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Die Gespenster – Dritter Teil – 16. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Dritter Teil

Sechzehnte Erzählung

Eine Verstorbene erscheint in verklärter Geistgestalt ihrer innig geliebten Freundin

Madame Wagener, eine noch lebende Berlinerin, deren strenge Wahrheitsliebe auch nicht den kleinsten Zweifel an der Richtigkeit nachfolgender Tatsache übrig lässt, hatte in ihrer Jugend eine Gespielin von gleichem Alter, mit der sie in einem hohen Grade sympathisierte. Beide waren, von erster Kindheit an, die Unzertrennlichen ,und blieben es, bis der Tod sie trennte. Kaum hatten sie jenes Alter erreicht, in welchem der Verstand für die nächste Bestimmung des Menschen sich zu entwickeln anfängt, und wo zugleich das Bedürfnis der eigentlicheren Freundschaft fühlbar zu werden pflegt, so knüpften sie einen Freundschaftsbund, welchem gleiche Gefühle, gleiche Schicksale und späterhin auch gleiche Grundsätze eine mehr als gewöhnliche Dauer sicherten. Die Jahre des kindischen Leichtsinns waren zurückgelegt. Der Religionsunterricht, welcher der förmlichen Aufnahme unter die erwachsenen Christen vorangeht, hatte den Gedanken an die künftige höhere Menschenbestimmung in ihren Herzen allmählich rege gemacht. Zu diesem Zeitpunkt fiel es ihnen zum ersten Mal schwer aufs Herz, dass der Tod dereinst sie trennen werde. Mit diesem angstvollen Gedanken reifte in den zärtlichen Herzen der Liebenden zugleich eine Idee, zu deren Ausführung aber Kräfte gehören, die überall keinem Sterblichen zuteil geworden zu sein scheinen.

Vielleicht hatten die Freundinnen ein ahnendes Vorgefühl von ihrer baldigen Trennung durch den Tod, oder vielleicht war es auch nur die seltene Liebe und Treue, mit welcher ihre Herzen unzertrennlich fest aneinander hingen: Genug, sie verabredeten feierlich und versprachen einander mit heiligen Schwüren, dass diejenige von ihnen, welche der anderen in das unbekannte Gefilde der Ewigkeit voranzugehen bestimmt sei, verpflichtet sein solle, alles anzuwenden, um als Wesen höherer Natur mit einem angenommenen sichtbaren Körper auf die Erde zur hinterbliebenen Freundin zurückzukehren und derselben das Dunkel der Ewigkeit so viel wie möglich aufzuklären.

Bald darauf erkrankte die eine von den Freundinnen, und ach, sie erkrankte, um nie wieder zu genesen. Ihr anhaltender Krankheitszustand endete damit, dass der Tod sie in der Blüte ihrer Tage, im neunzehnten Lebensjahr, als seine Beute hinnahm.

Madame Wagener – damals noch unverheiratet wie ihre Freundin – war lange untröstlich über diesen bitteren Verlust. Die Tränen, welche sie der Unvergesslichen nachweinte, waren auch wirklich zu gerecht und flossen zu ungekünstelt, als dass sie nicht mit mancher unwillkürlich durchwachten Nacht hätte verknüpft sein sollen. Zu den Schmerzen der Trennung aber kam besonders in den einsam durchtrauerten schlaflosen Nächten noch die angstvolle Besorgnis: Der Geist ihrer Freundin werde sein heiliges Versprechen erfüllen und ihr erscheinen, um ihr die erbetenen Nachrichten aus dem Gefilde jenseits der Gräber mitzuteilen. Mit Recht befürchtete sie, seine Erscheinung werde sie entsetzlich erschrecken, und wenn sie selbst einem freundlichen Engel des Lichts gliche. Zu spät sah sie nun ein, in welche dauernde Angst dergleichen übereilte Verabredungen der schwärmerischen Freundschaft den überlebenden Teil notwendig versetzen müsse. Zu spät erkannte sie nun mit Überzeugung, dass diese Verabredungen allemal im hohen Grade töricht genannt zu werden verdienen, denn entweder sie blieben aus Ohnmacht der Verstorbenen unerfüllt – und dann sind sie unnütz – oder sie gehen in eine Art von eingebildeter oder wirklicher Erfüllung über; und dann sind sie höchst peinigend und für die Gesundheit des Geisterseher gewiss nicht ohne Nachteil; selbst dann nicht, wenn der Geist der Verewigten die freundlichste Engelgestalt annehmen wollte oder könnte!

Schon hatte Madame Wagener zwei volle Monate angstvoll träumend verlebt. Ihr gefährlicher Seelenzustand wurde in ihrem sonst blühenden, nun aber abgehärmten Gesicht mit jedem Tag lesbarer. Man ermüdete nicht, sie darauf aufmerksam zu machen, dass aus den Gefilden der Ewigkeit noch nie ein Geist zurückgekehrt und ihr fortgesetztes Ängstigen und Härmen also nicht nur grundlos und unnütz, sondern sogar sündhaft sei, weil es die festeste Gesundheit untergrabe und selbst ihr Leben in Gefahr bringe. Endlich bewirkten diese und ähnliche Vorstellungen mit Beihilfe der jeden Schmerz lindernden Zeit, dass sie selbst zu zweifeln anfing, ob der Geist ihrer Freundin ihr jemals erscheinen werde.

»Er bleibe aus und alle Nachrichten aus dem Gebiet der dunklen Ewigkeit mit ihm«, das war nun ihr herrschender, sehnlicher Wunsch. In der Tat war auch schon aller Anschein dazu da, dass er in Erfüllung gehen werde. Ihre Nächte waren nun nicht mehr so schlaflos, ihr Schlummer nicht mehr so aufschreckend und so ermattend. Ihr Gemüt wurde ruhiger, ihr Schlaf erquickender und ihre ängstlichen Besorgnisse verloren sich allgemach.

Aber ungeachtet alles Anscheins, als ob der Freundin Geist nun nicht wiederkehren und keine Himmelsneuigkeiten nach Berlin bringen werde, schien es dennoch anders beschlossen zu sein. Einst, als Madame Wagener gegen Morgen im einsamen Zimmer schlummerte, die ihrigen aber in dem benachbarten, nur durch eine Wand mit einer Glastür von ihr abgesonderten Gemache bereits wachten, hörten diese sie angstvoll wimmern. Dergleichen Äußerungen des unruhigen Schlafes waren seit zwei Monaten nichts Ungewöhnliches. Da indessen das Wimmern diesmal mit einem zweimaligen fürchterlichen Aufkreischen vergesellschaftet war, welches man bisher noch nie bemerkt hatte, so eilte man gleich auf den ersten Schrei zu der Glastür, sah zu dem von der Nachtlampe erleuchteten Bett der Wimmernden hin und erblickte …

Aber lassen wir billig über diesen Anblick zuerst Madame Wagener selbst reden, denn ihr war die Gesandtschaft aus dem Himmel verheißen; ihr sollten die Geheimnisse der Ewigkeit zunächst verraten werden. Unstreitig werden wir also diese am unverfälschtesten von ihr selbst wieder erfahren.

»Ein Engel des Lichts im Gewand der Unschuld und mit dem unverkennbaren Antlitz meiner verewigten Freundin schwebte aus einer unabsehbaren Höhe zu mir herab. Ich hatte eben einen ängstlichen Traum von ihr gehabt und lag wach im Bett. Ich schrie laut auf, ohne dass ich bestimmt weiß, ob vor Furcht oder vor Freude. Der Geist reichte mir mit himmlischer Freundlichkeit die Hand. Ich ergriff sie heftig, indem ich mich im Bett aufrichtete, und nochmals laut aufschrie. Eine unbeschreibliche Bangigkeit und ein grauenvolles Entsetzen erfüllte mich, indem ich fühlte, dass die Hand gleich einer Leiche eiskalt war. Indessen hielt ich die Hand des Geistes, der eben reden zu wollen schien, krampfhaft fest. Aber es blieb beim Redenwollen, der Geist war stumm wie ein Fisch. Indessen waren die meinen, durch mein zweimaliges Aufkreischen veranlasst, hinzugeeilt. Sie redeten mir freundlich zu, sie berührten mich, und nun erst erwachte ich wirklich aus einem lebhaften, bangen Traum, aus welchem ich träumend schon längst erwacht zu sein geglaubt hatte. Die an mich gerichteten Fragen, »was fehlt dir? Was hattest du mit deiner Hand vor? Es war ja, als ob du sie zerdrücken wolltest!,  beantwortete ich allen Ernstes mit dem lebhaften Ausruf: »O meine verklärte Freundin!«

Noch nie hat das gewaltsame Erwecken aus einem Morgentraum mich glücklicher gemacht wie dieses Mal. Indem ich ganz abgemattet und mit offenen Augen im Bett sitzend meine eigene Hand mit der anderen noch immer krampfhaft festhielt, hatte ich bis zu diesem Augenblick des gänzlichen Erwachens geglaubt, die Hand der himmlischen Freundin zu halten. Ja noch jetzt war es schwer, mich gänzlich zu überzeugen, dass ich keine Erscheinung gehabt, sondern geträumt habe. Die Ursache hiervon glaube ich, in dem diesmaligen, ganz eigenen Übergang aus dem schlafenden Zustand in den wachenden suchen zu müssen.

Sonderbar war es, dass die gehaltene Hand im Vergleich mit der Wärme der haltenden und des übrigen Körpers wirklich leichenkalt, in eine Art von Lähmung und überhaupt so beschaffen war, als ob in ihr der Kreislauf des Bluts gänzlich gehemmt sei. Indessen versicherte ein hiesiger Arzt, bei dem ich mir Erklärung dieses Umstandes erbat, dass das Erkalten der einen Hand, die vielleicht ohnehin entblößt gelegen habe, unstreitig sehr natürlich zugegangen sei, zumal in einem so überaus angstvollen Traum und bei meinen damals gänzlich zerrütteten Gesundheitsumständen.

Meine Leserinnen wissen nun schon, dass auch die an der Fenstertür Lauschenden uns nichts mehr zu verraten haben. Sie sahen weder einen Geist noch vernahmen sie irgendeine aufgehorchte Himmelsneuigkeit. Alles, was sie erblickten, war die im Bett aufrecht sitzende Madame Wagener, wie sie träumend mit der linken Hand ihre Rechte hoch in die Höhe hielt.

Schließend gebe ich Ihnen indessen noch zu beherzigen, was wohl aus diesem Traumereignis geworden wäre, wenn niemand durch jene Glastür gelauscht hätte und die Träumende langsamer aus dem Zustand des Traumschlafs in den wachenden übergegangen wäre. Ich will es Ihnen mit Madame Wageners eigenen Worten sagen: »Höchstwahrscheinlich eine Erscheinungsgeschichte von der wunderbarsten Art.1

Show 1 footnote

  1. Man findet im Grab des Aberglaubens eine gründliche und ernsthafte Warnung vor dergleichen freundschaftlichen Verabredungen, dass der zuerst Sterbende dem Hinterbliebenen im Diesseits erscheinen solle, um dessen Neugierde vor der Zeit zu befriedigen. Denn auch diejenigen, welche im wachen Zustand fest überzeugt sind, dass der verstorbene Kontrahent der genommenen Absprache niemals Folge leisten werde, sind in Gefahr, dass ihnen die Macht der Fantasie im Traum Schreckbilder vorgaukele, welche unter gewissen Umständen und besonders bei Krankheiten, die allemal unsere Geisteskräfte beschränken, selbst tödlich für sie werden können.