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Der Welt-Detektiv Band 6

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Casparino – 3. Kapitel

Casparino
genannt der Bluthund, der furchtbare Räuberhauptmann, und seine verruchten Mordgesellen, der Schrecken zwischen Rom und Neapel
Ein Schauerblick in das italienische Banditenleben
Verlag von J. Lutzenberger in Burghausen

III.

Wir finden Silvia wieder in der Räuberhöhle beim düsteren Lampenschein. Vor ihr auf einem Tisch perlte der köstlichste Wein im glänzendsten Pokal und die feinsten Leckereien luden ein zum Genuss. Noch zögerte sie, den dringenden Zusprüchen Casparinos zu genügen, der sie mit den sanftesten und lieb­reichsten Worten einlud, zu genießen. Er reichte ihr endlich selbst den vollen Becher. Sie trank, trank noch einmal und kostete dann auch von den lockenden Süßigkeiten. Beides mundete. Ihr ängstliches Wesen verlor sich immer mehr und mit dem letzten Zug aus dem Becher war auch der letzte Grad von Furcht hinweggespült. Wie hätte es auch anders sein können. Silvia war eines jener leichtsinnigen Geschöpfe, die um den Schimmer die Ehre, um den Klang eines Goldstückes oder wohl gar um eine Tüte voll Naschwerk ihre ganze Tugend aufopfern. Der Wein und das Naschwerk arbeitete schon an dem Umsturz ihrer Tugend, die bisher noch stand; nicht deshalb, dass sie Kraft und Gefühl genug besessen hätte, dieselbe zu bewahren. Nein! Weil ihr bisher mehr die Gelegenheit dazu gefehlt hatte, sie zu opfern. Was nun der Genuss der herrlichen Speisen und Getränke schon locker gemacht hatte, fiel bei dem Anblick einer Geldrolle, welche der wollüstige Bandit ihr zusteckte, vollends in Staub zusammen. Selbst der rohe Cas­parino musste sich bekennen, noch nie so leicht ein weibliches Herz besiegt zu haben, wie es ihm bei Silvia gelungen war. Schon nach Verlauf von nicht vollen acht Tagen war sie so an das Räuberleben gewöhnt und hatte demselben einen solchen Reiz abgewonnen, dass sie sich unter keiner Bedingung würde entschlossen haben, ins elterliche Haus zurückzukehren. Selbst als sie von Casparino vernachlässigt wurde, der niemals durch einen Gegenstand auf längere Zeit sich fesseln ließ, war Silvia schon so tief gesunken, dass diese Zurücksetzung sie gar nicht im Geringsten befremdete.

Die steten Verfolgungen, welchen die Bande durch die Nachstellungen eines gewissen Grafen Sandomori ausgesetzt war, und die bei einem nächtlichen Zusammentreffen mit der uns bereits bekannten weißen Gestalt erhaltene Schusswunde, veranlassten Casparino, die seit längerer Zeit mit seiner Bande innegehabte Felsenhöhle zu verlassen und sich in einer entfernterer Gegend einen passenden Schlupfwinkel auszumitteln, wo er vor erfolgreichen Nachstellungen mehr gesichert sei und seine Räubereien und schändliche Mordbegierde in ungestörter Weise neuerdings fortsetzen könne, ohne zu ahnen, dass der allgewaltige Arm der weltlichen Gerechtigkeit ihn dennoch einmal und sicher erreichen werde.

Nachdem er seinen Leuten den Weg, welchen die zu nehmen hatten, vorgeschrieben, verfolgte er mit seinem Vertrauten Juras eine andere Richtung, wo er in einer Schenke mit einem früheren Bekannten, namens Gusto zusammentraf, der gleichfalls der Genosse einer verwegenen Räuberbande war. Sie kamen dahin überein, dass sich die beiden Banden verbinden, wodurch die Zahl der männlichen Individuen auf mehr denn zweihundert gebracht wurde und sie in den Stand gesetzt waren, ansehnliche Überfälle zu wagen und auf alle mögliche Weise die Gegend, in welcher sie sich niederzulassen beabsichtigten, auf leichte Weise auszubeuten.

Gusto führte nun Casparino und Juras zu dem Gehölz, in welchem seine Bande ihren Aufenthalt genommen hatte. Diese waren nicht wenig erstaunt, wie es komme, dass ihr Kamerad fremde Männer in ihren Schlupfwinkel führe.

Er aber ermahnte sie zur Ruhe und begann dann in einem feierlich begeisterten Ton: »Freunde und Brüder! Bereitet Euch auf eine erfreuliche Botschaft vor, die, wie ich nicht zweifle, jedem von euch angenehm ist. Das Gestirn ist uns heute günstig gewesen. Es hat uns einen Mann zugeführt, der würdig und geschickt ist, der Führer unseres Freikorps zu werden. Unsere Feinde werden erzittern bei Nennung seines Namens und unsere Sicherheit und Ruhe wird in ihm einen sicheren Hafen finden. Er ist unser; meine Freundschaft hat ihn gefesselt. Entblößt eure Häupter und vernehmt den Namen dieses großen Mannes!« Er zeigte auf den stolz neben ihm stehenden Casparino. »Dieses ist der furchtbare Banditenhauptmann Casparino!«

Eine minutenlange Pause erfolgte, während welcher die ganze Bande mit sichtbarem Erstaunen den neuen Ankömmling anblickte, dessen Taten und Unerschrockenheit schon längst in ihrer Fantasie gelebt hatten. Plötzlich schwand die momentane Überraschung; die Freude, den großen Mann in ihrer Mitte zu sehen, brach hervor und mit ehrfurchtsvoller Begeisterung lag die Bande zu Füßen Casparinos, dessen Augen mit stolzem Blick auf sie hin schweifte.

Juras musste sodann der Bande die Formel eines schauderhaften Banditeneides vorsagen, welchen diese in furchtbar ernster Weise nachsprach. Ein lautes Jubelgeschrei erfolgte nach Beendigung dieses Aktes und kräftig ertönte es wiederholt: »Casparino, der große Hauptmann, lebe hoch!«

Dieser sandte nun einen Vertrauten zu dem Ort, wohin er den Rest seiner Bande nebst den Frauen beordert hatte, damit sie sogleich aufbrechen und zu ihm stoßen sollten. Schon am anderen Tag trafen diese mit dem gesamten geraubten Gut, das sie noch besaßen, ein und freuten sich nicht wenig über die Bekanntschaft der neuen Kameraden. Silvia küsste den Hauptmann und gewann so viel über ihn, dass er wenigstens auf einige Augenblicke mit ihren Liebkosungen verlieb nahm.

Nach wenigen Tagen wurde ein Raubzug zu dem einige Meilen vom Gebirge entfernten Schloss des Grafen Mirando vollführt, dasselbe nächtlicher Weile überrumpelt, der Graf nebst dem größten Teil der männlichen Dienerschaft ermordet, die Gräfin von Casparino, die weiblichen Dienstboten aber von den übrigen Räubern entehrt, alles Bewegliche an Geld und Kostbarkeiten geraubt und zuletzt das Schloss in Brand gesteckt. Zum Glück wurde das ausbrechende Feuer von den Dorfbewohnern rechtzeitig bemerkt und wirklich gelöscht, wodurch die ohnmächtige Gräfin und die noch lebenden gefesselten Diener von einem grausamen Tod befreit wurden. Diese Gräuelszene verbreitete sich weit und breit und der Ruf der berüchtigten Räuberbande erfüllte jedermann mit Furcht und Zittern.

Es wurden, da sich derlei Gräueltaten der Bande des gefürchteten Casparino wiederholten, neuerdings vonseiten der Regierung in Rom ernstliche Streif­züge angeordnet. Um daher einer allenfallsigen Gefangennahme vorzubauen, schlug Gusto vor, sich weiter in die Apenninen zu flüchten. Er führte die Bande immer weiter gen Osten, und zwar unweit des Flusses Arno hinauf, denn seine Absicht ging dahin, den Punkt zu erreichen, von wo aus sich die Gebirgszüge der wilden Apenninen in verschiedene Arme teilen. Da dieselben ganz Italien nach verschiedenen Richtungen durchziehen, so bot sich hier nach Gustos schlauer Berechnung sowohl für ihre Sicherheit als auch für ihre schändliche Hantierung das schönste Feld dar. Nach einem beschwerlichen Zug kam endlich die Bande an dem Ort an, den Gusto als Ziel der Wanderschaft bestimmt hatte. Mit wildem Freudengeschrei wurden die fürchterlich grausen Höhen erstiegen, die von üppigen Waldungen umgeben waren, ihre schauerlich nackten Scheitel in die Wolken erhoben und aus ihren Eingeweiden die Quellen des Tiber und Arno entspringen lassen. Als der Abend hereinbrach, beschien des Mondes freundliches Licht die Gruppe der teuflischen Gesellschaft, die in einem Kessel, der ringsherum von hohen Felsstücken gebildet war, um ein mächtiges Feuer lagerte. Für immer in dieser Gegend zu hausen war nicht ihr Plan, denn die wohleingerichtete und bequeme Höhle im Tannengrund von Sankt Marino war Casparino zu wert geworden, um sie für immer vergessen zu können. Ihre Absicht ging nur dahin, in der Entfernung von dort ihr böses Treiben fortzusetzen und die Aufmerksamkeit der Regierung von ihrem Lieblingsaufenthalt abzulenken, um nach einiger Zeit dort unvermutet wieder einziehen zu können. Die Bande hatte bereits sich zur Ruhe gelagert, nachdem das Abendbrot eingenommen war; doch um Mitternacht brach ein furcht­bares Gewitter los, das sich über ihren Häuptern zusammengezogen hatte. Seine ersten erschütternden Donnerschläge schreckten die Sorglosen von ihrem Lager auf. Die rabenschwarze Finsternis, die Himmel und Erde umhüllt hatte, wurde in unheimlichen Pausen durch grässlich feurige Blitze zerrissen und erhellt. Dazwischen krachte das furchtbare Rollen des Donners, welches durch das vielfache Echo der Felsen noch bei Weitem mehr verstärkt wurde. Ängstlich rückten die Frauen zusammen und selbst die beherzteren Räuber bargen sich tiefer in ihre Mäntel und wagten kaum ihren Blick auf das schrecklich empörte Schauspiel der Natur zu wenden. Mitten in dieser furchtbaren Szene drang ein dreimal langsam wiederholter Wehruf in ihre Ohren. Davon aufgeschreckt, flogen ängstlich aller Blicke die zu ihrer Seite sich emporhebende Felsenhöhe hinauf. Starres Entsetzen bemeisterte sich aller, als ein feuriger Blitz die Höhe erhellte und auf derselben die allen bekannte weiße Gestalt in der gewöhnlichen Stellung sichtbar wurde. Unerklärbar war ihnen diese Erscheinung und lautlos, von kaltem Schauer ergriffen, blieb ihr Blick noch unverwandt zu der Höhe gerichtet, obwohl die ganze Umgebung wieder in undurchdringliches Dunkel gehüllt war.

»Verfolgt uns dieses Gespenst selbst bis hierher?«, murmelte einer dem anderen kopfschüttelnd zu.

Allmählich legte sich das heftige Blitzen und das gewaltige Rollen des Donners. Dafür aber entledigten sich die schweren Wolfen eines so heftigen Regens, dass die Lagerstätte der Räuber bald einem Teich glich und sie genötigt waren, aufzustehen und einen besseren Aufenthaltsort zu suchen. Hierbei mussten sie die größte Vorsicht anwenden und mehr kriechend als gehend auf schmalen Fußsteigen zwischen gähnenden Untiefen sich mühsam fortbewegen. Bei aller Vorsicht, die sie anwandten, hatten doch einige das Unglück oder vielmehr, es erreichte sie das längst verdiente Geschick, indem sie in die grausen Schlünde hinabstürzten und elend zu Grunde gingen, sodass nach wenigen Augenblicken das entsetzliche Gestöhne der an den scharfen Kanten und Ecken der Felsen jämmerlich Zerschellten kaum mehr zu vernehmen war. Juras und Guto, welche nebst Casparino die Besonnensten unter dem mutlosen verstimmten Haufen waren, hoben bald durch den freudigen Ausruf Hierher, Kameraden! Der blinde Zufall hat uns einen sicheren Zufluchtsort finden lassen! den gesunkenen Mut der Übrigen wieder auf. Wirklich hatten die Vorangehenden eine sehr geräumige, tiefe und von der Natur fest und gut gebildete Höhle entdeckt. Bald hatte die Bande darin Platz genommen und suchte und pflegte so viel wie tunlich der Ruhe. Inzwischen hatte der Regen nachgelassen, der dämmernde Morgen zerstreute das finstere Gewölk. Als die Königin des Tages am östlichen Himmel heraufstieg, begrüßte die erwachende Natur ein heiterer, angenehmer Morgen. Sogleich schickten sich mehrere mit der Gegend Bertraute an, die auf dem früheren Lagerplatz zurückgelassenen Effek­ten und Speisevorräte zu holen, indessen andere sich nach den vermissten Kameraden umsahen, um ihnen womöglich noch Hilfe zu bringen. Doch bald kehrten diese mit der Nachricht zurück, dass dieselben einer Rettung nicht mehr bedurften, sondern das Zeitliche bereits vollendet hätten. Mehrere der Bande, welche Freunde an den Verunglückten verloren hatten, überflog eine oberflächliche Rührung und Betrübnis. Dieses bemerkte Juras. Sie zu beschämen, trat er vor dieselben hin. Einen Weinenden nachäffend sprach er in weinerlichem Ton zu ihnen:

Ach, welches Herzeleid hat uns betroffen,
Hanns, Michel und der Toffel
sind in der Buttermilch ersoffen!
Geschwind die Augen mit Zwiebeln gerieben,
dadurch werden die Tränen herausgetrieben.

Laut auf jauchzten die Umstehenden und der abgeschmackte Witz des wilden Juras wurde von den verdorbenen Seelen allgemein beklatscht. Dies war das ganze Denkmal und Leichenbegängnis der verunglückten Gefährten und endete mit einem frohen Morgenmahl.

Gusto war nun bemüht, dem Hauptmann und den übrigen Kameraden die ganze Umgebung zu beschreiben. In weiter Entfernung am Arno hinunter erhoben sich mehrere hohe Türme, zu welchen er hinzeigte und sprach: »Dort liegt die reiche und mächtige Stadt Livorno, die mehr Reichtümer in sich fasst als manches kleine Fürstentum. Hier liegt die Hauptstadt der Republik Pisa, in welcher wir hübsche Geschäfte machen können, da die dabei befindlichen Bäder viele reiche Italiener und Ausländer dahin locken. Nach diesen wollen wir nächstens einen Ausflug versuchen und ihr werdet sehen, dass wir eine reiche Ernte durch einige lumpige Dolchstiche erhaschen werden.« Auch die nächtliche Erscheinung kam nun wieder zur Sprache. Juras behauptete mit einem grässlichen Schwur, dass nur ein verkappter Bube in dem Mummenschanz stecke; allein Casparino und Gusto widerstritten diesem und behaupteten, dass die Erscheinung ein Geist sei. Juras lachte wild auf und vermaß sich nochmals, zu behaupten, dass er den Schurken gewiss einmal beim Genick fasse. Casparino verwies ihn auf sein Betragen bei der nächtlichen Erscheinung und Juras entgegnete, dass er sich dessen heute noch schäme.