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Der Welt-Detektiv Band 6

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Carrier, der Erzteufel – Teil 8

Carrier, der Erzteufel, in eine Menschenhaut eingenäht, der in wenigen Monaten in der französischen Stadt Nantes mehr als fünfzehntausend Menschen von jedem Alter und Geschlecht erwürgen, ersäufen, erschießen, martern und guillotinieren ließ, ein blutdürstiges Ungeheuer und höllischer Mordbrenner
Zur Warnung vor blutigen Revolutionen
Von Dr. F. W. Pikant (Friedrich Wilhelm Bruckbräu)
Verlag der J. Lutzenbergerschen Buchhandlung, Altötting, 1860

Grauenhaftes Porträt der Ungeheuers Carrier

»Johann Baptist Carrier wurde 1759 zu Rolai bei Aurellac in Ober-Auvergne geboren, nach einer anderen Angabe zu Yolot, Departement Cantal, und war ein unbekannter Prokurator, als die Unordnungen der Revolution begannen. Im Jahr 1792 trat er als Deputierter in den Nationalkonvent. Er trug zur Errichtung des Revolutionstribunals am 10. März 1793 bei und entwickelte den rasenden Eifer in Verfolgungen. Er hatte gehört, Frankreich fei zu bevölkert für die republikanische Regierungsform, und war daher der Meinung, dass man es entvölkern müsse. Einst äußerte er in einem Kaffeehaus, dass wenigstens ein Drittel der Bewohner Frankreichs vertilgt werden müsse. Er stimmte für den Tod des Königs Ludwig XVI , forderte am 6. April als einer der Ersten die Arretierung des Herzogs von Or­leans und wirkte mächtig zur Revolution vom 31. Mai mit. Nachdem er zuerst in die Normandie geschickt worden war, wo die gemäßigten Patrioten der westlichen Provinzen sich durch einen Aufstand zu verteidigen gesucht hatten, erhielt er den Auftrag, nach Nantes zu gehen und, da der Bürgerkrieg in diesem Augenblick in vollen Flammen stehe, ihm durch schnellere, allgemeinere und kräftigere Mittel der Vernichtung und Rache entgegenzuwirken, als bisher geschehen war, und er wird sich ereifern, diesem Auftrag Ehre zu machen. Wir alle werden bald nach seiner, mor­gen den 8. Oktober 1793 erfolgenden Ankunft dahier nicht mehr daran zweifeln.

Verheerung und Brand bezeichneten alle Wege dieses zur Vernichtung reisenden Ungeheuers. Im Bezirk von Savenay wurden mehr als 6000 auf seinen Befehl Ermordete, auch sehr viele noch halb Lebende, nur leicht eingescharrt, sodass Hände und Beine aus den Gräbern hervorragten; gebundene Wei­ber mussten der Ermordung ihrer Männer zuschauen; ersäuft und zusammengehauen wurden 300 Menschen, darunter zahlreiche Frauen in guter Hoffnung, Män­ner, Weiber und Säuglinge, Kinder von 5 bis 6 Jahren aufeinandergehäuft und getötet, viele Kinder von 14 bis 15 Jahren, an ihre Väter sich klammernd, weggerissen und ertränkt, alle Dörfer und Meiereien verbrannt, ganze Gemeinden vernichtet, Eltern und ihre Kinder an allen Gliedern an die Türen ihrer Häuser genagelt und mit vielen Stichen unter Hohn­gelächter durchbohrt, zuvor auch noch verstümmelt. In Saumur stürzten sich die Weiber, ihre Kinder in den Armen, durch die Fenster; die Tiger schleppten die Unglücklichen mit ihren zerschmetterten Gliedern durch die Straßen und erdolchten sie. Erst vor wenigen Tagen haben die hiesigen Ungeheuer Fouquet, Lamberty und Lebatteux, denen Carrier unbe­schränkte Vollmacht verliehen hat, 600 Kinder zu den Sümpfen von Mont hinausgetrieben wie eine Herde Schafe, sie dort verstümmelt und ermordet. Ihr könnt euch leicht den herzzerreißenden Jammer der un­glücklichen Eltern dieser schuldlos hingeopferten Kinder vorstellen. Mir schaudert, ich kann diese höllische Schilderung nicht weiter fortsetzen.«

»Ja, ja, genug, Freund Richard!«, sagte Bro­chard, »es presst mir das Herz zusammen.«

»Ich kann nicht begreifen, warum nicht einige mutige Männer an Orten, wohin Carrier kommt, sich plötzlich auf ihn stürzen und ihn ermorden. Ster­ben müssen sie ja doch, so oder so «, bemerkte Duprier.

»Die Leute sind alle wie von Todesschrecken gelähmt«, erwiderte Richard, „ auch ist es gar schwer, ihm beizukommen, da er außerordentlich feige und im­mer von einem ganzen Wall von bewaffneten Mordgesellen umgeben ist.«

»Mit einer Büchse wollte ich ihn schon herausfinden«, sagte Brial, »und ihn auf den Pelz brennen, dass er seine Beine zum Himmel emporstrecken müsste, den er nie gekannt hat. Das Aufstehen würde er wohl bleiben lassen.«

»Was hättest du davon?«, fragte Richard. »Einen grausamen Tod und deine gute Frau einen noch schrecklicheren. Und im Grunde würde kein Nutzen dabei herausschauen. Es gäbe um ein Ungeheuer weniger und tausend andere würden ihm folgen, um es womöglich noch ärger zu treiben. Verlass dich darauf, dass all diese Scheusale ihrer Strafe nicht entgehen und sich selbst einander in den schimpflichsten Tod schicken werden, sobald die Langmut Gottes erschöpft ist, der diese blutige Revolution gewiss nur deshalb bisher geduldet hat, damit sie allen künftigen Zeiten als abschreckendes Beispiel dienen möge.«

»Eine richtige Ansicht«, verletzte Duprier, »denn sonst möchte man darüber verzweifeln, dass unser Herrgott, an welchen aber all diese Spitzbuben ganz natürlich gar nicht glauben, nicht schon längst dreingeschlagen und somit dem blutigen Unwesen für immer ein Ende gemacht hat. “

»Einstweilen«, sagte Richard, »haben die königlich Gesinnten, die Vendeer, mit denen man gräss­lich umgeht, die Rache übernommen an Carriers blutigen Spießgesellen, die ihnen in die Hände fallen. Diese werden mit den Füßen an Bäumen aufge­hängt, unter ihren Köpfen Kohlefeuer entfacht oder an die Bäume genagelt, Pulverpatronen ihnen in Nase und Mund getan und angezündet, zur Abwechslung auch Nase, Hände und Füße ihnen abgeschnitten und sie dann so in finstere Kerker geworfen.«

»Entsetzlich!«

»Schade, dass nicht Carrier und seinesgleichen darunter sind.«

»Wie soll dies enden?«

»Dadurch, dass sie nach und nach einander umbringen.«

»Wolle Gott, es geschähe dies lieber heute als morgen!«

So lauteten die Äußerungen der Freunde.

»Du kennst also Carrier persönlich, Richard?«, fragte Duprier.

»Sehr gut, ich sah und hörte ihn mit seiner knarrenden Stimme oft im Nationalkonvent.«

»Wie sieht er denn aus?«

»Carrier ist von gewöhnlicher Größe, jetzt erst 34 Jahre alt, mager, einfach , aber sehr reinlich ge­kleidet; seitwärts von der gewölbten Stirn ragt sein fast rotes Haar struppig unter dem Hut hervor; seine von buschigen Brauen überschatteten, kleinen stechenden Augen funkeln wie Tigeraugen; seine Nase – ich habe einst in einer alten Chronik gelesen, dass Numa Pompilius, vor mehr als 2000 Jahren ein König der Römer, eine anderthalb Fuß lange Nase gehabt habe.«

Gelächter.

»Ich will nicht behaupten, dass Carriers Nase ebenso lang ist, aber gewiss die längste nach jener, welche jemals aus einem menschlichen Gesicht herausgewachsen ist, den breiten Mund, aus dem am häu­figsten Todesurteile erschallen, überwölbt; das Kinn ist spitzig, das ganze Gesicht bartlos, die krötengrünen, tiefgefurchten Wangen verkünden den durch Liederlichkeit erschöpften Lüstling. Die gewaltige Schleife des weißen Halstuches hebt das Abstoßende des ganzen Kopfes noch mehr hervor. Aus den langen, zier­lich gefalteten Manschetten ragen die langfingerigen dürren Hände wie zum Raub verlängert hervor. Er trägt gewöhnlich einen aschgrauen, an der Brust ausgeschlagenen Überrock. Wird er zu einer Vernichtung von Hab und Gut und Leben aufgefordert, so ist er stark bewaffnet; von der rechten zur linken Seite läuft ein Wehrgehänge, woran sich ein leichter, etwas ge­krümmter Säbel befindet; in seiner gestickten Schärpe stecken zwei reich mit Silber garnierte Pistolen und neben ihnen blitzt ein mit Goldverzierungen eingelegter breiter Griff eines türkischen Dolches. In solchem Anzug sah ich ihn aus Paris zur Normandie abreisen. Seine eigenen Freunde sollen bei seinem Anblick, als sie vom Reisefertigen Abschied nahmen, lachend gesagt haben: ›Bruder Carrier, wir hoffen, dass du dich mit deinen schönen Waffen keiner Gefahr aussetzen, sondern nur gebundene Gefangene erdolchen und erschießen wirst.‹

Sie kannten seine Feigheit. Jeder Blick eines Menschen scheint ihm ein Dolch, jedes leise gesprochene Wort Verrat und Mord. Doppelte Wachen stehen immer vor den fest verriegelten Türen seiner Wohnung, welche im Inneren einer Waffenkammer gleicht, wie es heißt. Nicht sein Gewissen ist sein ewiger Quälgeist, denn er hat kein Gewissen, sondern die nie ruhende Angst, das Opfer der Rache wegen irgendeines Mordes zu werden.«

»Eine saubere Kanaille, die Gott verdamme!«, rief Brochard aus.

»Da habt ihr nun Carriers wohlgetroffenes Portrait, gegen welches der schlechteste Teufel noch ein achtungswertes Geschöpf ist«, sagte Ricard.

»Dieses Portrait hat mir Entsetzen und Ekel erregt«, äußerte Duprier.

»Und mir auch etwas Entsetzliches«, erwiderte Brial, »nämlich einen entsetzlichen Durst, den ich aber jetzt mit einer Flasche Wein leichter löschen kann als vielleicht den Brand unserer armen Stadt Nantes, den wir wohl befürchten dürfen. Wer von euch geht denn morgen dem Carrier entgegen, um sich durch den Augenschein zu überzeugen, ob das von Richard gemalte Portrait desselben mit dem Original überein­stimme oder nicht?«

»Ich nicht! Ich glaube es dem Richard aufs Wort«, antwortete Brochard.

»Ich auch nicht, weil ich nicht besonders neugie­rig bin«, sagte Duprier.

»Um keine Ausnahme zu machen«, fügte Richard bei, »bleibe auch ich lieber hier in Sicherheit. Dass wir drei vom hiesigen Schreckensgericht ohnehin schon zum Tode verurteilt worden sind, aber diesem glück­lich entflohen und in diesem unterirdischen Salon gut aufgehoben und vortrefflich verpflegt sind, das wissen wir, und mehr zu erfahren, wäre nur Überfluss.«

»Da ich weder von meinem Kopf noch von meinen lieben Freunden hier mich trennen mag, so will ich euer Beispiel nachahmen und bei euch bleiben, heute Abend aber noch meine gute Frau mitbringen, damit sie auch gerettet werde, und die wackere Frau Vidot, wenn sie meinem guten Rat folgen will.«

»Ja, das tue , braver Brial!«, riefen die drei Freunde, »sie werden in unserer Mitte willkommen sein!«

In diesem Augenblick trat aus der versenkten Maschine der Wirt Bonard hervor.

»Neuigkeiten!«, rief er den Freunden entgegen.

»Was denn?«

»Soeben ist verkündigt worden durch Trommelschlag, dass morgen Nacht, zur Feier der Ankunft Carriers, ganz Nantes festlich beleuchtet werden muss. Jedes unbeleuchtete Haus wird samt seinen Bewohnern sofort vernichtet.«

»Gut, dass ich dies weiß«, sagte Brial, »ich werbe morgen Abend zuvor noch durch eine glänzende Beleuchtung das Leben oder eigentlich das Dasein retten und dann erst mit meiner Frau diese Zufluchtsstätte aufsuchen, wenn es mein alter Freund Bonard erlaubt.«

»Oh, ohne Umstände, Brial, ohne Umstände! Bring auch andere Leute mit, aber nur ganz vertraute, um nicht verraten zu werden. Fünfzig Personen finden hier sehr leicht Platz. Im Notfall könnte ich Hunderte unterbringen. Verproviantiert für 200 Personen auf 3 Monate bin ich bereits, und morgen treffen neue große Vorräte bei mir ein. 20 Betten sind zur redlichen Verteilung unter die Frauen bestimmt und die Herren werden so galant sein, auf Stroh zu schlafen.«

»Je zahlreicher die Gesellschaft hier wird  desto unterhaltender. Vielleicht führen wir noch Lustspiele auf unserem steinernen Theater auf, während ober uns schreckliche Trauerspiele gegeben werden.«

»Habt ihr jetzt keinen Wunsch, keinen Auftrag an mich, meine Freunde?«, fragte der Wirt.

»Gar keine Bitte«, antwortete Brochard artig. »Aber wissen möchte ich doch, ob wir uns noch retten könnten, wenn dieser Aufenthalt denn doch verraten und mit überlegener bewaffneter Gewalt eingenommen würde?«

»Darüber sei samt deinen Freunden ganz unbesorgt«, antwortete der Wirt Bonard. »Dieser Auf­enthalt wird schwerlich verraten, und wenn auch – euch alle befreie ich doch. Ist dies geschehen, dann mögen die Wüteriche in der Maschine da herunterkommen, hinauf aber gewiss nicht mehr. Dies zu eurem Trost, liebe Freunde! Adieu bis auf Weiteres!«

»Nimm mich gleich mit, Freund Bonard«, sagte Brial, »es ist Zeit, dass ich heimgebe. Abends sehen wir uns wieder – auf längere Zeit!«

Beide huschten in der Maschine zum Tageslicht empor und die drei Freunde berieten, was in der nächsten Zukunft zu tun sei.