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Der Hexer 27

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer, Band 19
Wer den Tod ruft

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 24. Dezember 1985, 64 Seiten, 1,70 DM, Titelbild: Frank Brunner

Es war ein Bild wie aus einem üblen Alptraum. Hinter der runden, leicht nach außen gebogenen Scheibe des Taucherhelms sollte ein Gesicht sein, schmal und von der Krankheit, die den Mann seit Wochen auszehrte, gezeichnet. Aber dort hinter dem Glas wogte nur eine graue, schreckliche Masse, hin und her zuckend und von einer schwerfälligen brodelnden Bewegung erfüllt. Ein waberndes Etwas blaugrauen Schreckens, das den Menschen, der noch vor Stunden in der monströsen Tauchermontur steckte, verschlungen hatte!

Leseprobe

Die Welt des Hexers

Auf der Suche nach dem zweiten der SIEBEN SIEGEL DER MACHT wird Robert Craven um zwei Jahre in die Vergangenheit verschlagen; ins Jahr 1883 und auf eine kleine Insel im Pazifik: Krakatau.

Dort versucht der Fischgott DAGON mit Hilfe des Siegels und feuriger Lavawürmer, die THUL SADUUN aus ihrem Kerker zwischen den Dimensionen zu befreien – die Wesen, vor denen er fünftausend Jahre lang auf der Flucht war!

Doch die Würmer brauchen Nahrung. Dagon verbündet sich mit dem Tempelherren Tergard, der von seinem Orden auf diese abgelegene Insel strafversetzt wurde. In Gefangenenlagern werden Eingeborene und Abenteurer, die sich auf die Insel verirrt haben, gesammelt und den Lavawürmern, den Ssaddit, zum Opfer gebracht.

Und in diese Falle läuft auch Robert Craven. Er soll als Dämonenfutter enden. Im letzten Moment wird er von Shannon, der ihm in die Vergangenheit folgte, gerettet. Shannon ist in seinem Element; er vernichtet fast Dagons gesamte Brut. Robert ist ihm bei diesem Kampf keine große Hilfe – Tergard hat ihm seine magischen Kräfte genommen. Nur langsam kehren sie zurück.

Während Shannon und Robert in den Dschungel flüchten, steht Dagon nun vor einem neuen Problem: Er braucht neue Ssaddit – und neue Opfer. Doch Tergard verweigert ihm den Gehorsam, als Dagon verlangt, die Städte zu überfallen. So ruft der Fischgott einen neuen Diener herbei: den achtarmigen Tod.

Kurze Zeit später finden Robert und Shannon die Stützpunkte der Tempelritter verlassen vor; Dagon verschont auch seine ehemaligen Verbündeten nicht. Auch das Dorf, in dem die beiden Gefährten Zuflucht suchen, wird angegriffen. Shannon kann das Schlimmste verhindern, und wieder werden viele der Ssaddit getötet.

Doch, obwohl er Robert hilft und das zweite Siegel zerstören will, hat sich Shannon verändert. Aus dem ehemals warmherzigen Freund ist ein kalter, berechnender Krieger geworden. Welches Geheimnis steckt hinter dieser Wandlung?

Und hat er Necron, seinem Herren, wirklich abgeschworen? Denn wenn Necron auch das zweite Siegel erringt, ist ein weiterer Schritt zur Erweckung der GROßEN ALTEN getan. Wenn die SIEBEN SIEGEL DER MACHT vereint werden, öffnen sich die Tore, hinter denen die uralten Dämonen lauern. Und die Erde ist verloren…

 

*

 

Kapitän Nemos Kehle entrang sich ein entsetzter Schrei, als er sah, auf welch furchtbare Weise sich Howard verändert hatte. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten hatte Nemo Howards Kabine betreten, ohne vorher anzuklopfen, und jetzt stand er wie erstarrt da und blickte auf das entsetzliche Bild herab, das sich ihm bot:

Howard Lovecraft saß, in der sonderbar verkrümmten Haltung, zu der ihn die schwerfällige Tauchermontur zwang, in seinem Stuhl, die linke Hand gegen das Halsteil des Anzuges gepresst und die rechte um die Tischkante gekrallt, als hätte er noch versucht, sich daran festzuhalten. Sein Kopf war ein wenig zur Seite geneigt, aber die gläserne Sichtscheibe, die wie ein übergroßes Auge im Messing des Taucherhelmes glänzte, war der Tür zugewandt, sodass Nemo den grässlichen Anblick in aller Deutlichkeit sehen konnte.

Eine Sekunde, eine einzige Sekunde nur, blieb Nemo reglos stehen und starrte auf die verkrümmte Gestalt in der Tauchermontur, aber es war die längste Sekunde seines Lebens. Er hatte gewusst, dass Howard sterben würde, schon von dem Moment an, in dem er an Bord der NAUTILUS gekommen war, und trotzdem traf ihn der Anblick mit der Wucht eines Faustschlages.

Er hatte es sich nicht so schlimm vorgestellt. Keiner von ihnen hatte eine Vorstellung gehabt, was die mutierten Lyssa-Viren, mit denen Howard und Rowlf infiziert worden waren, letztendlich aus ihren Körpern machen würden.

Aber das? Nemo hatte das Gefühl, die Berührung einer unsichtbaren Hand zu spüren, die eisig sein Rückgrat hinunterfuhr, während er die graue, amorphe Masse anstarrte, die wie fressender Rauch dort wallte, wo Howards Gesicht gewesen war.

Und dann bewegte sich die Gestalt!

Nemos Herz schien für einen Moment auszusetzen, um dann mit dreifacher Schnelligkeit und beinahe schmerzhaft hart weiter zu hämmern, während er aus hervorquellenden Augen auf die Arme des Taucheranzuges starrte, die sich langsam, mit mühevollen, fahrigen Bewegungen hoben und ziellos in die Luft griffen.

Ein schreckliches, heiseres Geräusch drang unter dem geschlossenen Helm hervor. Ganz langsam, als koste ihn die Bewegung unendlich viel Kraft, stand Howard – oder das, was jetzt anstelle Howards in der Tauchermontur steckte! – auf, taumelte einen halben Schritt auf Nemo zu und wandte sich dann, noch immer verkrümmt und so stark nach vorne geneigt, dass er eigentlich hätte fallen müssen, nach rechts, der Rückwand der Kabine zu. Wieder erhaschte Nemo einen raschen Blick auf die handgroße, runde Sichtscheibe des Helmes – und das Gesicht dahinter!

Howards Gesicht, das für den Bruchteil einer Sekunde hinter der grausigen, wabernden Masse auftauchte, bleich, verzerrt vor Schrecken und Schmerz, die Augen glasig, als litte er Höllenqualen.

Starr und unfähig vor Schrecken, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn Howard zu Hilfe zu eilen, sah Nemo zu, wie sich die Gestalt in der Tauchermontur bis zur Wand schleppte, mit unsicheren Bewegungen wie ein Blinder nach dem Atemschlauch suchte, der wie eine bizarre Nabelschnur aus dem Rücken des Anzuges hervorwuchs, und sich daran entlangtastete, bis seine Finger die beiden Stellräder fanden, unter denen der Schlauch in der Wand verschwand.

Ein scharfes Zischen erklang, und Nemo konnte sehen, wie sich der Anzug wie ein zu groß geratener Luftballon blähte, als frischer Sauerstoff unter großem Druck in ihn hineingepresst wurde. Howard taumelte. Ein grässliches, würgendes Husten mischte sich in das Zischen der Druckluft, dann kippte er zur Seite, fiel schwer gegen die Wand und begann haltlos in sich zusammenzusacken.

Endlich erwachte Nemo aus seiner Erstarrung. Mit einem Schrei war er bei Howard, fing ihn auf und ließ ihn zu Boden gleiten, so behutsam, wie es angesichts der zentnerschweren Tauchermontur möglich war, die Lovecraft trug. Dann richtete er sich hastig wieder auf, regulierte die Sauerstoffzufuhr mit zitternden Fingern neu, ehe der Anzug einfach platzen oder der Überdruck seinen Träger töten würde, und kniete abermals neben Howard nieder.

Seine Finger waren kalt vor Furcht, als er Howard auf den Rücken drehte und sich über ihn beugte, um durch die Sichtscheibe seines Helmes zu blicken.

Die graue Masse war verschwunden, nur hier und da glaubte Nemo noch ein paar wolkige Fetzen zu entdecken, die aber unter dem Zustrom der frischen Atemluft rasch auseinandertrieben. Howards Gesicht war bleich wie Kalk, und seine Augen standen zwar offen, blickten aber noch immer glasig und schienen Nemo gar nicht wahrzunehmen.

Zwischen seinen Lippen qualmte der Stummel einer zu drei Vierteln aufgerauchten Zigarre.

Nemo erstarrte. Für die Dauer von zwei, drei endlosen Herzschlägen weigerte sich sein Verstand einfach, zu glauben, was seine Augen sahen, dann öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, brachte aber nur ein unartikuliertes Stöhnen zustande. Was er sah, machte ihn so fassungslos, dass er nicht einmal hörte, wie das Schott in seinem Rücken ein zweites Mal aufglitt und sich Schritte näherten.

Erst als die schokoladenbraunen Finger Doktor Oobotes in seinem Gesichtsfeld auftauchten und sich an Howards Helm zu schaffen machten, registrierte er überhaupt, dass er nicht mehr allein war.

Und er bemerkte fast zu spät, was Oobote im Begriff stand, zu tun!

Mit einem Schrei warf er sich nach vorn, bog Oobotes Arm zurück und versetzte dem farbigen Bordarzt der NAUTILUS einen Stoß, der ihn zurück und geradewegs in die Arme der Gestalt taumeln ließ, die hinter ihm durch das Schott getreten war, eine halbe Sekunde, ehe Oobote den letzten Verschluss entriegeln und somit Howards Taucheranzug öffnen konnte – was einem Todesurteil für jedes lebende Wesen an Bord des Schiffes gleichgekommen wäre.

»Sind Sie verrückt geworden, Oobote?« Nemo war mit einem Satz auf den Füßen, wandte sich zornbebend um – und begann zum zweiten Mal innerhalb weniger Augenblicke an seinem Verstand zu zweifeln, als sein Blick auf das Gesicht des Mannes fiel, der Oobote aufgefangen hatte.

Es war das Gesicht eines Riesen – grobschlächtig und von jenem gutmütig-dümmlichen Zug, den man oft bei besonders großen und über die Maßen starken Männern antrifft, gekrönt von einer stoppeligen roten Haarbürste.

»Rowlf!«, ächzte Nemo. »Was … wieso … ich meine …« Er brach ab, schluckte ein paarmal krampfhaft und starrte Oobote und Rowlf abwechselnd an. »Was hat das zu bedeuten, Doktor?«, fragte er schließlich. »Wollen Sie uns alle umbringen? Wieso trägt er seinen Anzug nicht mehr?«

Oobote blickte ihn finster an, schnippte sich demonstrativ ein nicht vorhandenes Stäubchen von der Stelle seines Hemdes, an der ihn Nemos Hand gepackt hatte, und kniete ein zweites Mal neben Howard nieder. »Aus dem gleichen Grund, aus dem auch Monsieur Lovecraft seinen Anzug nicht mehr braucht, mon capitaine«, antwortete er beleidigt. »Weil, es nicht mehr nötig ist.«

»Nicht mehr …« Nemo blickte mit immer größer werdender Hilflosigkeit abwechselnd zu Rowlf, Oobote und Howard und wieder zurück. »Was … was soll das bedeuten?«, stammelte er.

»Das soll bedeuten, dass sie gesund sind.« Oobote hatte die letzte Klammer gelöst, zog ächzend Howards Helm herab und begann mit der flachen Hand in sein Gesicht zu schlagen. Howard stöhnte. Die Zigarre fiel aus seinem Mundwinkel und verschwand funkensprühend in seinem Anzug. Oobote fluchte, angelte mit der Hand danach und bekam sie zu fassen, wenn auch – wie Nemo aus den Grimassen schloss, die er plötzlich schnitt – am brennenden Ende. Mit einem unflätigen Fluch riss er die Hand zurück, schleuderte die Zigarre in die Ecke und steckte die Finger in den Mund.

»Was heißt hier gesund, Doktor?«, fragte Nemo. »Zum Teufel, reden Sie endlich. Vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden haben Sie diesen beiden Männern keine halbe Woche mehr gegeben!«

»Daschweischischschelbst.« Oobote nahm die Finger aus dem Mund. »Das weiß ich selbst«, sagte er noch einmal. »Und jetzt sind sie eben gesund. Wenigstens Monsieur Rowlf. Und er«, er deutete mit einer Kopfbewegung auf Howard, der krampfhaft um Atem ringend auf dem Rücken lag, »wohl auch. Wenn Sie ihn ins Krankenzimmer bringen lassen, kann ich Ihnen bald Genaueres sagen.«

»Ich … ich werde zwei Matrosen rufen«, sagte Nemo verstört. Aber Rowlf kam ihm zuvor. Mit einer abwehrenden Bewegung kniete er neben Howard nieder, lud ihn sich auf die Arme, als wöge er gar nichts, und wandte sich grinsend um. »Das mach’ ich schon«, sagte er. »Ins Krankenzimmer?«

Oobote nickte, und Rowlf trat ohne ein weiteres Wort durch das offenstehende Schott. Oobote wollte ihm folgen, aber Nemo hielt ihn mit einem raschen Griff am Arm zurück.

»Es tut mir leid, Doktor«, sagte er. »Ich habe die Beherrschung verloren. Entschuldigen Sie, dass ich so grob war.«

Oobote lächelte. »Schon gut. Ich hätte Sie ja auch warnen können.«

»Gesund?«, murmelte Nemo, als hätte er Oobotes Worte gar nicht gehört. »Sie … Sie sind vollkommen sicher, dass Rowlf … geheilt ist?«

Oobote nickte. »Wenn nicht alles, was ich in dreißig Jahren als Arzt gelernt habe, falsch ist, ja«, antwortete er. »Und nach meinem ersten Eindruck Ihr Freund Howard auch. Körperlich zumindest«, schränkte er ein.

Nemo blinzelte. »Wie meinen Sie das?«

»Nun …« Oobote zuckte mit den Schultern und blickte auf den Zigarrenstummel herab, der in einer Ecke verqualmte. »Ich frage mich, welcher geistig gesunde Mensch auf den Gedanken käme, in einem hermetisch geschlossenen Taucheranzug eine Zigarre zu rauchen, mon capitaine.«