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Der Lugennatzl von Lugenhausen Teil 3

Der Lugennatzl von Lugenhausen
und seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser als Schuhkünstler, Kammerdiener, Kindsmagd, Kindervergrößerer, Windmacher, Riesenkatzenfabrikant, Mastbaumausreißer, Meerkropfbesitzer, Robinson auf einer lebendigen Insel, Luftfahrer nach Schlaraffia und Entdecker des sechsten Weltteiles, wo die Welt mit Brettern verschlagen ist, usw.

Der Lugennatzl erzählt seine wunderbaren Reiseabenteuer zu Land und zu Wasser.

Der große Saal der Casinogesellschaft fasste über 2000 Personen und war an dem Abend, an welchem der Lugennatzl seine wunderbaren Reiseabenteuer erzählte, zum Erdrücken voll, da die vom Pfarrvikar verfasste Ankündigung, die in den sieben Zeitungen der Seestadt erschien, und an allen Straßenecken angeschlagen war, die allgemeine Neugier reizte. Natürlich waren auch der Pfarrvikar, der dem Natzl die Wahl des Anzuges überlassen hatte, mit Mutter, Schwester und Dorchen mit ihren Eltern anwesend. Sogar der Schuhmacher Eustachius Schlager und seine Ehehälfte fehlten nicht. Im Hintergrund des Saales stand das Gesellschaftstheater mit einem schönen Vorhang. Das aus 12 Musikern bestehende Orchester spielte einen Siegesmarsch, wonach der Vorhang aufrollte und in der Tiefe der Bühne ein von vier Säulen getragener Tempel zu sehen war, von einer Gruppe von Palmbäumen umgeben. Im Vordergrund stand ein kleiner Opferaltar.

Rasch öffnete sich das Tor des Tempels, aus dem ein schlanker Mann trat, in der Tracht eines indischen Zauberers, mit einem langen, rabenschwarzen Bart, der bis auf den Gürtel reichte. Der Natzl war es, der den guten Einfall gehabt hatte, diesen Anzug zu wählen, der weit mehr Eindruck machte als ein neumodisches Alltagskleid und es zugleich möglich machte, unter dem Bart seinen kostbaren Meerkropf zu verstecken. Natzl, welchen Dorchen in dieser Tracht erst an der Stimme erkannte, als er sprach, neigte würdevoll sein Haupt, stellte sich hinter den Opferaltar und begann bei einer Stille, dass man eine Maus hätte atmen hören können:

»Verehrungswürdige!

Vor allem danke ich für Ihren gütigen, zahlreichen, für mich so ehrenvollen, für die Stadtarmen so wohltätigen Besuch. Erwarten Sie von mir keine Prahlereien, keine Windbeuteleien, keine Aufschneidereien, wie man sie oft bei anderen Reisenden findet. Ich schneide nichts auf als Speisen. Was ich auf meinen Reisen erlebt habe, ist ohnehin so wunderbar, dass es keiner Erfindung bedarf. Am interessanten Stoff wird es mir nicht fehlen, da ich ziemlich lange Zeit in dem Land Schlaraffia mich aufgehalten habe, dessen Existenz von so vielen neueren Naturforschern geleugnet wird, obwohl wir eine Menge von Sitten und Gewohnheiten desselben auch bei uns in Europa finden können.

Viele von Ihnen, meine Herren und Damen, werden sich vielleicht noch erinnern, dass ich vor ungefähr drei Jahren als Kammerdiener eines reichen Lords von dem hiesigen Hafen aus nach London absegelte. Durch den umfassenden Unterricht, welchen ich bei dem noch zurzeit in Lugenhausen befindlichen Herrn Pfarrvikar genossen hatte, war ich mit seltenen Kenntnissen ausgerüstet, wovon sich der Lord auch bald überzeugte. Noch am ersten Tag unserer Fahrt geschah es, dass er mit dem Stiefel seines rechten Fußes im Vorbeigehen an einen hervorstehenden eisernen Nagel streifte, der ihm die Sohle in vier Stücke zerriss. Das Gepäck des Lords lag so tief unter anderen Reiseeffekten, dass er kein anderes Paar Stiefel herausnehmen konnte. Gemeine Matrosenstiefel wollte er auch nicht anziehen. Da geriet ich auf den Gedanken, aus geräuchertem Speck eine Sohle zu schneiden, sie in siedend heißen Teer zu tauchen, erkalten zu lassen und sie dann auf den Stiefel zu nähen. Der Lord meinte, er gehe auf einer Sohle von Samt und war so zufrieden damit, dass er mir ein Goldstück schenkte und den Rat gab, mich auf das Erfinden zu verlegen, wozu ich ein großes Talent zu haben scheine. In der Nacht aber fraßen die Mäuse meine neueste Erfindung, worüber der sonst so grämliche und langweilige Lord herzlich lachen konnte. Ich musste ihm sogleich wieder eine andere solche Sohle machen, wofür er mir wieder ein Goldstück schenkte.

Wir kamen wohlbehalten in London an, fuhren durch die Stadt und kamen nach zwei Stunden auf das Landgut des Lords, das ganz allein auf einer Anhöhe, nicht weit von einem Wald lag. Ein halb tauber Pförtner, ein alter Hagestolz ohne Frau und Kinder, öffnete das Tor und überreichte dem Lord sogleich einen Brief des Ersten Ministers, der den Lord dringend ersuchte, nach Empfang des Briefes augenblicklich, sei es Tag oder Nacht, zu ihm nach London zu kommen. Der Lord setzte sich also gleich wieder in seine von London mitgenommene Equipage und fuhr dahin zurück, nachdem er mit großer Mühe aus dem Pförtner die Nachricht herausgeschrien hatte, dass dieser Brief erst vor einer Stunde angekommen sei.

Ich blieb allein bei der Lady und schlief am Ende eines langen Ganges, in einem Zimmer, in welchem eine Glocke war, deren Klingelschnur in ihrem Zimmer an der Wandseite des Bettes sich befand. Am anderen Tag brachte ein Vorreiter des Lords folgenden Brief an die Lady:

Liebe Frau!

Ich muss acht Tage lang mit dem Minister arbeiten, in seinem Haus wohnen. Er lässt mich nicht eher fort, bis wir fertig sind. Der Vorreiter wird täglich einen Korb mit Speise und Trank für dich und den Kammerdiener bringen.

Lord Astley.

Die Lady schien über diese Botschaft gar nicht erfreut. Sie sagte zu mir, dass sie gesonnen sei, morgen in ihr Haus nach London zu fahren, um in der Nähe ihres Gatten zu sein. Im Stall des Landgutes standen sechs Pferde, für die der Portier sorgen musste, weil die Dienerschaft noch immer in der Stadt war.

›Kannst du kutschieren?«, fragte sie mich.

›Ein-, zwei-, vier- oder sechsspännig!‹, antwortete ich. Wenn man gefragt wird, ob man dies oder jenes kann, muss man immer Ja sagen, um sich keine Blöße zu geben.

›Desto besser‹, erwiderte die Lady.

Aber der Mensch denkt und Gott lenkt. In der Nacht, als ich eben mich entkleiden wollte, um zu Bette zu gehen, schellte die Lady dreimal heftig. Mit dem Licht in der Hand eilte ich zu ihr. Sie hatte sich um ein Monat verrechnet und unvermutet ihrem Lord ein munteres Lordlein geschenkt. Die eiserne Notwendigkeit machte mich unter diesen Umständen zur Hebamme. Alles ging glücklich vorüber. Ich machte Feuer auf dem Küchenherd. Während das Wasser sott, schnitt ich aus den Leintüchern Windeln für das Lordlein, das ich dann in einem Schwenkkessel badete. Die Lady lächelte, als sie mich so gewandt hantieren sah.

Sie äußerte den Wunsch, dem Lord von diesem Ereignis eine Nachricht zu senden.

›Tun Sie dies ja nicht, Lady!‹, erwiderte ich, ›Ihr Herr Gemahl würde aus Liebe zu Ihnen sogleich seine Arbeit unterbrechen und dadurch den mächtigen Minister sich zum Feinde machen. In wenigen Tagen kommt er ohnehin.‹

Die Lady beruhigte sich. Weil keine Säugamme vorhanden war, übernahm ich das Geschäft derselben dadurch, dass ich das Lordlein trinken ließ – aus einem Kristallgefäß mit einem goldenen Knöpfchen vorn. Im Rindviehstall befanden sich zwar zwanzig Kühe, die aber leider nur Rahm gaben, aber keine Milch, weshalb ich diesen Rahm immer erst mit Wasser verdünnen musste, was auch die deutschen Rahmverkäuferinnen gewöhnlich zu tun pflegen.

Als der Lord auf das Landgut kam, trug ich eben als Kindsmagd das Lordlein auf meinen Armen. Er war über alle meine Leistungen so erfreut, dass er mir sogleich eine Banknote von 60 Gulden schenkte, mit der Bemerkung, dass noch eine größere Belohnung nachfolgen werde. Nach 14 Tagen kehrten wir zur feierlichen Taufe des Knäbchens, das den Namen Wilhelm erhielt, nach London zurück, wobei ich Geschenke erhielt, die eine Handvoll Goldstücke betrugen.

Die Gäste hatten sich entfernt. Der Lord stand gedankenvoll neben dem Tisch, auf welchem das Lordlein lag, als ich ihm gerade das Taufkleid anzog.

›Ach!‹, seufzte er, ›wenn nur mein Kind schon so groß wäre wie ein sechsjähriger Knabe!‹

Nichts leichter als dies!‹ antwortete ich.

›Bist du von Sinnen?‹, erwiderte der Lord und riss die Augen vor Erstaunen so groß auf, wie Brabantertaler.

›Keineswegs. Ich bin bereit, Eure Herrlichkeit (so nennt man einen Lord, auch wenn er gar nicht herrlich ist) durch den Beweis zu überzeugen.‹

›Ich wüsste gar nicht, was ich dir schenken sollte, wenn du dies zustande bringen würdest.‹

›O! Ich würde Ihnen schon darauf helfen! Das wäre meine geringste Sorge.‹

›Ist keine Gefahr für Leben und Gesundheit des Kindes dabei zu befürchten?‹

›Gar keine?‹

›Sind viele Kosten damit verbunden?‹

›Unbedeutende. Vermutlich werden 30 Gulden hinreichen.‹

›Ich scheue keine Kosten. Hier hast du 100 Gulden. Wenn du mehr brauchst, darfst du es nur sagen.‹

›Sie sind sehr gütig, es ist mehr als genug.‹

›Wie viel Zeit brauchst du dazu?‹

›Wie viel Zeit ich zu den Vorbereitungen brauche, kann ich nicht genau bestimmen. Bekomme ich das Notwendige ohne Verzögerung in der Zeit von zwei Tagen zu kaufen, so werde ich mit dem eigentlichen Verfahren auch längstens in zwei Tagen fertig, im Ganzen also vier Tage.‹

›Wunderbar! Aber worin besteht denn dieses Verfahren?‹

›Einfach darin, dass man der Natur unter die Arme greift und ihr jene Kraft wieder verleiht, die sie vor der Sintflut gehabt hat. Damals brachte sie bekanntlich Menschen und Tiere von ungeheurer Größe hervor, die seitdem nicht mehr gefunden werden.‹

›Das ist mir aus der Naturgeschichte bekannt; aber deine Schnelligkeit ist mir nicht begreiflich.‹

›Denken sie nur an die Schnellessigfabrikation, an das Schnellräucherungsverfahren, und andere solche Schnelligkeiten; ähnlich ist auch mein Schnellwachstumsverfahren, was eine Art von Menschentreibhaus ist.‹

›Ah so!‹

›Und nun erlauben sie, dass ich ans Werk gehe.‹

›Tu dies, mein lieber Natzl!‹

Ich war so glücklich, noch am nämlichen Tage alles kaufen zu können, was ich zur Verfertigung einer Schnellwachstumsmatratze nötig hatte. Dass ich die Bestandteile derselben verschweige, werden Sie mir nicht übel nehmen, da ich ein Privilegium darauf nachzusuchen gedenke. Auf diese Matratze legte ich den kleinen Wilhelm und gab ihm alle Viertelstunden einen Kaffeelöffel voll flüssiges Löwenmark zu schlürfen. Schon nach 37 Stunden hatte er die Größe und Stärke eines sechsjährigen, blühenden Knaben mit rosigen Wangen. Ich gab ihm ein Stück Mandeltorte. Auf meinen Zuruf sprang er auf und hüpfte an meiner Hand in den Salon, worin seine Eltern eben frühstückten.

›Guten Morgen, Papa! Guten Morgen, Mama! Gut geschlafen? Ja?‹, rief Wilhelm mit freudestrahlenden Augen, umarmte und küsste beide, setzte sich an den Tisch, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und war lustig und guter Dinge.

Nicht gefasst auf ein solches Wunder, saßen die Eltern anfangs sprachlos da, dann herzten sie den lieben Sohn, der kein Söhnchen mehr war, und überhäuften mich mit Lobsprüchen und Danksagungen, gaben mir auch ganze Hände voll Goldstücke. Wilhelm bekam sogleich einen eigenen Hofmeister und fing auch gleich an, sehr fleißig zu lernen.

›Was wäre denn aus dem Wilhelm geworden, wenn du ihn auf deiner künstlichen Matratze acht Tage lang hättest liegen lassen?‹, fragte der Lord.

›Ein Riese!‹

›Ein Riese?‹

›Ja; und dies wünschten Sie gewiss nicht?‹

›Wahrhaftig nein!‹

›Eure Herrlichkeit haben mich auf einen lustigen Einfall gebracht.‹

›Auf welchen?‹

›Ich bitte eine Überraschung zu erwarten.‹

›Gut!‹

Ich machte auf die nämliche Art eine sehr große Matratze in einem leeren weiten Raum des Hintergebäudes und legte ein kleines, ganz weißes Kätzchen darauf, welches ich acht Tage lang unter meiner Behandlung liegen ließ. Dann bat ich den Lord und die Lady, mir dahin zu folgen. Ich öffnete die Torflügel, und vor ihnen stand eine ganz weiße Katze von der Größe und Stärke einer großen  Schweizerkuh. Es ist mir unmöglich, das Erstaunen meiner Herrschaft bei diesem Anblicke auszudrücken.

›Machen Sie mit dieser Riesenkatze‹, sagte ich, ›der Menagerie des Botanischen Gartens ein Geschenk, mit der Bemerkung, dass es eine aus Hinterindien gekommene Katze aus der Zeit vor der Sintflut sei und unter der Bedingung, sie gegen Eintrittsgeld zum Besten der Armen sehen zu lassen.‹

›Eine erwünschte Gelegenheit‹, versetzte der Lord laut lachend, ›den Direktor des Botanischen Gartens zu foppen, mit dem ich ohnehin auf keinem guten Fuß stehe!‹

Der Lord befolgte meinen Rat, der Direktor war außer sich vor Freude über den Besitz dieses wunderbaren Tieres, und schon am folgenden Tag stand diese Nachricht in allen Zeitungen von London. Wochenlang strömten die Neugierigen zu Tausenden und Tausenden herbei und es ergab sich eine ungeheure Einnahme zum Besten der Armen. Die gelehrten Herrn schrieben ganze Bücher über dieses Wundertier und jeder hielt es für etwas anderes als eine Katze. Einer von ihnen glaubte den Nagel auf den Kopf getroffen zu haben, durch die Behauptung, dass es ein vorsintflutlicher zahmer Tiger sei.

Der Lord war oft tagelang in der Menagerie und ergötzte sich an den verschiedenen Ansichten der Naturforscher, wobei er sich über den gelungenen Spaß heimlich ins Fäustchen lachte. Vierzehn Tage lang war in allen Gesellschaften, auf allen Straßen und in allen Kneipen nur von diesem Katzenungeheuer die Rede. Sie können sich wohl denken, dass ich bei meiner Herrschaft hoch in Ehren stand.

Eines Morgens, nach dem Frühstück, sagte der Lord zu mir: ›Riesenkatzenmacher-Natzl, du bist in London und hast London noch nicht gesehen. Da, nimm diese 6 Goldstücke, fahre durch alle Straßen und betrachte alles Sehenswürdige! Halte eine gute Mittagsmahlzeit in einem anständigen Gasthaus und nicht in einer gemeinen Winkelkneipe, in welcher du deines Lebens nicht sicher wärst!‹

Ich dankte dem Lord für seine Güte, ging in mein Zimmer und legte meine soeben erhaltenen Goldstücke zu den übrigen, die schon darin lagen, denn ich hatte mir fest vorgenommen, recht tüchtig zu sparen, um dadurch in den Stand gesetzt zu werden, mich hier, in Ihrer Mitte, Verehrungswürdige, ansässig zu machen. Nur einige Gulden steckte ich in die Tasche, keineswegs in der Absicht, sie auszugeben, sondern nur um beim Bezahlen meiner kleinen Zeche nicht gar zu ärmlich zu erscheinen. Dann nahm ich meine Kappe und verließ das Haus.

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