Aus dem Wigwam – Vorbedeutungen

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Zwanzig Sagen
Mitgeteilt von Kah-ge-ga-gah-bowh

Vorbedeutungen

nser Volk«, erzählt Kah-ge-ga-gah-bah, »glaubt fest an Vorbedeu­tungen. Das Heulen der Wölfe und Füchse, Unglück auf der Jagd, der Flug seltener Vögel usw. bedeuten nie etwas Gutes. Das Segeln des Adlers und das Schreien eines Raben hingegen verkünden Glück.

Auch glauben wir an Träume. In denselben teilen uns die Götter ihre Ratschläge mit. Wer dieselben befolgt, wird ein glücklicher Jäger und Krieger. Ich fastete oft zwei, manchmal auch vier Tage. Alsdann musste ich morgens früh aufstehen und von Platz zu Platz wandern und die Gunst der Götter, die sich mir in Gestalt von Vögeln und Tieren näherten, erflehen.

Wenn ich im Wald einschlief und träumte, so war ich sicher, dass die Geister den Traum geschickt hatten.

Einstmals schlief ich mit den Gefährten unter einem Tannenbaum weit von dem heimatlichen Wigwam entfernt. Da sah ich im Traum einen Mann, der aus dem Osten kam und auf der Luft ging.

Er sah mir ins Gesicht und fragte: »Bist du hier?«

Ich antwortete: »Ja!«

»Siehst du diese Tanne?«

»Ja.«

»Es ist ein großer und hoher Baum.«

Der Baum reichte bis in den Himmel und seine Zweige verbreiteten sich über Land und Meer.

»Sieh ihn an, während ich singe«, fuhr er fort.

Darauf sang er; der Baum bewegte sich nach allen Seiten; die Erde barst ringsum und große Wellen erhoben sich auf dem Wasser. Sobald er zu singen aufhörte, war alles wieder ruhig.

»Nun«, sagte er, »singe, wie ich gesungen habe.«

Ich sang:

Ich gehe auf den Winden,
Ich spreche in der Luft;
Ich schüttele die Erde,
Ich schüttele die Bäume,
Ich rege auf das Wasser
In jedem Land der Welt.

Während des Singens hörte ich den Wind sausen, sah den Baum sich hin und her bewegen und hörte das Rauschen der Wellen.

Dann sprach er: »Ich komme vom Aufgang der Sonne und werde dich wieder besuchen.« Danach zog er sich zurück.

Diesen Traum erzählte ich später meinem Vater.

»Mein Sohn«, sagte dieser, »der Gott der Winde ist dir günstig gesinnt; der alte Baum bedeutet hohes Alter; der Wind zeigt an, dass du viel reisen musst, und das Wasser, das du gesehen hast, wird dein Kanu sicher durch seine Wellen tragen!«