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Der Lugennatzl von Lugenhausen Teil 8

Der Lugennatzl von Lugenhausen
und seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser als Schuhkünstler, Kammerdiener, Kindsmagd, Kindervergrößerer, Windmacher, Riesenkatzenfabrikant, Mastbaumausreißer, Meerkropfbesitzer, Robinson auf einer lebendigen Insel, Luftfahrer nach Schlaraffia und Entdecker des sechsten Weltteiles, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, usw.

Natzl in Schlaraffia

Nun sah ich, dass diese Kugel ein Luftballon war. Ich hörte zu meiner größten Verwunderung durch ein Sprachrohr meinen Namen rufen. Ein weißes Tuch winkte mir, ein Seil flog herab, das ich an einem Baumstamm befestigte, und der Luftballon erreichte den Boden. Wer stieg aus? Herr Windson, der erste Reisende jener Weinhandlung in Bordeaux, die dem Lord Astley in London die Weine lieferte, während ich bei ihm in Diensten war, bei welcher Gelegenheit ich mit Herrn Windson persönlich bekannt wurde.

»Tausendmal willkommen, Herr Windson!«, rief ich ihm zu und schüttelte ihm die Hand, als er nur noch 30 Fuß über mir schwebte, »Ihre unvermutete Ankunft rettet mir das Leben!«

»Ich bin höchst erfreut, so zufällig zu Ihnen zu kommen. Ich erkannte Sie durch mein Fernrohr in dem Augenblick, als Sie zu Boden sanken und eilte Ihnen zu Hilfe. Da ist Speise und Trank, nur schnell zugegriffen!«

Ich stach eine Flasche Champagner aus und verzehrte ein gebratenes Huhn, worauf mir bedeutend besser wurde.

»Welchem Zufall verdanke ich Ihre Ankunft auf dieser Insel?«, fragte ich.

»Ich komme in jedem Jahr in diese Gegend auf meiner Luftfahrt um die Erde, in der Absicht, in den entferntesten Gegenden derselben Weinproben zu hinterlassen und Bestellungen für mein Haus zu machen.«

»Allen Respekt! Das nenne ich Unternehmungsgeist! Was tun sie aber in solchen Jahren, wodurch widrige Naturereignisse keine Weinlese möglich ist?«

»Ah, dann machen wir Wein ohne Trauben, wie manche Bräuer Bier ohne Hopfen und ohne Malz. Wozu würde denn sonst die Chemie studiert.«

»Ah so! Mit Erlaubnis, lebt Lord Astley noch mit Frau und Sohn?«

»Alle sind sehr wohl; der Lord hat Ihren Brief erhalten mit der Nachricht Ihrer Entführung aus London. Er war anfangs sehr besorgt um sie, tröstete sich aber mit dem Gedanken, dass Sie sich, als ein halber Zauberer, schon zu helfen wissen würden. Doch es wird bald Abend, und ich möchte noch an Ort und Stelle kommen, bevor die Nacht anbricht. Ich lade Sie ein, mit mir zu reisen.«

»Wohin?«

»Ins Schlaraffenland, wohin ich jährlich einen kleinen Abstecher mache, wenn ich in diese Gegend komme, und zwar bloß zu meinem Privatspaß, denn Geschäfte kann ich dort nicht machen, weil die Leute selbst schon alles im Überfluss haben. Ich kann mich aber nur 8 Tage lang dort aufhalten.«

»Herzlich gerne fahr ich mit Ihnen, erstens, weil ihre Gesellschaft mir äußerst angenehm ist, zweitens, weil ich hier ganz einsam und verlassen bin, und drittens, weil es mir ein außerordentliches Vergnügen gewährt, das Schlaraffenland kennen zu lernen, von dem ich schon die wunderlichsten Schilderungen gelesen habe!«

»Ich legte meine Siebensachen in die Gondel des Luftballons, die ich mit Herrn Windson bestieg. Der Luftballon schwebte majestätisch in die Luft und ließ mich nach zwei Stunden auf dem großen Marktplatz der Hauptstadt des Schlaraffenlandes auf die Erde herab.

Herr Mingo, ein alter Bekannter Windsons, führte uns sogleich voll Freuden in sein Haus, wo wir für die Zeit unsers Aufenthaltes wohnen mussten, und bewirtete uns vortrefflich. Am anderen Morgen machte er mit uns einen Spaziergang. Die Leute brauchen gar nichts zu tun, da die Natur nicht nur alle genießbaren Lebensmittel, darunter die meisten schon delikat gekocht, sondern auch alle Kleidungsstücke im fertigen Zustand hervorbringt. Nicht nur Quellen mit frischem Wasser sind reichlich zu finden, sondern auch Bäche und Flüsse von weißem und roten Weine, von Likören aller Art, und aus ihren heißen Quellen sprudeln Punsch und Glühwein. Zahmes und wildes Geflügel, lieblich duftend, wächst wie bei uns die Erdbeeren; die schönsten Forellen fischt man abgesotten aus den Teichen oder pflückt sie gebacken von den Forellenbäumen, und die Blätter des Unkrautes Plappertasch sind zierliche Porzellantassen, mit köstlichem Kaffee und Tee gefüllt. Auf den Getreidefeldern sieht man statt der Ähren die schönsten weißen Brote, die auserlesensten Konditorwaren und die Ackererde ist Schokoladenpulver. Über all diese Herrlichkeiten ließe sich ein großes dickes Buch schreiben; vielleicht tue ich dies späterhin. Natürlich haben die Einwohner gar nichts zu tun; alle haben reichen Anteil an diesen endlosen Schätzen der verschwenderischen Natur. Es gibt da keine armen Leute, mithin auch keinen Armenpflegschaftsrat. Ein Gouverneur steht an der Spitze des kleinen Staates, ist aber eigentlich nur der Tanzmeister desselben, da die Einwohner, neben anderen Unterhaltungen besonders das Tanzen leidenschaftlich lieben. Sie tanzen täglich so lange, bis sie vor Müdigkeit der Füße umfallen. Dann erst werden sie ein wenig traurig, weil sie nicht mehr tanzen können.

Schon am vierten Tag nach Befriedigung meiner Neugier war ich dieses Schlaraffenlebens überdrüssig und machte zu meiner Zerstreuung für die Frau Gouverneurin ein Paar Tanzschuhe, in denen man tanzen konnte, ohne jemals müde zu werden. Nach gemachter Probe mit denselben war die Dame so entzückt darüber, dass sie mir zehntausend Dukaten schenkte, im Grunde eine miserable Bezahlung, da es in diesem Land zur Regenzeit, die jährlich 2 Monate lang zu dauern pflegt, lauter Dukaten regnet, und zwar infolge einer besonderen Eigenschaft der goldenen Abendwolken daselbst, wo es deshalb so viele Dukaten gibt, dass die Kinder auf den Straßen damit spielen, wie bei uns mit Kieselsteinchen. Ich schenkte sogleich die Hälfte davon dem Windson für die Rettung meines Lebens auf der wüsten Insel.

Er weigerte sich nicht lange, sie anzunehmen. Am anderen Morgen, da wir eben beim Frühstück saßen, kam unser Hauswirt und sagte mit bestürzter Miene zu mir: »Ihre Kunstschuhe haben Unheil gestiftet. Alle Einwohner der Stadt wollen jetzt eben solche Tanzschuhe und haben beschlossen, sie lebenslänglich zu diesem Geschäft hier einzusperren und den Luftballon zu verbrennen, um ihre Flucht unmöglich zu machen. Sie müssen auf der Stelle abreisen, meine Freunde, und einen Weg nehmen, auf dem sie nicht verfolgt werden können, gegen Westen, wo sie ohne Zweifel in einen noch unentdeckten neuen Weltteil kommen werden, von dem uns eine schauerliche Wüste voller Ungeheuer trennt. Reisen Sie! Reisen Sie.«

Fünf Minuten später schoss der Luftballon aus einem Hofraum des Hauses wie ein Pfeil in die Höhe. Die Tanzenden schimpften uns nach wie Rohrsperlinge, ohne deswegen das Tanzen zu unterbrechen. Das kümmerte uns aber nicht, und wir flogen glücklich über die Wüste.

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