Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Neue Gespenster – 31. + 32. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Einunddreißigste Erzählung

Die Wöchnerin aus der Röslinschen Familie

Herr Oberamtmann Röslin erwähnt einen der vorhergehenden Erzählung sehr ähnlichen Fall aus seiner eigenen Familie, wo eine Wöchnerin alles um sich her hörte und doch kein Lebenszeichen geben konnte.

Um sich von diesem Zustand einigermaßen einen Begriff zu machen, erinnert Hr. Dr. Hufeland an diejenige, nicht ganz seltene Lähmung einzelner Glieder, wo man nicht die geringste Kraft hat, dem Glied auch nur die kleinste Bewegung zu geben und wo dem Willen gleichsam aller Einfluss darauf benommen, das Gefühl aber dennoch in größter Vollkommenheit gegenwärtig ist. Was hier einen einzelnen Teil trifft, ist dort der Zustand des ganzen Körpers.

Auch werden sich vielleicht Personen, die mit hysterischen Krämpfen behaftet sind, erinnern, bei gewissen Ohnmachten etwas ähnliches empfunden zu haben.

Zweiunddreißigste Erzählung

Senator K. in Duderstadt stirbt an der Unterredung mit seiner verstorbenen Gattin

Um das Jahr 1780 starb zu Duderstadt der Senator K., ein Mann, der sich durch manche Sonderbarkeit auszeichnete. Da sein Tod die Folge der Gespensterfurcht oder doch des heftigen Erschreckens vor dem Anblick und der Anrede eines Geistes war, so gehört seine Todesgeschichte unstreitig in diese Sammlung von Gespenstererzählungen.

K. hatte eine geborene Nüßen geheiratet, die er deshalb nie anders als sein Nüßen-Mensch nannte. Indessen wollte er durch diese übel gewählte Caresse seine Gattin keineswegs beschimpfen; er hatte sie vielmehr noch im hohen Alter so lieb, wie ein grämliches Männchen in den siebziger Jahren eine nicht selten verkannte, gute Gattin, die ungefähr zwanzig Jahre jünger war als er, lieb haben kann.

Dieses alten Mannes fünfzigjährige Frau starb ihm und setzte ihn durch ihren Tod in die größte Verlegenheit. Wie es oft zu gehen pflegt, so erkannte auch er erst jetzt recht lebhaft, wie wert er sie hätte halten sollen und wie unersetzlich viel er an ihr verloren hatte.

Zwar hatte er Söhne und Töchter, aber die letzten waren damals bereits verheiratet. Mit Tränen im Auge klagte er daher seinen Kindern und Verwandten: »Wer wird nun meinen Haushalt führen, da mein Nüßen-Mensch tot ist?«

Die Tote war auf eine Kammer im zweiten Stockwerk getragen worden, wo sie, bereits angetan mit dem Totenhemd, seit vierundzwanzig Stunden auf Stroh lag.

Nun saß der verlassene Alte abends gegen neun Uhr einsam im Großvaterstuhl und überließ sich stillen Betrachtungen, indem er vor sich die blauen Tabakwolken in die Höhe steigen ließ.

Plötzlich ging die Stubentür auf. Ein schwankender Geist trat zu ihm herein. Er erkannte in ihm sogleich die verstorbene Hausfrau, leibhaftig und im bloßen Hemd. Vor Entsetzen fast außer sich, war er einer Ohnmacht nahe; jedoch nahm er seine Geisteskräfte zusammen und hatte sogar die Dreistigkeit, die Erscheinung anzusprechen.

»Nüßen-Mensch! Bist du es oder ist es dein Geist?«

»Ja, ich bin es – ich deine Frau!«, erhielt er mit schwacher, kaum lallender Stimme zur Antwort.

Kaum hatte er diese vernommen, da sank er ohnmächtig und völlig bewusstlos vom Sessel.

Der vermeinte Geist, seine vom Scheintod erwachte Frau, war selbst im hohen Grade hilfsbedürftig und ganz außer Stande, dem bewusstlos hinstürzenden Gatten zu Hilfe beizuspringen. Froh, dass sie selbst vor Mattigkeit und Frost nicht in die Knie sank, schwankte sie in höchster Anstrengung ihrer wiedergekehrten Kräfte, dem nahen Ofen zu, um in dessen erwärmendem Dunstkreise ihre noch halb erstarrten, vor Frost zitternden Glieder zu erquicken.

Hilflos in einen Sessel am Ofen hingesunken, behagte ihr zwar die wohltätige Stubenwärme, aber es beunruhigte sie im hohen Grade, ihrem guten alten Mann auf keine Weise Hilfe verschaffen zu können. Auch ihre Stimme war zu schwach, um mit gutem Erfolg Hilfe für sich selbst und für den Gatten herbeirufen zu können.

Endlich kam einer von den seinen nach Hause. Gott! Wie erstaunte dieser, als er beim Eintritt ins Zimmer die verstorbene Hausfrau lebendig – den völlig gesund verlassenen Hausvater tot vorfand!

Eilig wurde Hilfe für beide herbeigerufen. Beide wurden nach Vorschrift des Arztes zweckmäßig behandelt. Der ohnmächtige Senator bekam zwar nach einiger Zeit das Bewusstsein wieder, redete aber verwirrt, wurde zusehends kränker und starb nach einigen Tagen, ohne wieder zu erwachen.

Die von einem vierundzwanzigstündigen Scheintod erwachte Hausfrau erholte sich nach und nach und erlangte ihre völlige Gesundheit wieder. In dem für sie selbst bestellten Sarg ließ sie den Gatten beerdigen, den sie fünfzehn Jahre überlebte. Befreiet von einem alten grämlichen Mann durchlebte sie im Kreise geliebter Kinder und Enkel ein frohes und vergnügtes Alter.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert