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Ritter Busso von Falkenstein – 6. Teil

Ritter Busso von Falkenstein
oder die Geheimnisse der Totengruft
Ein schauderhaftes Gemälde aus den Ritterzeiten
Verlegt durch Gottfried Basse zu Quedlinburg, 1813

Mit Adelheids Vater war er wenig bekannt. Selbiger hatte während seines Aufenthalts bei ihr eine lange Reise angetreten. Ihre Mutter, mit welcher sie damals in Bussos Nähe wohnte, war seit Kurzem gestorben. Indem der Ritter noch beratschlagte, unter welchem Vorwand er diesen Besuch abstatten wollte, wurde er einen Burgwärter gewahr. Von diesem erfuhr er unter anderen, dass der Graf von der Eulenburg im Schloss sei und daselbst zu Abend essen würde. Diese Nachricht bestimmte den Ritter, sich erst nach dessen Abreise sehen zu lassen, denn er glaubte, sich in Gegenwart seines Nebenbuhlers nicht fassen zu können. Er entfernte sich daher wieder vom Schlosstor, um in der Nähe des Schlosses zu verweilen. Beim Weggehen sah er oft zu den vergitterten Fenstern und hätte gern das Zimmer erforschen mögen, welches seine Geliebte bewohnte. Ob er sich gleich weit vom Schloss entfernt hielt, so glaubte er dennoch, wenn bisweilen die gegenüberstehenden Bäume einen Schatten warfen, eine menschliche Gestalt an den Fenstern zu sehen. Er näherte sich alsdann schnell und schmeichelte sich mit der Hoffnung, in jener Erscheinung seine geliebte Adelheid zu erblicken. Da er sich endlich zu oft getäuscht sah, meinte er, dass es irgendeine der Bedienten gewesen sei, welcher ihn vielleicht bemerkt hätte und die übrigen Bewohner des Schlosses aufmerksam auf ihn machen könnte. Er fand es daher für gut, sich ins Dickicht des Waldes zu verfügen und einen Weg aufzusuchen, welcher hinter das Schloss führte. In Betreff der Lage und Sicherheit des Schlosses hatte man bei Anlegung desselben weniger auf dessen etwa nötige Verteidigung gegen feindliche Angriffe als auf eine schöne Aussicht Rücksicht genommen. Hinter dem Schloss waren prächtige Gärten angelegt, welche eine hohe Mauer vom Wald trennte und die mit Schießscharten versehen war. An dieser Mauer ging Busso auf und ab, in der Absicht, sich bis zur Abreise des Grafen von der Eulenburg die Zeit zu vertreiben. Das Glück, welches dieser verhasste Nebenbuhler nun genoss, in Adelheids Nähe zu sein und sich mit ihr zu unterhalten, empörte sein Innerstes.

An der einen Seite der Mauer stand ein viereckiger Turm, dessen Fenster zum Wald hin gingen. Indem Busso vorbeiging, zog eine weibliche Stimme seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah empor und wurde durch ein offen stehendes Fenster in einer Stube zwei Frauenzimmer gewahr, die ihm den Rücken zuwandten.

Eine unwiderstehliche Neugierde zwang ihn, sich dem Fenster zu nähern und sie zu belauschen. Er vernahm deutlich, dass die eben Sprechende sich alle Mühe gab, die andere, welche weinte, zu trösten, ihre Tränen zu stillen und sie zu bereden, sich in ihre traurige Lage zu fügen.

»Lass mich weinen«, antwortete endlich die andere, welche Adelheid war, mit wehmütiger Stimme, deren bezaubernde Töne der Ritter sogleich erkannte.

»Bloß um meinen Tränen freien Lauf lassen zu können«, fuhr sie fort, »bat ich um die Erlaubnis, mich an diesen einsamen Ort begeben zu dürfen.«

»Aber Fräulein«, erwiderte die andere, »noch nie sah ich Euch so betrübt wie jetzt.«

»Dies sind vielleicht die letzten Augenblicke, wo es mir gestattet ist, mich meinem Schmerz zu überlassen«, sagte Adelheid. »Mein vielfältiger Verdruss, den ich bisher hatte, wurde noch einigermaßen durch die Hoffnung gemildert, dass ich vielleicht meines Vaters Herz noch erweichen und ihn vermögen würde, meinen Vermählungstag, welchen ich mehr als den Tod fürchte, noch auf längere Zeit zu verschieben, aber heute schwindet auf einmal alle Hoffnung.«

»Wenn Euch aber diese Verbindung so zuwider ist, Fräulein, warum willigt Ihr denn darin ein?«

»Ach, Lenore«, rief Adelheid, »du kannst mir eine so grausame Frage vorlegen? Habe ich nicht bereits alles versucht, was mit der unserem Geschlecht eigenen Bescheidenheit vereinbar ist, um diesen, für mich so schrecklichen Schritt vermeiden zu können? Habe ich ein Mittel unbenutzt gelassen, um meinen Vater von seinem traurigen Vorsatz abzubringen? Habe ich ihn durch meine unablässigen Bitten nicht noch mehr erzürnt? Was ist anders die Frucht meiner Bemühungen gewesen, dass ich seit einigen Monden mit einer Strenge behandelt worden bin, die ich kaum auszuhalten vermag? Es ist dir bekannt, wie wenig Eindruck meine Tränen auf meinen Vater machen. Ob ich gleich heute auf vieles Bitten die Erlaubnis erhalten habe, mich einige Augenblicke aus der Gesellschaft des Grafen zu entfernen, so kann ich solches meinem Vater nicht als Teilnahme an meinem Schmerz, sondern vielmehr als Besorgnis zurechnen, mein Widerwille gegen die bevorstehende Vermählung mit dem Grafen möchte Letzterem zu bemerkbar werden. Übrigens, glaube ich, kann ihm dies nicht mehr befremdend sein, denn ich erinnere mich, dass ich einst meine ganze Dreistigkeit zusammen nahm und es ihm offenherzig gestand, in der Hoffnung, dass, wenn er auch noch so wenig Ehrgefühl hätte, er eine Verbindung aufgeben würde, zu welcher das Herz nicht mit einstimmte. Ich habe mich jedoch geirrt und durch meine Dreistigkeit überdies noch bewirkt, dass er von jenem Augenblick an täglich dringender auf unser baldige Vermählung bestanden hat, befürchtend, ich möchte vielleicht mit der Zeit ein Mittel ausfindig machen, ihm zu entkommen.«

»Meiner Meinung nach, gnädiges Fräulein, ist nun es Zeit dazu. Niemand sieht Euch; warum entschließt Ihr Euch nicht, das Schloss heimlich zu verlassen?«

»Ach, wohin soll ich fliehen?«, antwortete Adelheid. Wenn mir irgendein Zufluchtsort offen stände, ich würde selbigen mit schnellen Schritten zu erreichen versuchen. Ich habe aber keinen Freund, der imstande ist, mich in Schutz zu nehmen, und dem ich mich anvertrauen könnte. Fände ich auch einen Zufluchtsort in einem Kloster, so würde der Graf von der Eulenburg ihn bald entdecken und mich in seine Gewalt zu bekommen wissen. Du weißt es, wie viel er durch sein Ansehen vermag. Ach! Welchen Gefahren, schrecklicheren noch als der Tod selbst, würde ich mich durch die Flucht aussetzen? Kann sich ein schwaches Mädchen wohl einfallen lassen, ohne Bedeckung durch diesen ungeheuer großen und dunklen Wald zu gehen?«

»Entschuldigt meine Freiheit«, erwiderte Leonore, »mit der ich Euer Herz zu erforschen suchte. Der lebhafte Anteil, welchen ich an Eurem Unglück nehme, veranlasst mich zu dergleichen Fragen. Meine Anhänglichkeit an Eure Person ist Euch zu gut bekannt als dass Ihr sie einer voreiligen Neugierde zuschreiben könntet. Es ist wahr, der Graf von der Eulenburg ist kein Mann, welcher Euch durch seine Reize fesseln könnte. Verzeiht inzwischen, dass ich Euch die einzige Bemerkung machen muss, dass es mir höchst auffallend gewesen ist, wie Ihr es Eurem Vater, dem Ihr doch sonst so ergeben seid, geradezu sagen konntet, dass Ihr gänzlich abgeneigt zu einer Verbindung mit dem Grafen wäret. Auf jeden Fall musstet Ihr hierzu wichtigere Gründe für die Abneigung gegen dessen Person haben. Ob er gleich weit älter ist als Ihr, so finde ich doch nichts Abschreckendes an ihm; sein Blick ist sanft und Ihr habt öfters selbst gestanden, dass man in seinem Umgang keine Langeweile habe. In Rücksicht seines Charakters stimme ich Eurer Meinung völlig bei. Sein Benehmen Euch gegenüber hat mich durchaus nicht für ihn eingenommen. Der Gedanke an diese Verbindung war Euch jedoch schon damals schrecklich, als Ihr den Grafen noch nicht einmal gesehen hattet und ihn bloß aus den Erzählungen Eures Vaters kanntet, welcher Euch für ihn einzunehmen suchte.

Verzeiht also, Fräulein, wenn ich es wage, Euch jetzt meine Gedanken zu offenbaren.

Ich bin nämlich bereits seit längerer Zeit der Meinung, dass Ihr dem Grafen von der Eulenburg gern Eure Hand gegeben haben würdet, wenn Ihr vielleicht selbige nicht schon versprochen oder Eure Blicke auf einen anderen gerichtet hättet. Ich ersuche Euch daher, mir Euer ganzes Zutrauen zu schenken. Meine Verschwiegenheit wird Euch beweisen, dass ich dieser Begünstigung nicht unwürdig war. Indem Ihr Euer Herz in meinen Busen schüttet, werdet Ihr Erleichterung finden und mir vielleicht Gelegenheit geben, Euch einen wichtigen Dienst zu leisten.«

Leonore schwieg nun und Adelheid stand einige Augenblicke in Gedanken vertieft. Endlich fing sie aber an: »Ob ich gleich bisher dieses Geheimnis in meinem Busen verbarg, so ist doch der Augenblick gekommen, wo es kund werden muss.«

»Ja, Fräulein«, erwiderte Leonore, »dies ist ohne Zweifel der günstigste Augenblick.

Man gestattet Euch vielleicht nie wieder einen ähnlichen.«

»Du hast recht«, sagte Adelheid, in Tränen schwimmend. »Übermorgen … o Himmel, welch ein schrecklicher Gedanke! Übermorgen wird es ein Verbrechen für mich sein, nur daran zu denken, einen solchen Augenblick erlebt zu haben.«

»Meine Vermutung war also ganz richtig; aber, gnädiges Fräulein, da Ihr mich nicht unwürdig hieltet, mir Euer Zutrauen zu schenken, so darf ich es ja wohl wagen, Euch um den Namen des glücklichen Sterblichen zu ersuchen, der einen so tiefen Eindruck auf Euer Herz gemacht hat.«

»Und warum ist es notwendig, dass du ihn weißt?«, fragte Adelheid. »Ich kann nicht … Mein Mund wagt nicht, seinen Namen zu nennen.«

»Erlaubt mir, Fräulein, dass ich ihn nenne«, erwiderte die Kammerzofe.

»Dies möchte dir wohl unmöglich sein«, sagte darauf Adelheid.

»Ein einziger Augenblick war es, wo ich ihn entdeckt zu haben glaube.«

»O Himmel«, rief Adelheid, »sollte ich mich selbst verraten haben? Welches unbesonnene und unüberlegte Wort könnte meinen Lippen entgangen sein?«

»Nein, Fräulein«, sagte Leonore, »Euer Mund hat Euch nicht verraten, sondern Eure Augen. Als Ritter Friedrich das letzte Mal hier war, saht Ihr ihn mit so verliebten und schmachtenden Blicken an.«

»Ist es möglich, dass man dies bemerkt hat? Ach! Leonore, habe ich es je gewagt, ein Wort mit Friedrich zu sprechen? Habe ich ihn jemals um etwas gefragt? Einstmals hatte ich es mir fest vorgenommen, bemerkte jedoch meines Vaters argwöhnische Blick und verhielt mich ruhig. Es schien mir, als ob ich heimlich mit Friedrich hätte reden können.«

Ritter Busso zitterte. Wut und Verzweiflung bemeisterte sich seiner.

»Es würde Euch nicht schwerfallen«, fuhr Leonore fort, »Gelegenheit zu einer Unterredung mit ihm zu finden.«

»Wahrscheinlich auf der Eulenburg«, erwiderte Adelheid mit einer Bewegung, welche ihre große Ungeduld verriet; dann wird es aber zu spät sein. Es ist wahr, ich kann mich durchaus nicht entschließen, dem Grafen meine Hand zu geben und sollte es jemals der Fall sein, so kann es nur in einem Augenblick geschehen, wo meine ganze Seele von dem Gedanken an einen anderen eingenommen ist und ich mich meiner selbst nicht bewusst bin. Ach! Wüsste ich doch, ob er noch lebte.«

»Wer? Fräulein«, fragte Leonore mit Verwunderung, »von wem redet Ihr jetzt?«

»Hast du wohl den Helm bemerkt, den Friedrich neulich trug?«, fragte Adelheid.

»Ja, ich habe ihn genau besehen.«

»Ich wollte … Es ist mir viel daran gelegen, zu wissen, wo er selbigen bekommen hat«, sagte Adelheid.

»Ich kann nicht begreifen, wie Euch dies interessieren kann.«

Ritter Busso geriet in noch weit heftigere Bewegung als vorhin.

»Wenn ich nicht irre«, erwiderte Adelheid, »so trug diesen Helm vormals ein anderer.«

»Wer denn?«, fragte Leonore neugierig.

»Ein Mann«, antwortete Adelheid, »den du nie gesehen hast, ein edler Ritter, den ich nie wiedersehen soll.«

»Dies war also Euer Liebhaber, der Euch so sehr für sich eingenommen hat?«

»Er liebte mich sonst, wusste aber nie, welche Gefühle er bei mir für sich rege gemacht hat. Ich sah voraus, das mein Vater nie in unsere Verbindung willigen würde, und fasste daher den Entschluss, ihn auf immer von mir zu entfernen, in der Absicht, in seinem Herzen eine Leidenschaft zu unterdrücken, die ihn nur unglücklich machen konnte. Mehrere Jahre sind nun bereits verflossen, seitdem ich ihn nicht gesehen habe, und nun gedenkt er meiner wahrscheinlich nicht mehr. Ja, ich muss sogar wünschen, dass er mich gänzlich vergessen haben mag, denn die Verbindung uns zu, welcher man mich zwingt, würde umso schrecklicher für mich sein, wenn ich bedächte, dass diese traurige Nachricht zu seinen Ohren gelangen und ihn betrüben könnte. Aber, es ist fast unmöglich, dass er sich meiner nicht mehr erinnern, sollte, da ich noch täglich und beinahe stündlich an ihn denke!«

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