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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel IV

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

IV. Eins von den vierzig Entweichungsmitteln von Monsieur von Beaufort

Die Zeit verlief indessen für den Gefangenen wie für diejenigen, welche sich mit seiner Flucht beschäftigten: Nur verlief sie viel langsamer. Ganz und gar nicht wie andere Menschen, welche mit allem Feuer einen gefahrvollen Entschluss fassen und immer mehr erkalten, je näher der Augenblick der Aussöhnung kommt, schien der Herzog von Beaufort, dessen sprudelnder Mut sprichwörtlich geworden war, die Zeit vorwärts zu treiben und rief mit den heißesten Wünschen die Stunde der Tätigkeit herbei. Es lagen in seiner Entweichung selbst, abgesehen von den Plänen, die er für die Zukunft nährte, allerdings noch ziemlich unbestimmte, ungewisse, Entwürfe. Es lag darin ein Anfang der Rache, die ihm das Herz ausdehnte. Einmal war seine Flucht ein bösen Ereignis für Monsieur von Chavigny, den er hasste wegen der kleinlichen Verfolgungen, welchen er ihn unterworfen hatte; dann ein noch viel schlimmeres Ereignis für Mazarin, den er verabscheute wegen der schweren Vorwürfe, die er ihm zu machen hatte. Man sieht, dass das richtige Verhältnis beiden Gefühlen des Gefangenen gegen den Gouverneur und den Minister, den Untergebenen und den Herrn beobachtet war.

Dann brachte Monsieur von Beaufort, der, mit dem Inneren des Palais Royal vertraut, die Verbindung des Kardinals und der Königin kannte, in die Szene seinen Gefängnissen die ganze dramatische Bewegung, welche erfolgen müsste, wenn von dem Kabinett des Ministers in das Zimmer der Königin das Gerücht erschallen würde: »Monsieur von Beaufort ist entflohen!« Indem Monsieur von Beaufort sich dies sagte, lächelte er sanft; er glaubte schon die Luft von Wald und Flur zu atmen und ein kräftigen Ross zwischen den Beinen mit lauter Stimme zu rufen: »Ich bin frei!«

Wieder zu sich kommend, fand er sich allerdings zwischen seinen vier Wänden, sah er allerdings zehn Schritte von sich La Ramée, der seine Daumen umeinander drehte, und im Vorzimmer seine acht Wachen, welche lachten oder tranken.

Das Einzige, was seinen Blick von diesem hässlichen Gemälde ausruhen ließ, so groß ist die Unbeständigkeit des menschlichen Geistes, war das gerunzelte Gesicht von Grimaud, das ihn anfangs mit Hass erfüllt halte nun seine einzige Hoffnung war. Grimaud kam ihm wie ein Antinous vor.

Es bedarf nicht der Erwähnung, dass all dies ein Spiel der fieberhaften Einbildungskraft des Gefangenen war. Grimaud blieb immer derselbe; er hatte sich auch das volle Vertrauen seinen Vorgesetzten La Ramée erhalten, der sich nun mehr auf ihn, als auf sich selbst verließ, denn La Ramée fühlte sich, wie gesagt, im Grunde seinen Herzens etwas schwach gegen Monsieur von Beaufort.

Dieser gute La Ramée freute sich auch ungemein auf das kleine Abendbrot mit dem Gefangenen. La Ramée hatte nur einen Fehler, er war Gourmand; er hatte die Pasteten gut, die Weine vortrefflich gefunden. Der Nachfolger von Vater Marteau hatte ihm nun eine Fasanenpastete statt einer Hühnerpastete, Chambertin statt Macon-Wein versprochen. All dies, erhöht durch die Anwesenheit den vortrefflichen Prinzen, der im Ganzen so gut war, der so drollige Streiche gegen Monsieur von Chavigny und so vortreffliche Späße gegen Mazarin erfand, machte für La Ramée aus dem Pfingsttage welcher kommen sollte, einen von den vier großen Festen des Jahres.

La Ramée erwartete die sechste Abendstunde mit ebenso viel Ungeduld wie der Prinz. Schon am Morgen beschäftigte er sich mit allen Einzelheiten, und da er sich in dieser Beziehung nur auf sich selbst verließ, so machte er dem Nachfolger den Vater Marteau in Person einen Besuch. Dieser hatte sich selbst übertroffen, er zeigte ihm eine wahre Ungeheuerpastete, auf dem Deckel verziert mit dem Wappen des Monsieur von Beaufort. Die Pastete war noch leer, aber neben ihr lagen ein Fasan und zwei Feldhühner, so niedlich gespickt, dass sie aussahen wie ein Nadelkissen. Das Wasser lief La Ramée im Munde zusammen und er kehrte, sich die Hände reibend, in das Zimmer des Herzogs zurück.

Um das Maß des Glückes voll zu machen, hatte Monsieur von Chavigny, wie wir bereits erzählt haben, auf La Ramée bauend, eine kleine Reise unternommen und sich auch bereits an demselben Morgen entfernt, wodurch La Ramée Untergouverneur des Schlosses geworden war.

Grimaud sah verdrießlicher als je aus.

Monsieur von Beaufort hatte am Morgen mit La Ramée eine Partie Ball gespielt, und Grimaud hatte ihm hierbei durch ein Zeichen zu verstehen gegeben, er möge auf alles Achtung geben.

Vorwärts marschierend bezeichnete Grimaud den Weg, welchen man am Abend verfolgen sollte. Das Ballspiel war an dem Ort, den man den Bezirk des inneren Hofes vom Schloss nannte. Er war eine verlassene Stelle, welche nur in dem Augenblick mit Wachen besetzt wurde, wo Monsieur von Beaufort seine Partie machte. Bei der Höhe der Mauer schien sogar diese Vorsichtsmaßregel überflüssig.

Man hatte drei Türen zu öffnen, ehe man zu diesem Bezirk gelangte. Jede von diesen Türen wurde mit einem anderen Schlüssel geöffnet. La Ramée trug diese drei Schlüssel bei sich.

Als Grimaud in den Bezirk kam, setzte er sich maschinenmäßig in eine Schießscharte und ließ die Beine außen an der Mauer hinabhängen. Offenbar sollte hier die Strickleiter befestigt werden.

Dieses ganze, für den Herzog von Beaufort wohlbegreifliche Manöver war, wie man leicht einsehen wird, für La Ramée nicht verständlich.

Die Partie begann. Diesmal war Monsieur von Beaufort im Zuge, und man hätte glauben sollen, er lege mit der Hand die Bälle dahin, wohin sie nach seinem Willen fallen sollten. La Ramée wurde völlig geschlagen.

Vier von den Wachen waren Monsieur von Beaufort gefolgt und hoben die Bälle auf. Als das Spiel vorüber war, bot Monsieur von Beaufort La Ramée, ihn wegen seiner Ungeschicklichkeit verspottend, für die Wachen zwei Louisdor an, um mit ihren vier andern Kameraden auf seine Gesundheit zu trinken.

Die Wachen baten um Erlaubnis hier bei La Ramée, der sie ihnen auch erteilte, aber nur für den Abend. Bis dahin musste sich La Ramée mit wichtigen Dingen beschäftigen. Da er Gänge zu machen hatte, so wünschte er, dass man während seiner Abwesenheit den Gefangenen nicht aus dem Blick verliere.

Hätte Monsieur Beaufort die Sachen selbst angeordnet, er würde sie ohne Zweifel weniger zu seiner Zufriedenheit abgemacht haben, wie dies sein Wächter tat.

Endlich schlug es sechs Uhr; obwohl man sich erst um sieben Uhr zu Tisch setzen sollte, so war das Abendbrot doch schon bereit und aufgetragen. Auf einem Schenktisch stand die kolossale Pastete mit dem Wappen des Herzogs und, wie es schien, gar gebacken, wenn man nach der goldenen Farbe der Kruste urteilen durfte. Das Übrige des Abendbrots war ganz im Verhältnis zu der Pastete.

Alle Welt war ungeduldig; die Wachen, trinken zu gehen, La Ramée, sich zu Tisch zu setzen, und Monsieur von Beaufort, zu entweichen.

Grimaud allein war gleich geduldig. Man hätte glauben sollen, Athos habe ihn in der Voraussicht dieses großen Ereignisses erzogen.

Es gab Augenblicke, wo der Herzog von Beaufort, wenn er ihn anschaute, sich fragte, ob er nicht träumte, und ob dieses Marmorgesicht wirklich ihm zu Dienste sei und sich im gegebenen Moment beleben würde.

La Ramée entließ die Wachen, indem er ihnen noch empfahl, auf die Gesundheit des Prinzen zu trinken. Sobald sie weggegangen waren, schloss er die Türen, steckte die Schlüssel in seine Tasche, deutete, gegen den Prinzen gewendet, mit einer Miene auf den Tisch, welche sagen wollte: »Wenn es Monseigneur gefällig wäre?«

Der Prinz schaute Grimaud an. Grimaud schaute die Uhr an. Es war erst ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war auf sieben Uhr bestimmt. Man hatte also noch drei Viertelstunden zu warten.

Um eine Viertelstunde Zeit zu gewinnen, schätzte der Prinz eine Lektüre vor, die ihn sehr anspräche, und bat, das Kapitel vollenden zu dürfen. La Ramée näherte sich, schaute ihm über die Schulter, um zu sehen, was für ein Buch einen so großen Einfluss auf den Prinzen ausübte, dass es ihn abhielt, sich zu Tisch zu setzen, während das Abendbrot aufgetragen war.

Es waren die Kommentare von Cäsar, welche er selbst gegen die Befehle von Chavigny, dem Prinzen vor drei Tagen verschafft hatte.

La Ramée gelobte sich, nie mehr der Gefängnisordnung zuwider zu handeln.

Mittlerweile öffnete er die Flaschen und roch an der Pastete.

Um halb sieben Uhr erhob sich der Prinz und sagte mit großem Ernst: »Cäsar war entschieden der größte Mann des Altertums.«

»Ihr findet dies, Monseigneur?«, sprach La Ramée.

»Ja.«

»Nun gut, und ich«, versetzte La Ramée, »ich ziehe Hannibal vor.«

»Und warum dies, Meister La Ramée?«, fragte der Herzog.

»Weil er keine Kommentare hinterlassen hat«, erwiderte La Ramée mit einem schweren Seufzer.

Der Herzog begriff die Anspielung, setzte sich zu Tisch und bedeutete La Ramée, er möge ihm gegenüber Platz nehmen.

Der Gefreite ließ sich dies nicht zweimal sagen.

Es gibt kein so ausdrucksvolles Gesicht, wie das eines Gourmand, der sich vor einer guten Tafel befindet. Als La Ramée aus den Händen von Grimaud einen Suppenteller empfing, stellte sein Gesicht das Gefühl vollkommener Glückseligkeit dar.

Der Herzog schaute ihn lächelnd an.

»Ventre-Saint-gris! La Ramée!«, rief er. »Wisst Ihr, dass ich, wenn man mir sagte, es gäbe in diesem Frankreich einen glücklicheren Menschen als Ihr, es nicht glauben würde.«

»Und meiner Treu! Ihr hättet recht, Monseigneur«, sprach La Ramée, »ich gestehe, dass ich Hunger habe. Ich kenne keinen lieblicheren Anblick als eine wohlbestellte Tafel, und wenn Ihr beifügt«, fuhr La Ramée fort, »dass derjenige, welcher die Honneurs dieser Tafel macht, der Enkel von Heinrich dem Großen ist, so werdet Ihr begreifen, Monseigneur, dass die Ehre, welche einem zuteilwird, das Vergnügen, das man genießt, verdoppelt.«

Der Prinz verbeugte sich, und ein unmerkliches Lächeln erschien auf dem Antlitz von Grimaud, der hinter La Ramée stand.

»Mein lieber La Ramée«, sprach der Herzog, »in der Tat, nur Ihr versteht es, ein Kompliment zu drehen.«

»Nein, Monseigneur«, erwiderte La Ramée in dem Erguss seiner Seele, »nein, in Wahrheit, ich spreche aus, was ich denke. Es liegt kein Kompliment in dem, was ich Euch hier sage.«

»Also seid Ihr mir zugetan?«, fragte der Prinz.

»Das heißt«, erwiderte La Ramée, »ich wäre untröstlich, wenn Eure Hoheit Vincennes verließe.«

»Eine sonderbare Manier, Eure Zuneigung kundzugeben.«

»Aber, Monseigneur«, entgegnete La Ramée, »was würdet Ihr draußen machen? Irgendeine Tollheit, durch die Ihr Euch mit dem Hof überwerfen würdet, brächte Euch in die Bastille statt nach Vincennes. Monsieur von Chavigny, ich gebe es zu, ist nicht liebenswürdig«, fuhr La Ramée, ein Glas Madeira schlürfend, fort. »Monsieur du Tremblay ist noch viel schlimmer.«

»In der Tat?«, sprach der Herzog, der sich über die Wendung belustigte, welche das Gespräch nahm und von Zeit zu Zeit auf die Pendeluhr schaute, deren Zeiger mit verzweiflungsvoller Langsamkeit vorrücke.

»Was wollt Ihr von dem Bruder eines in der Schule des Kardinal von Richelieu gefütterten Kapuziners mehr erwarten? Ah! Monseigneur, es ist ein großes Glück, dass die Königin, die Euch stets wohlwollte, wie ich wenigstens sagen hörte, die Idee hatte, Euch hierher zu schicken, wo es einen schönen Spaziergang, Ballspiel, gute Tafel, gute Luft gibt.«

»In der Tat«, sprach der Herzog, »wenn man Euch hört, La Ramée, bin ich sehr undankbar, dass ich einen Augenblick den Gedanken gehabt habe, mich von hier zu entfernen.«

»Oh! Monseigneur, das ist der höchste Grad von Undankbarkeit«, versetzte La Ramée, »aber Eure Hoheit hat wohl nie im Ernst daran gedacht.«

»Allerdings«, sprach der Herzog, »und ich muss Euch gestehen; es ist vielleicht eine Torheit, ich leugne es nicht, aber ich denke von Zeit zu Zeit noch daran.«

»Immer durch eines von Euren vierzig Mitteln, Monseigneur?«

»Gewiss«, versetzte der Herzog.

»Monseigneur«, sagte La Ramée, »der wir unsere Herzen gerade so erschließen, so nennt mir doch eines von den vierzig Mitteln, welche Eure Hoheit ersonnen hat.«

»Gerne.« sprach der Herzog. »Grimaud, gebt mir die Pastete.«

»Ich höre«, sagte La Ramée, lehnte sich in seinem Stuhl zurück, hob sein Glas in die Höhe und blinzelte mit dem Auge, um die untergehende Sonne durch den flüssigen Rubin zu sehen, den es enthielt.

Der Herzog warf einen Blick auf die Pendeluhr. Noch zehn Minuten, und es sollte sieben Uhr schlagen.

Grimaud stellte die Pastete vor den Prinzen, der sein Messer mit der silbernen Klinge nahm, um den Deckel abzuheben. Aber La Ramée, welcher befürchtete, es könnte diesem schönen Stück Unheil widerfahren, reichte dem Herzog sein Messer, das eine eiserne Klinge hatte.

»Ich danke, La Ramée«, sprach der Herzog und griff nach dem Messer.

»Nun, Monseigneur«, sagte der Gefreite, »das ausgezeichnete Mittel?«

»Soll ich es Euch nennen?«, versetzte der Herzog, »dasjenige, auf welches ich am meisten rechnete, das Mittel, welches ich zuerst anzuwenden entschlossen war?«

»Ja, eben dieses«, antwortete La Ramée.

»Gut«, sprach der Herzog, mit einer Hand die Pastete aufhebend und mit der anderen mittelst seines Messers Kreise beschreibend. »Ich hoffte vor allem als Wächter einen braven Burschen zu haben, wie Ihr seid, Monsieur La Ramée.«

»Schön«, sagte La Ramée, »Ihr habt ihn, Monseigneur. Hernach?«

»Und ich freue mich darüber.«

La Ramée verbeugte sich.

»Ich sagte mir«, fuhr der Prinz fort, »habe ich einmal in meiner Nähe einen braven Burschen wie La Ramée, so werde ich danach trachten, ihm durch einen Freund von mir, von dem er nicht weiß, dass ich in Verbindung mit ihm stehe, einen Menschen empfehlen zu lassen, der mir ergeben ist und mit welchem ich mich über die Vorkehrungen zu meiner Flucht verständigen kann.«

»Gut, gut«, sagte La Ramée, »gar nicht übel ersonnen.«

»Nicht wahr?«, versetzte der Prinz, »zum Beispiel den Diener irgendeines braven Edelmannes, eines Feindes von Mazarin, wie jeder Edelmann sein muss.«

»Still, Monseigneur, sprechen wir nicht über Politik.«

»Habe ich diesen Menschen bei mir«, fuhr der Herzog fort, »und er ist geschickt und weiß meinem Wächter Vertrauen einzuflößen, so wird dieser sich auf ihn verlassen, und ich erhalte Nachricht von außen.«

»Ah ja, aber wie dies, Nachricht von außen?«, fragte La Ramée.

»Oh! Nichts leichter als das«, antwortete der Herzog von Beaufort, »bei einer Ballpartie zum Beispiel.«

»Beim Ballspiel!«, rief La Ramée, der mit der größten Aufmerksamkeit dem Herzog zuzuhören anfing.

»Ja, hört. Ich schleudere einen Ball in den Graben; es ist ein Mensch da, der ihn aufhebt. Der Ball enthält einen Brief. Statt den Ball zurückzuwerfen, um den ich ihn gebeten habe, wirft er mir einen anderen zurück. Dieser Ball enthält auch einen Brief. Auf diese Art tauschen wir unsere Gedanken aus und niemand hat etwas davon gesehen.«

»Teufel! Teufel!«, sagte La Ramée, sich hinter den Ohren kratzend. »Ihr tut wohl daran, es mir zu sagen. Ich werde die Ballaufheber überwachen.«

Der Herzog lächelte.

»Aber im Ganzen«, fuhr La Ramée fort, »ist dieses nur ein Mittel, zu korrespondieren.«

»Mir scheint, das ist schon viel.«

»Doch noch nicht genug.«

»Ich bitte um Vergebung. Zum Beispiel, ich schreibe meinen Freunden: Findet Euch an dem und dem Tag, zu der und der Stunde mit zwei Reitpferden jenseits des Grabens ein.«

»Nun, und hernach?«, fragte La Ramée mit einer gewissen Unruhe, »wenn diese Pferde nicht Flügel haben, um den Wall zu ersteigen und Euch abzuholen.«

»Ei, mein Gott«, erwiderte der Prinz mit nachlässigem Ton, »es handelt sich nicht darum, dass die Pferde Flügel haben, um den Wall zu ersteigen, sondern, dass ich ein Mittel habe, um hinabzukommen.«

»Welches?«

»Eine Strickleiter.«

»Ja, gut«, versetzte La Ramée und versuchte zu lachen, »aber eine Strickleiter schickt man nicht wie einen Brief in einem Ball.«

»Nein, aber man schickt sie in etwas anderem.«

»In etwas anderem! In was denn?«

»In einer Pastete zum Beispiel.«

»In einer Pastete?«

»Ja; denkt Euch einmal, mein Haushofmeister Noirmont habe den Laden des Vater Marteau gekauft.«

»Und dann?«, fragte La Ramée schaudernd.

»La Ramée, ein Gourmand, erblickt seine Pasteten, findet, dass sie besser aussehen als die seiner Vorgänger, und erbietet sich, mich davon kosten zu lassen. Ich nehme es an unter der Bedingung, dass La Ramée mit mir davon kostet. Zu größerer Bequemlichkeit entfernt La Ramée die Wachen und behält nur Grimaud, um uns zu bedienen. Grimaud ist der Mann, den mir einer von meinen Freunden gegeben hat, der treue Diener, mit dem ich mich verständige, bereit, mich in jeder Beziehung zu unterstützen. Als Augenblick meiner Flucht ist sieben Uhr bezeichnet. Einige Minuten vor sieben Uhr …«

»Einige Minuten vor sieben Uhr?«, versetzte La Ramée, dem der Schweiß auf der Stirn zu perlen anfing.

»Einige Minuten vor sieben Uhr«, antwortete der Herzog, »die Tat mit dem Wort verbindend, nehme ich den Deckel von der Pastete ab. Ich finde darin zwei Dolche, eine Strickleiter und einen Knebel. Ich setze einen von den Dolchen La Ramée auf die Brust und sage zu ihm: ›Mein Freund, es tut mir unendlich leid, aber wenn du nur eine Gebärde wagst, wenn du den geringsten Schrei ausstößt, bist du verloren.‹«

Der Herzog hatte, wie gesagt, während er die letzten Worte aussprach, die Tat mit den Worten verbunden. Er stand bei La Ramée und hielt ihm die Spitze seines Dolches mit einem Ausdruck auf die Brust, der demjenigen, an welchen er sich wandte, keinen Zweifel an seinem Entschluss übrig ließ.

Während dieser Zeit zog Grimaud, immer schweigend, aus der Pastete einen zweiten Dolch, die Strickleiter und die Maulbirne hervor.

La Ramée folgte jedem von diesen Gegenständen mit wachsendem Schrecken.

»Oh, Monseigneur!«, rief er und schaute den Herzog mit einem Erstaunen an, worüber dieser in jedem anderen Augenblick in ein Gelächter ausgebrochen wäre, »Ihr seid nicht der Mann, mich zu töten.«

»Nein, wenn du dich nicht meiner Flucht widersetzt.«

»Aber, Monseigneur, wenn ich Euch fliehen lasse, bin ich verloren.«

»Ich zahle dir den Preis deiner Stelle zurück.«

»Ihr seid fest entschlossen, den Turm zu verlassen.«

»Bei Gott!«

»Alles, was ich Euch zu sagen vermag, ist nicht imstande, eine Änderung in Eurem Entschluss herbeizuführen?«

»Ich will noch diesen Abend frei sein.«

»Und wenn ich mich verteidige, wenn ich rufe, wenn ich schreie?«

»So töte ich Dich, so wahr ich ein Edelmann bin.«

In diesem Augenblick schlug die Uhr.

»Sieben Uhr!«, sagte Grimaud, der noch kein Wort gesprochen hatte.

»Sieden Uhr!«, rief der Herzog, »Du siehst, ich bin noch zurück.«

La Ramée machte eine Bewegung, gleichsam zur Befreiung seines Gewissens.

Der Herzog runzelte die Stirn und der Gefreite fühlte, dass die Klinge des Dolches, welche seine Kleider durchdrungen hatte, nun auch seine Brust durchdringen wollte.

»Gut, Monseigneur«, sagte er, »das genügt, ich werde mich nicht rühren.«

»Beeilen wir uns«, sprach der Herzog.

»Monseigneur, eine letzte Gnade.«

»Welche? Sprich geschwind!«

»Bindet mich gut, Monseigneur.«

»Warum dich binden?«

»Damit man mich nicht für Euren Schuldgenossen hält.«

»Die Hände«, sagte Grimaud.

»Nicht von vorn, von hinten.«

»Aber womit«, sagte der Herzog.

»Mit Eurem Gürtel, Monseigneur«, versetzte La Ramée.

Der Herzog machte seinen Gürtel los und gab ihn Grimaud, der La Ramée auf die gewünschte Weise die Hände band.

»Die Füße«, sprach Grimaud.

La Ramée streckte seine Beine aus. Grimaud nahm eine Serviette, zerriss sie in Streifen und band La Ramée.

»Nun meinen Degen«, sprach La Ramée, »bindet den Griff.«

Der Herzog riss eines von den Bändern seiner Beinkleider ab und erfüllte das Verlangen seines Wärters.

»Jetzt die Maulbirne«, sprach der arme La Ramée, »ich verlange sie, denn man würde mir sonst den Prozess machen, weil ich nicht geschrien habe. Drückt sie hinein, Monseigneur, drückt sie hinein!«

Grimaud schickte sich an, den Wunsch des Gefreiten zu erfüllen, welcher durch eine Bewegung andeutete, er habe noch etwas zu sagen.

»Sprecht«, rief der Herzog.

»Monseigneur«, antwortete La Ramée, »wenn mir Euretwegen ein Unglück widerfährt, so vergesst nicht, dass ich eine Frau und vier Kinder habe.«

»Sei ruhig. Stopfe zu, Grimaud!«

In einer Sekunde war La Ramée geknebelt und auf den Boden gelegt. Einige Stühle wurden umgeworfen, als hätte ein Kampf stattgefunden. Grimaud nahm aus den Taschen des Gefreiten alle Schlüssel, welche sie enthielten, öffnete zuerst die Tür des Zimmers, verschloss sie dann wieder doppelt, als sie hinausgegangen waren, und beide schlugen den Weg zu der Galerie ein, welche in den kleinen Hofbezirk führte. Die drei Türen wurden nach und nach mit einer Behändigkeit geöffnet und geschlossen, welche Grimaud zur Ehre gereichte. Endlich gelangte man auf den Ballspielplatz. Er war völlig verlassen, keine Wachen, niemand am Fenster.

Der Herzog lief zum Wall und erblickte jenseits des Grabens drei Retter mit zwei Handpferden. Er wechselte ein Zeichen mit ihnen; sie waren wirklich seinetwegen da.

Während dieser Zeit band Grimaud die Strickleiter an.

»Vorwärts«, sprach der Herzog.

»Ich zuerst, Monseigneur?«, fragte Grimaud.

»Allerdings«, antwortete der Herzog. »Wenn man mich erwischt, so wage ich nicht mehr als das Gefängnis. Erwischt man dich, so wirst du gehenkt.«

»Das ist richtig«, sagte Grimaud und fing sogleich sein gefahrvolles Hinabsteigen an. Der Herzog folgte ihm mit den Augen mit einer unwillkürlichen Bangigkeit; er hatte bereits Dreiviertel der Mauer erreicht, als plötzlich der Strick riss … Grimaud stürzte in den Graben.

Der Herzog stieß einen Schrei aus; aber Grimaud ließ keinen Seufzer vernehmen, und dennoch musste er schwer verwundet sein, denn er blieb auf der Stelle liegen, auf die er gefallen war.

Sogleich ließ einer von den Männern, welche jenseits warteten, sich in den Graben herabgleiten, band unter den Schultern von Grimaud das Ende eines Strickes an, und die zwei anderen, welche das entgegengesetzte Ende hielten, zogen Grimaud zu sich hinauf.

»Steigt herab, Monseigneur!«, rief der Mensch, welcher im Graben war. »Die Entfernung beträgt nicht über fünfzehn Fuß, und der Rasen ist weich.«

Der Herzog war bereits am Werk. Er hatte eine schwierige Arbeit, denn durch den Bruch waren die Stützpunkte teilweise verloren gegangen. Er konnte nur mithilfe seiner Faustgelenke herabkommen, und dies von einer Höhe von mehr als fünfzig Fuß. Aber der Prinz war, wie gesagt, geschickt, kräftig und kaltblütig. In weniger als fünf Minuten befand er sich am Ende des Strickes. Er ließ den Anhalt los und fiel auf seine Füße, ohne sich zu verletzen.

Sogleich stieg er die Böschung des Grabens hinauf, auf dessen Höhe er Rochefort fand; die zwei anderen Edelleute waren ihm unbekannt. Den ohnmächtigen Grimaud hatte man bereits auf ein Pferd gebunden.

»Messieurs«, sprach der Prinz, »ich werde Ihnen später danken, aber jetzt ist kein Augenblick zu verlieren. Vorwärts also, vorwärts, wer mich liebt, folge mir.«

Und er schwang sich auf ein Pferd, ritt im gestreckten Galopp von dannen, atmete mit voller Brust und rief mit einem Ausdruck unbeschreiblicher Freude:

»Frei! … Frei! … Frei! …«

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