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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Dritter Teil – 30. Erzählung – Nr. 1

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Dreißigste Erzählung

Fünf Tatsachen, welche erweisen, dass und warum viele Verstorbene spuken

Nr. 1

Eine Berlinerin, die als Waschfrau ihr Brot erwarb, hatte ihre achtzigjährige Mutter zu sich genommen, die, während sie den Tag über ihrer Nahrung nachging, ihrer Kinder wartete. Oft schon war die Alte bis zum Tode krank gewesen; endlich starb sie eines Morgens im Winter. Gewöhnlich legen die gemeinen Leute ihre Toten ganz entkleidet auf ein wenig über die flache Erde ausgebreitetes Stroh. In dem nämlichen Zustand wurde der zusammengeschrumpfte Körper dieser Alten seitwärts in ein dunkles Kämmerchen auf die Erde gelegt. Die jungen Leute gingen den Tag über ihren Geschäften nach und abends legten sie sich ruhig und ohne Grauen nieder, »denn«, meinten sie, »alt und lebenssatt wie die gute Großmutter, wollen auch wir einst gern sterben.«

Das Bett stand neben der Kammertür, und man konnte diese vom Bett aus mit der Hand erreichen. Um Mitternacht entstand ein Gewinsel in der Kammer, welches die ganz erschrockene junge Frau erweckte. Sie horchte klopfenden Herzens und hörte mit Entsetzen die senkende Alte in der Kammer umhertappen.

»Hu, hu, hu, hu! Hu, hu, hu, hu!«, so tönte es grausig in ihren Ohren, und dann wieder tappte und polterte es umher.

»Mann! Mann!«, rief die zitternde junge Frau im Bett, »höre doch! Um Gottes Willen, die Mutter spukt in der Kammer.«

Nichts weniger als zärtlich, kniff sie den Schlaftrunkenen, der sich nicht gleich ermuntern konnte. Endlich weckte ihn der Schmerz. Er brummte wie ein Bär, schalt sie eine Närrin und hieß sie schweigen, denn er wolle schlafen.

»Ach lie­ber Herzensmann! Ich kann dir keine Ruhe lassen, höre doch den winselnden Geist, wie er um die Kammertür tappt. Gott! Was fangen wir an, wenn er zu uns hereinkommt?«

»So zünde Licht an!«, rief der Mann verdrießlich. Wirklich hörte auch er nun das wimmernde und ächzende Gespenst. Hu! Ein Stein hätte bewegt werden mögen. Indessen schritt er kaltblütig über seine Frau hinweg und zündete in eigener Person die Lampe an.

Die im Bett Zurückgelassene krocht einstweilen so tief wie möglich unter das Deckbett und betete, oder vielmehr plapperte Gebetsformeln, wie die Angst sie ihr eingab. Nun öffnete der Mann nicht ohne Herzklopfen die Kammer. Eine verschrumpfte Gestalt, angetan mit der Totenfarbe, schlich dem Licht zu, hielt die Knochenhände vor sich hin, zitterte und klapperte mit den Kinnbacken, als schlügen Totenknochen aneinander. Der grässliche Anblick erschreckte ihn heftig im ersten Augenblick, aber bald erkannte er seine aus dem Scheintod erwachte Mutter.

»Ich muss erfrieren!«, rief sie zitternd, »hu, hu, hu, hu, erbarmt euch, Kinder, oder ich erfriere.«

Noch immer in Zweifel bei diesem Anblick, ob sie es auch wirklich oder ob es der spukende Geist der Mutter sei, blickte er forschend zu dem erhellten Winkel des Fußbodens, wo er sie hingelegt hatte. Mit frohem Erstaunen sah er dort eine leere Stelle. Nun erst überzeugte er sich, dass die Mutter wirklich vom Tod auferstanden sei. Seine Frau, die das Herz nicht hatte, sich mit eigenen Augen zu überzeugen, wollte es weder glauben noch mit einem Gespenst etwas zu tun haben. Aber der Mann legte kurz und gut die Alte zu ihr ins Bett. So stumm auch die Kälte diese gemacht hatte, so erwärmte und erholte sie sich doch bald und begann ihr neues Leben. Sie hatte nur in einer schweren Ohnmacht gelegen und lebte nach diesem Scheintod noch einige Jahre.