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Hexengeschichten – Die Hexenkönigin – Kapitel 2 Teil 4

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Die Hexenkönigin
Kapitel 2 – Teil 4

Frau Grethe Strumpf hatte eine sehr unruhige, schier ganz schlaflose Nacht. Des Knechtes Weggang ärgerte sie nicht bloß, wie er ihrem Mann ärgerte, nein, er ängstigte sie. Sie wiederholte sich Wort für Wort die Reden, die zwischen ihr und Lurz gefallen waren, sie bereute, dass sie ihn bedroht hatte – wie? Wenn er ihrer Drohung halber entwichen war, weil er wusste, dass sie nicht Spaß machte – weil er sich am Morgen so übel befunden, weil er vielleicht vermutete, dass sie Böses gegen ihn im Sinn habe? Und wenn er etwas gegen sie wusste? Wenn er es angab? In voriger Nacht hatte der Lurz schwer gelitten, heute litt sie, ungleich schwerer als er. Er ritt die Nachtmahr, nicht die Nachtmahr ihn. Heute aber lag es auf ihr, ritt auf ihr, das furchtbare Nachtmännlein, das Alp des bösen Gewissens, gegen das kein Segen helfen wollte.

Vergebens murmelte Frau Grethe Strumpf die alte Formel:

Ich beschwöre dich, Alp, Alp,
Der du Augen hast wie ein Kalb,
Einen Rücken wie ein Teigtrog,
Weiche von deines Herrn Hof.

Es wich nicht, bis der Halbschlummer wich und sie zitternd und bebend aus ihm zum vollen Bewusstsein erwachte.

Hehr und feierlich riefen die Glocken zur Kirche.

Dumpf rollend hallten in langen Pulsen die Schläge der großen Domglocke Kölns bis Kesselbrunn herüber.

Der Sonntagsmorgen war rein und kalt; aber ein Nebelmeer schwamm in der Ferne, über dem breiten Strom. Aus dem Nebel tauchte das Sonnenrad, eine riesige kupferne Kugel, wie ein blutiges Meteor.

Der Pfarrer des Dorfes hatte noch in später Nacht seine vorher entworfene Predigt abgeändert und suchte seine Gemeinde auf Unerhörtes vorzubereiten. Er legte ein Wort der Offenbarung aus: Der Ungläubigen und Zauberer Teil wird sein in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt. Und erschütterte die Zuhörer mit Donnerworten.

Aus dem Strumpfenhof war niemand in der Kirche.

Gegen die Ungläubigen, gegen die Verächter des Wortes Gottes, wandte sich der erste Teil von Ehren Meisers Predigt. Wie aus dem Unglauben die Neigung zu jedem anderen Laster und jeder Todsünde entspringe, behandelte der zweite Teil; die Todsünde der Zauberei der dritte; der vierte endlich schilderte die Beschaffenheit weltlicher und ewiger Strafen mit entsetzlicher Fantasie. Da richtete sich mancher Blick derer, die sich rein fühlten, nach jenen hin, die verrufen waren, zumal nach der Hebamme des Dorfes. Mancher Blick suchte den Boden, und in manchen Herzen kochte der Zorn über den Pfarrer. Gutes war es nicht, was ihm gewünscht wurde.

Dass der Knecht Lurz gestern vom Strumpfenhof weggelaufen sei und niemand wisse, wohin, flüsterte indessen trotz des Pfarrers Zornpredigt als Dorfneuigkeit von Ohr zu Ohr in den Kirchenständen.

Nach der Kirche und während der Zeit des Mittagessens kleidete sich Pastor Meiser an, führte seinen Gast durch das Hinterpförtlein im Haus und Pfarrgarten hinaus in das freie Feld und ging mit ihm stracks nach Köln, trug selbst das Buch, das grause Zeugnis der Untaten seiner Gemeinde. Er führte Lurz zum Konsul Dirigens und trug diesen dem ganzen Fall vor. So ließ der Bürgermeister Lurz in leidlichen Gewahrsam nehmen, dankte dem Pfarrer für seinen Eifer und berief eilig und schleunig eine Ratsversammlung.

Das Buch enthielt nicht weniger als dreitausend Namen von Frauen, Männern und jungem Volk aus zahlreichen Dörfern der Umgegend. Aus Kesselbrunn standen vierzig Namen darin aufgezeichnet, an deren Spitze Frau Grethe Strumpf, die Königin, unter ihr ihr Sohn Andrea, diesem folgten die Namen der Hebamme und siebenunddreißig anderer Personen.

Da entbot ein edler Rat seine Garde, die berühmten Funken, sandte hinaus gen Kesselbrunn eine starke Schar dieser tapferen Wehrmannschaft ließ alles einziehen, was verdächtig war, und wurde schier in allen Häusern großes Geschrei, Wehklage, Heulen und Zähneklappern.

Friedrich Strumpf wusste gar nicht, wie ihm geschah, als sein Haus von Wachen umstellt wurde, als man hereindrang und im Namen des Rates seine Frau und sein Söhnlein in Haft nahm und von dannen führte. Er schrie zu Gott im Himmel hinein über Gewalttat und schreiendes Unrecht.

Frau Grethe Strumpf wusste, wie ihr geschah; sie schwieg, denn zu Gott im Himmel konnte sie nicht schreien.

Nur andeuten lassen sich die Schauer, die Scheuel und Gräuel eines Monstre-Hexenprozesses, der nun begonnen wurde zu Köln in der heiligen Stadt, gegen ein Heer von Menschen, Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen und gegen unmündige Kinder. Der Wahnsinn der Zeit, der Aberglaube, saß wie ein wutschnaubender Belsazar auf blutigem, flammenumstrahltem Thron und heischte Opfer auf Opfer.

Die gemarterten, auf den Tod gequälten Menschen bekannten alles, alles; die Folter half zum Bekenntnis von allem.

Nur eine bekannte nicht, trotz aller grimmen Folterpein, trotz den Schnüren und Zügen, trotz Daumen- und Zehenschrauben, trotz polnischem Bock und spanischen Waden, trotz der Stirnkrone und Maultulpe, trotz der Leiter und dem gespickten Hasen – kein Wort entrissen ihr alle diese Qualen. Das war die Hebamme, Frau Nullendörfer zu Kesselbrunn.

Aber die Hexenkönigin bekannte in der Folter, dass sie Christum, unseren Herrn, abgeschworen und dem bösen Feind sich verlobt zu allen bösen Taten; dass sie ihren Nachbarn Schaden getan an Korn und Kraut; dass sie zu Wege gebracht Schrecken und Schnecken, Läuse und Mäuse, Ratten und Unken, Gewürm und Raupen; dass sie verderbt und gestorben, so viel sie gekannt durch Ungeziefer, Krankheit und Wehtun; dass sie die, denen sie feind, als Nachtmahr geritten, ja geritten krumm und lahm, zumal wenn sie ihr dadurch verfallen wären, dass sie früh beim Aufstehen nicht gebetet, auch ihre Hände nicht gewaschen hätten; dass sie ferner das Hexenamt gelehrt habe ihrem eigenen einzigen Sohn, dem Knaben Andres, und der Hebamme und den anderen Hexen und Herrinnen in Kesselbrunn, ja selbst in Nachbardörfern.

Als Frau Grethe Strumpf ihr allgemeines Bekenntnis abgelegt hatte, folgte das Besondere über die schwarze Glucke. Sie bekannte, dass ihr der Feind eine Kröte zugesellt und zu eigen gegeben habe, mit der Eigenschaft, tagsüber und in den Augen der Leute die Gestalt einer schwarzen Henne anzunehmen und so viele Hühnereier zu legen, wie Frau Grethe wolle. Das sei so gekommen, als sie einst mit dem Feind, ihrem Buhlen, in der Flur spazieren gegangen sei, habe in einem Wassergraben ein Krötenpärchen gehockt. Die Kröte habe ihre Eier gelegt, eine endlos lange Schnur, und die Eier haben aneinander gehangen wie Paternosterküglein. Da habe Frau Grethe gewünscht: »So eine Gockel möchte ich haben, die so viel, aber große Hühnereier legte, zu aller Zeit, auch im Winter.«

Da habe der Feind ihr gesagt: »Wenn du mein sein willst, sollst du solch eine schwarze Gockelhenne haben.«

Sie habe dafür jeden Tag die Glucke in euterwarmer Milch baden und ihr alle vier Wochen eine geweihte heilige Hostie, die sie beim Abendmahl empfangen hatte, zu essen geben müssen. So habe sie dem Teufel geopfert, denn die Glucke sei ein Teufel gewesen.

Da nun die ganze gefangene Hexenschaft alles bekannt hatte, was ein hoher Rat zu wissen verlangte, und Urteil und Recht gesprochen war, so erfolgte die große Hinrichtung.

Ein Wort der Heiligen Schrift hatte schon vielen Tausenden von Menschen das Leben abgesprochen: so auch hier. Auf dieses eine Wort gründete der Unsinn einiger Jahrhunderte sein blutiges Recht, fand Entschuldigung, ja Berechtigung der schauderhaftesten Grausamkeit einzig und allein in ihm.

Es war das Wort im zweiten Buche Moses, im zweiundzwanzigsten Kapitel, der achtzehnte Vers: Die Zauberinnen sollst du nicht leben lassen.

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