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Nick Carter – Zur Strecke gebracht – Kapitel 2

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Zur Strecke gebracht
Ein Detektivroman

Ein merkwürdiger Piano-Transport

Das Eckhaus am Central Park West und 78th Street war einer jener modernen Mietspaläste, in welchen nur die besser situierten Klassen der Gesellschaft wohnen können, die eine übertrieben hohe Miete zu zahlen vermögen.

Es war um die Mittagsstunde, als der Lieferwagen eines der großen Warenhäuser vor dem Haus anhielt und der noch jugendliche Angestellte in brauner Uniform, auf dem Kopf die steife Wachstuchmütze mit der am Vorderrand in Messingbuchstaben befestigten Geschäftsfirma, ein Paket in den Händen, eilfertig ins Haus trat. Er warf einen Blick in die Loge des Hausmeisters, fand dieselbe jedoch leer. Auch der Personenfahrstuhl befand sich augenblicklich oben im Haus. Nach kurzem Besinnen benutzte er die zu den oberen Stockwerken führende weiße Marmortreppe, über welche ein breiter roter Läufer gelegt war.

Im zweiten Stockwerk angelangt, blieb der Bote unschlüssig wieder stehen und musterte die drei Eingangstüren, welche in ebenso viele Wohnung führen mochten.

Eben kam der Fahrstuhl langsam niedergeglitten. Der farbige Diener darin hielt an, als er den suchend Umherblickenden gewahrte.

»Well, Sir?«, meinte er fragend.

»Das ist ein Paket C.O.D. für eine Mrs. Coshipska … Well, ich kann den Namen nicht lesen … sie soll hier im Haus wohnen. Ich habe fünfundsiebzig Dollar für das Paket einzukassieren …«

Der Fahrstuhlbeamte war auf den Korridor hinausgetreten und beugte sich nun über die Adresse. »Diese Lady wohnt nicht hier«, stellte er fest. »Vielleicht Gräfin Chapska … dort die Tür rechts.«

»Immer die verda… ausländischen Namen!«, brummte der Liefermann. »Man hat nichts als Scherereien damit!«

Er ging auf die betreffende Tür zu und klingelte, während der Diener mit dem Fahrstuhl seine Fahrt fortsetzte.

Eine lange Weile musste der Einlass Begehrende warten. Endlich hörte er leichte Schritte, vorsichtig wurde die Korridortür ebenso weit geöffnet, als die drinnen vorgelegte Sicherheitskette es gestattete. Das frische Gesicht eines Dienstmädchens kam zum Vorschein.

»Ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin … ein Wertpaket vom Big Store, kostet 75 Dollar, Miss.«

Neugierig schielte das Mädchen auf die vorgehaltene Adresse. »Ich glaube nicht, dass dies für meine Gräfin ist«, bemerkte sie schnippisch. »Warten Sie einen Augenblick, ich will fragen.«

Damit schlug sie die Tür zu. Einige Minuten vergingen, dann rief das Mädchen von innen, ohne erst die Tür wieder zu öffnen: »Nein, es ist nichts bestellt.«

»Well, wissen Sie nicht vielleicht, wo so eine Lady hier im Haus wohnt?«, erkundigte sich der Bote durch das Schlüsselloch. Doch er wartete vergeblich auf eine Antwort und entfernte sich schließlich unverrichteter Dinge.

Unten in der Halle traf er nun den Hausmeister in dessen Loge. Dieser nahm das Paket zur Hand und betrachtete kopfschüttelnd die Adresse. »Wenn es nicht Gräfin Chapska ist, dann weiß ich auch nicht«, meinte er achselzuckend und gab das Paket zurück.

Der Bote machte einen Bleistiftvermerk darauf. »Eine unangenehme Geschichte«, bemerkte er seufzend. »Da gibt es wieder einen Anschnauzer im Geschäft. Ja, Mister, wer es so gut hätte wie Sie … hübsch in der feinen Halle hier im Warmen sitzen dürfen. Unsereiner läuft sich die Beine ab.«

Der Hausmeister winkte verdrossen ab. »Sie schwatzen, wie Sie es verstehen«, brummte er. »Die verd… Gesellschaft bei der Gräfin hielt mich wieder bis um vier Uhr morgens wach … und um sieben Uhr muss man wieder auf dem Posten sein.«

Der Liefermann schaute sich interessiert um. »Feines Haus … auch feine Mieter, eh? … Da gibt es manchen Dollar in die hohle Hand.«

Der Gefragte lachte ärgerlich auf. »Ich kann Ihnen nur sagen … hätten wir lauter solche Mieter wie die Dame mit dem polnischen Namen, ich liefe davon. Keine Ruhe bei Tag und Nacht, aber vielleicht mal ein Trinkgeld? Gott bewahre … Heute Nacht waren an die zwanzig Gentlemen oben, ganz was Feines – doch der Goldthwart, der pomadisierte Kammerdiener, der schwänzelte um einen jeden und kriegte die Trinkgelder … an die fünfzig Dollar hat er wieder gemacht, der Lump!«

In dem wie aus Erz gemeißelten Gesicht des Geschäftsboten zuckte kein Muskel. »All right«, meinte er. »Wären wir an seiner Stelle, wir machten es nicht anders.« Er unterbrach sich, veranlasst durch einen Wink des Hausmeisters, der schweigend mit den Augen zu einer der hohen Glastüren zwinkerte, welche von der Straße aus in den mit Kübelpflanzen verschwenderisch dekorierten Hausflur führten.

Der Liefermann sah einen Mann in die Halle eintreten; glatt rasiert, schwarzgekleidet. Er nickte dem Hausmeister kurz zu, ohne ihn anzublicken, trat in den Fahrstuhl und ließ sich hinauffahren.

»Well, wenn man vom Wolf spricht, kommt er«, meinte der Hausmeister. »Damned, dieser Goldthwart … ein unausstehlich hochnäsiger Patron … nun, was gibt es?«, unterbrach er sich, den wieder zurückgekehrten und auf ihn zutretenden Fahrstuhldiener anblickend.

»Well, Mistah«, berichtete der Liftboy. »Es kommt ein Piano, sagt Mistah Goldthwart … vielleicht in einer Stunde … man soll ihn benachrichtigen, wenn es soweit ist. Er will den Transport beaufsichtigen.«

»Dachte ich es mir doch … der alte Hamster will wahrscheinlich wieder ein Trinkgeld fangen«, wendete sich der Hausmeister an den Liefermann. Doch der ging eben aus der Tür, und man konnte ihn gerade noch auf den Geschäftswagen, der sich schnell wieder in Bewegung setzte, springen sehen.

Brummig ließ sich der Hausmeister hinter seinem Pult nieder. Er hätte vielleicht interessiert zugehört, wäre er imstande gewesen, das Gespräch zu belauschen, welches just zur selben Minute zwischen dem Kutscher und dem Boten des Lieferwagens, die auf dessen Bock nebeneinander saßen, stattfand.

»Schnell, Chick, wir müssen in aller Geschwindigkeit einen Transportwagen mit einem Klavier darin auftreiben«, raunte der Liefermann, der kein anderer als Nick Carter in gut gewählter Verkleidung war, während sich hinter dem vermeintlichen Kutscher sein geschicktester Mitarbeiter Chickering Carter verbarg. »Ich glaube, eine Möglichkeit zu sehen, uns dieses Goldthwart ohne Aufsehen zu bemächtigen … Ich sah den Burschen nur vorübergehend, doch ich vermeinte ihn wiederzuerkennen … Erinnerst du dich, als wir Morris Carruthers im Haus der Inez Navarro an der 75th Street festnahmen? … Da war ein Kerl, der Patsy mit dem Revolver in Schach hielt … Er hat sich seither glattrasiert, doch den mexikanischen Typus vermag er nicht zu verleugnen – kurzum, der gegenwärtige Goldthwart ist mit jenem Mann identisch.«

»Nun, dann wissen wir auch, wer hinter dieser Polengräfin steckt«, bemerkte Chick, auf die Pferde einpeitschend. »Keine andere als Inez Navarro.«

»Ganz gewiss.«

»Warum nimmst du sie nicht sofort fest?«, drängte Chick kopfschüttelnd.

»Das ist doch nicht dein Ernst?«, entgegnete der Detektiv kurz. »Ich weiß noch so gut wie nichts … Unsere Feinde sind gerieben, sie sind auch auf ihrer Hut … Und wir müssen das verbrecherische Paar gemeinsam zur Strecke bringen. In ihre Wohnung eindringen, hieße sie warnen, nichts anderes, denn du kannst dir doch denken, dass sie sich auch auf einen derartigen Zwischenfall vorbereitet haben und ihm zu begegnen wissen wird. Nichts da!«, entschied er. »Es handelt sich darum, die Höhle zu umstellen und das Wild auszuräuchern.«

Während sie eilig zum Leihstall fuhren, aus welchem Nick Carter den Geschäftswagen entliehen hatte, entwickelte er seinem gespannt lauschenden Gefährten den bereits in ihm zur Reife gelangten Plan, der mit Goldthwarts Verhaftung enden sollte.

 

*

 

Noch nicht eine Stunde war vergangen, so hielt vor dem eleganten Apartmenthaus eines jener Moving Vans genannten Transportfuhrwerke, wie sie in New York zur Fortschaffung von Pianos, Kassenschränken und dergleichen mehr verwendet werden. Unmittelbar dahinter kam ein geschlossener Mietwagen, der sich an der anderen Straßenecke derart aufstellte, dass er von den Fenstern des Eckgebäudes aus nicht wahrgenommen werden konnte.

Vier Männer in Arbeiterkleidung sprangen von dem Transportwagen ab und traten breitspurig in die Halle. Der Kutscher wendete sich unschlüssig zu der Loge des Hausmeisters.

Dieser blickte unwillig auf. Keine Ahnung sagte ihm, dass sich der Mann im blauen Arbeitskittel erst vor kurzer Zeit als Liefermann mit ihm unterhalten hatte.

»Piano für Mrs. Gräfin – damned, ich kann den anderen Namen nicht lesen«, brummte der Kutscher, indem er unbeholfen auf einen Zettel in seiner Hand schaute.

»Gräfin Chapska vermutlich«, meinte der Hausmeister, »zweiter Floor. Dort, nehmt den Elevator. Heda«, rief er, sich halb vom Stuhl erhebend, als die vier vermeintlichen Arbeiter gemeinsam in der Richtung zu dem Fahrstuhl marschierten.

»Einer ist genug, die anderen bleiben unten.«

»Nein, Mister«, entgegnete der Kutscher. »Meine Leute müssen den Platz sehen, wohin das Instrument kommt … Es ist ein gutes Instrument, und wir müssen vorsichtig damit umgehen.«

Der Hausmeister machte keine weiteren Einwendungen, und die vier Männer ließen sich zu dem bezeichneten Stockwerk hinauffahren.

Kaum hatte Nick Carter – denn natürlich war er der Kutscher – die Korridorklingel in Bewegung gesetzt, als auch schon das Mädchen von vorhin wieder öffnete. Der Anblick der vier Männer schien sie nicht zu überraschen. Sie hängte die Sicherheitskette aus und ließ es geschehen, dass der Kutscher und dessen Begleiter in den Privatkorridor traten.

»Sie bringen das Klavier?«, fragte sie kurz.

»Ein Piano für Gräfin Chapska – es ist aber noch etwas zu bezahlen.«

»Das weiß ich nicht. Warten Sie hier einen Augenblick, bis Goldthwart kommt. Er ist im Speisezimmer bei unserer Lady, es ist gerade Dinner.«

Eben öffnete sich eine Tür zur Linken, und die dem Detektiv bereits sattsam bekannte Gestalt Goldthwarts erschien im Korridor. Er trug ein silbernes Tablett mit abgeräumtem Tischgeschirr darauf in den Händen. Er warf einen forschenden Blick auf die vier vermeintlichen Arbeiter und stutzte.

»Well, es sind die Leute mit dem Instrument«, wendete sich das Mädchen an ihn. Damit entfernte sie sich durch eine andere Tür und ließ die Männer allein.

Im selben Moment veränderte sich auch schon das Bild. Mit einem Satz war Nick Carter bei Goldthwart, und während diesem Chick das Tablett aus den zitternden Händen nahm, presste der Detektiv die Mündung seines Revolvers gegen die Schläfe des jäh sich Verfärbenden.

»Kein Laut – oder ich knalle dich wie einen Hund nieder!«, flüsterte er. »Wir kennen uns, Mr. Pancho – nicht wahr?«

Der sich entlarvt Sehende wollte trotz der gegen seinen Kopf gerichteten Waffe schreien. Doch im selben Moment, als er die Lippen öffnete, fuhr ihm schon ein bereit gehaltener Mundknebel zwischen die Lippen, und mit großer Geschicklichkeit hatte Patsy, der zweite Gehilfe des großen Detektivs, die Hände des Gefangenen auf den Rücken zusammengeschlossen.

»Vorwärts!«, befahl Nick Carter. Zugleich packte er mit eisernem Griff den völlig Bestürzten bei den Armen und hob ihn hoch. Chick und Ten Itchi, Letzterer ebenfalls ein langjähriger Mitarbeiter Nick Carters, folgten seinem Beispiel. Damit trugen sie auch schon den wehrlosen, vergeblich sich sträubenden Gefangenen aus dem Korridor und drückten die Eingangstür hinter sich ins Schloss.

Der ganze Vorgang hatte kaum eine Minute beansprucht, und die Verhaftung war so geräuschlos vor sich gegangen, dass von den Insassen der Wohnung niemand auch nur das Geringste von dem ganzen Zwischenfall hatte wahrnehmen können.

In der Halle unten sperrten sowohl der Fahrstuhldiener als auch der Hausmeister Mund und Nase auf, als sie die vier vermeintlichen Arbeiter mit Goldthwart als Gefangenem an sich vorüberschreiten sahen.

»Aber was soll das – ich begreife nicht«, stammelte der Hausmeister.

»Das ist gar nicht nötig«, wisperte Nick Carter, der einen Moment zurückblieb, während seine Gehilfen den Gefangenen eilig zu dem draußen harrenden Wagen führten. »Es wird gut sein, mein Lieber, halten Sie reinen Mund zu jedermann, verstanden? Es könnte sich sonst um Ihre Stellung handeln. Nur aus Rücksicht auf dieses Haus und dessen vornehmen Ruf gehen wir so geräuschlos vor.«

Eben kam Chick zurück. Auf ihn deutete der Detektiv.

»Mein Freund hier wird Ihnen alles Nähere erklären und bis zu meiner Rückkehr hier bei Ihnen bleiben. Wir handeln im Auftrag der Kriminalzentrale. Das mag Ihnen genügen.«

Als Nick Carter die Kutsche erreichte, saßen seine zwei Gehilfen mit dem Gefangenen bereits darin. Der Kutscher hatte zuvor schon Befehl erhalten, zum Polizeihauptquartier in der Mulberry Street zu fahren. Nun gab Nick Carter einem plötzlich auftauchenden Gedanken nach und flüsterte: »Zum Bellevue Hospital – aber schnell!«

Dann sprang auch er in den Wagen und schloss den Verschlag, während das Fuhrwerk sich in beschleunigte Bewegung setzte.

So rasch und unauffällig sich der gesamte Vorgang auch abgespielt hatte, so war er dennoch nicht ohne Zeugen geblieben. Von Nick Carter und dessen Gehilfen unbeobachtet, hatte sich eines der Fenster im zweiten Stockwerk des vornehmen Apartmenthauses unmerklich geöffnet. Der Kopf einer schönen, jungen Dame mit stolzen, energisch geformten Zügen tauchte sekundenlang auf, um ebenso schnell wieder zu verschwinden.

Nick Carter hatte einen seiner blitzschnellen Entschlüsse gefasst, welche hauptsächlich zu seinen wunderbaren Erfolgen beitrugen. Vielleicht lebte der so schwer Verwundete noch, durch dessen kaum verständliches Gemurmel zuerst ein bestimmter Verdacht in dem Detektiv erregt worden war. Vielleicht vermochte er sogar in der Person des ihm gegenüber Gestellten seinen Mörder zu erkennen!

Mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete Nick während der Fahrt den Gefangenen. Wohl hatte er diesem den birnenförmigen Mundknebel wieder aus dem Mund entfernt. Doch umsonst versuchte er, auf seine unausgesetzten Fragen irgendwelche Auskunft zu erlangen.

Nach einer langen Fahrt hielt der Wagen, und der Detektiv nötigte den Gefangenen zum Aussteigen.

»Das ist doch nicht das Polizeihauptquartier?«, knurrte dieser, während bange Scheu in seinem aalglatten Gesicht aufstieg.

»Well, Mr. Pancho – oder wie Sie sonst heißen mögen … das gehört zu meinem Geschäft, und Sie haben nur zu gehorchen, verstanden?«, entgegnete Nick Carter lächelnd, indem er den Widerstrebenden beim Arm packte und kräftig voranschob.

Patsy und Ten Itchi übernahmen auf einen Wink ihres Meisters den Gefangenen. Der Detektiv selbst eilte voraus, um den wachhabenden Arzt in dessen Büro von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen.

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