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An der Indianergrenze – Band 1 – Kapitel 3.1

Friedrich Armand Strubberg
An der Indianergrenze
Band 1
Hannover, 1859
Kapitel 3.1

Die Besorgnis. Auffinden der Spur. Verrat. Der Liebe Angst. Der Pfeilschuss. Das verwundete Mädchen. Die Flucht. Verteidigung. Die Ankunft. Der Tod. Das Grab. Teilnahme. Gram. Der alte Freund. Die Plantage. Sklavenmusterung

Im Lager der Lepan war in vergangener Nacht schon alles längst zur Ruhe gegangen, als nur noch zwei Personen, wenn auch mit ganz verschiedenen Gefühlen, doch beide in größter Aufregung der Rückkehr der beiden Jäger entgegensahen. Diese zwei Personen waren Owaja und Hargo, welche beide im Eingang ihrer Zelte lagen und spähend durch die stille Nacht lauschten, ob sie nicht den Tritt von nahenden Pferden hören konnten. Keiner der von ihnen erwarteten Jäger kam zurück.

Hargo war wiederholt hinaus vor sein Zelt getreten, um nach Osten hinzublicken. Kaum zeigte sich dort am Himmel der erste bleiche Schimmer des Morgens, als er, mit Bogen und Pfeilen bewaffnet, zu der Prärie eilte, seinem Pferde dort den Zaum auflegte und durch das Gras zum Felsenpass hin sprengte, von welcher Richtung her er am vergangenen Morgen Owaja hatte über die Ebene kommen sehen, und wohin er am Tage vorher die beiden Jäger zum Spüren gesandt hatte.

Es war Tag, als er die Schlucht erreichte, von seinem Ross stieg und mit scharfem Blick die dort in den Boden gedrückten Pferdespuren forschend untersuchte.

Bald hatte er die der beiden Jäger als die frischesten erkannt; zugleich aber fand er den Abdruck eines zierlich geformten und schön geschnittenen Hufes, der sich hin und her bewegt hatte, und zwar öfters wiederholt und zu verschiedenen Zeiten.

»Der weiße Hengst des großen Bären, kein anderes Pferd hat solchen Huf; bei unserem Kriegsgott, es ist der weiße Hengst, kein anderer«, rief der Indianer, sich vor der Spur niederkniend und seine Finger in den scharfen Abdruck legend. »Wer anders als der große Bär konnte auch das Herz der stolzen Owaja erweichen? Wer hätte es vermocht, sie durch ihres Herzens Klopfen von ihrem Lager aufzujagen und durch die Nacht weit von ihrem Zelt zu sich hinzuziehen? Er ist es, der ihre Brust mir verschlossen, der ihre Augen von mir abgewendet hat; doch Hargos Herz ist noch stark, sein Pfeil noch spitz und sein Auge gleich dem des Adlers!«

Bei diesen Worten, die der Wilde mit unterdrückter Wut sprach, folgte er der Spur des Hengstes zurück in das Gras und erreichte bald das Gehölz an dem Bach, in welchem er den Fleck entdeckte, wo die Liebenden so oft in unbegrenztem Glück zusammen gesessen hatten. Die Spuren Farnwalds sowie die Owajas wurden deutlich von dem Indianer erkannt, und ohne länger zu verweilen, warf er sich auf sein Pferd, sprengte zum Wald zurück, in welchem das Lager stand, befreite sein Reittier von dem Zaum und schlich, denselben nebst seinen Waffen im Holz zurücklassend, durch das Gebüsch zum nächsten Zelt, wo er sich bei dessen Bewohnern ruhig an dem Feuer niederlegte.

Owaja hatte Hargo mit Schrecken und Angst im ganzen Lager gesucht, als sie ihn endlich vor dem letzten Zelt liegend bemerkte. Er konnte sie aber nicht durch seine Ruhe täuschen; sie wusste es wohl, dass er vor Tagesanbruch tätig gewesen war. Sein finsterer Blick aber sagte ihr, dass er für sie keine Trauerkunde über ihren Geliebten in der Brust trug, denn was ihr das Herz gebrochen hätte, würde sich triumphierend und glänzend in seinen Augen gespiegelt haben.

Heiterkeit und Frohsinn hatten sich wieder im Lager verbreitet; festliche Mahle, Spiel und Tanz wechselten zu Ehren des Besuches während des Tages, und Owaja musste, ob sie wollte oder nicht, sich mit in die Reihen der Fröhlichen stellen. Hargo hielt sich heute von all diesem fern, sodass Owaja seine Schritte zu beobachten nicht imstande war.

Nach dem Mittagsessen, als die alten Krieger sich um Wallingos Feuer gelagert hatten und die jungen Leute, Owaja in ihrer Mitte, hinaus zu der Prärie gezogen waren, trat plötzlich Hargo zu dem Häuptling und bat ihn, mit ihm in sein Zelt zu gehen, da er ihm ein großes Geheimnis zu entdecken habe.

Wallingo folgte der Aufforderung, wenn auch mit Widerwillen, denn Hargo war ihm verhasst; doch tat er es, weil dieser ihm sagte, seine Mitteilung sei für ihr Volk von größter Wichtigkeit.

Sie hatten im Zelt des Häuptlings auf Büffelhäuten Platz genommen, als Hargo zu diesem sagte: »Der große Bär hat seinen Schritt schon auf unser Land an dieser Seite des Stromes gesetzt und wird nun bald sein Wigwam hier aufschlagen. Ich habe seines Hengstes Fuß gespürt und den Platz gefunden, auf dem er selbst während der Nächte ruht. Er hat Liebe in das Herz unseres schönsten Mädchens gegossen und zieht sie von ihrem Lager neben ihrem Großvater weg zu sich hin in seine Arme.«

Wallingo hatte die Brauen zornig zusammengezogen und sah mit finsterem Blick auf den Sprecher, dann sagte er: »Es gibt nur ein schönstes Mädchen unter den Lepan, und die ist so fleckenlos wie der Schnee, der auf jenen Gebirgen glänzt. Hüte dich, den Schnee ihrer Tugend mit deiner falschen Zunge zu beschmutzen.«

»Wallingos Messer mag mir den Leib aufreißen, er mag mir das Gewürm des Waldes in die Eingeweide setzen und die Geier mögen meine Augen aushacken, wenn ich mit zwei Zungen geredet habe. Es ist Owaja, die ihr Herz dem großen Bären geöffnet hat und sein Lager in jenem Gehölz an der Schlucht vor dem Strom teilt. Gestern zogen zwei unserer Jäger nach ihm aus, um seinen Schritt zu sehen; sie sind nicht zurückgekehrt. Gib du mir zwölf deiner Krieger und ich bringe dir morgen früh den Skalp des großen Bären und seinen weißen Hengst, den kein Pferd der Lepan bisher einzuholen vermochten.«

Der Häuptling hatte sich erhoben und stand mit untergeschlagenen Armen, eine Zeit lang schweigend seine zornigen Blicke auf Hargo heftend. Dann sagte er: »Wallingo wird selbst sehen, ob sein eigen Blut sich gegen sein Herz gerichtet hat, um es zu zerbrechen; er wird selbst sehen, ob das Kind, das er an seiner Brust erzogen hat, zur Schlange geworden ist und ob sein Stolz ihm nicht in die ewigen Jagdgründe seiner Väter folgen darf. Wenn Hargos Zunge falsch geredet hat, so wird Wallingo sie ihm ausreißen und den Hunden als Speise vorwerfen. Hat sein Auge falsch gesehen, so wird Wallingo heiße Steine darauf legen, und hat er falsch gehört, so wird Wallingo ihm siedendes Öl in die Ohren gießen. Die zwölf Krieger sollen dich begleiten, du kannst sie selbst wählen. Owajas Augen aber dürfen euren Schritt nicht sehen und ihre Ohren eurer Rosse Tritte nicht hören.«

Mit diesen Worten winkte der Häuptling dem Indianer, sich zu entfernen, schritt selbst zum Feuer zurück und legte sich, anscheinend ruhig, wieder auf seine Jaguarhaut nieder.

In dicht geschlossenen Reihen hatte ein Tanz unter den jungen Leuten in der Prärie begonnen. Owaja befand sich in ihrer Mitte, lustig erklangen die Trommeln, die mit Steinen gefüllten Kürbisse und die Pfeifen zwischen den auf- und niederspringenden, dicht zusammengedrängten Tänzern.

Während dieser Zeit, und als die Sonne schon ihre letzten Strahlen hinter dem Urwald am Fluss verbarg und dieser seine langen Schatten über die Prärie streckte, hatte Hargo die Krieger einzeln ihre Rosse besteigen lassen, und einzeln und unbemerkt hatten sie alle das Lager verlassen, sich an einer entfernten Waldspitze gesammelt und zogen nun, außerhalb des Gesichtskreises der fröhlichen Menge, über die Prärie dem Gehölz zu, in welchem Hargo die Spuren von Farnwald und Owaja gefunden hatte. Dort banden sie ihre Pferde an, nahmen ihre Bogen, Pfeile und Streitäxte und eilten zu der schmalen Schlucht, die durch die Felsen zum Fluss führte. Wo dieselbe am engsten war, verteilten sich die Indianer zu beiden Seiten und verbargen sich hinter dem Gestein. Die Nacht hatte sich über die Gegend gelegt, als der Tanz unweit des Lagers der Lepan zu Ende war, die Tänzer mit ihren Bogen und Pfeilen, denn sie hatten vor dem Tanz auch nach einem Ziel geschossen, zu den Zelten zurückwandelten und Owaja von einer bangen Sehnsucht, einer Angst befallen wurde, die sie nicht einen Augenblick länger hätte bemustern können.

Sie war unbemerkt hinter den anderen zurückgeblieben und sah gen Osten zu der fernen Bergschlucht hin. Der Mond stieg über der Felsenreihe auf; es war ihr, als winke er ihr zu kommen, als rufe er sie zu dem Geliebten; rasch sprang sie durch das Gras zu den Pferden, rief in gewohnter Weise ihr Ross herbei, nahm schnell das lange Lederband, welches ihr Haar zusammenhielt, von ihrem Kopf, band es in seiner Mitte um den Unterkiefer des Pferdes, schlang die beiden Enden als Zügel auf dessen Nacken zusammen und, auf des Tieres Rücken springend, jagte sie mit ihm dem aufsteigenden Mond entgegen.

In fliegendem Lauf hatte das edle Tier das Gehölz vor der Schlucht erreicht, wo Owaja mit Entsetzen die angebundenen Pferde der Krieger gewahrte.

»Großer Geist, hilf mir den Geliebten schützen!«, rief sie in Verzweiflung aus, wandte ihr Ross dem Engpass zu und jagte über Stein und Geröll in sausender Karriere in denselben hinein.

»Zurück Owaja, bei deinem Leben zurück!«, schrie ihr die nur zu gut bekannte Stimme ihres verschmähten Liebhabers entgegen; doch als Antwort ließ sie einen verzweifelten gellenden Schrei wiederholt ertönen, der weit in den Felsen widerhallte, hieb mit ihrem Bogen auf das dahin rasende Pferd und stürmte in rasender Eile mit fliegenden Haaren zwischen den Kriegern durch, sodass das Gestein hinter den Hufen des Rosses weit umherflog.

Da schwirrte ein Pfeil, es klang die Sehne eines Bogens, und der gefiederte Todesbote vergrub seine scharfe Spitze in der weichen Seite des treuen Mädchens.

Mit einem neuen, noch lauter tönenden Schrei, zum Ausgang der Schlucht gerichtet, ergriff die Indianerin das Geschoss, riss es aus der Wunde, presste das Ende ihres Lederröckchens vor deren Öffnung und trieb dann wieder ihr Pferd in fliegender Eile vorwärts.

»Farnwald, mein Geliebter!«, schrie sie, als sie aus der Schlucht hervor und in dem Tal dahinjagte, und blickte verzweifelnd vor sich durch das Mondlicht.

Da glänzte es hell vor ihr; der weiße Fleck kam rasch näher, es war des Geliebten Ross, es war Farnwald, der Heißersehnte, den es ihr entgegentrug, und in dessen Arme sie bald darauf blutend vom Pferd sank.

»Eile, Geliebter, über den Strom zurück; verweile keine Minute, die Krieger der Lepan werden bald hier sein; leb wohl, meine Seele wartet jenseits auf die deine, um mit dir in deinen Himmel zu gehen«, sagte Owaja mit schwacher Stimme und hielt sich mit ihrem Arm an Farnwalds Schulter aufrecht.

»Großer Gott! Owaja, du bist verwundet?«, rief dieser in höchster Verzweiflung, nun erst das Blut bemerkend, welches aus des Mädchens Seite floss.

»Es war Hargos Geschoss, das er für dich, mein Geliebter, geschärft hatte. Der Große Geist hat mein Gebet erhört und hat gnädig die Spitze von dir abgewandt. Fliehe, Farnwald, ich warte deiner jenseits«, drängte Owaja, seinen Nacken umklammernd, als aus weiter Ferne das höllische Kriegsgeschrei der Lepan durch die Schlucht herüberschallte.

»Sie kommen, Farnwald, rette dich, und wache über Hargos Pfeil!«

»Nicht ohne dich, Owaja, mein Hengst trägt uns beide oder keinen von uns hier weg«, sagte Farnwald, hob das bebende Mädchen auf sein Pferd, schwang sich hinter dasselbe in den Sattel und, sie im Arm gegen seine Brust pressend, sprengte er im Galopp dem Fluss zu.

Die Furt war bald erreicht, das Wasser war gesunken, es berührte kaum die Hälfte des Sattels. Farnwald hatte mit seiner teuren Bürde das jenseitige hohe, steile Ufer auf dem einzigen Zugang, dem Büffelpfad, erstiegen, als Hargo und seine Krieger, sämtlich zu Ross, mit Wutgeheut in der Schlucht herab dem Fluss zu gesprengt kamen und ihn im Mondlicht auf der Höhe erkannten. Einen Augenblick nur hielten die Wilden ihre Pferde an; dann stieß Hargo einen wilden gellenden Kriegsschrei aus und trieb sein Ross auf der schmalen Furt in die Wogen.

»Es ist Hargo, flieh, Geliebter, lass mich zurück oder sie holen dich ein«, sagte Owaja, sich aus den Armen Farnwalds windend, und ließ sich vom Pferd fallen.

Doch auch dieser war im Augenblick abgesprungen, hatte das treue Mädchen gegen ein Felsstück niedergesetzt und war mit der Doppelbüchse an den schroffen Abhang getreten, als Hargo sein Pferd auf dem Pfad an demselben herauf rieb und seine wilden Gefährten ihm hintereinander mit dem furchtbarsten Geschrei folgten.

Hargo hatte die Hälfte der Höhe erreicht, als Farnwalds Büchse krachte und ihre Kugel dem Indianer den Schädel zerschmetterte, sodass der Wilde rücklings vom Pferd und hinab in den Fluss rollte, während dieses sich erschreckt vor dem Feuer umwendete und seinen Artgenossen entgegensprang. Die zweite Büchsenkugel Farnwalds brachte einen zweiten Wilden von dem Rücken seines Tieres, während die Übrigen, denen jener noch einige Revolverschüsse nachsandte, nun in toller Flucht durch den Strom zurück das jenseitige User zu erreichen strebten.

»Hat deine Kugel Hargos Herz getroffen?« fragte Owaja, die Arme nach Farnwald ausstreckend, als er zu ihr zurückeilte.

»Die beiden ersten, die am Abhang heraufkamen, sind getötet, teures Mädchen.«

»Dem Großen Geist sei dafür gedankt, denn Hargo war der Erste. Nimm mich mit dir, mein Geliebter, lass mich in deiner Nähe ruhen, lass die Lepan meinen Körper nicht verstümmeln! Owaja ist ja dein im Leben und im Tode.«

»Du wirst nicht sterben, meine Owaja; komm, lass uns eilen«, sagte Farnwald außer sich, legte sein zusammengefaltetes Taschentuch auf die Wunde des geliebten Mädchens und band sein Halstuch darüber um ihren Leib. Dann hob er die Teure wieder auf sein Ross, schwang sich hinter sie und eilte in raschem Passgang seiner Ansiedelung zu.