie dem anderen hinreichte. Coleman öffnete die Tasche und entnahm ihr eine Anzahl Papiere, die er kopfschüttelnd und anscheinend verständnislos betrachtete.

»Well, ich weiß nicht, Danny, was ich davon halten soll«, hörte er nun Coleman sagen. »Wie es aussieht, sind es Prozessdokumente oder dergleichen … Wie kamst du zu ihnen, he?«

»Bill Conlin drückte sie mir in die Hand, als er vor Nick Carter flüchten musste«, entgegnete der mit Danny Angeredete.

»Hat Nick Carter die Tasche in seinem Besitz gehabt?«

»Wohl schwerlich, Mert. Ich werde aus der Sache selbst nicht klug. Da ist ein Fremder, so ein Sportsmann aus Chicago, ein gewisser Staples, der befreundete sich schon zwei Wochen zurück mit Bill Conlin. Du weißt ja, er ist Führer der Sippe. Well, da sollte ein Advokat oder dergleichen mit dem Zug ankommen und dem sollte Bill …«

»… die Tasche stehlen, eh?«, warf Coleman kichernd ein.

»Nicht gerade das«, widersprach Danny. »Den Raub der Tasche wollte Staples selbst besorgen. Unsere Leute sollten nur für den Fall eintreten, das Staples verfolgt würde. Bill, ich glaube wenigstens, dass er es war, musste sich als ein älterer Mann mit grauen Haaren und Bartkoteletten verkleiden. Das tat er auch und sah ganz patent aus … Staples dagegen war der reine Stutzer mit einem feinen Vollbart … Wir mussten uns nun im Grand Central Depot verteilen. Sobald der Chicago-Expresszug einfuhr und der Mann im Zug war, dann sollte ein gewisser Hank, der mitfuhr, aber den ich nicht kenne – wohl auch so ein fauler Bruder aus Chicago – pfeifen. Sobald Staples dann dem Fremden auf dem Perron die Tasche entrissen hatte, gab Bill Conlin unseren Pfiff. Darauf mussten wir zu unserem Hauptquartier rennen, um zur Hand zu sein, falls man uns brauchen sollte. Well, wir taten es, und da sahen wir auch schon, dass die Sache faul war, denn hinter dem Braunbart flitzte plötzlich Nick Carter einher. Bill Conlin – oder wer er sonst war – hatte sich Perücke und Bart abgerissen und folgte als Nächster dem Detektiv. Wir waren unserer sechs und stellten uns im Torweg neben unserem Hauptquartier auf. Richtig, es dauerte nicht lange, da hörten wir Conlin pfeifen … Wir auf die Straße hinaus, sehen ihn auch schon angehetzt kommen – und ihm auf den Fersen Nick Carter. Well, er drückt mir die Tasche in die Hand, und ich wie der Blitz um die Ecke, während Bill Conlin stehen blieb und sich Nick Carter ergab. Ich aber steckte die Tasche, kaum dass ich mich in Sicherheit sah, ein.«

»Und hast sie bisher behalten, eh?«, gab Coleman lachend von sich.

»Natürlich, ich meine, es muss damit etwas zu machen sein, denn enthielte die Tasche nichts Wichtiges, so hätten die Boys doch kein so großes Wesen daraus gemacht, um sie in ihren Besitz zu bekommen … Und Nick Carter wäre dann doch nicht wie ein Windhund hinter Staples und dann wieder hinter Conlin her gewesen … denn Nick Carter gibt sich nicht mit Kleinigkeiten ab.«

»Will’s meinen«, meinte Coleman lächelnd. »Rund heraus, du möchtest aus dem Tascheninhalt selbst Kapital schlagen, Danny, statt dich mit zwanzig Dollar oder so abspeisen zu lassen.«

»Selbstverständlich, so meine ich. Doch was nun? Ich glaubte, es wäre viel Geld in der Tasche. Aber nicht ein Cent, sondern nur Papiere.«

»Nun weißt du nicht, was tun, he?«, fragte Coleman.

»Da liegt der Hase im Pfeffer«, gestand Danny. »Die Boys haben natürlich längst Lunte gerochen und sind mir auf dem Pelz. Erwischen sie mich, so nehmen sie mir die Tasche ab, und ich kriege die Jacke voll … Mit den Papieren weiß ich aber auch nichts anzufangen … und da pries ich mein gutes Glück, als ich dich traf, Coleman … Du bist so ein Schriftgelehrter. Vielleicht weißt du es, was die Papiere eigentlich zu bedeuten haben. Dann könnte man sich an den Mann wenden, dem sie gestohlen worden sind – das müsstest natürlich du besorgen, Mert – und den Gewinn würden wir uns teilen. Ich habe gehört, Bill Conlin soll rund tausend Dollar von Staples für die Tasche kriegen … Was mag nur erst dieser dafür schlucken, eh? Das können wir beide gut alles verdauen – oder nicht?«

Mert Coleman war äußerst nachdenklich geworden … Die Habgier leuchtete ihm aus den grünlich funkelnden Augen. »Ich bin dein Mann, Danny«, flüsterte er, »was gemacht werden kann, das geschieht, verlass dich darauf … Doch gib noch mal die Tasche her …«

Im Eifer des Gesprächs hatte Danny, der gleich seinem Bekannten der Waschgelegenheit im Zimmerwinkel den Rücken zuwendete, um das Lokal ungehindert übersehen zu können, die Tasche mit ihrem Inhalt auf den leeren Stuhl neben sich gelegt. Als er nun mechanisch nach ihr griff, da musste er zu seiner namenlosen Verblüffung wahrnehmen, dass die Dokumententasche nicht mehr da war, was auch nicht gut möglich war, denn mit der Geschicklichkeit eines Taschenspielers hatte Patsy sie schon vor einer Weile, unbemerkt von den beiden in ihr Gespräch Vertieften, vom Stuhl gezogen. Jetzt, da er den Aufschrei des bestürzten Danny vernahm, stand er auch schon mit einem Fuß auf dem Waschbassin – und in der Sekunde darauf war er unhörbar aus dem Fenster geklettert und durch dieses auf den Hof hinausgesprungen. Aus diesem zu entkommen war nicht schwer – und so befand sich Patsy mit seinem Fundstück schon auf der Straße und in Sicherheit, als Danny auf den Einfall kam, den die Waschgelegenheit verhüllenden Vorhang zu lüften – natürlich ohne dahinter jemanden zu bemerken.

Ebenso natürlich begann der maßlos entsetzte Danny nun seinen nicht minder verblüfften Bekannten des Diebstahls zu beschuldigen und die Tasche herauszuverlangen; selbstverständlich ließ sich Mert Coleman diese ungerechtfertigte Beschuldigung nicht gefallen. Ein Wort gab das andere, und das Ende vom Lied war, dass die bisherigen Freunde sich nicht nur gegenseitig windelweich prügelten, sondern die allzeit rauflustigen Stammgäste des Saloons sich an dieser Auseinandersetzung in solch lebhafter Weise beteiligten, dass sich schließlich die Polizei hineinmengte und die beiden Hauptkampfhähne zum nächsten Stationshaus transportierte.

Mit innigem Vergnügen hatte Patsy diesen letzteren Vorgang aus sicherer Entfernung mitbeobachtet. Nun sprang er hastig auf die nächste Uptown-Car, um sich schleunigst zum Hause seines Meisters zu begeben und diesem von seinem Erlebnis und der dabei gemachten Beute zu unterrichten.

 

*

 

Als der berühmte Detektiv kurz vor Mitternacht heimkam, traf er nur seinen Gehilfen Ten Itchi an, einen hageren, sehnigen Mann, der zu den verschlagenen und gleichzeitig kaltblütigsten Spürhunden gehörte, welche Nick jemals beschäftigt hatte.

In kurzen Worten setzte Nick Carter seinem Gehilfen das Vorgefallene auseinander. »Hoffentlich ist noch nichts versäumt worden, Ten Itchi«, meinte er. »Doch ich war selbst so beschäftigt, dass ich dich nur durch den Fernsprecher kurz benachrichtigen konnte.«

»Das war schön«, entgegnete Ten Itchi. »Ich habe Mr. Bristol den ganzen Abend über beschattet und saß sogar im Waldorf Astoria am Nebentisch.«

»Alle Wetter, das nenne ich pünktlich!«, rief der erfreute Detektiv.

»Es war kinderleicht, Meister«, entgegnete Ten Itchi lachend. »Oskar, der berühmte Oberkellner vom Waldorf Astoria, ist ein guter Freund von mir. Es machte mir also keine Schwierigkeiten, mir unbemerkt Mr. Bristol zeigen zu lassen. Der Mann verlebte einen stillen Abend; er las Zeitungen, und zwar lauter hiesige.«

»Nun, das ist weiter nicht auffällig«, bemerkte Nick, der sich eben an das ihm von seiner alten Haushälterin aufgetragene verspätete Nachtessen machte.

»Well, der Mann las nur die Inseratenspalten«, bemerkte Ten Itchi. »Da er in Chicago wohnt, so ist sein Interesse an New Yorker Anzeigen immerhin bemerkenswert … Zumal ich ganz deutlich sah, dass er in ziemlicher Unruhe die Abendblätter hintereinander durchsah, als suchte er etwas Bestimmtes.«

»Nun – und?«, fragte Nick Carter, indem er Messer und Gabel beiseitelegte und sich aufmerksam nach seinem getreuen Gehilfen umschaute; denn er kannte dessen gemessene, wortkarge Art und wusste wohl, dass Ten Itchi eine Überraschung für ihn in Bereitschaft hatte.

»Ich sah Mr. Bristol ein Inserat aus der World schneiden; das geschah sehr umsichtig, und nachdem er sich überzeugt hatte, dass niemand auf ihn achtete, natürlich auch ich nicht, denn ich las in der Londoner Times gerade einen interessanten Artikel.«

»Kann ich mir denken, Ten Itchi!«, rief Nick lachend. »Und dieses Inserat?«

»Befindet sich auf Seite elf, sechste Spalte rechts unten; da ist meine Nummer der World … Ich habe das Inserat blau angestrichen.«

»Lass einmal sehen«, sagte Nick, der Gabel und Messer für einen Augenblick ruhen ließ und das Inserat betrachtete. Es handelte sich um eine sogenannte Chiffre-Annonce, und sie lautete:

Bin sehnsuchtskrank. Papa verweigert jedes weitere Zugeständnis. Du musst mit Mitgift zufrieden sein. Treibt dich dein Herz nicht bis morgen zu mir, nehme ich an, du verschmähst mich. Dann werde ich handeln. Liebe und Hass wohnen nahe beieinander. Allzu großer Eigennutz ist schädlich. Hortons Icecream

»Das ist eine merkwürdige Anzeige!«, brummte der Detektiv, der inzwischen wiederholt die Annonce durchgelesen hatte. »Natürlich handelte es sich weder um Liebe noch um das wohlbekannte Hortonsche Speiseeis … Und dieser alte Krippenfetzer von einem Mr. Bristol dürfte kaum mehr so zärtliche Gefühle in seinem Busen hegen, um mit einer New Yorker Schönen anzubandeln.«

»Natürlich nicht«, entgegnete Ten Itchi. »Ich meine, Mr. Bristol glaubt sich überwacht und hat sich darum mit einer anderen Person verabredet, gewisse Mitteilungen, in nur ihnen verständlicher Form durch Zeitungsinserate zu machen.«

»Natürlich, das wird es sein!«, warf Nick ein. »Schon der Umstand allein, dass ein Mann von der Stellung und dem Ansehen dieses Mr. Bristol solch geheimnisvolle Bahnen beschreitet, erscheint bedenklich … Well«, brach er ab, »vorläufig wissen wir aus dem Inserat nicht viel herauszulesen. Wir müssen zusehen, dass unsere Kenntnisse sich erweitern … was, Ten Itchi?« Er lachte in seiner trockenen Weise. »Jedenfalls sei auf dem Posten.«

»Das bin ich, verlassen Sie sich darauf, Meister«, versicherte Ten Itchi. »Mr. Bristol ist schlafen gegangen. Sollte er wider Erwarten während der Nacht ausgehen wollen, so werde ich sofort geweckt, denn natürlich bin auch ich im Waldorf Astoria, wo verschiedene Leute beschäftigt sind, denen ich rückhaltlos vertrauen kann, abgestiegen.«

»Na ja, es kann ja nicht genug kosten«, scherzte der Detektiv. »Sieh zu, ob du auch ein Augenmerk auf ein- und ausgehende Briefe haben kannst.«

»Das ist die Hauptsache. Der betreffende Zimmerkellner ist so ein halber Vigilant von mir und tut mir jeden Gefallen … Er nimmt es auf seine Kappe, etwaige eingehende Briefe erst mir zu bringen … Ebenso hält er es mit der ihm zur Beförderung anvertrauten Post …«

»Schön«, bemerkte Nick, »immerhin nützlich, wenn ich auch nicht glaube, dass viel dabei herauskommt, denn ich halte diesen Mr. Bristol für einen geriebenen Fuchs.«

Kaum hatte sich Ten Itchi empfohlen, als Chick ins Zimmer trat. Er war außerordentlich aufgeräumt und vergnügt.

»Well, alter Junge«, begrüßte er den Meister, »die Sache geht wie geschmiert … Die Kerle lassen sich aushorchen, dass es eine wahre Freude ist.«

»Du warst wirklich bei diesem Staples?«, erkundigte sich der Detektiv.

»Aber selbstverständlich, wo soll ich denn sonst gewesen sein?«, scherzte Chick. »Sei so gut und gib mir mal das Feuerzeug herüber … so, danke … und wenn du mir auch ein Schluck Rotwein abgeben willst … oder ich mache mir besser eine Flasche auf, denn ich habe Durst bekommen …«

Natürlich kannte Nick seinen Gehilfen zur Genüge, um zu wissen, dass dieser eine ganz besondere Neuigkeit auf Lage hatte, machte er derartige Umstände. So präsentierte er Chick lächelnd Zigarren und Wein, zündete selbst das Streichholz an und meinte schließlich: »Falls du nun auch Schlafrock und Pantoffeln willst oder sonst einen Wunsch auf dem Herzen hast …«

Chick unterbrach ihn lachend. »Ich bin schon dabei. Also kurz und gut, ich habe Staples hoffnungslos eingeseift, und er vertraut mir wie seinem Bruder. Natürlich machte ich gehörigen Schaumschlag … Sein Fuß hat sich entzündet, und er liegt im Bett. Nun steckt er in der Patsche, denn er traut dem braven Bill Conlin nicht. Den kennt er auch nur seit kurzer Zeit, und er hat nur dessen Genossen gedungen, um die Tasche zu stehlen. Da er sich selbst nicht bewegen, also auch seinen Auftraggeber nicht aufsuchen kann, so weiß er jetzt nicht aus noch ein … Well, ich muss auf ihn einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck gemacht haben, denn er versprach mir einen Hunderter, falls ich ihm zuverlässig und verschwiegen eine Annonce für die Morgenausgabe der World besorgen würde.«

»Eine Anzeige?«, fragte Nick erstaunt.

»Allerdings … eine Anzeige«, wiederholte Chick. »Da ist doch nichts Besonderes dabei, höchstens merkwürdig ist es, dass er mir solch einen kleinen Gang so gut bezahlen wollte … und dabei tat er riesig geheimnisvoll. Hinter Conlins Rücken flüsterte er mir zu, ihn später nochmals allein zu besuchen … Na, das tat ich, und da gab er mir die Anzeige, welche ich auch gut besorgt habe …«

»Du hast dir doch den Inhalt gemerkt, was?«, fragte der Detektiv in großer Spannung.

»Nun wird’s Tag – für wen hältst du mich?«, unterbrach ihn Chick belustigt. »Aufgeschrieben habe ich ihn … da höre selbst.«

Hortons Icecream wird 42. Straßenhotel verlangt. Erlangtes verloren oder gestohlen. Dringende Rücksprache sofort nötig. Fuß verstaucht, muss besucht werden. Alles auf dem Spiel.

Ohne eine Miene zu verziehen, hatte Nick Carter zugehört; nun schob er Chick das vorhin von Ten Itchi erhaltene Zeitungsblatt hin, indem er zugleich die nötigen Erläuterungen gab.

Nun war die Reihe, überrascht zu sein, an Chick. »Well«, brummte er, »nach Hortons Icecream scheint ja große Nachfrage zu sein. Mr. Bristol interessiert sich für Anzeigen, und der ehrenwerte Mr. Staples erlässt solche; welchen Vers macht man sich hieraus?«

»Hoffentlich keinen falschen«, versetzte Nick mit erhobener Stimme, »denn das Inserat, welches Mr. Bristols Interesse erregt hatte, geht nicht von Staples aus … Diese beiden Gentlemen befinden sich in derselben Lage, sie wollen Geld bekommen, und zwar möglichst viel. Das Inserat aber weist erhobene Mehrforderungen zurück, kommt also vom Geldmann, der jedenfalls geschröpft werden soll.«

»Scheint mir auch so«, bemerkte Chick nachdenklich. »Es bleibt nur die Annahme übrig, dass diese so beliebte Icecream als Deckmantel für einen scheinheiligen Halunken, nämlich den Hauptmacher, herhalten muss.«

»Was wir herausfinden müssen und werden, Chick«, versetzte der Detektiv. »Unnötig, dir zu sagen, dass du vom frühen Morgen an Staples oder vielmehr dessen Hotel beschatten und dem frühen Besucher, der sich ganz sicherlich einfinden wird, sobald er das Inserat in der World gelesen hat, nachfolgen musst, einerlei, wohin …«

»Das ist vielleicht nicht mehr nötig, Meister«, ließ sich in diesem Moment eine helle Stimme vernehmen.

Erstaunt schauten sich die beiden um und gewahrten den rasch eingetretenen Patsy, der mit geröteten Wangen vor ihnen stand, mit rascher Bewegung in die Rocktasche griff, aus ihr einen länglichen, schwarzen Gegenstand hervorzog und diesen auf den Tisch warf.

»Meister, ich habe gestohlen – und zwar diese Marokkoledertasche mitsamt den Dokumenten darin«, schrie er mit triumphierender Stimme. »Ich entwendete sie einem gewissen Danny, welcher sich in Gesellschaft von Mert Coleman befand. Es ist die Tasche, welche Mr. Staples dem Mann aus Chicago heute Nachtmittag geraubt hat … Sie, Meister, verfolgten ihn zwar, doch er konnte die Tasche an Bill Conlin weitergeben, und dieser wurde zwar sehr von Ihnen bedrängt, fand aber dennoch Zeit, die Aktentasche hurtig meinem unbekannten Freund und Gönner Danny in die Hand zu drücken – dieser Ehrenmann suchte mit seinem Beutestück das Weite und wollte möglichst viel Kapital für sich selbst daraus schlagen. Leider machte ich ihm einen Strich durch die Rechnung, indem ich ohne sein Vorwissen die Tasche in meine eigenen Verwahrung nahm, was ihn dazu veranlasste, den völlig unschuldigen Mert Coleman des Diebstahls zu beschuldigen, worauf die beiden Ehrenmänner sich fürchterlich verprügelten und schließlich verhaftet wurden. Nun sitzen sie im Stationshaus an der 27th Street.«

»Patsy … mein Verstand steht still … Goldjunge!«, rief Nick erfreut aus, nachdem jener geendet hatte. »Du hast diese Tasche, aber woher weißt du denn das alles, du hast von uns ja noch kein Wort gehört?« Kopfschüttelnd wendete er sich an Chick. »Nun, was sagst du dazu?«, meinte er. »Ich bin einfach wie vor den Kopf geschlagen … Dies ist die unverhoffteste und großartigste Überraschung meines Lebens.«

»Ich bin ebenfalls einfach baff«, erwiderte Chick.

»Heraus mit der Sprache, Patsy«, wendete er sich an seinen Kollegen, »wenn du eben den Mond vom Himmel hereingebracht und hier auf den Tisch gelegt hättest, ich wäre nicht überraschter gewesen … Weißt du, nachgerade wirst du mir unheimlich, Kleiner, was war es, was dir die Tasche verschaffte? Verstand oder blindes Glück?«

»Ich denke, es war so eine Mischung beider Teile!«, erwiderte Patsy. Dann aber wurde er ernsthaft und erzählte den beiden atemlos Lauschenden sein Abenteuer.

»Das hast du großartig gemacht!«, erklärte Nick warm, als der junge Mann zu Ende gekommen war, und dabei drückte er ihm so innig die Hand, dass Patsy vor Vergnügen und Stolz dunkelrot wurde.

»Nun aber her mit der Tasche … auf ihren Inhalt bin ich begierig!«, rief Chick.

»Nichts da!«, verwahrte sich der Detektiv. »Schlimm genug schon, dass dieses Dannys unsaubere Hände in Gemeinschaft mit Coleman die Dokumente berührten. Kein anderer als Mr. Hoate soll diese Tasche öffnen …« Er sah auf die Uhr. »Ewig schade, es geht bereits auf ein Uhr morgens zu. Da müssen wir noch einige Stunden warten.«

»Well, ich glaube, Mr. Hoate gehört dem Union Club an … dort beginnt das Leben immer erst nach Mitternacht … Man könnte einmal anklingeln, was meinst du, Nick?«

Doch der Detektiv war schon beim Fernsprecher und wenige Minuten später mit dem vornehmen Union Club verbunden. Der Hausmeister des Clubs war am anderen Ende des Fernsprechers und versprach, nachdem er sich die Telefonnummer des Detektivs hatte geben lassen, sofort in den Clubräumen nachzuschauen, ob Mr. Hoate noch anwesend sei.

Zehn Minuten später ertönte die Alarmglocke des Telefons; diesmal war es Mr. Hoate selbst, der mit dem Detektiv zu sprechen wünschte.

»Große Neuigkeit, Mr. Hoate«, begann Nick. »Das Bewusste ist gefunden und in meinen Händen – wie meinen Sie? … Die Tasche, ganz richtig … Recht gern, Mr. Hoate … Wenn Sie sich hierher bemühen wollen, so schicke ich meinen Ihnen bekannten Gehilfen Chick mit einem Wagen zum Union Club, einverstanden? Mr. Hoate, in einigen Minuten ist Chick dort.«

Für diesen bedurfte es keiner langen Aufforderung; so rasch er konnte, eilte er aus dem Zimmer, und gleich darauf hörte man ihn unten die Haustür zuschlagen.

Patsy, der bei seinem Meister zurückblieb, musste diesem nochmals ausführlich sein Abenteuer berichten.

»Well, da sieht man wieder einmal, dass der Zufall der allerbeste Detektiv ist … und gegen ihn kann kein Menschenwitz etwas ausrichten«, äußerte Nick Carter. »Noch vor einer Stunde erschien mir die Möglichkeit, diese Aktentasche wieder zur Stelle zu schaffen, so aussichtslos wie möglich – und nun liegt sie schon dort auf dem Tisch … Mr. Hoate wird Augen machen.«

Es dauerte nicht lange, so erschien der berühmte Rechtsgelehrte in Begleitung Chicks.

Mr. Hoate befand sich ganz gegen seine sonstige Gewohnheit in größter Aufregung, und schon beim Hereintreten streckte er dem Detektiv beide Hände herzlich entgegen. »Meinen herzlichsten Glückwunsch zu Ihrer Findigkeit … und meinen wärmsten Dank!«, rief er hastig. »Wer hätte sich das träumen lassen … Vor sechs Stunden besprachen wir noch den Verlust der Tasche miteinander, und nun liegt dieselbe hier auf dem Tisch.«

»Sie richten Ihre freundlichen Worte an die falsche Adresse, Mr. Hoate«, lehnte Nick mit gelassenem Lächeln dessen Dankesbezeugungen ab. »Hier, mein jüngster Mitarbeiter, darf das Verdienst beanspruchen, die Sache zu einem solch schnellen und glücklichen Ende geführt zu haben.«

Damit berichtete er dem Anwalt das von Patsy erlebte Abenteuer, und Ersterer wurde nicht müde, dem Jüngling immer wieder dankbar die Hände zu schütteln.

»Well, Sie haben sich von dem Inhalt der Tasche bereits überzeugt?«, wendete sich Hoate alsdann an den Detektiv.

Nick Carter verneinte. »Ich hielt mich zur Öffnung der Tasche nicht berechtigt, zumal über deren Identität mit der geraubten Aktentasche kein Zweifel sein kann, denn durch die von Patsy belauschten Mitteilungen dieses Danny Martin steht fest, dass er die Mappe aus Bill Conlins Händen und dieser sie wiederum aus denjenigen des würdigen Mr. Staples, des eigentlichen Räubers, erhalten hat. Geöffnet ist dieselbe nur von Danny Martin worden, denn von den Zwischenbesitzern fand keiner Zeit, einen Blick auf die Dokumente zu werfen, weil ich die Herrschaften etwas zu sehr in Atem hielt.«

Die Anwesenden lachten. »Selbstverständlich befindet sich der Inhalt der Mappe noch in derselben Verfassung, wie ihn Mr. Bristol aus Chicago mitgebracht hat«, stimmte dann Hoate bei, »denn dieser Martin, der mir nebenbei ein ganz ungebildeter Patron zu sein scheint, hatte alle Ursache, den Inhalt intakt zu lassen, zumal er aus dem Verkauf der Dokumente persönlichen Nutzen zu ziehen dachte.«

»Vielleicht überzeugen Sie sich von der Anwesenheit der Dokumente und nehmen die Mappe vorläufig an sich«, versetzte Nick.

»Der Versuchung kann ich nicht widerstehen, die Dokumente mir anzuschauen, denn habe ich sie auch noch nicht zu Gesicht bekommen, so kenne ich natürlich die Freibriefe usw. aus dem uns von Mr. Bristol gelieferten Verzeichnis. Doch übernehmen darf ich die Dokumente nicht, denn sie sind zur Stunde immer noch das Eigentum der durch Mr. Bristol vertretenen Finanzvereinigung«, erklärte der berühmte New Yorker Rechtsgelehrte. »Am besten wird es sein, wir beraumen für morgen früh neun Uhr eine Sitzung im Waldorf Astoria an, wo Sie dann die Mappe mit Inhalt förmlich an Mr. Bristol übergeben, der sie dann uns aushändigen und den Scheck über fünf und eine halbe Million Dollar dafür in Empfang nehmen kann.«

Dabei hatte Mr. Hoate seinen Kneifer aufgesetzt und auf dem Sofa hinter dem Tisch Platz genommen. Nun griff er mit einer gewissen Feierlichkeit nach der ihm von Nick gereichten Aktentasche und betrachtete sie. »Ein gewöhnliches Drückschloss«, meinte er unter missbilligendem Kopfschütteln, zugleich den Mechanismus bewegend. »Ich begreife Kollege Bristol nicht. Jedes Kind kann die Tasche öffnen … Darin verwahrt man doch nicht derartig wichtige und unersetzliche Dokumente.«

Er zog eine Anzahl der Länge nach zusammengefaltete Papierbogen aus der Mappe und begann unter dem gespannten Schweigen der drei Detektivs mit der Durchsicht.

Einige Minuten verstrichen. Den Anwesenden entging es nicht, dass die Miene des Rechtsgelehrten immer länger, seine Bewegungen immer nervöser wurden. Kopfschüttelnd legte er Blatt um Blatt, kaum dass er seinen Inhalt flüchtig überflogen hatte, beiseite. Immer größere Enttäuschung drückte sich in seinen Zügen aus, bis er schließlich mit einem halblauten Seufzer das letzte Aktenblatt auf die Tischplatte legte und ganz verstört den näher getretenen Detektiv anschaute. »Aber um Himmels willen, Mr. Carter!«, rief er ganz entsetzt. »Was soll das nur heißen … Das sind doch nicht die Dokumente … Das ist Plunder … wertloses Zeug … Abschriften von gleichgültigen Prozessvollmachten, Klagenausfertigungen und Beantwortungen, wie sie in jedem Anwaltsoffice tagtäglich dutzendweise ausgefertigt werden … Aber auch nicht das Geringste nimmt Bezug auf die Freibriefe, deren Erwerbung wir uns sechs Millionen kosten lassen wollen!«

Als wäre im Zimmer eine Bombe geplatzt, derart wirkte die Eröffnung des gewiegten Anwalts. Chick und Patsy schauten sich mit solch verblüfften Gesichtern an, dass Mr. Hoate trotz seiner großen Erregung schließlich lachen musste.

»Ja, ja, es ist so … traurig, aber wahr«, bemerkte er. »Die Aktenmappe mag echt sein, aber ihr Inhalt ist wertloser Plunder … keine fünf Cent wert, geschweige denn sechs Millionen Dollar.«

»Aber es ist die Tasche, welche dem Anwalt aus Chicago heute Morgen geraubt wurde«, stotterte Patsy kläglich, denn der Sturz vom höchsten Triumph zur hoffnungslosesten Niederlage wurmte ihn nicht wenig.

»Ganz gewiss ist es die Tasche«, bestätigte Mr. Hoate bedrückt. »Diese sämtlichen bunt durcheinandergewürfelten Akten stammen aus dem Bristolschen Office, daran kann kein Zweifel sein, denn sie enthalten ausnahmslos den Firmenvermerk des Anwalts …«

Nick Carter war ruhelos in der Haltung eines gereizten Löwen durch das Zimmer gegangen. Bei den letzten Worten des Advokaten sah er scharf auf und trat an den Tisch heran. »Sie erlauben …«, versetzte er kurz, indem er einige der Aktenbogen aufnahm und sie prüfend anschaute. »Natürlich, links oben ist der Firmenaufdruck, die genaue Adresse, Angabe der Office- und Sprechstunden, sowie die Fernsprechnummer dieses würdigen Mr. Bristol … All diese Makulaturbogen scheinen aufs Geratewohl zusammengepackt worden zu sein, nur um irgendetwas Füllendes in die Ledermappe zu stecken …«

»Das ist es!«, versetzte der Anwalt kopfnickend. »Es sieht beinahe so aus, als wäre dieser miserable Plunder bereits in Chicago in die Aktenmappe gesteckt und Letztere derart präpariert von Mr. Bristol auf die Reise mitgenommen worden.«

Nick Carter lachte schneidend auf. »Das sieht nicht nur so aus, sondern es ist wirklich an dem!«, rief er erbittert. »Ja, ich behaupte noch mehr … Dieser Mister Bristol wusste ganz genau, was für unnützes Zeug seine Aktentasche barg …«

Hoate blickte ihn scharf an; er schien zustimmen zu wollen, schwieg dann aber wieder. »Well, Mr. Carter mit derartigen Anklagen soll man vorsichtig sein«, meinte er bedächtig.

»Well, Mr. Hoate«, gab Nick umso hitziger zurück. »Hätten Sie mich auf die Fährte dieses Mannes gehetzt, wenn Sie ihm nicht aus ganzem Herzen misstrauten?« Der Anwalt wollte protestieren; doch der Detektiv ließ ihn nicht zu Worte kommen, sondern fuhr mit rascher Handbewegung fort: »No, Mr. Hoate, wir wollen uns gegenseitig keine Komödie vormachen … Sie misstrauten diesem Mr. Bristol, das ist Tatsache … Sie kannten seine Unzuverlässigkeit, seine Gefährlichkeit – ja, ich möchte hinzufügen, seine Geriebenheit … Frei und offen bekenne ich mich geschlagen, denn dieser Mann ist mir entschieden über … Wir haben es mit einem solch fein angelegten Plan zu tun, dass es fast ein Jammer ist, ihn durchkreuzen zu wollen … Und das wäre niemals möglich gewesen, wenn sich dieser Staples nicht so tölpelhaft ungeschickt benommen hätte.«

»Aber ich bitte Sie, bester Mr. Carter«, suchte der Anwalt dessen aufgeregten Wortschwall zu dämmen. »So viele Worte, so viele Rätsel für mich. Verstehe ich Sie richtig, so klagen Sie meinen Kollegen Bristol an, doppeltes Spiel getrieben zu haben.«

»Aber selbstverständlich!«, entgegnete Nick Carter, indem er sich unmutig in den nächsten Armstuhl warf. »Dieser ganze Raubüberfall war fingiert, um dem ehrenwerten Mr. Bristol von jeder Verantwortlichkeit über den Verlust der Papiere zu entlasten!«

»Ganz meine Vermutung«, gestand der Rechtsgelehrte. »Ich machte mir gleich meine eigenen Gedanken über diesen merkwürdigen Raubüberfall … Sie müssen nämlich wissen«, wendete er sich erläuternd an den Detektiv, »dass dieser Mr. Bristol eine absichtliche Verzögerungspolitik betrieben und das Zustandekommen des Geschäfts durch allerlei Winkelzüge immer wieder hinauszuschieben gewusst hat. Durch meine Gewährsmänner erfuhr ich, dass er bis zuletzt mit unserer direkten Konkurrenz in Unterhandlung gestanden hat. War dies schon unsinnig genug, weil sein klarer Menschenverstand ihm sagen musste, dass die Gegenpartei einfach nicht imstande war, unserer Offerte gleichzukommen, geschweige denn, sie noch zu überbieten, so war mir sein heimliches Weiterverhandeln mit der bewussten Dampfergesellschaft, welche der Bau der geplanten Bahnlinie geschäftlich ruinieren muss, geradezu unverständlich.«

»Mir nicht«, entgegnete Nick Carter, der inzwischen wieder ruhiger geworden war und nun mit überschlagenen Beinen, die Hände über dem Knie zusammengefaltet, im Sessel saß und gedankenvoll vor sich hinstarrte. »Doch zuvor eine Frage, Mr. Hoate. Was verdient Mr. Bristol, falls die Verhandlungen zum Abschluss gelangen und das Geschäft perfekt wird?«

»Die wirkliche Abmachung mit seinen Auftraggebern entziehen sich natürlich meiner Kenntnis«, bemerkte der Anwalt nach kurzem Überlegen. »Wie ich die Leute aber kenne, bewilligen sie ihm schwerlich ein höheres als das allgemein übliche Honorar, also zwei Prozent der Gesamtsumme.«

»Das wären also 120.000 Dollars«, warf der Detektiv ein. »Wie viel würde die Dampfergesellschaft wohl für die Freibriefe bieten können?«

»Well, von deren Vernichtung hängt ihre Existenz ab«, bemerkte Mr. Hoate. »Ich glaube gut und gern, dass sie es sich eine halbe Million und mehr kosten lassen würde, um in den Besitz der Papiere zu gelangen.«

»Dann steht meine Meinung fest«, erklärte Nick Carter, indem er sich elastisch erhob und dicht vor den Rechtsgelehrten hintrat. »Ich behaupte und ich will den Beweis dafür erbringen, dieser Mr. Bristol spielt ein trügerisches Doppelspiel. Er hintergeht Ihre Auftraggeber und seine eigenen und steht heimlich im Bund mit der bewussten Dampfergesellschaft. Er ist hierher nach New York gekommen, um das Geschäft, nämlich sein eigenes, zum Abschluss zu bringen … Und zu diesem Behuf hat er selbst den Raum im Grand Central Depot angeordnet, um für alle Fälle gesichert zu sein … Und ich erkläre weiter, dieser Mann ist ein Genie in seinem Fache … Ich möchte sagen, er ist mein Nebenbuhler … Und er hat seine Maßregeln derart umsichtig und scharfsinnig getroffen, dass er auch mich auf den Leim geführt hat!«