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Aus dem Wigwam – Wassamo

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Noch vierzig Sagen
Mitgeteilt vom Navajohäuptling El Zol

Wassamo

assamo lebte lange, ehe die Flagge des weißen Mannes in Amerika gesehen wurde, mit seinen Eltern an der Ostküste des Michigansees.

Eines Tages sagte seine Mutter zu ihm: »Mein Sohn, geh dort an den Teich und sieh zu, ob du nicht einige Fische fangen kannst. Nimm aber deinen Vetter mit.«

Sie gingen fort und kamen gegen Nachmittag bei der bezeichneten Stelle an. Sie warfen ihre Netze ins Wasser, bauten ein Schutzdach und machten ein Feuer an. Der Teich war ruhig und der Himmel hell und klar.

Gegen Abend sprach Wassamo zu seinem Kameraden: »Ich glaube, wir haben Glück. Lass uns doch einmal nach den Netzen sehen!«

Sie gingen hin und fanden sie voll der schönsten Fische.

»Wassamo«, sagte der andere, »koche einige davon, damit wir etwas zu essen haben.«

Jener hing auch gleich den Kessel über das Feuer und sein Vetter legte sich behaglich nieder.

»Vetter«, sagte Wassamo, »erzähle mir ein paar Geschichten und singe mir einige von deinen Liebesliedern!«

Darauf sang jener so lange, bis er müde wurde und einschlief. Als Wassamo sah, dass die Fische gekocht waren, rief er ihn, erhielt aber keine Antwort. Da die Fische sehr fett waren, so wollte er das Öl abschöpfen, wusste aber nicht recht, wie er sich mit der aus trockener Rinde gemachten Fackel zu gleicher Zeit leuchten könne. Er zog also seine Beinkleider ab, wickelte sich dieselben um den Kopf und befestigte die Birkenfackel wie eine Feder daran.

Nun hatte er beide Hände frei und konnte das Fett bequem von den Fischen streifen. Währenddem er so an der Arbeit war, gewährte die hin und her wogende Fackel auf seinem Kopf einen merkwürdigen Anblick. Auf einmal hörte er jemand in der Nähe lachen. »Vetter«, rief er, »es scheint jemand hier in der Nähe zu sein. Sieh auf und lass uns zusehen!«

Doch jener hörte nichts. Kurz darauf vernahm Wassamo wieder ein Gelächter und als er hinaussah, bemerkte er zwei Mädchen von außerordentlicher Schönheit.

»Vetter, Vetter! Steh auf. Es sind zwei allerliebste Mädchen hier!«

Aber der Vetter blieb liegen wie ein Baumstamm und Wassamo gesellte sich allein zu den Mädchen. Doch als er mit ihnen sprechen wollte, fiel er auf einmal besinnungslos nieder und er und die Mädchen verschwanden.

Kurz danach erwachte Wassamos Vetter und sah sich allein. Er ist vielleicht zu den Netzen gegangen, dachte er, und wird bald wiederkommen. Doch Wassamo kam nicht und der Vetter rief nach ihm, so laut er konnte, bekam aber keine Antwort. Er lief lange im Wald umher und rief beständig Netawis! Netawis! (Vetter), vernahm indessen als Antwort nur das Echo.

Trüb und traurig setzte er sich an das Feuer. Hat er mir mal einen Streich spielen wollen?, dachte er, oder hat er den Verstand verloren und ist fort in den Wald gelaufen? Vielleicht klärt sich das Geheimnis am nächsten Morgen auf.

Der Morgen kam, aber kein Wassamo war zu sehen. Netawis zog die Netze aus dem Wasser und eilte seinem Dorf zu. Die Leute denken vielleicht, dachte er auf dem Wege bei sich, ich habe meinen Vetter ermordet, doch seine Eltern sind mit mir verwandt und wissen, dass wir immer sehr gute Freunde gewesen sind.

Als ihn die Leute kommen sahen, sagten sie: »Er sieht sehr traurig aus, es muss ein Unglück geschehen sein!«

Darauf erzählte er alles, was er über den Verbleib Wassamos wusste.

»Er hat ihn meuchlings umgebracht«, sagten einige; die anderen meinten jedoch, das sei unmöglich, da beide immer wie Brüder gewesen seien.

Darauf gingen etliche Männer zur Hütte Wassamos und untersuchten den Boden. Es war nirgends Blut zu sehen, noch zeigten die Fußspuren, dass sie sich geschlagen hatten. Sie kamen also zur Überzeugung, dass Wassamo wahnsinnig geworden und in den Wald gelaufen sei.

Seine Eltern waren jedoch anderer Meinung und glaubten, er käme bald wieder zurück. Doch sie hofften vergebens und als sie bis zum nächsten Frühjahr noch nichts von ihm gehört hatten, waren sie der festen Ansicht, Netawis habe ihn umgebracht. Sie verlangten also sein Leben zur Sühne. Das ganze Dorf kam in Aufruhr. Einige nahmen die Partei des jungen Mannes und andere die der Eltern Wassamos, doch wurde zuletzt beschlossen, dass Netawis sein Leben an einem bestimmten Tag zu opfern habe.

Netawis fürchtete sich nicht vor dem Tod, doch der Gedanke, dass man ihn für den Mörder seines Freundes hielt, quälte ihn sehr. Kummervoll ging er umher und dachte mehrmals, seinen Leiden durch einen Sprung in den See ein Ende zu machen; aber da hätte es sicherlich geheißen, er sei doch schuldig, und so zog er denn vor, sich in sein Schicksal zu fügen.

 

***

 

Als Wassamo wieder zu sich kam, fand er sich an einem fremden Platz und hörte jemand sagen: »Ihr albernen Mädchen, also deshalb treibt ihr euch des Nachts herum? Hebt den jungen Mann doch vom Boden auf und legt ihn auf ein Bett!«

Wassamo wurde auf ein Bett gelegt und nach einiger Zeit lud man ihn zum Essen ein. Er stand auf und setzte sich mit in die Reihe. Obenan saßen zwei, welche älter als die anderen waren.

»Mein Sohn«, sagte der eine, »diese dummen Mädchen haben dich hierher gebracht. Als du dich ihnen nahtest, wurdest du besinnungslos und dann trugen sie dich hierher unter die Erde. Doch sei zufrieden; wir werden dir den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich machen. Ich bin der Schutzgeist von Nago Wudschu (Dünen am Seeufer) und habe immer gewünscht, dass sich jemand von deiner Nation mit einer meiner Töchter verheiratet. Wenn du nun hier bleiben willst, so kannst du dir eine davon aussuchen!«

Wassamo sagte kein Wort, und man schloss daraus, dass er mit diesem Vorschlag einverstanden sei.

»Deine Bedürfnisse«, fuhr der alte Geist fort, »werden alle befriedigt werden. Doch gehe nicht zu weit von meiner Wohnung, denn ich fürchte, dass der Geist, welcher alle Inseln im See beherrscht, dir ein Leid zufügen wird, wenn er hört, dass du mein Gast bist. Er hat nämlich früher einmal meine Tochter, die dich hierher gebracht hat und die deine Frau werden soll, zur Ehe begehrt und ich habe sie ihm abgeschlagen. Dort steht sie. Nimm sie und sei ihr Ehemann!«

Darauf setzten sich beide nebeneinander und die Leute betrachteten sie als Mann und Frau.

»Schwiegersohn«, sagte späterhin der alte Geist, »ich habe keinen Tabak mehr. Gehe also zurück in dein Dorf und teile deinen Eltern meinen Wunsch mit. Die Leute, welche diese Sandhügel passieren, opfern mir jetzt nur noch selten etwas Tabak, um sich eine ruhige Reise zu sichern. Alles, was mir aber geopfert wird, fällt gleich durch eine Öffnung in meine Wohnung!«

Darauf sah auch Wassamo, wie die Frauen durch diese Öffnung Speise bekamen, welche auf der Oberwelt geopfert wurde.

»Tochter«, sagte die Frau des alten Geistes, »unser Schwiegersohn kann nicht essen, was wir essen, denn er ist nicht daran gewöhnt!«

»Ja«, erwiderte jene, »ich werde ihm schon andere Speise besorgen!«

Darauf griff sie durch ein Seitenloch in der Hütte in den See, nahm einen schönen Weißfisch heraus und kochte ihn. Sie fing ihm alle Fische, die er gern aß und besorgte auch alles Wildbret, das er wünschte.

Eines Tages sagte der alte Geist zu Wassamo: »Schwiegersohn, du musst dich nicht darüber wundern, dass du uns während deines Hierseins nie schlafen sahst. Es ist jetzt nämlich Sommer und während dieser Zeit ist es beständig Tag bei uns. Bald aber wird es Winter und dann werden wir die ganze Zeit schlafen. Verlasse alsdann die Hütte nicht. Alles, was du brauchst, wirst du hier finden.«

Wassamo versprach, seinem Rat zu folgen.

Kurz darauf donnerte es und alle Geister verließen auf einmal die Hütte. Sobald jedoch das Gewitter vorbei war, kamen sie wieder zurück.

»Oben wohnt ein großer, mächtiger Geist«, sagte der Alte, »derselbe macht Donner und Blitz. Wir fürchten uns vor ihm und verstecken uns jedes Mal, sobald er sich hören lässt!«

Die Zeit des Winterschlafes brach an und ein Geist legte sich nach dem anderen nieder und schlief ein. Wassamo unterhielt sich so gut, wie es unter den Umständen möglich war. Seine Verwandten standen während des ganzen Winters nur einmal auf und dann sagten sie, es sei Mitternacht und legten sich auf die andere Seite.

»Schwiegersohn«, sagte der Alte, »nach einigen Tagen darfst du mit deiner Frau zu deiner Heimat gehen und deine Angehörigen besuchen. Du kannst ein ganzes Jahr lang wegbleiben, aber nach dieser Zeit erwarte ich dich bestimmt wieder hier. Wenn du vor dein Dorf kommst, so lasse deine Frau zurück, und wenn du gut aufgenommen wirst, dann schicke nach ihr. Mache dir keine Gedanken darüber, weint sie während eines Gewitters verschwindet. Währenddessen du schläfst, wird sie arbeiten. Der Weg in deine Heimat ist kurz, und wenn du dort angekommen bist, dann vergiss auch meinen Wunsch in Bezug auf den Tabak nicht.«

Bald danach reiste Wassamo mit seiner Frau ab. Sie ging voraus und führte ihn unter dem See hindurch zu den Sandbänken in der Nähe seines Dorfes. Dort ließ er sie allein.

Dem Ersten, dem Wassamo begegnete, war sein Vetter.

»O Netawis!«, rief dieser, »du kommst gerade noch zur rechten Zeit, um mein Leben zu retten, denn man hat mich angeklagt, dass ich dich ermordet habe!«

Sogleich gingen beide zu den Eltern Wassamos, und nachdem der Wiedergefundene seine Erlebnisse erzählt hatte, gingen die Frauen hinaus vor das Dorf und holten das fremde Weib. Sie taten ihr alles zu Gefallen und waren ganz erstaunt über ihre weiße Hautfarbe. Die Indianer veranstalteten ein großes Fest und opferten dem Geist der Dünen ganze Haufen Tabak.

Als es Winter wurde, musste Wassamo seiner Frau einen besonderen Schlafplatz herrichten und ihr versprechen, darauf zu sehen, dass niemand in ihre Nähe käme.

Sobald der Frühling kam, erwachte sie wieder, verrichtete ihre häuslichen Arbeiten und half Zucker bereiten.

Nun bereiteten sich die Indianer auf einen Jagdzug vor und schleppten eine Masse Tabak herbei, um ihn dem Schwiegervater Wassamos zu opfern, damit er ihnen Glück und ein langes Leben beschere. Der Tabak wurde in zwei große Säcke von Hirschhaut getan und Wassamo zur Weiterbeförderung übergeben.

Dieser nahm darauf von seinen Bekannten Abschied und begab sich mit seiner Frau auf die Reise zu seinem Schwiegervater. Nur Netawis begleitete ihn, denn er wünschte ebenfalls zu dem Geisterreich zu gehen. Doch Wassamo erklärte ihm, dass dies von den Geistern abhinge, die ihn vorher mit den nötigen Eigenschaften beschenken müssten. Darauf nahmen sie zärtlichen Abschied voneinander.

Der alte Geist freute sich ungemein, seinen Schwiegersohn mit seiner Frau wieder wohlbehalten bei sich zu sehen. Sie gaben ihm den Tabak und teilten ihm die Wünsche der Geber mit, worauf er erwiderte, dass er sich die Sache überlegen, zuerst aber alle seine Freunde einladen wolle, mit ihm zu rauchen.

»Ich werde meine Geisterfreunde einladen«, sagte er, »und darunter sind einige böse Manitus, vor denen du dich in Acht nehmen musst. Besonders musst du dich vor dem hüten, der einst meine Tochter zur Frau begehrte. Wenn sie hier sind, so bleibe stets nahe bei deiner Frau sitzen, denn sonst könnte er sie von dir wegreißen!«

Gegen Mittag kamen die Geister aus allen Teilen der Welt. Als der Schutzgeist der Odawa kam, lächelte er ihn freundlich an. Als der Geist der Wasserfälle kam, entstand ein Donnern und Rauschen, dass die Hütte erbebte.

»Brüder«, Hob Wassamos Schwiegervater an, „ich habe euch eingeladen, damit ihr die schönen Sachen, welche mir die Kinder der Erde geschenkt haben, mit mir teilen könnt. Ihre Wünsche sind bescheiden; sollen wir sie ihnen gewähren? Dort steht mein Schwiegersohn; er ist ein Sterblicher, doch ich wünsche, dass wir ihn in unsere Gemeinschaft aufnehmen!«

»Ja!«, schrien die Geister einstimmig, und jeder ließ sich seinen Anteil Tabak geben. Als der Geist der Inseln an Wassamo vorbeiging, sah er ihn grimmig an.

»Es wird ihm doch zu schwer, seinen Zorn zu verbergen«, meinte der Schutzgeist der Odawa.

Als die Geister wieder fort waren, sprach der Alte zu Wassamo: »Geh mit deiner Frau noch einmal zu deinen Leuten und sage ihnen, dass ich ihre Gebete erhört habe. Bleibe aber nicht lange.«

Wassamo tat so. »Ich nehme jetzt Abschied auf immer«, sagte er zu seinen Bekannten, und diese begleiteten ihn dann zu den Dünen. Dort setzten sie sich hin und Wassamo watete mit seiner Frau ins Wasser. Zuletzt schlossen sich die Wellen über ihnen. Ihre Freunde weinten, und als sie noch einmal zu der Stelle blickten, wo sie verschwunden waren, sahen sie eine rote Flamme aus dem Wasser hervorschießen.

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