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Die drei Musketiere – Zwanzig Jahre danach – Kapitel XIX

Alexandre Dumas
Zwanzig Jahre danach
Erstes bis drittes Bändchen
Fortsetzung der drei Musketiere
Nach dem Französischen von August Zoller
Verlag der Frankh’schen Buchhandlung. Stuttgart. 1845.

XIX. Woran sich der Herzog von Beaufort im Kerker ergötzte

Der Gefangene, der dem Monsieur Kardinal so Bange machte und dessen Entweichungsmittel die Ruhe des ganzen Hofes störten, hatte kaum eine Ahnung von der Angst, die man seinetwegen im Palais Royal empfand.

Er sah sich so bewunderungswürdig bewacht, dass er die Fruchtlosigkeit seiner Versuche erkannte. Seine ganze Rache bestand darin, dass er zahllose Verwünschungen und Schmähworte gegen Mazarin ausstieß. Er versuchte es sogar, Verse zu machen, leistete aber sehr bald wieder darauf Verzicht. Monsieur von Beaufort hatte nicht nur von dem Himmel die Gabe der Dichtkunst nicht erhalten, sondern er drückte sich sogar oft in Prosa mit der größten Mühe aus.

Der Herzog von Beaufort war der Enkel von Heinrich IV. und Gabriele d’Esnées, ebenso gut, ebenso brav und besonders ebenso Gascogner wie sein Großvater, aber bedeutend weniger in den Wissenschaften bewandert. Nachdem er eine Zeit lang nach dem Tod von König Ludwig XIII. der Günstling, der Mann des Vertrauens, kurz, der Erste am Hof gewesen war, musste er eines Tages seinen Platz Mazarin abtreten und wurde der Zweite. Und am Tag danach, da er so wahnsinnig war, sich über diese Versetzung zu ärgern, und so unklug, es zu sagen, ließ ihn die Königin verhaften und durch denselben Grimaud nach Vincennes führen, den wir am Anfang dieser Geschichte gesehen haben und wieder zu finden Gelegenheit haben werden. Wohl verstanden, wer sagt, die Königin, sagte Mazarin. Man hatte sich seiner Person und seiner Ansprüche nicht nur entledigt, sondern man berücksichtigte ihn auch gar nicht mehr, ein so populärer Prinz er auch war. Seit fünf Jahren bewohnte er ein sehr wenig königliches Zimmer im Turm von Vincennes.

Dieser Zeitraum, welcher die Ideen jedes anderen als des Monsieur von Beaufort gereift hätte, ging über seinem Haupt hin, ohne irgendeine Veränderung zu bewerkstelligen. Ein anderer würde in der Tat bedacht haben, dass er, wenn er nicht seinen Stolz darin gesetzt hätte, dem Kardinal zu trotzen, die Prinzen zu verachten und allein zu gehen, ohne andere Parteigänger als, wie der Kardinal von Retz sagt, einige schwermütige Träumer, seit fünf Jahren seine Freiheit oder Verteidiger haben müsste. Diese Betrachtungen entstanden wahrscheinlich nicht im Geist des Herzogs, den seine lange Gefangenschaft nur noch mehr in seiner Starrköpfigkeit festigte. Und jeden Tag erhielt der Kardinal Nachrichten von ihm, die seiner Eminenz im höchsten Grade unangenehm waren.

Nachdem Monsieur von Beaufort in der Poesie gescheitert war, versuchte er es in der Malerei, und da seine ziemlich mittelmäßigen Talente in dieser Kunst es ihm nicht gestatteten, eine große Ähnlichkeit zu erreichen, so schrieb er, um keinen Zweifel über das Original des Porträts Raum zu geben, unter dasselbe Ritratto dell illustrissimo Facchino Mazarini. Monsieur von Chavigny hiervon in Kenntnis gesetzt, machte dem Herzog einen Besuch und bat ihn, sich einen anderen Zeitvertreib zu wählen oder wenigstens Porträts ohne Legenden zu machen. Am nächsten Tag war das Zimmer voll von liegenden und stehenden Porträts. Monsieur von Beaufort glich, wie übriges alle Gefangene, den Kindern, welche nur hartnäckig auf Dingen bestehen, die man ihnen verbietet.

Monsieur von Chavigny wurde von diesem Zuwachs von Profilen unterrichtet. Seiner nicht hinreichend sicher, um den Kopf de face zu wagen, hatte Monsieur von Beaufort aus seinem Zimmer einen wahren Ausstellungssaal gemacht. Diesmal sagte der Gouverneur nichts; als aber eines Tages Monsieur von Beaufort Ball spielte, ließ er mit dem Schwamm über alle diese Zeichnungen fahren und das Zimmer mit Wasserfarbe bemalen.

Monsieur von Beaufort dankte Monsieur von Chavigny, teilte diesmal sein Zimmer in Felder und widmete jeden von diesen Feldern einem Zug aus dem Leben des berühmten Kardinals von Mazarin.

Das erste Feld sollte den hochwürdigsten Schurken Mazarin darstellen, wie er eine Tracht Prügel vom Kardinal Bentivoglio empfing, dessen Bedienter er gewesen war.

Das Zweite den hochwürdigen Schurken Mazarin, die Rolle von Ignaz von Loyola in der Tragödie dieses Namens spielend.

Das Dritte den hochwürdigsten Schurken Mazarin, das Portefeuille des ersten Ministers Monsieur von Chavigny stehlend, der es bereits in den Händen zu haben glaubte.

Das Vierte endlich den hochwürdigsten Schurken Mazarin, wie er La Porte, dem Kammerdiener von Ludwig XIII. Leintücher verweigert und behauptet, es sei für einen König von Frankreichs hinreichend, alle Vierteljahre die Leintücher zu wechseln.

Es waren dies großartige Kompositionen, welche offenbar den Umfang des Talentes des Gefangenen überstiegen, und so begnügte er sich, die Rahmen zu zeichnen und die Inschriften hineinzusetzten.

Aber diese Rahmen und die Inschriften genügten, um die Empfindlichkeit von Monsieur von Chavigny zu erregen, welcher Monsieur von Beaufort in Kenntnis setzen ließ, wenn er nicht auf die beabsichtigten Gemälde Verzicht leiste, so werde er ihm jedes Mittel zur Ausführung entziehen. Monsieur von Beaufort antwortete, da man ihn der Möglichkeit beraube, sich einen Ruf durch die Waffen zu erwerben, so wolle er sich einen solchen in der Malerei machen. Da er kein Bayard oder Trivulce werden könne, so wolle er ein Michel Angelo oder Raphael werden. Als Monsieur von Beaufort eines Tages im Gefängnisgarten spazieren ging, nahm man ihm sein Feuer, mit seinem Feuer seine Kohle, mit seiner Kohle seine Asche weg, sodass er nicht den geringsten Gegenstand mehr fand, woraus er einen Zeichenstift hätte machen können.

Monsieur von Beaufort schwor, tobte, heulte und sagte, man wolle ihn vor Kälte und Feuchtigkeit sterben lassen, wie Puylaurens, der Marschall Ornano und der Großprior von Vendome gestorben seien, worauf Monsieur von Chavigny antwortete, er habe nur sein Wort zu geben, er wolle auf das Zeichnen Verzicht leisten, oder zu versprechen, er wolle keine historischen Gemälde mehr machen, und man werde ihm Holz und Alles zurückschaffen, was er brauche, um es anzuzünden. Monsieur von Beaufort wollte sein Wort nicht geben und blieb die übrige Zeit des Winters ohne Feuer.

Mehr noch, während der Gefangene einst ausging, kratzte man die Inschriften ab, und das Zimmer war wieder weiß und kahl und ohne irgendeine Spur von einer Freske.

Monsieur von Beaufort kaufte nun einem von seinen Wächtern einen Hund, namens Pistache, ab. Da nichts entgegenstand, dass die Gefangenen einen Hund hatten, so gab Monsieur von Chavigny die Erlaubnis, dass das vierfüßige Tier seinen Herrn wechsle. Monsieur von Beaufort blieb oft Stunden lang mit seinem Hund eingeschlossen. Man vermutete wohl, dass sich der Gefangene während dieser Stunden mit der Erziehung von Pistache beschäftigte, aber man wusste nicht, in welcher Richtung er dies tat. Als Pistache hinreichend abgerichtet war, lud Monsieur von Beaufort einen Tages Monsieur von Chavigny und die Offiziere von Vincennes zu einer großen Vorstellung ein, die er in seinem Zimmer gab. Die Eingeladenen erschienen, das Zimmer war mit so vielen Kerzen beleuchtet, als Monsieur von Beaufort sich hatte verschaffen können. Die Übungen begannen.

Der Gefangene hatte mit einem von der Mauer abgelöstes Stücke Gips mitten durch das Zimmer eine lange Linie, einen Strick darstellend, gezogen. Pistache setzte sich auf den ersten Befehl seines Herrn auf diese Linie, stellte sich sodann auf seine Hinterpfoten und fing an, einen Kleiderausklopfstock zwischen seinen Vorderpfoten haltend, der Linie mit allen Windungen zu folgen, die ein Seiltänzer macht. Nachdem er die Länge der Linie zwei- oder dreimal vor- und rückwärts durchlaufen hatte, gab er den Stock Monsieur von Beaufort zurück und machte dieselben Evolutionen ohne Balancierstange.

Das gescheite Thier wurde mit Beifallsbezeugungen überhäuft.

Das Schauspiel war in drei Abteilungen geteilt. Sobald die erste beendet war, ging man zu der zweiten über. Es handelte sich zuerst darum, anzugeben, wie viel Uhr es war.

Monsieur von Chavigny zeigte Pistache seine Uhr. Es war halb sieben Uhr.

Pistache hob und senkte die Pfote sechsmal und bei dem siebenten Mal blieb dieselbe in der Luft. Man konnte unmöglich klarer sein. Eine Sonnenuhr hätte nicht besser geantwortet. Wie jedermann weiß, hat die Sonnenuhr den Nachteil, dass sie die Stunde nur angibt, wenn die Sonne scheint.

Dann handelte es sich darum zu erkennen, wer der beste Kerkermeister aller Gefängnisse von Frankreich wäre.

Der Hund machte dreimal die Runde und legte sich auf die ehrfurchtsvollste Weise Monsieur von Chavigny zu Füßen.

Monsieur von Chavigny stellte sich, als fände er den Scherz vortrefflich und lachte aus vollem Hals. Als er genug gelacht hatte, biss er sich auf die Lippen und fing an, die Stirn zu runzeln.

Endlich legte Monsieur von Beaufort Pistache die so schwer zu lösende Frage vor, wer der größte Dieb in der Welt wäre.

Pistache machte die Runde im Zimmer, hielt aber vor niemand an, sondern ging an die Tür und fing an zu kratzen und zu winseln.

»Seht, Messieurs«, sprach der Prinz, »da dieses interessante Tier hier nicht findet, was ich wissen will, so beabsichtigt es außen zu suchen. Aber seid unbesorgt, seine Antwort soll Euch deshalb nicht entzogen sein. Pistache, mein Freund«, fuhr der Herzog fort, »komm hierher.« Der Hund gehorchte. »Ist der größte Dieb der bekannten Welt«, sprach der Prinz, »der Monsieur Sekretär des Königs, Le Camus, der mit zwanzig Livres nach Paris gekommen ist und jetzt sechs Millionen besitzt?«

Der Hund schüttelte den Kopf zum Zeichen der Verneinung.

»Ist es«, fuhr der Prinz fort, »Monsieur d’Emery, der seinem Sohn, Monsieur Thore bei seiner Verheiratung 300.000 Livres Renten und ein Villa gegeben hat, neben dem die Tuilerien eine Baracke und der Louvre ein Rattennest sind?«

Der Hund schüttelte abermals den Kopf.

»Der ist es auch nicht«, sprach der Prinz. »Nun, wir wollen suchen. Sollte es zufällig der hochwürdigste Facchino Mazarin di Piscina sein?«

Pistache machte die eifrigsten Zeichen der Bejahung, indem er den Kopf acht- bis neunmal hob und senkte.

»Messieurs, Ihr seht«, sprach Monsieur von Beaufort zu den Anwesenden, die diesmal nicht zu lachen wagten, »der hochwürdigste Facchino Mazarin di Piscina ist der größte Dieb der bekannten Welt. Pistache behauptet es wenigstens.«

»Gehen wir zu einer andern Übung über.«

»Messieurs«, fuhr Monsieur von Beaufort fort, ein großes Stillschweigen benutzend und das Programm der dritten Abteilung der Abendunterhaltung verkündigend. »Ihr wisst, dass der Monsieur Herzog von Guise alle Hunde von Paris für Fräulein de Pons, die er für die Schönste der Schönen erklärte, springen lehrte. Nun, Messieurs, das war nichts, denn diese Tiere gehorchten maschinenmäßig und wussten keinen Unterschied zwischen denjenigen zu machen, für welche sie nicht springen sollten. Pistache wird Euch, so wie dem Monsieur Gouverneur zeigen, dass er hoch über seinen Artgenossen steht. Monsieur von Chavigny, habt die Güte, mir Euren Stock zu leihen.«

Monsieur von Chavigny reichte Monsieur von Beaufort seinen Stock.

Monsieur von Beaufort hielt ihn waagerecht einen Fuß hoch.

»Pistache, mein Freund«, sagte er, »mache mir das Vergnügen und springe für Frau Montbazon.«

Jedermann lachte. Man wusste, dass der Herzog von Beaufort im Augenblick seiner Verhaftung der erklärte Liebhaber von Frau von Montbazon gewesen war.

Pistache machte keine Schwierigkeit und sprang lustig über den Stock.

»Aber es scheint mir«, sagte Monsieur von Chavigny, »Pistache tut gerade das, was seine Artgenossen taten, wenn sie für Fräulein de Pons sprangen.«

»Wartet«, sagte der Prinz.

»Pistache, mein Freund«, fuhr er fort, »springe für die Königin.« Er hob den Stock sechs Zoll höher.

Der Hund sprang ehrfurchtsvoll über den Stock.

»Pistache, mein Freund«, sagte der Herzog und erhöhte den Stock abermals um sechs Zoll, »springe für den König.«

Der Hund nahm einen Ansatz und sprang trotz der Höhe leicht hinüber.

»Und nun, aufgemerkt«, sagte der Herzog und senkte den Stock beinahe bin zum Niveau des Bodens. »Pistache, mein Freund, springe für den hochwürdigsten Facchino Mazarin di Piscina.«

Der Hund wandte dem Stock den Rücken zu.

»Nun, was ist das?«, fragte Monsieur von Beaufort, indem er einen Halbkreis vom Schweif zum Kopf des Tieres beschrieb und ihm abermals den Stock darreichte. »Springe doch, Monsieur Pistache!«

Aber Pistache machte abermals eine halbe Wendung und bot dem Stock den Rücken.

Monsieur von Beaufort wiederholte seine Bewegung und seine Worte. Doch diesmal war die Geduld des Tieres zu Ende. Er warf sich wütend auf den Stock, riss ihn dem Prinzen aus den Händen und zerbrach ihn zwischen seinen Zähnen.

Monsieur von Beaufort nahm ihm die zwei Stücke aus der Schnauze, überreichte sie Monsieur von Chavigny unter tausend Entschuldigungen und sagte, die Abendunterhaltung wäre nun geschlossen. Wenn er aber in drei Monaten einer zweiten Vorstellung beiwohnen wollte, so würde Pistache neue Stücke gelernt haben.

Drei Tage danach war Pistache vergiftet.

Man suchte den Schuldigen, der Schuldige aber blieb, wie sich wohl denken lässt, unbekannt.

Monsieur von Beaufort ließ ihm ein Grabmal mit folgender Inschrift errichten:

Hier ruht Pistache, einer der gescheitesten Hunde, welche je gelebt haben.

Es war nichts gegen dieses Lob einzuwenden und Monsieur von Chavigny konnte es nicht verhindern.

Der Herzog sagte nun laut, man habe an seinem Hund den Versuch mit der Droge gemacht, der man sich gegen ihn bedienen wolle. Eines Tage legte er sich nach dem Mittagessen zu Bett und schrie, er habe Kolik und Monsieur von Mazarin habe ihn vergiften lassen.

Dieser neue Mutwille kam dem Kardinal zu Ohren und machte ihm große Angst. Der Kerker von Vincennes galt für sehr ungesund und Frau von Rambouillet sagte einst, das Zimmer, in welchem Puylaurens, der Marschall Ornano und der Großprior von Vendome gestorben, sei Arsenik wert, und dieses Witzwort machte Glück. Er befahl daher, dass der Gefangene nichts mehr genießen solle, ohne dass man zuvor den Wein und die Speisen versucht habe. Der Gefreite La Ramée wurde sofort unter dem Titel einen Vorkosters zu ihm gebracht.

Monsieur von Chavigny hatte indessen die Beleidigungen, welche dem unschuldigen Pistache das Leben kosteten, dem Herzog nicht vergeben. Monsieur von Chavigny war eine Kreatur des verstorbenen Kardinals. Man sagte sogar, er sei sein Sohn. Er musste sich also einigermaßen auf Tyrannei verstehen. Monsieur von Chavigny fing an, Monsieur von Beaufort seine Kränkungen zurückzugeben. Er nahm ihm, was man ihm bin dahin gelassen hatte, die eisernen Messer und die silbernen Gabeln, und ließ ihm dafür silberne Messer und hölzerne Gabeln geben. Monsieur von Beaufort beklagte sich, aber Monsieur von Chavigny ließ ihm antworten, er sei benachrichtigt worden, der Kardinal habe Frau von Vendome gesagt, ihr Sohn müsse sein ganzen Leben im Kerker von Vincennes bleiben, und er habe befürchtet, bei dieser unglücklichen Kunde könnte sein Gefangener sich zu einem Selbstmordversuch verleiten lassen. Vierzehn Tage nachher fand Monsieur von Beaufort zwei Reihen Bäume, so dick wie ein kleiner Finger, an den Weg gepflanzt, der zum Ballspiel führte. Er fragte, was dies zu bedeuten hatte, und man antwortete ihm, es wäre, um ihm eines Tages Schatten zu geben. Eines Morgens endlich suchte ihn der Gärtner auf und meldete ihm unter dem Anschein, ihm gefallen zu wollen, man lege Spargelbeete für ihn an. Allgemeine aber ist es bekannt, dass diese Beete, um genießbare Pflanzen zu treiben, gegenwärtig vier Jahre brauchen, während sie damals, wo die Gärtnerei minder vollkommen war, fünf Jahre brauchten. Diese Höflichkeit setzte Monsieur von Beaufort in Wut.

Monsieur von Beaufort dachte nun zu einem von seinen vierzig Mitteln Zuflucht zu nehmen und versuchte es zuerst mit dem Einfachsten, mit dem, La Ramée zu bestechen. Aber La Ramée, der seine Gefreitenstelle um 1500 Taler gekauft hatte, hielt große Stücke auf sein Amt. Statt in die Absicht des Gefangenen einzugehen, eilte er stehenden Fußes zu Monsieur von Chavigny und machte ihm Meldung. Sogleich stellte Monsieur von Chavigny acht Mann in das Zimmer des Prinzen, verdoppelte die Wachen und verdreifachte die Posten. Von diesem Augenblick an ging der Prinz nur noch wie ein Theaterkönig einher, nämlich mit vier Mann vor sich und vier Mann hinter sich, diejenigen nicht zu rechnen, welche in einem hinteren Glied marschierten.

Monsieur von Beaufort lachte anfangs viel über diese Strenge, welche ihm eine Zerstreuung bereitete. Er wiederholte so oft wie möglich: »Das belustigt mich, das ergötzt mich!« Dann fügte er bei: »Wenn ich mich Euren Ehrenbezeigungen entziehen wollte, so hätte ich noch neununddreißig andere Mittel.«

Aber diese Zerstreuung wurde am Ende eine Langweile. Aus Prahlerei hielt es Monsieur von Beaufort sechs Monate aus. Als er aber nach Ablauf von sechs Monaten sah, dass die acht Mann sich setzten, wenn er sich setzte, aufstanden, wenn er aufstand, stehen blieben, wenn er stehen blieb, so fing er an, die Stirn zu runzeln und die Tage zu zählen.

Diese neue Verfolgung führte eine Verdoppelung des Hasses gegen Mazarin herbei. Der Prinz schwor vom Morgen bis zum Abend und sprach nur von Zerhacken und Einmachen Mazarinscher Ohren. Das war zum Schauern. Der Kardinal, welcher alles erfuhr, was in Vincennes vorging, drückte unwillkürlich sein Barett bis zum Hals hinab.

Eines Tages versammelte Monsieur von Beaufort die Wächter und hielt, trotz der sprichwörtlichen Schwierigkeit, mit der er sich ausdrückte, folgende Rede, welche allerdings von ihm vorbereitet worden war:

»Messieurs, werdet Ihr es dulden, dass ein Enkel des guten Heinrich IV. mit Beleidigungen und Schmach überhäuft wird …Ventre-Saint-gris! Wie mein Großvater sagte, ich habe in Paris beinahe geherrscht, wisst Ihr! Ich habe ein ganzes Jahr lang den König und Monsieur zur Bewachung gehabt. Die Königin schmeichelte mir damals und nannte mich den rechtschaffensten Mann des Reiches. Messieurs Bürger, bringt mich jetzt hinaus, ich gehe geraden Weges in den Louvre. Ich drehe dem Mazarin den Hals um. Ihr werdet meine Leibwache, ich mache Euch alle zu Offizieren, und zwar mit guten Pensionen. Ventre-Saint-gris! Vorwärts, marsch!«

Aber so pathetisch auch die Beredsamkeit des Enkels von Heinrich IV. war, so rührte sie doch diese Steinherzen nicht; nicht einer bewegte sich von der Stelle. Als Monsieur von Beaufort dies sah, sagte er ihnen, sie wären insgesamt Lumpenkerle, und machte sich dadurch grausame Feinde aus ihnen.

Wenn ihn zuweilen Monsieur von Chavigny besuchte, was er unfehlbar zwei- bis dreimal in der Woche tat, so benutzte der Herzog diese Gelegenheit, ihn zu bedrohen.

»Was werdet Ihr tun, Monsieur«, sprach er zu ihm, »wenn Ihr eines Tages ein Heer bis unter die Zähne bewaffneter Pariser erscheinen seht, welche kommen, um mich zu befreien?»

»Monseigneur«, antwortete Monsieur von Chavigny, indem er sich tief vor dem Prinzen verbeugte, »ich habe auf meinen Wällen zwanzig Feldstücke und in meinen Kasematten dreißigtausend Schüsse. Ich werde sie nach Kräften mit meinen Kanonen bearbeiten.«

»Ja, aber wenn Ihr Eure dreißigtausend Schuss abgefeuert habt, so werden sie den Turm nehmen, und wenn sie den Turm genommen haben, so bin ich genötigt, Euch von ihnen hängen zu lassen, was mir allerdings sehr leid tun wird.«

Der Prinz verbeugte sich ebenfalls mit der größten Höflichkeit vor Monsieur von Chavigny.

»Ich aber, Monseigneur«, versetzte Monsieur von Chavigny, »wäre, sobald der erste Schlucker die Schwelle meiner Schlupfpforten betreten oder den Fuß auf meinen Wall setzen würde, zu meinem größten Bedauern genötigt, Euch mit eigener Hand zu töten, insofern Ihr mir ganz besonders anvertraut seid, und ich Euch tot oder lebendig zurückgeben muss.«

Und er verbeugte sich abermals vor seiner Hoheit.

»Ja«, fuhr der Herzog fort, »da aber diese braven Leute sicherlich nicht hierher kommen würden, ohne vorher Monsieur Giulio Mazarin gehenkt zu haben, so würdet Ihr Euch wohl hüten, Hand an mich zu legen und ließet mich wohl leben, aus Furcht, auf Befehl der Pariser von vier Pferden zerrissen zu werden, was noch viel unangenehmer ist als das Heulen.«

Diese süßsauren Scherze gingen so zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten höchstens fort und endeten stets auf folgende Weise.

Monsieur von Chavigny wandte sich zu der Tür um und rief: »Holla, La Ramée!«

La Ramée trat ein.

»La Ramée!«, fuhr Monsieur von Chavigny fort, »ich empfehle Euch ganz besonders Monsieur von Beaufort. Behandelt ihn mit aller seinem Rang und seinem Namen schuldigen Rücksicht und verliert ihn zu diesem Behuf nicht einen Augenblick aus den Augen.«

Dann entfernte er sich, Monsieur von Beaufort mit einer ironischen Höflichkeit grüßend, die diesen so zornig machte, das er blau wurde.

La Ramée war also der obligate Tischgenosse des Prinzen, sein ewiger Wächter, der Schatten seines Leibes geworden. Man muss aber dabei gestehen, die Gesellschaft von La Ramée, einem heiteren Lebemann, einem offenherzigen Gast, einem anerkannten Trinker, einem großen Ballspieler, einem guten Teufel im Grunde seines Herzens, der für Monsieur von Beaufort keinen anderen Fehler hatte, als dass er sich nicht bestechen ließ, war für den Prinzen mehr eine Zerstreuung als eine Pein.

Leider war nicht dasselbe der Fall bei Meister La Ramée, und obwohl er die Ehre mit einem Gefangenen von so hoher Bedeutung eingeschlossen zu sein, bis auf einen gewissen Grad zu schätzen wusste, so glich doch das Vergnügen, im vertraulichen Umgang mit dem Enkel Heinrich IV. zu leben, nicht das aus, welches er gehabt haben würde, wenn er von Zeit zu Zeit hätte seiner Familie einen Besuch machen dürfen. Man kann zugleich ein vortrefflicher Gefreiter des Königs und ein guter Gatte und Vater sein. Meister La Ramée aber betete seine Frau und seine Kinder an, welche er nur von der Höhe der Mauer herab sah, wenn sie, um ihm diesen natürlichen und ehelichen Trost zu geben, auf der anderen Seite des Grabens spazieren gingen. Das war entschieden zu wenig für ihn, und La Ramée fühlte, dass seine heitere Laune, die er als die Ursache seiner guten Gesundheit betrachtet hatte, ohne zu berechnen, dass es im Gegenteil ohne Zweifel nur das Resultat davon war, nicht lange eine solche Ordnung der Dinge aushalten würde. Diese Überzeugung nahm in ihm nur zu, als die Verhältnisse von Monsieur von Beaufort und Monsieur von Chavigny sich allmählich dergestalt zur Bitterkeit steigerten, dass sie am Ende ganz und gar sich zu sehen aufhörten. La Ramée fühlte die Verantwortlichkeit stärker auf seinem Haupt lasten. Da er gerade aus den von uns angegebenen Gründen Erleichterung suchte, so ergriff er mit allem Eifer das Anerbieten seines Freundes, des Intendanten des Monsieur Marschall von Grammont, ihm einen Gehilfen zu verschaffen. Sogleich sprach er hierüber mit Monsieur von Chavigny, welcher ihm erwiderte, dass er durchaus nichts dagegen einzuwenden habe, vorausgesetzt, das betreffende Subjekt sage ihm zu.

Wir halten es für überflüssig, unseren Lesern das physische und moralische Porträt von Grimaud zu entwerfen. Wenn sie, wie wir hoffen, den ersten Teil dieses Werkes nicht gänzlich vergessen haben, so muss ihnen in ihrem Gedächtnis ziemlich genau diese schätzenswerte Person geblieben sein, bei der keine Veränderung vorgegangen war, als dass sie zwanzig Jahre mehr zählte; ein Zuwachs, der Grimaud nur stiller, schweigsamer gemacht hatte, obwohl ihm Athos seit der Umwandlung seiner eigenen Person volle Erlaubnis zu sprechen gegeben hatte.

Aber zu dieser Zeit schwieg Grimaud bereits zwölf bis fünfzehn Jahre und eine Gewohnheit von zwölf bis fünfzehn Jahren ist eine andere Natur geworden.

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