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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Arzt auf Java – Dritter Band – Kapitel 10

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Dritter Band
Kapitel 10

Gott verzeiht

Eusebius war lange gegangen, indem er Esther auf seinen Armen trug. Er wollte, dass seine Gefährtin und er so weit wie möglich von den Menschen entfernt, in die Ewigkeit eintreten sollten.

Er erstieg die Abhänge der Berge, welche den Fuß des Zand umgaben, er durchschritt einen Wald, der noch nie von dem Fuß der Menschen berührt worden zu sein schien, und dessen Muskatnussbäume, Areka- und Kokospalmen hohen Säulen glichen, die durch Schlingpflanzen aller Art verbunden wurden, sodass sie eine dichte Masse bildeten, während Ebenholzbäume, Akazien und Fichten sich an das höhere Gewölbe anschlossen und für die Strahlen der Sonne beinahe undurchdringlich waren.

Er besiegte alle Hindernisse, welche die üppige Vegetation ihm entgegenstellte, und gelangte zu einer Platte, welche nicht nur die Aussicht über den Wald gewährte, der ihr als Gürtel diente, sondern auch über die Ebene und den Ozean.

Er pflückte einige Tamarindenzweige, sammelte die Blätter, welche er erreichen konnte, streute sie auf den Fels und legte Esther mit so vieler Vorsicht und Sorgfalt auf dieses grüne Bett, als ob die junge Frau lebend gewesen wäre.

Dann entledigte er einige Kambasas oder Totenblumen, die in den Spalten des Felsen wuchsen, ihrer finsteren Zweige und streute sie über den Körper Esthers.

Er konnte nicht glauben, dass alles, was vorgegangen war, nichts weiter sei als ein Traum. Er bemühte sich, die Gedanken an die Bedaja, an Cora, an die Indianerin zu verbannen, die sich ihm als die Verkörperung seiner Reue aufdrängten; aber der Anblick des starren, leblosen Körpers und des leichenblassen Gesichts an seiner Seite führte ihn beständig zu der Wirklichkeit zurück und rief ihm seine begangenen Fehltritte strenger in das Gedächtnis, als sein Gewissen es konnte.

Er kniete vor Esther nieder, streckte die Arme flehend gegen sie aus, und die Stimme erhebend, als hätte sie ihn hören können, sagte er: »Esthers, meine Schwäche und meine Anmaßung haben uns in das Verderben gestürzt. Ich vergaß, dass Gott unsere Herzen aus Erde schuf, wie unsere Körper, und dass nur das Bild dieses Gottes, wenn es in unsere Herzen gegraben ist, sie vor Verderbnis bewahren kann. Du hast mir verziehen, aber wird auch er, mein Richter, mir seinerseits verzeihen?« Nach einem langen Schweigen fuhr er dann fort: »Nein, solche Liebe, wie unsere Träume sie uns zeigen, ist nicht von dieser Welt. Wir ahnen sie, doch wir kennen sie nicht. Hienieden ist Verrat, Undankbarkeit, Gebrechlichkeit ihr Los. Erst wenn unsere Seele sich von ihrer elenden Hülle befreit hat, verwirklichen sich die Wünsche, die einige Blitze in unsere Dunkelheit schleuderten, und erfüllen uns mit wahrer Zärtlichkeit. Ich werde bald dich so lieben, wie du es verdientest, meine Esther, und ich schwöre dir, dass bei diesem Gedanken der Tod mir süß sein wird.«

Er kam auf einen anderen Ideengang. Die Erinnerung an das, was er verloren hatte, siegte über die Hoffnungen, durch die er diese grausamen Augenblicke zu mildern bemüht war. Er gab sich seiner Verzweiflung hin, er schluchzte wie ein Kind, er schlug den Kopf gegen den Fels und rief Esther mit kläglichen Tönen.

Weder der Lärm, der vom Tal herauf ertönte, weder das Donnern der Kanonen, welches durch zahlreiche Echos wiederholt wurde, weder das Knattern des Gewehrfeuers, weder das Geschrei der Malaien, welche die Holländer auseinander getrieben hatten und nach allen Richtungen verfolgten, noch der grelle Widerschein der Flammen, welche die Proas verzehrten, die durch die europäische Flotte in Brand gesteckt worden waren, konnten Eusebius seinem Schmerz entreißen. Die Welt schien für ihn mit den fünf Fuß Felsen zu enden, auf denen der Körper seiner Frau lag. Indessen ging die Nacht zu Ende. Der Morgenstern glänzte in seinem funkelnden Licht an dem hellen Himmelsgewölbe, rosige Strahlen verbreiteten sich an dem Azur des Himmels. Es war die Morgenröte, das heißt, die letzte durch Noungal bezeichnete Stunde.

Eusebius fühlte ein Frösteln durch seinen Körper rieseln und seine Haare sich auf dem Kopf sträuben. Einige Augenblicke zuvor rief er den Tod, und nun, wo das Gespenst sich ihm zeigte, fühlte er sich von Staunen und Schwindel ergriffen. In dem Augenblick, wo die ungeheure Größe des Unbekannten sich vor seinen Füßen öffnete, zögerte er und wich erschreckt zurück.

Seine Augen blieben zu der Seite des Morgens gerichtet, wo allmählich der Himmel sich von den Dünsten befreite, wo der strahlende Bogen von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Es schien ihm, als ob die Sonne, die durch ihren Aufgang das Zeichen zu seinem Tod geben sollte, mit schwindelnder Schnelligkeit emporstiege, und dennoch schien ihm jede Minute die Dauer eines Jahrhunderts zu haben.

Er verbarg das Gesicht in der Hand und weinte. Die Tränen erfrischten sein Herz und verliehen ihm die Ergebung, die ihm mangelte. Er dachte an das, was geschehen würde, wenn er die eingegangene Verpflichtung nicht erfüllte. Er sah die Hand Noungals sich gegen ihn ausstrecken und seine Überbleibsel von denen Esthers trennen. Der Gedanke, dass sein Körper, und vielleicht auch der seiner Frau, durch die Berührung dieses Dämons besudelt werden könnte, erfüllte ihn mit Entsetzen. Er zögerte nicht mehr, augenblicklich seine fürchterliche Schuld an den Selbstmord zu bezahlen.

Er nahm das Messer, welches Noungal ihm zugeworfen hatte, als er das Zitronengebüsch verließ, entblößte seine Brust und setzte die scharfe Spitze auf das Fleisch. Er legte sich neben Esther, das Gesicht dem der jungen Frau zugewendet, sodass sein letzter Seufzer sich in einem Kuss an die verlieren konnte, die er so sehr geliebt hatte. Er erhob sein Herz zu Gott, er flehte die Barmherzigkeit des Herrn für das Verbrechen an, das er zu begehen gezwungen war, bat, dass die Überlassung seines Körpers an einen der höllischen Geister zu der Erlösung seiner Seele dienen möchte, und wartete betend darauf, dass das Gestirn seine ersten Strahlen auf den Berg sendete, um dann die Klinge in seine Brust zu stoßen.

Bald färbte der ganze Himmel sich purpurn. Das Gesicht Esthers, welches der aufgehenden Sonne zugewendet war, schien sich unter dem Widerschein ihres Feuers zu röten. Eusebius fasste die Waffe fester und näherte seinen Mund dem Mund der Toten; aber von einem plötzlichen Schrecken ergriffen, ließ er den Dolch seiner Hand entgleiten und richtete sich zitternd, stumm, mit entstelltem Gesicht, empor.

Unter dem Kuss, den er Esther gegeben hatte, war es ihm, als fühlte er den Leichnam erbeben und die kalten blauen Lippen sich fest an seine sie berührenden Lippen anschließen.

Eusebius hatte alles vergessen, seinen Eid, Noungal, den Tod. Was ihm an Gedanken blieb, was er an Fiebern seines Hirns besaß, richtete sich auf Esther. Es schien ihm, als hätte die Hand derselben eine leise Bewegung gemacht. Er unterdrückte den Schrei, welcher sich seiner Brust entringen wollte, denn es schien, als fürchte er, das Wunder zu verhindern, welches er unter seinen Augen vorgehen zu sehen glaubte.

Indessen färbte eine leise Röte die Wangen der jungen Frau, ihre Lippen wurden purpurrot und die langen braunen Wimpern ihrer Augenlider zitterten.

Bleich, atemlos, bebend, sank Eusebius auf die Knie.

»Esther! Esther!«, rief er.

Bei dem Ton dieser Stimme öffneten die Augen Esthers, die Eusebius für immer geschlossen glaubte, sich langsam. Sie blickte ihren Mann mit einem Ausdruck der Zärtlichkeit an, welche das Lächeln ihres Mundes bestätigte.

»Lebend! Lebend!«, rief Eusebius beinahe wahnsinnig.

Statt aller Antwort streckte Esther ihrem Mann die Arme entgegen.

»Aber das Gift! Das Gift!«, rief der junge Mann, als ob die Küsse, die ihm seine Frau gab, nicht genügten, ihn zu überzeugen, dass es keine Leiche war, die er an sein Herz drückte.

»Das Gift?«, entgegnete Esther. »Es scheint, als ob der Gueber in dein Herz mehr Vertrauen gesetzt hätte, wie ich selbst, mein Freund, und dass er mir deshalb nur ein Schlafmittel reichte. Wir wollen ihm daher auch unsere Dankbarkeit beweisen, denn es ist so schön, zu leben, wenn die Sonne die Erde bescheint und man das Herz, das man liebt, wiedergewonnen hat.«

Eusebius wendete sich rasch um und blickte auf den Horizont.

Die Sonne war schon hoch über die Berge emporgestiegen und ihre Strahlen erreichten die dunkelsten Schluchten der Täler.

Zum zweiten Mal warf er sich nun in die Arme Esthers.

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