Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Hexengeschichten – Das Kornseil und die drei Hunde – Kapitel 5

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Das Kornseil und die drei Hunde
Nach Aktenstücken des Sennebergischen Gesamtarchivs

5

»Ist das nicht um toll zu werden?«, fragte Nicolaus Siebenfreund seinen Bruder und die Beisitzer. Sind wir nun klug aus der Geschichte oder geht es uns wie den Ochsen am Berge? Die beiden Alten haben alles geleugnet, haben gesagt, ihr Junge sei ein nichtsnutzer Windbeutel und Lügensack, der immer allerlei verruchte Märlein ausspintisiere, und mir scheint, dass sie ganz recht haben!«

»Was meinen die Herren, was für ein Urteil da zu fällen ist?«

»Meo voto«, hub der erste Zentschöffe Valentin Ziegler an, ein gar verständiger Mann, »so sage ich dieses: Wozu besteht in Jena der Kurfürstlich sächsische Schöppenstuhl mit seinen hochgelehrten Doctoribus? Dazu, dass er, benamseter hoher Schöppenstuhl, das Rechte finde und judiziere. Wäre daher dorthin Bericht von der ganzen Sache samt Actis zu senden, und bis Antwort angelangt, diese ganze Angelegenheit ruhen zu lassen, die eingezogenen Malefikanten aber einstweilen in leidlichem Gewahrsam zu behalten, was maßen wir ohnehin alle Hände voll in Meiningen zu tun haben, mit dem Hexengeschmeiß so schon länger sitzt, als da sind die fünf bösen Weiberleut’ von Walldorf und die alte Barchfelderin, Barbara, Görgen Wölferlings Weib, die vorneweg torquiert, condemniert und justifiziert werden müssen. Dixi!«

»Meo voto«, nahm nun der zweite Zentschöffe, Michael Schott, das Wort, »so stimme ich dem Votum meines hochverehrten Herrn Kollegen und Freundes vollkommen und bis auf das Jota bei.«

Und so wurde, da auch die General-Zentrichter diesen Weg für den allerbequemsten erkannten, beschlossen, genauen Bericht zu erstatten und diesen nebst allen Akten und Protokollen, deren jedoch sehr wenige waren, zum Spruch an den berühmten Schöppenstuhl zu Jena einzusenden.

Ehe noch behufs der Absendung die Reinschrift der Protokolle vollendet war, spielte die alte Anna Ehrhard dem Gericht einen argen Possen. Sie starb unversehens, wahrscheinlich aus Angst, und es war durchaus kein Bekenntnis von ihr zu erlangen. Ihr gefangener Mann trug den Verlust mit männlicher Ruhe, doch erbat er sich als eine Gnade, dass einige Freunde zu ihm gelassen würden, ihn zu trösten, auch wolle er Anordnungen über sein Hauswesen treffen, und es kamen Claus Walter, sein Gevatter, und Balthasar Landgraf, um mit ihm zu reden. Dem Ersteren sagte Kurt Ehrhard, er möge sich, wenn es mit ihm schief gehe, des Knaben, seines Paten, annehmen, obwohl dieser keine Fürsorge der väterlichen Liebe um ihn verdiene. Er hoffe zu Gott, man werde den Unverstand eines zehnjährigen Kindes ansehen, auf dessen Zeugnis kein Gewicht legen und ihn nicht richten.

Für Balthasar Landgraf hatte Kurt Ehrhard einen anderen Auftrag. »Wenn schon Gott dem Allmächtigen meine Schuldlosigkeit bekannt ist«, sagte er, »so will ich doch noch nach einem Mittel streben, sie desto mehr zu beweisen. Tue mir daher die Liebe und gehe nach Eckweisbach zum weisen Mann, gib ihm dieses Geld und bitte ihn, in den Kristall zu schauen, ob ich ein Milchdieb sei oder keiner. Sag ihm auch, er soll seiner Kunst gebrauchen so viel wie möglich, dass ich loskomme aus der Haft, denn mir ist bange vor der Marter, und ich will das Heilige Abendmahl darauf nehmen, dass mein armes Weib an der Angst gestorben und dahin gefahren ist in ihren Sünden.«

Balthasar Landgraf war ein getreuer Freund. Er zog von dannen den weiten Weg, über Helmershausen nach Wohlmuthausen und dann nach Erbenhausen, ins Rhöngebirge, über Hilters und Harbach und bis Eckweisbach zum weisen Mann und richtete seine Botschaft aus.

Der weise Mann strich zunächst das Geld ein, ging in seine Kammer, um in seinen vorgeblichen Kristall zu sehen, welcher genau die Form eines Schnapsglases hatte, trank einen derben Schlurf oder zwei gebrannten Wassers, kam dann wieder und sprach ganz inspiriert: »Gehe heim als ein guter Bote! Es wird sich alles wohl schicken. Kurt Ehrhard ist kein Milchdieb und Meister Wahl zu Dreißigacker bekommt ihn nicht unter die Hände. Dagegen werde ich sicher mein Bestes tun.«

Ehrhards Bote ging getröstet heim, erzählte die frohe Mär jedem, der sie wissen wollte, sodass sie sehr bald auch dem Schulzen Lukas Vogt zu Ohren kam, der alsbald den guten Balthasar Landgraf zu sich entbieten ließ, ihn gehörig ausschalt, dass er sich zu solchen Gängen habe brauchen lassen und ihn alles auf das Genaueste abfragte. Sobald der Schulze seinen Bericht an das General-Zentgericht erstattet hatte, wurde Kurt noch einmal verhört und ihm diese Sendung vorgehalten. Er leugnete sie nicht, und so wurde im Bericht über ihn an den Schöppenstuhl auch dieses Indizium, dass der Gefangene nicht frei sei von anrüchiger Genossenschaft und Teufelskünsten, mit aufgenommen und ein erschwerend Gewicht darauf gelegt.

 

Neugierig saßen die Herren des Zentgerichtes in ihrem Sitzungssaal. Vor ihnen lag gehörig gesiegelt und gefaltet das Schreiben des Schöppenstuhles mit der Aufschrift:

Dem Erbaren
vund Namhafften Nicla Siebenfreundt,
Chur- vund Frstl. General-Centrichter
vund Ambts-Kellern zu Meiningen,Vnsern gutem Freunde.

Ehe noch Nicolaus Siebenfreund das Oblatensiegel dieses wichtigen Schreibens, darstellend eine Justitia in sehr schwankender Körperhaltung, in der Linken eine schwankende Wage und in der Rechten ein schräg geneigtes Zepter tragend, sodass eigentlich so recht alles schief an diesem symbolischen Siegelbild erschien, regelrecht eröffnet, beeilte er sich, es über der Aufschrift zu bezeichnen: präsent. den 27. May 1611, und war diese Vorsicht eine sehr heilsame, denn innen auf dem ganz vollgeschriebenen Briefbogen stand nirgend ein Datum. Es glich vielmehr die gefällte Sentenz jenen fliegenden Blättlein, welche die Bezeichnung haben: Gedruckt in diesem Jahr.

Zentrichter und Schöffen samt den Registratoren Hieronymus Ströhlein, Moritz Steuerlein und Herbertus Schulz, waren höchst gespannt auf das Urteil und die Verfügung des hochweisen Schöppenstuhls. Nicolaus Siebenfreund klemmte sich die Brille auf die Nase und las vor wie folgt; Nota bene, wie folgt ohne die alte Rechtschreibung und ohne die überflüssigen Kanzleischnörkel des ersten Viertels vom 17. Jahrhundert:

Unsere freundliche Dienste bevor. Ehrbarer namhafter guter Freund, als ihr uns berichtet, wie der Schultes zu Bettenhausen einen Mann mit Namen Curt Ehrhard in gefängliche Verhaftung nehmen lassen, sintemal derselbe nicht allein etliche Jahre her in großem Verdacht Zauberei haben gehalten worden, als wann er und sein Weib den Nachbarn ihrem Vieh vielfältigen Schaden zufügten und sie (nämlich die Nachbarn) weder Butter noch Käs machen könnten, auch das Vieh wohl gar sterbeten, sondern sich auch solcher Verdacht dahero sehr stark vermehret, dass sein, Curt Ehrhards Büblein von zehn Jahren viel und desöfteren gegen andere seiner Gesellen oder Rossjungen an der Weide und sonsten hören und vernehmen lassen, sein Vater hätte drei schwarze Hunde angebunden, dieselben wie auch ein Ochs brächten ihm die Wochen über ein- oder zweimal Geld; hätte auch ein Seil angebunden, wenn sein Vater, Mutter oder er daran zucke, so bekämen sie bei einer halben Metzen Korn, und trieben es des Tages viermal an, in Massen aus abgehörter uns zugesandter Zeugenaussage nach der Länge zu vernehmen. Ob nun wohl ihm, Ehrharden, der Zeugen Aussage unter der gefänglichen Verhaft vorgehalten, daneben stark erinnert worden, die Wahrheit zu sagen und zu bekennen, so hätte er doch alles widersprochen, außer des letzten Zeugen Bartholomäus Landgrafens Aussage, so er gestanden, als dass er ihm unter währender Verhaftung mit 1 Gulden nach Eckweisbach zum weißen Mann geschickt und denselben bitten lassen, im Kristall danach zu sehen, ob er ein Milchdieb sei, ferner alles zu gebrauchen, damit er davon käme. Auch dass sein Bruder, Cunz Ehrhard, vor acht Jahren, als dessen Weib Hexerei halber eingezogen worden, Zauberei wegen in die Flucht geraten und noch darinnen, und ihm, Ehrharden, seinem Bruder unter solcher Flucht gelehrt, er solle einen Pflugringken übers Korn hängen, so würde er Korn genug kriegen — als habt ihr, ob er nicht mit scharfer Frage zu gründlicher Erforschung der Wahrheit anzugreifen, unsere Rechtsbelehrung erbeten. Demnach sprechen wir vor Recht: Aus der Zeugen Aussage und eurem Bericht allenthalben ist so viel zu befinden, dass mehrgedachter Curt Ehrhard aus denen wider ihn streitenden Vermutungen mit der Peinlichkeit billig, jedoch ziemlicherermaßen anzugreifen, auf die verneinten Punkte eigentlich zu fragen und seine Aussage mit Fleiß aufzuschreiben. Ergeht alsdann auf seine Urgicht der Strafe halben oder sonsten, was recht ist, von Rechtswegen. Urkundlichen mit unserem Insiegel besiegelt

Verordnete Dechant und andere Doctores des Schöppenstuhls zu Jena.

»Wohl zu merken«, nahm Wolfgang Siebenfreund das Wort: »billig, jedoch ziemlichermaßen! Darin scheint mir eine Doppelsinnigkeit zu liegen. Sollte nicht der Schreiber das Wörtlein wie vergessen haben und zu lesen sein wie billig, ziemlichermaßen, das heißt gehörig und tüchtig?«

»Ich vermeine«, sprach dagegen Nicolaus Siebenfreund, »es wolle und solle dieses letztere Wort nicht ausdrücken stark und tüchtig, sondern das erstere Wort billig nur erläutern, also so billig, wie sich ziemt.«

»Wie ziemt es sich denn aber anders als mit aller Stärke bei einem so verstockten Leugner seiner Untaten?«, warf der Zentschöffe Michael Schott die Frage auf. Nachdem man sich eine ziemliche Weile über die Deutung dieses Passus herumgestritten, kam man dahin überein, dem Meister Wahl, als einem Verständigen seines Gewerbes, es zu überlassen, in welcher Weise er aus dem verstockten Gefangenen die reine Wahrheit und ein aufrichtiges Bekenntnis heraus bringen könne.

Meister Wahl zu Dreißigacker war ein prächtiger Mann. Den kleinen Michel Alt hatte er glücklich wieder hergestellt, der Junge starb nicht, so wurde des kleinen Claus Ehrhard Wahrsagekunst zu schanden, denn da sie nicht eingetroffen war, auch nicht wahrscheinlich war, dass sie eintreffe, so konnte der Knabe auch nicht als Wahrsager bestraft werden, sondern höchstens als Lugsager.

Zum alten Ehrhard sagte Meister Wahl, indem er ihm die Sammlung seiner Instrumente zeigte, die Stricke, die Haarseile, die Kloben, die Tulpe, die Leiter, die Weife, den gespickten Hasen, den Brennkolben, die spanischen Waden und Sonstiges: »Siehst du, Kurt, mit all diesem Zeug muss ich dich martern, wenn du nicht ganz freiwillig ein offenes und ehrliches Bekenntnis ablegst, und das sollte mir leid tun, denn ich habe keine Freude daran, dass ich die Menschen martern muss.«

»Komm, gib mir einmal deinen Finger!«

Kaum hatte Meister Wahl den Finger Kurts in seiner Hand, so hielt er ihn eisenfest, legte eine Daumschraube daran, und in diesem Augenblick tat Kurt einen überlauten Schrei.

»Schmeckst du was?«, fragte Meister Wahl, indem er die Daumschraube wieder losließ, mit Lächeln: »Ja siehe, mein guter Kurt, das ist nur der Vorschmack. Schau einmal diese Birne an, die schmeckt noch besser und hilft gegen das Schreien, denn ich stopfe sie dir ins Maul.« Dabei zeigte Meister Wahl dem Gefangenen das schreckliche eiserne Instrument in Birnenform und ließ es vor Kurts Augen federnd auseinanderspringen, sodass schon beim Gedanken, dass die Gewalt dieser Federn in seinem Mund sich ausdehnen würde, könnte und sollte, Kurt den Angstschweiß auf die Stirn trieb.

»Sei kein Narr, Kurt, und gestehe! Was willst du dich erst lange martern lassen? In der Marter gestehst du doch und hast nicht mehr davon als so, außer den entsetzlichsten Schmerzen!«, ermahnte Meister Wahl liebreich seinen Gefangenen.

»Aber was soll ich denn gestehen? Ich habe ja bei Gott im Himmel nichts verbrochen. Das bisschen Sympathie mit dem Pflugring kann doch nicht so ein himmelschreiendes Verbrechen sein? Man kuriert auch Krankheiten mit der Sympathie!«, rief Kurt klagend aus.

»Was geht das mich an, Kurt?«, fragte Meister Wahl. »Mach es kurz, du weißt, meine Zeit ist edel. Lass mich den Herren sagen, du wollest ein reumütiges freiwilliges Geständnis ablegen, und da gestehst du, was sie dich fragen, hörst du? Oder aber – komm her, versuch einmal, Kurt, wie diese Birne schmeckt!«

»Lass mich! Um Gotteswillen lass mich! Ich will alles gestehen!«, schrie Kurt.

»Ich wusste es gleich, dass du ein vernünftiger Mann bist«, sagte Meister Wahl und verließ den Gefangenen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert