Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Fluch von Capistrano – Kapitel 36

Johnston McCulley
Der Fluch von Capistrano
New York. Frank A. Munsey Company. 1919
Ursprünglich in fünf Teilen in der All-Story Weekly ab der Ausgabe vom 9. August 1919 als Serie veröffentlicht.

Kapitel 36

Alle auf sie

Er begab sich in die Gefahr.

Die Morgendämmerung war gekommen. Die ersten rosafarbenen Streifen waren am östlichen Himmel erschienen, die Sonne war schnell über den Höhen im Osten aufgegangen, die Plaza in einen hellen Glanz getaucht. Es gab keinen Nebel, nicht einmal Hochnebel, und die Gebäude an den Hängen in der Ferne hoben sich deutlich ab. Es war kein Morgen, an dem man für das Leben und die Freiheit reiten konnte.

Zorro hatte mit dem Gouverneur und dem Comandante zu lange gezögert, sonst hätte er die Stunde falsch eingeschätzt. Er schwang sich in den Sattel und trieb sein Tier aus dem Innenhof – und da wurde ihm die drohende Gefahr voll bewusst.

Auf dem Weg von San Gabriel kamen Sargento Pedro Conzales und seine Truppen. Die Straße nach Pala hinunter kam ein weiterer Trupp Soldaten, der den Caballeros und Don Carlos gefolgt war und entnervt aufgegeben hatte. Über die Hügel in Richtung Presidio kam die dritte Gruppe von Männern, die diejenigen verfolgten, die Dona Catalina gerettet hatten. Zorro sah sich von seinen Feinden umzingelt.

Der Fluch von Capistrano hielt absichtlich sein Pferd an und betrachtete einen Moment lang die Lage. Er warf einen Blick auf die drei Kavalleristen, schätzte die Entfernung ab. Und in diesem Augenblick sah ihn einer aus der Abteilung von Sargento Gonzales und schlug Alarm.

Sie kannten das prächtige Pferd, den langen purpurnen Mantel, die schwarze Maske und den breiten Sombrero. Sie sahen den Mann vor sich, den sie die ganze Nacht hindurch verfolgt hatten, den Mann, der sie auf den Hügeln und in den Tälern zum Narren gehalten und mit ihnen gespielt hatte. Sie fürchteten den Zorn Seiner Exzellenz und ihrer vorgesetzten Offiziere. In ihren Herzen und Köpfen war die Entschlossenheit, diesen Fluch von Capistrano zu fangen oder zu töten, jetzt, da sich ihnen diese letzte Chance bot.

Zorro gab seinem Pferd die Sporen und stürmte vor den Augen von einigen hundert Einwohnern über die Plaza. In diesem Moment stürmten der Gouverneur und sein Gastgeber aus dem Haus und schrien, Zorro sei ein Mörder und müsse gefasst werden. Die Einwohner flüchteten wie die Ratten, die Männer von Rang blieben stehen und staunten.

Nachdem Zorro den Platz überquert hatte, trieb er sein Pferd mit höchster Eile direkt auf die Landstraße zu. Sargento Gonzales und seine Soldaten eilten herbei, um ihm den Weg abzuschneiden und ihn zurückzudrängen, schrien einander an, die Pistolen in den Händen, die Klingen in den Scheiden gelockert. Belohnung, Beförderung und Genugtuung sollten ihnen zuteilwerden, wenn sie dem Wegelagerer hier und jetzt ein Ende bereiteten.

Zorro war gezwungen, von seinem ersten Weg abzuweichen, denn er sah, dass er nicht durchkommen würde. Er hatte seine Pistole nicht aus dem Gürtel genommen, aber er hatte seine Klinge gezogen. Sie baumelte so an seinem rechten Handgelenk, dass er den Griff sofort ergreifen und zum Einsatz bringen konnte.

Er überquerte erneut die Plaza und riss dabei fast mehrere Männer von Rang um, die ihm im Weg standen. Er kam bis auf wenige Schritte an den wütenden Gouverneur und sein Gefolge heran, schlüpfte zwischen zwei Häusern hindurch und eilte in Richtung der Berge.

Es sah so aus, als hätte er nun eine kleine Chance, dem Zugriff seiner Feinde zu entkommen. Er verschmähte Wege und Pfade und schlug sich über das offene Gelände durch. Von beiden Seiten galoppierten ihm die Kavalleristen entgegen und flogen auf den Scheitelpunkt des Keils zu, in der Hoffnung, diesen noch rechtzeitig zu erreichen und ihn endgültig umzingeln zu können.

Gonzales rief mit seiner kräftigen Stimme Befehle und schickte einen Teil seiner Männer in das Pueblo hinunter, damit sie für den Fall, dass der Wegelagerer wieder umkehrte, in der richtigen Position waren und ihn an der Flucht nach Westen hindern konnten.

Er erreichte die Landstraße und ritt sie in Richtung Süden hinunter. Es war nicht die Richtung, die er bevorzugt hätte, aber er hatte keine andere Wahl mehr. Er jagte um eine Kurve der Straße, wo einige Bauernhütten die Sicht versperrten – und plötzlich riss er sein Pferd hoch, wobei er beinahe aus dem Sattel fiel.

Denn hier tauchte eine neue Bedrohung auf. Ein Pferd mit Reiter flog auf ihn zu, und dicht dahinter folgte ein halbes Dutzend Kavalleristen, die ihn verfolgten.

Zorro wirbelte sein Pferd herum. Er konnte nicht nach rechts abbiegen, weil dort eine Steinmauer verlief. Sein Pferd hätte diese überspringen können, aber auf der anderen Seite war der Boden gepflügt worden, und er wusste, dass er dort nicht weiterkommen würde und die Kavalleristen ihn mit einer Pistolenkugel niederstrecken könnten.

Auch konnte er nicht nach links abbiegen, denn dort war ein Abgrund, den er nicht sicher hinunterreiten konnte. Er musste in Richtung von Sargento Gonzales und den Männern, die mit ihm ritten, umkehren und hoffen, dass er ein paar hundert Meter weit kommen würde, wo er absteigen konnte, bevor Gonzales und seine Männer ihn erreichten.

Er griff nun seinen Degen und war zum Kampf bereit, denn er wusste, dass es eng werden würde. Er warf einen Blick über die Schulter zurück – und keuchte vor Überraschung.

Denn es war Señorita Lolita Pulido, die auf dem Pferd ritt und von einem halben Dutzend Soldaten verfolgt wurde. Und er hatte sie auf der Hazienda von Pater Felipe in Sicherheit geglaubt! Ihr langes schwarzes Haar fiel nach hinten. Ihre schmalen Fersen klebten an den Flanken des Pferdes. Sie beugte sich beim Reiten nach vorn und hielt die Zügel tief unten. Zorro staunte selbst in diesem Augenblick über ihre Geschicklichkeit im Umgang mit dem Pferd.

»Señor!«, hörte er sie schreien.

Dann war sie an seiner Seite, und sie ritten zusammen und stürzten sich auf Gonzales und seine Truppen.

»Sie verfolgen mich schon seit Stunden!«, keuchte sie. »Ich bin ihnen entkommen – und zwar bereits bei Pater Felipe!«

»Reitet dicht auf! Verschwenden Sie keinen Atem!«, rief er.

»Mein Pferd – ist fast erledigt, Señor!«

Zorro warf einen Seitenblick auf das Tier und sah, dass es vor Erschöpfung litt. Aber es blieb kaum Zeit, darüber nachzudenken. Die hinteren Soldaten hatten etwas aufgeholt, die vorderen stellten eine Bedrohung dar, die es zu beachten galt.

Sie stürmten den Pfad hinunter, Seite an Seite, direkt auf Gonzales und seine Männer zu. Zorro konnte sehen, dass die Pistolen gezückt waren, und er bezweifelte nicht, dass der Gouverneur den Befehl gegeben hatte, ihn tot oder lebendig zu erwischen, sondern sich darum zu sorgen, dass er nicht wieder entkam.

Nun ritt er ein paar Schritte vor der Señorita her und forderte sie auf, in der Spur seines Pferdes zu reiten. Er ließ die Zügel auf den Hals seines Pferdes fallen und hielt seine Klinge bereit. Er hatte zwei Waffen – seine Klinge und sein Pferd.

Dann kam der Aufprall. Zorro wich mit seinem Pferd im richtigen Moment aus, und die Señorita folgte ihm. Er stach auf den Soldaten zu seiner Linken ein, schwenkte um und stach auf den zu seiner Rechten ein. Sein Pferd stieß mit dem eines dritten Soldaten zusammen und schleuderte ihn gegen das Tier, das der Sargento ritt.

Um ihn herum hörte er schrille Schreie. Er wusste, dass die Männer, die Señorita Lolita verfolgten, in die anderen hineingelaufen waren und dass eine gewisse Verwirrung herrschte, da sie keine Klingen benutzen konnten, aus Angst, sich gegenseitig zu erschlagen.

Einen Wimpernschlag später war er durch sie hindurch, und die Señorita ritt wieder an seiner Seite. Wieder war er am Rand der Plaza angelangt. Sein Pferd zeigte Anzeichen von Müdigkeit, und er hatte nichts gewonnen.

Denn der Weg nach San Gabriel war nicht offen, der Weg nach Pala war versperrt, er konnte nicht hoffen, über den weichen Boden zu entkommen. Auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes warteten weitere Soldaten im Sattel darauf, ihm den Weg abzuschneiden, ganz gleich, in welche Richtung er sich begab.

»Wir sind umzingelt!«, rief er. »Aber wir sind noch nicht fertig, Señorita!«

»Mein Pferd strauchelt!«, rief sie.

Zorro sah, dass es so war. Er wusste, dass das Tier keine hundert Meter mehr schaffen würde.

»Zur Taverne!«, rief er.

Sie galoppierten quer über den Platz. An der Tür der Taverne taumelte das Pferd der Señorita und stürzte. Zorro fing das Mädchen gerade noch rechtzeitig auf, um es vor einem harten Sturz zu bewahren, und rannte, das Mädchen immer noch auf dem Rücken, durch die Tür der Taverne.

»Raus!«, rief er dem Wirt und dem Dienstboten zu. »Raus!«, schrie er einem halben Dutzend Herumtreiber an und zeigte dabei seine Pistole. Sie stürmten durch die Tür auf die Plaza.

Der Straßenräuber warf die Tür zu und verriegelte sie. Er sah, dass alle Fenster geschlossen waren, bis auf das, das auf den Platz hinausging, und dass die Bretter und Felle an ihrem Platz waren. Er trat an den Tisch und drehte sich dann zu der Señorita um.

»Das könnte das Ende sein«, sagte er.

»Señor! Sicherlich werden die Heiligen uns wohlgesonnen sein.«

»Wir sind von Feinden bedrängt, Señorita. Mir ist das egal, ich sterbe kämpfend, wie es sich für einen Caballero gehört. Aber Ihr, Señorita …«

»Sie werden mich nie wieder in den Kerker stecken, Señor! Ich schwöre es! Eher würde ich mit Ihnen sterben.«

Sie nahm das Messer des Hirten aus ihrem Schoß, und er warf einen Blick darauf.

»Nicht das, Señorita!«, rief er.

»Ich habe Ihnen mein Herz geschenkt, Señor. Entweder wir leben oder wir sterben zusammen.«