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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Lugennatzl von Lugenhausen Teil 5

Der Lugennatzl von Lugenhausen
und seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser als Schuhkünstler, Kammerdiener, Kindsmagd, Kindervergrößerer, Windmacher, Riesenkatzenfabrikant, Mastbaumausreißer, Meerkropfbesitzer, Robinson auf einer lebendigen Insel, Luftfahrer nach Schlaraffia und Entdecker des sechsten Weltteiles, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, usw.

Natzl als Meerfräuleinfischer

Dreihundert Seemeilen hatten wir zurückgelegt, als der Wind, welcher uns bisher forttrieb, mir nichts dir nichts, ohne ein Wort zu sagen, ohne Abschied zu nehmen, heimfuhr. Nun trat eine völlige Windstille ein. Das Schiff war wie angenagelt; es gibt für Seefahrende nichts Traurigeres, als diesen Zustand. Der Kapitän ließ allerlei Versuche mit den Segeln machen, aber ohne Erfolg.

»Wenn es bis morgen nicht besser geht, lasse ich dich aufknüpfen, Windbeutel, Kapitänpreller!«, rief er mir zu, mit geballter Faust drohend.

»Schon gut!«. erwiderte ich lächelnd, »sorgt nur dafür, dass wir bis morgen noch leben, denn wenn mich meine sehr scharfen Augen nicht täuschen, so sehe ich dort, rechtshin, die schreckliche Seeschlange auf uns herankommen, deren Beschreibung schon oft in den Zeitungen zu lesen war. Wenn es ihr beliebt, so verschlingt sie das Schiff mit Mann und Maus.«

Der Kapitän wurde leichenblass, holte schnell in der Kajüte das Fernrohr, schaute nach dem bezeichneten Punkt und schrie voll Angst: »Wahrhaftig, die Seeschlange, die Seeschlange!«

Die übrige Schiffsmannschaft eilte herbei, bei dieser Nachricht an Händen und Füßen zitternd.

»Was ist zu tun, um uns zu retten?«, fragte mich der Kapitän.

»Wartet, bis die Seeschlange näher kommt, dann lasst sie mit Euren Cervelatwurstpistolen totschießen oder mit Euren Flederwischen in Stücke hauen!«

»Keinen Spaß! Die Gefahr ist zu groß!«

»Seht ihr dies ein? Nun, verlasst Euch auf meine Hilfe! Ich will in den Mastkorb hinaufsteigen und im Augenblick der drohenden Gefahr das Schiff und uns alle retten. Ihr sollet dann bekennen müssen, dass ich Euch nicht um die lumpigen 20 Taler geprellt habe!«

Ich stieg in den Mastkorb hinauf. Je näher die Seeschlange kam, desto furchtbarer rauschte das Meer. Als sie etwa nur noch 2000 Schritte entfernt war, konnte ich ziemlich genau bemessen, dass sie ungefähr eine Poststunde lang, hundert Fuß hoch und etwa siebenzig Fuß breit war und eine schwarze Haut mit feuerroten Ringen hatte. Sie schien nur noch hundertfünfzig Schritte entfernt zu sein. Da riss sie den Rachen so weit auf, wie die Hafeneinfahrt dieser Seestadt. Wir glaubten nun alle, dass sie sich nur einen Anlauf nehme, um das ganze Schiff zu verschlingen. Wir täuschten uns. Vermutlich war ihr bei dem Anblick des auf dem Verdeck stehenden, einäugigen Seekapitäns speiübel geworden, denn sie musste sich gewaltig erbrechen, und wie ein feuerspeiender Berg die Lava, alle seit 24 Stunden verschlungenen Fische von sich geben. Unter den tausenden in der Luft zappelnden Fischen waren auch drei Walfische, die im Magen der Seeschlange nicht mehr Platz einnahmen wie in meinem Magen drei Sardellen. Als aber der letzte Fisch ausgespien war, wollte die Seeschlange ihren leeren Magen mit einer soliden Portion wieder anfüllen, warf ein Auge auf unser Schiff, schob sich zusammen wie ein Fernrohr, das man in das Futteral stecken will, um uns im Sprung zu verschlingen, und peitschte mit ihrem Schweif das Meer so stark, dass man meinte, Kanonen krachen zu hören.

Nun war der entscheidende Augenblick gekommen, uns zu retten. Ich löste den zweiten Knoten und ein heftiger Wind trieb das Schiff pfeilschnell fort. Die Seeschlange kam mit ihrem Sprung hinter uns zu spät und platschte mit ihrem ungeheuren Leib so gewaltig in das Meer, dass uns die Wogen desselben turmhoch schleuderten, obwohl wir schon eine Stunde weit entfernt waren. Wir fuhren oder vielmehr flogen 3000 Seemeilen weit. Wir befanden uns nun in der heißen Zone. So heißt jene Gegend in der Natur, wo Jahr aus Jahr ein, Tag und Nacht so eingeheizt ist wie in einem Kalkofen. Unsere Fahrt ging wieder wie gewöhnlich bei günstigem Wind, nachdem auch der zweite Knotenwind Kehrt euch, marsch! heimwärts gemacht hatte.

In einer sonnenhellen kühlen Nacht, da es nur noch so heiß war, dass ein Ei bloß in der freien Luft ohne Feuer sieden konnte, saß ich auf dem Verdeck und war eben mit einem großen Regen- und zugleich Sonnenschirm fertig geworden, den ich aus abgelegtem Segeltuch zusammengenäht hatte, als ich neben dem Schiff ein Liebeslied von einer wunderschönen weiblichen Stimme singen hörte. Dieses Lied lautete:

Ich will mein Herz an niemand binden,
Denn wer mich liebt, der wird mich finden,
Und bleibt er auch gar lange aus,
Er kommt zu mir ins Wellenhaus!

Ah!, dachte ich mir, das ist ein Meerfräulein; ich will diese liebliche Sängerin fangen.

Dorchen machte bei diesen Worten vor Eifersucht ein ellenlanges Gesicht und saß wie auf glühenden Kohlen. Die anderen schliefen schon alle fest. Ich holte ein Netz, befestigte daran als Köder ein Stück von einem alten Notenblatt, überzeugt, dass eine wahre Sängerin nur mit einem solchen Köder oder mit einem goldenen, gefischt werden könne. Nach zwei bis drei Minuten zappelte etwas im Netz. Ich zog es an Bord, und siehe da! Das Meerfräulein war gefangen. Ich befestigte das Netz, oben zugebunden, an einem Pfosten, damit sie nicht über Bord springen konnte. Sie war eine recht hübsche Person mit goldfarbenen Haaren, rosigen Lippen, Perlzähnen, zarten Wangen; nur die Augen waren gar zu fischblau. Die untere Hälfte des Leibes bestand aus dem Schweifstück eines schuppigen Fisches.

»Was willst du mit der armen Unda anfangen?«, fragte sie mich furchtsam.

»Ist dies dein Name, schöne Jungfrau?«

»Ja.«

»Magst du nicht heiraten?«

»Dich? Nein, ich habe schon eine Braut.«

»Nein, ich bin ein Meerfräulein und mag nicht heiraten.«

»Wärst du ein Landfräulein, so würdest du ganz anders sprechen. Ich möchte dich gerne in meine Heimat mitnehmen und überall deine Schönheit sehen lassen.«

»Wenn ich nicht mehr im Meere bin, dann müsste ich sterben.«

»Dann würde ich dich ausstopfen lassen.«

»Schenk mir die Freiheit, damit ich zu meinem Geliebten komme, den ich singend erwartet habe.«

»Wer ist denn dein Liebhaber?«

»Ein Delphin.«

»Kein übler Geschmack.«

»Für meine Freiheit schenke ich dir, eine Schuppe von meinem Schweif. So lange du sie am Leibe trägst, kannst du auf dem Meer und in seiner Tiefe gehen, so lange du willst, ohne zu ertrinken und ohne dass irgendein Ungeheuer des Meeres sich dir zu nahen wagt.«

»Das ist mir ganz lieb. Gib mir die Schuppe.«

»Wirst du Wort halten?«

»Auf Ehre!«

Sie gab mir die Schuppe, ich band das Netz auf, und sie schwang sich in liegender Stellung auf das Bordgeländer.«

»Aus Dankbarkeit will ich dir auch das Leben retten«, sagte sie. »Heißt du nicht Natzl?«

»Ja.«

»Ich habe vor einer halben Stunde unter dem Vorderteil des Schiffes den Kapitän belauscht, welcher der Mannschaft den Vorschlag machte, dich morgen in der Nacht zu erwürgen. Alle ohne Ausnahme haben beigestimmt, denn alle hassen dich. Mit meiner Schuppe am Leib kannst du vom Schiffe entfliehen, wann du willst. Lebe wohl!«

»Tausend Dank, edles Meerfräulein, und recht viele Empfehlungen an deinen Schatz, den Delphin!«

Plump! Da versank sie wieder im Meer. Ich aber dachte mir: Wartet, ihr heillosen undankbaren Spitzbuben, ihr sollt an mich denken.

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