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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel XIV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis sechstes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XIV. Die Absolution

Man höre, was geschehen war.

Wir haben gesehen, dass der Mönch nicht durch eine Wirkung seines eigenen Willens, sondern im Gegenteil ganz gegen seinen Wunsch den Verwundeten geleitete, der ihm auf eine so seltsame Weise empfohlen wurde. Vielleicht hätte er zu fliehen gesucht, wenn er eine Möglichkeit gesehen haben würde, aber die Drohungen der zwei jungen Edelleute, ihr Gefolge, das hinter ihm geblieben war und ohne Zweifel Weisungen erhalten hatte, und eine schärfere Überlegung bestimmten den Mönch, ohne zu viel bösen Willen durchscheinen zu lassen, seine Rolle als Beichtvater bis zum Ende zu spielen. Sobald er in dem Zimmer war, näherte er sich dem Kopfkissen des Verwundeten.

Mit dem raschen, denjenigen, welche zu sterben im Begriff sind und folglich keine Zeit zu verlieren haben, eigentümlichen Blicke betrachtete der Henker das Gesicht desjenigen, welcher sein Tröster werden soll. er machte eine Bewegung des Erstaunens und sagte: »Ihr seid sehr jung, mein Vater.«

»Die Leute meines Gewandes haben kein Alter«, antwortete trocken der Mönch.

»Ach, sprecht doch etwas sanfter, mein Vater«, versetzte der Verwundete, »ich bedarf eines Freundes in meinen letzten Augenblicken.«

»Ihr leidet viel?«, sagte der Mönch.

»Ja, aber mehr in der Seele als im Leibe.«

»Wir werden Eure Seele retten«, erwiderte der junge Mann, »aber seid Ihr wirklich der Henker von Bethune, wie diese Leute sagten?«

»Das heißt«, antwortete lebhaft der Verwundete, welcher wohl bange hatte, der Name des Henkers könnte von ihm die letzte Hilfe entfernen, die er forderte, »das heißt, ich bin es gewesen, bin es aber nicht mehr. Ich habe vor fünfzehn Jahren mein Amt aufgegeben, wohne Hinrichtungen noch bei, schlage aber nicht mehr.

»O nein! Ihr habt also Abscheu vor Eurem Stand?«

Der Henker stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte: »Solange ich nur im Namen des Gesetzes und der Gerechtigkeit geschlagen habe, ließ mich mein Stand, geschützt wie ich unter der Gerechtigkeit und dem Gesetz war, ruhig schlafen, aber seit der furchtbaren Nacht, wo ich als Werkzeug für eine Privatrache diente und mein Schwert mit Hass auf ein Geschöpf Gottes erhob, seit dieser Nacht …«

Der Henker hielt inne und schüttelte mit verzweifelter Miene den Kopf.

»Sprecht«, sagte der Mönch, der sich unten an das Bett des Verwundeten gesetzt hatte und an einer Erzählung, die sich auf eine so seltsame Weise ankündigte, Interesse zu nehmen anfing.

»Ach!«, rief der Sterbende mit dem ganzen Erguss eines lange zurückgehaltenen Schmerzes, der sich endlich Luft macht, »ach! Ich habe jedoch diese Gewissensbisse durch zwanzig Jahre guter Werke zu ersticken gesucht. Ich habe denjenigen, welche das Blut vergießen, die natürliche Wildheit genommen. Bei jeder Gelegenheit habe ich mein Leben ausgesetzt, um das Leben anderer zu retten, welche in Gefahr schwebten. Ich habe der Erde menschliche Existenzen erhalten, im Austausch gegen diejenigen, welche ich ihr geraubt hatte. Das ist noch nicht alles: Das in der Ausübung meines Gewerbes von mir errungene Vermögen habe ich unter die Armen verteilt. Ich bin ein beständiger Kirchengänger geworden; die Leute, welche mich früher flohen, gewöhnten sich an meinen Anblick. Alle haben mir vergeben, einige liebten mich sogar. Aber ich glaube, dass mir Gott nicht verziehen hat, denn die Erinnerung an jene Hinrichtung verfolgt mich beständig und es kommt mir jede Nacht vor, als sähe ich das Gespenst jener Frau vor meinen Augen sich erheben.«

»Einer Frau? Ihr habt also eine Frau ermordet?«, rief der Mönch.

»Und Ihr auch?«, erwiderte der Henker. »Ihr bedient Euch auch des Ausdrucks, der so furchtbar in meinem Ohr klingt? Ermordet! Ich habe also gemordet und nicht hingerichtet! Ich bin also ein Mörder und nicht ein Nachrichter!«

Er schloss die Augen und stieß einen Seufzer aus. Der Mönch befürchtete ohne Zweifel, er könnte sterben, ohne mehr zu sagen, denn er versetzte lebhaft: »Fahrt fort, ich weiß nichts, und wenn Ihr Eure Erzählung beendet habt, werden Gott und ich richten.«

»Oh, mein Vater«, fuhr der Henker fort, ohne die Augen wieder zu öffnen«, als hätte er bange, beim Öffnen einen furchtbaren Gegenstand zu sehen, »besonders bei Nacht und wenn ich über einen Fluss setze, ist dieser Schrecken, den ich nicht überwinden kann, grässlich. Es kommt mir vor, als erschwerte sich meine Hand, als läge mein Schwert darin. Das Wasser nimmt die Farbe des Blutes an und alle Stimmen der Natur, das Rauschen der Bäume, das Murmeln des Windes, das Schlagen der Wellen vereinigen sich, um eine weinende, verzweifelte, grässliche Stimme zu bilden, die mir zuruft: Lasse die Gerechtigkeit Gottes walten.«

»Delirium!«, murmelte der Mönch und schüttelte ebenfalls das Haupt.

Der Henker öffnete die Augen, machte eine Bewegung, um sich nach dem jungen Mann umzuwenden, und fasste ihn beim Arm.

»Delirium«, wiederholte er, »sagt Ihr? Oh, nein, denn es geschah in der Nacht. Ich warf ihren Körper in den Fluss. Die Worte, welche mir meine Gewissensbisse wiederholen, diese Worte habe ich in meinem Stolz ausgesprochen. Nachdem ich das Werkzeug der menschlichen Gerechtigkeit gewesen war, glaubte ich das der Gerechtigkeit Gottes zu sein.«

»Lasst hören! Wie kam dies? Sprecht!«, sagte der Mönch.

»An einem Abend erschien ein Mann bei mir und zeigte mir einen Befehl. Ich folgte. Vier andere vornehme Messieurs erwarteten mich. Sie führten mich maskiert mit sich. Ich behielt mir immer vor, zu widerstehen, wenn das, was man von mir fordern würde, mir ungerecht vorkäme. Wir machten fünf oder sechs Meilen, düster, schweigsam und beinahe ohne ein Wort auszutauschen. Dann zeigten sie mir durch die Fenster einer kleinen Hütte eine mit dem Ellbogen auf den Tisch gelehnte Frau und sagten zu mir: Diese habt Ihr hinzurichten.«

»Grässlich!«, sprach der Mönch.

»Und Ihr gehorchtet?«

»Mein Vater, diese Frau war ein Ungeheuer. Sie hatte, wie man sagte, ihren zweiten Gatten vergiftet, ihren Schwager, welcher sich unter diesen Männern befand, zu vergiften versucht. Sie hatte kurz zuvor eine junge Frau, welche ihre Nebenbuhlerin war, vergiftet, und ehe sie England verließ, wie man sagte, Buckingham, den Liebling des Königs, erdolchen lassen.«

»Buckingham?«, rief der Mönch.

»Ja, Buckingham, so ist es.«

»Diese Frau war also eine Engländerin?«

»Nein, sie war eine Französin, aber in England verheiratet.«

Der Mönch erbleichte, trocknete seine Stirn und verschloss die Tür mit einem Riegel. Der Henker glaubte, er wollte ihn verlassen, und fiel seufzend auf sein Bett zurück.

»Nein, nein, hier bin ich«, versetzte der Mönch, rasch zu ihm zurückkehrend. »Fahrt fort, wer waren diese Männer?«

»Der eine war ein Fremder, ein Engländer, glaube ich. Die anderen waren Franzosen und trugen die Uniform der Musketiere.«

»Ihre Namen?«, fragte der Mönch.«

»Ich kenne sie nicht. Ich weiß nur, dass die vier anderen Messieurs den Engländer Mylord nannten.«

»Und die Frau war schön?«

»Schön und jung! Oh ja, besonders schön. Ich sehe sie noch, wie sie auf den Knien vor mir, den Kopf zurückgeworfen, flehte. Nie habe ich seitdem begriffen, wie ich den so schönen und so bleichen Kopf abschlagen konnte.«

Der Mönch schien von einer seltsamen Bewegung ergriffen. Er zitterte an allen Gliedern. Man sah, dass er eine Frage stellen wollte, dass er es aber nicht wagte.

Endlich nach einer heftigen Anstrengung gegen sich selbst sagte er: »Der Name dieser Frau?«

»Ich weiß ihn nicht. Sie hatte sich, wie ich Euch sagte, zweimal verheiratet, einmal in Frankreich, das zweite Mal in England.«

»Und sie war jung, sagt Ihr?«

»Fünfundzwanzig Jahre.«

»Schön?«

»Zum Entzücken.«

»Blond?«

»Ja.«

»Lange Haare, nicht wahr … die ihr bis aus die Schultern herabfielen?«

»Ja.«

»Große Augen von wunderbarem Ausdruck?«

»Wenn sie wollte. Oh ja, so ist es.«

»Eine Stimme von seltsamer Weichheit?»

»Woher wisst Ihr dies?«

Der Henker stützte sich mit dem Ellbogen auf sein Bett und heftete seinen erschrockenen Blick auf den Mönch, welcher leichenblass wurde.

»Und Ihr habt sie getötet!«, sprach der Mönch, »Ihr habt als Werkzeug für diese Feigen gedient, die sie nicht selbst zu töten wagten! Ihr habt mit dieser Jugend, mit dieser Schönheit, mit dieser Schwäche kein Mitleid gehabt! Ihr habt diese Frau getötet.«

»Ach!«, versetzte der Henker, »ich habe es Euch gesagt, mein Vater, diese Frau verbarg unter einer himmlischen Hülle einen höllischen Geist, und als ich sie sah und mich all des Bösen erinnerte, das sie mir zugefügt hatte …«

»Euch? Und was hatte sie Euch tun können? Lasst hören.«

»Sie hatte meinen Bruder, der ein Priester war, verführt und zu Grunde gerichtet. Sie war mit ihm aus ihrem Kloster entflohen.«

»Mit Eurem Bruder?«

»Ja. Mein Bruder war ihr erster Liebhaber. Sie war die Ursache des Todes meines Bruders. O, mein Vater, mein Vater! Schaut mich nicht so an! Ich bin also sehr schuldig. Ihr vergebt mir also nicht!«

Der Mönch verzog sein Gesicht.

»Doch wohl, ich werde Euch vergeben, wenn Ihr mir alles sagt.«

»O!«, rief der Henker, »alles! Alles! Alles!«

»So antwortet also … Wenn sie Euren Bruder verführt hat … Ihr sagt, sie habe ihn verführt, nicht wahr?«

»Ja.«

»Wenn sie seinen Tod veranlasst hat … Ihr sagt, sie habe seinen Tod veranlasst, nicht wahr?«

»Ja«, wiederholte der Henker.

»So müsst Ihr ihren Namen als Mädchen kennen.«

»O, mein Gott!«, sprach der Henker, »mein Gott! Ich glaube, ich sterbe. Die Absolution, mein Vater, die Absolution!«

»Sage mir ihren Namen!«, rief der Mönch, »und ich gebe sie dir!«

»Sie hieß … mein Gott, habe Gnade mit mir!«, murmelte der Henker und sank bleich, zitternd, einem Menschen in der Sekunde des Sterbens ähnlich, auf sein Bett zurück.

»Ihren Namen!«, wiederholte der Mönch und beugte sich über ihn, als gedächte er ihm diesen Namen zu entreißen, wenn er denselben nicht nennen wollte, »ihren Namen! … Sprich oder keine Absolution!«

Der Sterbende schien alle seine Kräfte zusammenzuraffen.

Die Augen des Mönches funkelten.

»Anna von Beuil«, murmelte der Sterbende.

»Anna von Beuil!«, rief der Mönch, sich hoch aufrichtend und seine Hände zum Himmel erhebend, »Anna von Beuil, du hast gesagt, Anna von Beuil, nicht wahr?«

»Ja, ja, das war ihr Name, und jetzt absolviert mich, denn ich sterbe.«

»Ich dich absolvieren?«, rief der Mönch mit einem Lachen, das die Haare auf dem Haupt des Sterbenden sich sträuben machte, »ich dich absolvieren? Ich bin kein Priester!«

»Ihr seid kein Priester!«, rief der Henker, »aber was seid Ihr denn?«

»Ich werde es dir sagen, Elender!«

»Ah! Monsieur! Mein Gott!«

»Ich bin John Francis Winter.«

»Ich kenne Euch nicht!«, rief der Henker.

»Warte, warte, du sollst mich kennen lernen. Ich bin John Francis Winter und jene Frau …«

»Nun, jene Frau?«

»War meine Mutter.«

Der Henker stieß den ersten Schrei aus, den furchtbaren Schrei, welchen man außen gehört hatte.

»O! Vergebt mir, vergebt mir, wenn nicht im Namen Gottes, doch wenigstens in Eurem Namen, wenn nicht als Priester, doch wenigstens als Sohn.«

»Dir vergeben!«, rief der falsche Mönch, »dir vergeben! Gott wird es vielleicht tun, ich nie!«

»Habt Mitleid!«, sprach der Henker und streckte die Arme nach ihm aus.

»Kein Mitleid für den, der kein Mitleid gehabt hat. Stirb unbußfertig, stirb in Verzweiflung, stirb und sei verdammt.«

Er zog einen Dolch unter seinem Gewand hervor, bohrte ihm denselben in die Brust und sprach: »Hier hast du deine Absolution!«

Da hörte man den zweiten, schwächeren Schrei, worauf ein langes Seufzen gefolgt war.

Der Henker, welcher sich erhoben hatte, fiel rücklings auf sein Bett zurück.

Der Mönch lief, ohne den Dolch aus der Wunde zu ziehen, zum Fenster, öffnete es, sprang auf die Blumen eines Gärtchens, schlüpfte in den Stall, nahm sein Maultier, entfernte sich durch eine Hintertür, eilte zum nächsten Gehölze, zog aus seinem Felleisen eine vollständige Reitertracht, kleidete sich darein, erreichte zu Fuß die nächste Post, mietete ein Pferd und setzte mit verhängten Zügeln seinen Weg nach Paris fort.