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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – 4. – 6. Bändchen – Kapitel III

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Viertes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

III. Saint-Denis

Der Tag graute, als Athos aufstand und sich ankleiden ließ. An seiner außergewöhnlichen Blässe und einem ruhelosen Ausdruck in seinen Augen ließ sich leicht erkennen, dass er beinahe die ganze Nacht schlaflos zugebracht haben musste. Gegen die Gewohnheit des sonst so festen und entschiedenen Mannes lag an diesem Morgen etwas Langsames, Unentschlossenes in seinem ganzen Wesen.

Er war froh, weil er sich mit den Vorbereitungen zur Abreise Raouls beschäftigte und Zeit zu gewinnen suchte. Zuerst putzte er selbst ein Schwert, das er aus einem Etui von parfümiertem Leder nahm, untersuchte, ob der Griff gehörig lag und ob die Klinge gut am Griff befestigt war.

Dann warf er in ein für den jungen Mann bestimmtes Felleisen ein Säckchen voll Louis d’or, rief Olivain – so hieß der Lakai, der ihm von Blois gefolgt war – und ließ ihn den Mantelsack in seiner Gegenwart packen, wobei er genau darüber wachte, dass alle für einen ins Feld ziehenden jungen Menschen erforderlichen Gegenstände hineingelegt wurden.

Nachdem er beinahe eine Stunde auf all diese Dinge verwendet hatte, öffnete er die Tür, welche in das Zimmer des Vicomte führte, und trat leise ein.

Die bereite strahlende Sonne drang in das Zimmer durch die breiten Fensterflügel, deren Vorhänge zu schließen Raoul, spät zurückgekehrt, vergessen hatte. Den Kopf anmutig auf den Arm gelehnt, schlief er noch. Seine langen, schwarzen Haare bedeckten halb seine reizende Stirn, welche feucht war von dem Dunst, der in Perlen an den Wangen des milden Kindes herabrollte.

Athos näherte sich und schaute, den Körper vorgebeugt in einer Haltung voll zarter Schwermut, lange den Jüngling mit dem lächelnden Mund, mit den halb geschlossenen Augenlidern an, dessen Traum süß, dessen Schlaf leicht sein musste. So viel Liebe und Sorgfalt verwandte sein Schutzengel auf seine stumme Bewachung. Allmählich ließ sich Athos zu dem Zauber seiner Träumerei in Gegenwart dieser so reichen, so reinen Jugend hinziehen. Seine Jugend tauchte wieder in seinem Inneren auf, mit all ihren süßen Erinnerungen, welche mehr Wohlgerüche sind als Gedanken. Zwischen dieser Vergangenheit und der Gegenwart lag eine Kluft. Aber die Einbildungskraft hat den Flug den Engels und des Blitzes. Sie überspringt die Meere, wo wir beinahe Schiffbruch gelitten hätten, durchdringt die Finsternis, in der sich unsere Illusionen verloren haben, fliegt über, die Abgründe, in die unser Glück gestürzt ist. Er dachte daran, dass der ganze erste Teil seines Lebend von einer Frau zertrümmert worden war, und er überlegte sich mit Schrecken, welchen Einfluss die Liebe auf eine zugleich so zarte und so kräftige Organisation haben konnte.

Während er sich dessen erinnerte, was er gelitten hatte, sah er im Geist das voraus, was Raoul leiden konnte. Der Ausdruck zärtlichen, tiefen Mitleids, welchen sein Herz erfüllte, verbreitete sich in dem feuchten Blick, mit dem er den Jüngling anschaute.

In diesem Augenblick erwachte Raoul, mit jenem Erwachen ohne Wolken, ohne Finsternis und ohne Müdigkeit, das gewisse Organisationen so zart wie die des Vogels charakterisiert. Seine Augen hefteten sich auf die von Athos und er begriff ohne Zweifel alles, was in dem Herzen dieses Mannes vorging, der sein Erwachen erwartete, wie ein Liebender auf das Erwachen der Geliebten harrte, denn sein Blick nahm nun ebenfalls den Ausdruck unendlicher Liebe an.

»Ihr wart hier?«, sprach er ehrfurchtsvoll.

»Ja, Raoul, ich war hier«, erwiderte der Graf.

»Und Ihr wecktet mich nicht?«

»Ich wollte Euch noch einige Augenblicke diesem guten Schlaf überlassen, mein Freund. Ihr müsst müde sein von dem gestrigen Tag her, der sich bis in die Nacht hinein verlängert hat.«

»O, Monsieur, wie gut seid Ihr!«, rief Raoul.

Athos lächelte und sagte: »Wie befindet Ihr Euch?«

»Vollkommen wohl, Monsieur, und völlig ausgeruht und heiter.«

»Ihr wachst noch«, fuhr Athos mit der väterlichen Teilnahme des reifen Mannes für den Jüngling fort, »und die Anstrengungen wirken doppelt in Eurem Alter.«

»Ah! Monsieur, ich bitte um Vergebung«, sprach Raoul, beschämt durch so große Zuvorkommenheit, »aber ich werde in einem Augenblick angekleidet sein.«

Athos rief Olivain, und nach Verlauf von zehn Minuten war der Jüngling mit der Pünktlichkeit, welche Athos im Militärdienst erlernt und auf seinen Mündel übertragen hatte, zum Aufbruch bereit.

»Nun besorge mein Gepäcke«, sagte Raoul zu dem Lakaien.

»Euer Gepäcke erwartet Euch, Raoul«, sprach Athos, »ich habe Euer Felleisen unter meinen Augen packen lassen, und es wird Euch nichts fehlen. Es muss bereits sowie der Mantelsack des Lakai auf den Pferden sein, wenn man die Befehle, die ich gegeben habe, befolgt hat.«

»Alles ist nach dem Willen des Monsieur Grafen geschehen«, sagte Olivain, »und die Pferde harren unten.«

»Und ich schlief!«, rief Raoul, »während Ihr, Monsieur, die Güte hattet, Euch mit all diesen einzelnen Dingen zu beschäftigen. Oh, in der Tat, Ihr überhäuft mich mit Wohltaten!«

»Ihr liebt mich also ein wenig, wie ich hoffe?«, versetzte Athos mit beinahe gerührtem Tone.

»O Monsieur!« rief Raoul, welcher, um die innere Erschütterung nicht durch einen Ausstrom von Zärtlichkeit kundzugeben, sich bis zum Ersticken zusammenhielt. »Oh, Gott ist mein Zeuge, dass ich Euch liebe und verehre.«

»Seht, ob nichts vergessen ist«, sprach Athos und gab sich den Anschein, als suchte er umher, um seine Rührung zu verbergen.

»Nein, Monsieur«, sprach Raoul.

Der Lakai näherte sich Athos mit einem gewissen Zögern und sagte leise zu ihm:

»Der Monsieur Vicomte hat keinen Degen, denn der Monsieur Graf hieß mich gestern den, welchen er ablegte, wegnehmen.«

»Schon gut«, antwortete Athos, »das ist meine Sache.«

Raoul schien diese Zwiesprache nicht zu bemerken. Er stieg hinab und schaute dabei jeden Augenblick den Grafen an, um zu sehen, ob der Augenblick des Scheidens gekommen wäre. Aber das Gesicht von Athos veränderte sich nicht im Geringsten.

Als Raoul die Freitreppe erreichte, erblickte er drei Pferde.

»O, Monsieur!«, rief er ganz strahlend, »Ihr begleitet mich also?«

»Ich will Euch ein wenig führen«, antwortete Athos.

Die Freude glänzte in den Augen von Raoul, und er schwang sich leicht auf sein Pferd.

Athos bestieg langsam das seine, nachdem er zuvor leise ein Wort zu dem Lakaien gesagt hatte, der, statt unmittelbar zu folgen, sich wieder in die Wohnung zurück begab. Entzückt, in der Gesellschaft den Grafen zu sein, bemerkte Raoul nichts oder stellte sich wenigstens, als bemerkte er nichts.

Die zwei Edelleute schlugen den Weg zum Pont-Neuf ein, folgten dann den Quais, oder vielmehr dem, was man damals die Pepintränke nannte, und ritten an den Mauern den Grund Chatelet hin. Sie gelangten eben an die Rue Saint-Denis, als der Lakai sie wieder einholte.

Der Weg wurde schweigend zurückgelegt. Raoul fühlte wohl, dass der Augenblick der Trennung herannahte. Der Graf hatte am Abend vorher verschiedene Befehle in Beziehung auf Dinge gegeben, welche den Verlauf den Tages betrafen. Überdies verdoppelten seine Blicke das Maß ihrer Zärtlichkeit. Von Zeit zu Zeit entschlüpften ihm eine Betrachtung oder ein Rat, und seine Worte waren voll wohlwollender Fürsorge.

Nachdem sie den Pont Saint-Denis hinter sich hatten und auf die Höhe des Rekollekten-Klosters gelangt waren, warf Athos einen Blick auf das Pferd des Vicomte und sagte: »Nehmt Euch wohl in Acht, Raoul, Ihr habt eine schwere Hand, ich habe es Euch oft gesagt, Ihr müsst das nicht vergessen, denn das ist ein großer Fehler für einen Reiter. Seht, Euer Pferd ist bereits müde, es schäumt, während das meine gerade aus dem Stall zu kommen scheint. Ihr macht ihm ein hartes Maul, wenn Ihr das Gebiss so stark anzieht und könnt es dann nicht mit der erforderlichen Behändigkeit manövrieren lassen. Das Glück eines Reitern hängt zuweilen von dem raschen Gehorsam seines Pferdes ab. Bedenkt wohl, in acht Tagen manövriert Ihr nicht mehr in einer Reitschule, sondern auf einem Schlachtfeld.

Dann fügte er plötzlich bei, um dieser Bemerkung kein zu trauriges Gewicht zu geben: »Seht, Raoul, was für ein schönes Feld für die Hühnerjagd!«

Der Jüngling benutzte die Lektion und bewunderte besonders die Zartheit, mit der sie gegeben wurde.

»Ich habe einen Tage noch etwas anderes bemerkt«, sprach Athos. »Ihr haltet beim Pistolenschießen den Arm zu gestreckt. Durch diese Spannung verliert der Schuss die Pünktlichkeit. Unter zwölf Mal verfehltet Ihr auch dreimal das Ziel.«

»Das Ihr zwölfmal getroffen habt«, erwiderte lächelnd Raoul.

»Weil ich den Arm etwas bog und so die Hand auf meinem Ellenbogen ruhen ließ. Begreift Ihr wohl, was ich damit sagen will?«

»Ja, Monsieur, ich habe seitdem, Euren Rat beachtend, allein geschossen und meine Bemühungen waren vom günstigsten Erfolg begleitet.«

»Seht«, versetzte Athos, »das ist gerade wie beim Fechten. »Ihr greift Euren Gegner zu sehr an. Ich weiß wohl, das ist ein Fehler Euren Alters, aber die Bewegung des Körpers beim Angreifen bringt stets den Degen von der Linie ab, und wenn Ihr es mit einem Mann von kaltem Blut zu tun hättet, so würde er Euch bei Eurem ersten Schritt durch einfaches Losmachen Eurer Klinge überwinden.«

»Ja, Monsieur, wie Ihr es oft getan habt. Aber nicht jedermann besitzt Eure Geschicklichkeit und Euren Mut.«

»Welch ein frischer Wind!«, sprach Athos, »das ist eine Erinnerung an den Winter. Doch hört, wenn Ihr in das Feuer geht, und das wird so kommen, denn Ihr seid einem jungen General empfohlen, der das Pulver ungemein liebt, so erinnert Euch gut: In einem Einzelkampf, wie dies so oft besonders uns Kavalieren begegnet, schießt nie zuerst. Wer zuerst schießt, trifft selten seinen Mann, denn er schießt in der Furcht einem bewaffneten Feind gegenüber entwaffnet zu bleiben. Dann, wenn Euer Gegner schießt, lasst Euer Pferd sich bäumen. Diesen Manöver hat mir zwei- oder dreimal das Leben gerettet.«

»Ich werde es anwenden, und wäre es nur aus Dankbarkeit.«

»Ei, sind das nicht Wildschützen, die man da unten festnimmt? Ja, wahrhaftig! Dann noch etwas Wichtiges, Raoul, wenn Ihr bei einem Angriff verwundet werdet, wenn Ihr vom Pferd fallt und es bleibt Euch noch etwas Kraft, so schleppt Euch von der Linie ab, die Euer Regiment verfolgt hat; denn es kann zurückgeführt werden und die Pferde zertreten Euch mit den Hufen. Jedenfalls schreibt mir sogleich oder lasst mir schreiben, wenn Ihr verwundet seid. Wir verstehen uns auf Wunden«, fügte Athos bei.

»Ich danke Euch, Monsieur«, antwortete der junge Mensch ganz bewegt.

»Ah, wir sind in Saint-Denis«, murmelte Athos.

Sie gelangten zum Tor dieser Stadt, an dem zwei Soldaten Wache standen.

Der eine sagte zu dem anderen: »Das ist ein junger Edelmann, welcher aussieht, als wollte er sich zum Heer begeben.«

Athos wandte sich um. Alles, was sich, selbst auf eine nur mittelbare Weise, mit Raoul beschäftigte, gewann sogleich ein Interesse in seinen Augen.

»Woran seht Ihr dies?«, fragte er.

»An seiner Miene, Monsieur«, antwortete die Schildwache. »Überdies hat er das Alter, das ist der Zweite heute.«

»Es ist diesen Morgen schon ein junger Mensch wie ich hier durchgekommen?«, sagte Raoul.

»Ja, meiner Treu, von vornehmem Aussehen und glänzender Rüstung. Er hatte ganz das Wesen einen Sohnes von gutem Hause.«

»Den wird ein Reisegefährte für mich sein«, versetzte Raoul weiter reitend. »Aber ach! Er wird mich denjenigen, welchen ich verliere, nicht vergessen machen.«

»Ich glaube nicht, dass Ihr ihn einholt, Raoul; denn ich habe mit Euch zu sprechen, und das, was ich Euch sagen muss, dauert vielleicht so lange, dass dieser Edelmann einen großen Vorsprung vor Euch gewinnt.«

»Wie es Euch gefällig ist, Monsieur.«

So plaudernd zog man durch die Straßen, welche des Festtags wegen voll Menschen waren, und man gelangte vor die alte Basilika, in der eine erste Messe gelesen wurde.

»Steigt ab, Raoul«, sprach Athos. »Du, Olivain, bewache unsere Pferde und gib mir den Degen.«

Athen nahm den Degen in die Hand, den ihm der Lakai reichte, und die beiden Edelleute traten in die Kirche.

Athos bot Raoul Weihwasser. In gewissen Herzen liegt etwas von der zuvorkommenden Zärtlichkeit, die der Liebende für seine Geliebte hat.

Der Jüngling berührte die Hand von Athos und bekreuzigte sich.

Athos sagte ein Wort zu einem von den Wächtern. Dieser verbeugte sich und schritt der Gruft zu.

»Kommt, Raoul«, sagte Athos, »wir wollen diesem Mann folgen.«

Der Wächter öffnete das Gitter der königlichen Gräber und blieb auf der obersten Stufe stehen, während Athos und Raoul hinabstiegen. Die Grufttreppe war in der Tiefe von einer silbernen Lampe beleuchtet, welche auf der untersten Stufe brannte, und gerade über dieser Lampe ruhte, in einen weiten, mit goldenen Lilien bestreuten Mantel von veilchenblauem Samt gehüllt, ein von eichenen Gestellen getragener Katafalk.

Auf diese Lage durch den Zustand seinen eigenen Herzens voll Traurigkeit, durch die Majestät der Kirche, welche er durchwandelt hatte, vorbereitet, war der Jüngling mit langsamem, feierlichem Schritte hinabgestiegen und stand mit entblößtem Haupt vor dieser sterblichen Hülle den letzten Königs, der sich erst mit seinen Ahnen vereinigen sollte, wenn sein Nachfolger sich mit ihm vereinigen würde, und der hier zu weilen schien, um dem so leicht auf dem Thron zu erregenden Stolze zu sagen: »Irdischer Staub, ich harre dein!«

Es herrschte einen Augenblick Stille.

Dann hob Athos die Hand auf und deutete mit dem Finger auf den Sarg.

»Dieses unsichere Grab«, sprach er, »ist das eines schwachen, aller Größe ermangelnden Menschen, der jedoch eine Regierung voll ungeheurer Ereignisse hatte; denn über diesem König wachte der Geist eines anderen Mannes, wie die Lampe hier über diesem Sarg wacht und ihn beleuchtet. Dieser war der wahre König, Raoul; der andere war nur ein Phantom, in das er seine Seele legte. Und dennoch ist die monarchische Majestät so mächtig bei uns, dass dieser Mann nicht einmal die Ehre eines Grabes zu den Füßen denjenigen genießt, für welchen er sein ganzes Leben aufgebraucht hat. Denn erinnert Euch dieses Umstandes gut, Raoul, wenn dieser Mann den König klein gemacht hat, so hat er das Königtum groß gemacht, und es gibt zwei Dinge, welche im Palast des Louvre eingeschlossen sind: der König, welcher stirbt, und das Königtum, welchen nicht stirbt. Diese Regierung ist vorüber, Raoul. Der von seinem Herrn so gefürchtete, so gehasste Minister ist in das Grab gestiegen, den König nach sich ziehend, den er nicht allein leben lassen wollte, ohne Zweifel aus Angst, er könnte sein Werk zerstören; denn ein König baut nur, wenn er entweder Gott selbst oder den Geist Gottes in seiner Nähe hat. Alle Welt betrachtete den Tod den Kardinals als eine Befreiung, und ich selbst, so blind sind die Zeitgenossen, durchkreuzte oft die Pläne des Mannes, welcher Frankreich in seinen Händen hielt, und der, je nachdem er sie zusammenpresste oder öffnete, das Reich erstickte oder ihm nach Belieben frische Luft gab. Wenn er mich nicht zermalmte, mich und meine Freunde, wenn er uns in seinem furchtbaren Zorn nicht zermalmte, so geschah es ohne Zweifel nur, damit ich Euch heute sagen könnte: Raoul, versteht stets den König von dem Königtum zu unterscheiden; der König ist nur ein Mensch, das Königtum ist der Geist Gottes. Wenn Ihr im Zweifel darüber seid, wem Ihr dienen sollt, so verlasst den materiellen Schein des sichtbaren Prinzips, denn das unsichtbare Prinzip ist alles. Gott wollte dieses Prinzip fühlbar machen, indem er dasselbe die menschliche Natur annehmen ließ. Raoul, es ist mir, als erblickte ich Eure Zukunft wie durch eine Wolke; sie ist, glaube ich, besser als die unsere. Ganz im Gegenteil von uns, die wir einen Minister ohne König hatten, werdet Ihr einen König ohne Minister haben. Ihr könnt also dem König dienen, ihn lieben und achten. Ist dieser König ein Tyrann, denn die Allmacht hat ihren Schwindel, der sie zur Tyrannei antreibt, so dient dem Königtum, das heißt, der unfehlbaren Sache, dem Geiste Gottes auf Erden, diesem himmlischen Funken, der den Staub so groß und so heilig macht, dass wir Edelleute, wenn auch von hoher Geburt, doch so wenig vor diesem auf der obersten Stufe dieser Leiter ausgebreiteten Körper sind, als dieser Körper selbst vor dem Thron Gottes.«

»Ich werde Gott anbeten, Monsieur«, sprach Raoul. »Ich werde das Königtum ehren, dem König dienen und danach trachten, dass ich, wenn ich sterbe, für den König, für das Königtum oder für Gott sterbe. Habe ich Euch wohl begriffen?«

Athos lächelte und sprach: »Ihr seid eine edle Natur, hier ist Euer Degen.«

Raoul setzte ein Knie auf die Erde.

»Er wurde getragen von meinem Vater, einem wackeren Edelmann; ich habe ihn ebenfalls getragen und ihm zuweilen Ehre gemacht, wenn sein Griff in meiner Hand lag und seine Scheide an meiner Seite hing. Ist Eure Hand noch zu schwach, um diesen Degen zu führen, Raoul, desto besser, Ihr werdet Zeit haben, um ihn nur ziehen zu lernen, wenn er den Teig sehen soll.«

»Monsieur«, sprach Raoul, den Degen aus der Hand des Grafen empfangend, »ich habe Euch allen zu verdanken, doch diesen Schwert ist das kostbarste Geschenk, dass Ihr mir gemacht habt. Ich schwöre Euch, ich werde ihn als ein Dankbarer tragen.« Er näherte seine Lippen dem Griff, den er ehrfurchtsvoll küsste.

»Gut«, sprach Athos. »Steht auf, Vicomte, und umarmen wir uns.«

Raoul stand auf und warf sich mit dem vollen Ausstrom seiner Gefühle in die Arme von Athos.

»Gott befohlen«, murmelte der Graf, der sein Herz zerschmelzen fühlte, »Gott befohlen und denkt an mich.«

»Oh! Ewig! Ewig!«, rief der Jüngling. »Oh! Ich schwöre Euch, Monsieur, wenn mir Unglück widerfährt, ist Euer Name der letzte Name, den ich ausspreche, die Erinnerung an Euch mein letzter Gedanke.«

Athos stieg rasch wieder die Treppe hinauf, um die heftige Bewegung seines Gemüts zu verbergen, gab dem Wächter der Gräber ein Goldstück, verbeugte sich vor dem Altar und erreichte mit großen Schritten die Kirchenpforte, vor der Olivain mit den zwei anderen Pferden wartete.

»Olivain«, sagte er, auf das Wehrgehänge von Raoul deutend, »ziehe die Schnalle von diesem Degen an, er fällt ein wenig zu tief. Gut. Nun begleitest du den Monsieur Vicomte, bis Grimaud Euch eingeholt hat. Ist er gekommen, so verlässt du den Monsieur Vicomte. Ihr versteht, Raoul, Grimaud ist ein alter Diener voll Mut und Klugheit; Grimaud wird Euch folgen.«

»Ja, Monsieur«, sprach Raoul.

»Auf, zu Pferde, dass ich Euch wegreiten sehe.«

Raoul gehorchte.

»Gott befohlen, Raoul, Gott befohlen, mein liebes Kind!«

»Gott befohlen, Monsieur!«, rief Raoul, »Gott befohlen, mein vielgeliebter Beschützer!«

Athos machte ein Zeichen mit der Hand, denn er wagte es nicht mehr zu sprechen, und Raoul entfernte sich mit entblößtem Haupt.

Athos blieb unbeweglich und schaute bis zu dem Augenblick nach, wo er an der Biegung der Straße verschwand.

Dann warf der Graf die Zügel seines Pferdes einem Bauern zu, stieg langsam wieder die Stufen hinauf, kehrte in die Kirche zurück, kniete in dem dunkelsten Winkel nieder und betete.

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