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Der Detektiv – Die entführte Gräfin – Teil 4

Walter Kabel
Der Detektiv
Band 21
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die entführte Gräfin

Teil 4

Da kam die große Überraschung! Sie kam vom Platz neben mir. Harst, der nur so getan hatte, als ob seine Hände noch gefesselt wären, musste seinen Knebel inzwischen gleichfalls herausgezogen haben.

Seine Stimme, er war es, der statt meiner erwiderte: »Herr Graf, diese Komödie hat wirklich keinen Zweck. Sie wollen hier in Ihrer Ausdrucksweise einen Wegelagerer vortäuschen. Schenken Sie sich das. Wir befinden uns hier in den Kellergewölben Ihres Schlosses. Das Boot ruderte mit uns anderthalb Stunden etwa auf dem Teich im Park herum. Dann führten Sie uns durch den Park über die Zugbrücke und durch eine Seitenpforte hierher. Sie sind Graf Christian Söderholm, und die Dame, deren Röcke so verräterisch rauschen, ist Ihre Gattin. Uns betrügen Sie nicht. Wir sind zu erfahren in solchen Dingen. Wir kennen die Geschichte dieser Entführung, das heißt, die Wahrheit! Und die ist etwas anders als das, was in den Zeitungen stand und was die Polizei weiß. Ich möchte gleich bemerken, dass Sie von uns nichts zu fürchten haben. Wir sind keine berufsmäßigen Spione. Wir spielen zuweilen die Detektive so aus Sport.«

Schweigen.

Dann ein hässliches Auflachen. »Aus Sport! Wer das glaubt! Das sagte auch der andere, dem wir schon so ein wenig bewiesen haben, dass mit uns nicht zu spaßen ist!«

Ah, er meinte Lihin Omen, die Konkurrenz.

»Ihr wollt die ausgesetzte Belohnung noch jetzt verdienen, das ist es! Ihr denkt, wer die Erpresser fängt, werdet Ihr von Master Adam Stripley eine Masse Geld in den Rachen geworfen bekommen! Ihr seid reif für einen Strick und für die Steine, die wir Euch an die Füße binden werden, damit Ihr auch mal den Schlammgrund des Hafens von Kopenhagen studieren könnt. Ihr …«

»Genug, Herr Graf!«, rief Harst dazwischen. »Sie unterschätzen uns. Wir wissen, dass Ihre Gattin niemals entführt worden ist.«

»He, der Kerl ist verrückt! Noch einen solchen albernen Satz, und …«

»… und dieser alberne Satz lautet, Herr Graf: Ihre Gattin hat Ihnen nur zu einer Million Mitgift verhelfen wollen. Sie selbst sind der Erpresser, wenn diese Bezeichnung hier zutrifft. Das, was wir über diese Entführungskomödie ermittelt haben, lässt sich in Kurzem aufzählen, Punkt für Punkt. Und genau so, wie ich Ihnen nun hier dies alles schildere, haben wir es schriftlich …«

Da – ein leiser Schreckensruf aus weiblicher Kehle. Harst änderte sofort den Ton. »Frau Gräfin, Sie haben wirklich keinerlei Grund, fürchten zu müssen, wir könnten Sie verraten. Das, was wir schriftlich aufzeichneten, gaben wir einem Vertrauensmann, der den Brief erst dann der Polizei aushändigt, wenn wir bis morgen Mittag nicht wieder in unserem Gasthof sind. Es ist besser, Sie nehmen meinem Freund die Fesseln ab. Denn ich bin schon frei.«

Ich hörte ein paar Ausrufe, ein Geräusch neben mir, dann Harsts Stimme, nur klarer als bisher. Er musste die Decke abgeworfen haben, die seinen Kopf verhüllte.

»Sie gestatten, dass ich mich vorstelle, Herr Graf: Mein Name ist Harald Harst!«

Dann: »O mein Gott!« Das war die Stimme der jungen Gräfin.

Dann wieder deren Gatte: »Herr Harst, weshalb sagten Sie nicht gleich, dass wir die Ehre haben, einen so berühmten Mann wie Sie …«

Die Gräfin fiel ein: »Ja, dass Sie uns nicht verraten würden, wäre uns nie zweifelhaft gewesen, Herr Harst.«

Ich fühlte, wie meine Handfesseln zerschnitten wurden. Die Decke flog mir vom Kopf. Und ganz geblendet schloss ich für einen Moment die Augen.  Ich stand auf. Vor mir sah ich in dem mit altertümlichen Geräten angefüllten achteckigen Gemach den Grafen, seine Gattin und einen Herrn mit blondem Künstlerbart, den Söderholm uns nun vorstellen wollte.

»Mein bester Freund der …«

»… ja, der Marinemaler Armin Hölger aus Warnemünde, der Besitzer eines Motorboots und einer kleinen Sommervilla unweit Gjester am Strand der Insel Falster«, ergänzte Harst mit liebenswürdiger Verbeugung. »Auch einer der Erpresser!«, fügte er scherzend hinzu. »Nämlich derjenige der Entführer, der die Gräfin an jenem Tag sofort nach Malmö brachte, dort mit ihr im Kung Gustav eine Nacht wohnte und sodann mit der Geraubten zu seiner Villa übersiedelte, zur Insel Falster, wo es der armen Entführten so gut ging, dass sie blühend und sonngebräunt sodann zu ihrem Mann zurückkehrte.«

Graf Söderholm und seine beiden Mitverschworenen machten sehr verlegene Gesichter.

»Herr Harst«, meinte der Graf, »Sie werden ohne Frage von uns nicht gerade die beste Meinung haben. Ich möchte zu unserer Verteidigung …«

»Aber Herr Graf! Verteidigung?«, unterbrach Harst ihn. »Ich kenne doch die Beweggründe Ihres Tuns bis ins Kleinste. Und diese Gründe entschuldigen Sie durchaus. Nehmen wir wieder Platz. Sie werden doch gern erfahren wollen, wie wir dieses eigenartige Verbrechen so bald durchschauen konnten. Wir sind nämlich erst seit heute früh in Kopenhagen.«

Die Gräfin winkte ihrem Mann zu. Sie setzen sich auf eine altertümliche Bank; wir wieder auf die geschnitzte Truhe.

»Als ich hier eintraf«, begann Harst, »glaubte ich tatsächlich, als läge eine gewaltsame Entführung vor. Ich studierte zunächst den Stadtplan sehr genau, sah mir die Gegend um die Danmarksgade an und besuchte dann Fräulein Amalie Tiedzen, die der Modistin Andersen gegenüberwohnt. Hier hörte ich, dass das zweite Auto dem gräflichen bis auf den Chauffeur und die fehlenden Wappen an der Tür sehr ähnlich waren und dass der Chauffeur Bendisen gelogen habe, als er behauptete, ein Stubenmädchen hätte ihn zu Herrn Stripley vorausgeschickt. Weiter erwähnte Fräulein Tiedzen, dass Bendisen dreimal, als er vor dem Haus wartete, nach der Uhr gesehen habe und dass der Chauffeur Nr. 2 Autobrille und Lederwams trug. Dies genügte, in mir den Verdacht aufkeimen zu lassen, dass das zweite Auto das gräfliche gewesen war und dass Bendisen sich nur ein wenig maskiert habe. Wenn er nämlich das Stubenmädchen erfunden hatte, so war er doch fraglos an der Entführung beteiligt, sagte ich mir, wobei diese Annahme noch durch seine dreimalige Befragung seiner Taschenuhr gestützt wurde, da dies doch auf eine ganz bestimmte Verabredung hindeutete. Ich prüfte dann sofort nach, ob ein Auto in etwa vier Minuten den Häuserblock Danmarksgade, Gammel Kongevej und Vodroffsvej umfahren könnte. Vom Vodroffsvej war ja das andere Auto gekommen. Die Prüfung ergab einen weiteren Beweis dafür, dass das gräfliche Auto mit demselben Chauffeur wieder bei der Andersen vorgefahren war und die Entführung dann bewerkstelligt hatte. Die Entführung? Ich machte dahinter schon jetzt ein großes Fragezeichen. Offenbar hatte die hiesige Polizei dem Chauffeur Bendisen ohne Weiteres das Stubenmädchen geglaubt. Bendisen musste also ein Mensch von untadeligem Charakter sein. Sollte er sich also etwa dazu hergegeben haben, seine Herrin rauben zu helfen? Nun, die Zweifel, ob überhaupt hier eine Entführung vorläge, waren jedenfalls geweckt. Wir gingen zu der Modistin. Hier hörten wir, dass Herr Stripley – was die Tiedzen schon erwähnt hatte – zuerst sehr gegen diese Heirat gewesen, dass er auch wohl ein wenig geizig sei, und die Hauptsache, dass die Gräfin tatsächlich freigelassen worden war, aber den bewussten Eid hätte ablegen müssen. Mir fiel auf, dass die Andersen betonte, wie frisch und munter die Gräfin trotz der Gefangenschaft geblieben war. Wer vierzehn Tage lang gewaltsam versteckt gehalten wird besonders noch eine Dame, dürfte kaum ohne leichte Nervenkrise etwas Derartiges überstehen. Hier nun aber war die Entführte offenbar in bester Laune heimgekehrt. Dies gab mir sehr zu denken und verstärkte noch die bereits aufgetauchte Vermutung, die Gräfin habe vielleicht diese Gefangenschaft freiwillig durchgemacht. Auch der Eid, den sie abgelegt hatte und den sie trotz der Vorstellungen der Polizei halten wollte, kann mir etwas unwahrscheinlich vor.«

Söderholm wurde recht rot. »Herr Harst, wenn mir die Wucherer nicht mit Pfändung gedroht hätten, wäre … wäre Tessa wohl nie …«  Er zögerte.

Da rief die Gräfin tapfer: »Ja, ich habe die Idee zu dieser Komödie zuerst gehabt, Herr Harst. Hölger hat sie dann bis ins Einzelne ausgearbeitet, und …«

»… wir Verschworenen sind nachher nicht aus der Angst herausgekommen, die Sache könnte aufgedeckt werden«, vollendete der Graf. »Deshalb haben wir auch jenen Herrn, der sich Lihin Omen nannte, recht schlecht behandelt, und aus demselben Grund war ich gegen jeden misstrauisch, der sich an uns herandrängte. Ja, Herr Harst, Sie sollten hier überfallen werden. Wir, Hölger und ich, erwarteten Sie beide außerhalb des Parkes, schlichen Ihnen nach. Wir wollten Sie zu einem Eid zwingen, Kopenhagen in den nächsten drei Monaten nicht mehr zu betreten, und Sie wie Herrn Omen nach Warnemünde abschieben. Dass Sie nicht Seeleute waren, sah ich an Ihren Händen. Ich kann Sie nur vielmals um Entschuldigung bitten, weil wir beide so roh angepackt haben. Aber …«

»O, bitte, jede Entschuldigung erübrigt sich. Ich kann mich sehr gut in Ihre Lage hineinversetzen. Wenn Ihr Schwiegervater erfährt, wie er hineingelegt wurde, wird er …«

»… ja, enterben würde er mich!«, rief die Gräfin erregt. »Er ist so sehr jähzornig. Er hat …«