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Nach Amerika! – Erster Band – 05.3

Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika!
Erster Band
Leipzig, Berlin, 1855

Die Auswanderungs-Agentur

Teil 3

»Höre du«, sagte aber Brauhede, als sie wieder vor dem Haus und auf der Straße waren und langsam über den Markt weggingen, »mit dem Landkaufen wollen wir uns doch lieber hier noch nicht einlassen. Das ist eine wunderliche Geschichte und will mir nicht recht in den Kopf.«

»Nicht in den Kopf?«, rief aber Menzel, »und warum nicht? Der Mann bekommt alle Tage Briefe aus Amerika. Warum soll der nicht wissen, was dort zu verkaufen ist?«

»Wenn es aber so gut und billig wäre, brauchten sie es doch nicht hier herüberzuschicken«, meinte Brauhede kopfschüttelnd.

»Das ist alles, was du davon verstehst«, sagte Müller. »Amerikaner könnten sie gewiss genug zu Käufern kriegen, aber deutsche Bauern wollen sie, die ihnen zeigen, wie man das Land behandeln muss. Darum schicken sie herüber – die sind froh drüben, wenn unsereins hinüberkommt.

»Nun, mag sein«, brummte Brauhede, »aber sicher ist doch sicher, und wenn ich mein Geld hier weggegeben habe und kann das Land, was mein sein soll, nachher nicht finden, wie es dem Niklas seinem Bruder gegangen ist, nachher wäre die Geschichte aber faul.«

»Dem Niklas sein Bruder war aber auch ein Esel«, sagte der andere, »der sich hier Land von einem herumziehenden Vagabunden gekauft hatte. Da sollte er nachher wohl suchen. Aber der Mann hier ist in der Stadt ansässig und hat ein Geschäft. Was der verkauft, das muss gut sein, sonst wäre er ja gar nicht sicher, dass man ihn einmal deshalb beim Kragen kriegte.«

»Ja krieg ihn einmal, wenn du drüben in Amerika bist«, sagte Brauhede ruhig, »das ist ein verwünscht weiter und umständlicher Weg. Und wenn man sich einmal hat anführen lassen, will man auch nicht gern noch dazu ausgelacht werden.«

»Papperlapapp!« sagte Menzel, »dafür hat jeder seine Augen, dass er sie offen hält, und ehe ich ihm mein gutes Geld gebe, werde ich mich schon sicher stellen, dass er mir nichts aufbindet.«

Und die Männer schritten, jeder von nun an mit seinen eigenen Gedanken über die nahe Auswanderung beschäftigt, langsam die Straße hinunter, während in seinem kleinen Büro, vergnügt die Hände zusammenreibend, Herr Weigel auf und ab spazieren ging, und sich im Geist die nächst zu ziehenden Summen zusammenaddierte, die er in kurzer Zeit, nach eifriger Aussaat, einzuernten hoffte. Die Geschäfte gingen vortrefflich; Lust zur Auswanderung hatte in der Tat ein Drittel der sämtlichen Bevölkerung, und es bedurfte nur manchmal wirklich einer leisen Anregung, die Leute zu etwas zu bewegen, zu dem sie schon halb und halb selber entschlossen gewesen waren.

Herr Weigel war sehr guter Laune. Er legte nun die Hände auf den Rücken und summte ein leises Lied vor sich hin, seinen Marsch dabei fortsetzend. Aber er sang falsch. Er hatte keine Idee von irgendeiner Melodie; doch das schadete nichts, er meinte wenigstens eine. Da er selber nicht hörte, was er sang, genügte es ihm vollkommen.

Die Tür ging nun auf und der Tischler oder Schreiner kam herein, irgendetwas an dem Pult auszubessern. Er hatte zweimal angeklopft, ohne dass der vergnügte Agent darauf geantwortet hätte.

»Guten Morgen, Herr Weigel.«

»Ah, guten Morgen, Meister – nun kommen Sie endlich? Ich hatte schon ein paar Mal nach Ihnen hinübergeschickt.«

»Ja, lieber Gott, Herr Weigel, ich war gerade drüben beim Herrn Geheimrat Bärlich beschäftigt. Die Leute sind so eigen, wenn man von der Arbeit fort geht.«

»Sehen Sie, hier das Bein möchte ich gemacht haben. Der Tisch wackelt da immer, und wenn man etwas darunter legt, verschiebt sich das doch jedes Mal wieder. Können Sie es mir wohl bis heute Nachmittag in Ordnung bringen?«

»Ja gewiss«, sagte der Mann, »das ist ja nur eine Kleinigkeit.«

»Und wie ist es mit den Auswandererkisten, die ich bestellt habe? Werden die bis heute Abend fertig?

»Ja wohl, Herr Weigel; sechs habe ich schon in das Gasthaus Stadt Breslau, wie Sie mir sagten, abgeliefert.«

»Nun das ist gut, denn der ganze Zug wird noch heute Vormittag ankommen und will morgen früh wieder fort. Es sind doch noch keine Auswanderer heute Morgen hier eingetroffen?«

»Nicht, dass ich gesehen hätte, aber gestern Abend zogen viele durch.«

»Ja, ich weiß – von Hessen herüber – die armen Teufel; denen wird es einmal wohl drüben werden. Nun, wie gehen denn bei Ihnen die Geschäfte jetzt?«

»Ih, nun gut, Herr Weigel, ich kann gerade nicht klagen. Das Brot wird immer teurer, aber man schlägt sich so durch. Kinder haben wir nicht, und was verdient wird, reicht eben ordentlich aus.«

»Ich begreife nicht«, sagte Herr Weigel da kopfschüttelnd vor dem Mann, der seine Mütze eben wieder aufgegriffen hatte und sich zum Fortgehen anschickte, stehen bleibend, »wie Ihr Leute Euch hier vom Morgen bis Abend plagt und schindet, eben nur das liebe Brot zu verdienen, wo Ihr in ein paar Wochen drüben sein könntet und so viel Dollar für Eure Arbeit bekämt, wie hier Groschen.«

»Drüben, wo?«

»Nun in Amerika …«

»Hm, ja«, sagte der Mann, sich nachdenkend das Kinn streichend und einen leichten Seufzer unterdrückend, »gedacht habe ich auch schon ein paar Mal daran, aber das geht nicht gut und es ist auch so eine unsichere Sache mit da drüben. Hier weiß ich einmal, was ich habe und dass ich auskomme, und wie mir es da drüben geht, weiß ich nicht.«

»Aber Freund«, rief Herr Weigel verwundert, »ein Mann, der fleißig arbeitet, bringt es dort immer zu was. Wetter noch einmal, Meister, Amerika ist gerade der Platz für Euch, wo Ihr Euch rühren und ausbreiten könntet. Wenn Ihr dort wäret, ein geschickter Arbeiter wie Ihr! In fünf Jahren hättet Ihr zwanzig Gesellen.«

Meister Leupold nickte langsam mit dem Kopf und sah ein paar Sekunden still vor sich nieder, als ob das Bild mit der großen Werkstätte und dem regen Treiben sich vor seinem inneren Geist eben auszubreiten beginne. Dann aber sagte er, nun herzhaft aufseufzend: »Und es geht doch nicht, Herr Weigel, ich habe die alte Mutter zu Hause, die ich unmöglich hier allein zurücklassen könnte.«

»Hierlassen? Das fehlte auch noch«, rief der Agent, »die nehmt Ihr mit, Mann. Könnt Ihr der denn eine größere Freude machen, als ob sie noch vor ihrem Ende sähe, wie gut es Euch geht auf der Welt und wie sich Euer Zustand mit jeder Woche, mit jedem Tage fast bessert? Muss sie hier nicht in Sorge und Kummer leben, dass Ihr einmal krank werdet und nichts verdienen könnt. Wie sieht es dann aus?«

»Wenn ich aber nun dort drüben krank werde?«, sagte der Meister leise.

»Wenn das nur nicht gleich die ersten Monate geschieht und für ein Unglück kann niemand«, warf dagegen Herr Weigel ein, »so könnt Ihr Euch auch schon so viel gespart haben, das eine Weile mit ruhig anzusehen; und wenn Ihr nicht krank werdet, seid Ihr in ein paar Jahren ein wohlhabender Mann.«

»Es ist eine verwünschte Geschichte mit dem Amerika«, seufzte der Mann wieder, sich hinter dem Ohr kratzend, »man hört so viel davon und sieht eine solche Masse Menschen hinüberziehen, die alle voller Hoffnung sind, dass es ihnen gut geht – und möchte am Ende ebenfalls gern mit – wenn man nur erst so einmal hinübergucken könnte, wie es eigentlich aussieht.«

»Dazu ist es ein bisschen zu weit«, meinte Herr Weigel.

»Ja nun eben«, sagte der Tischler, »und so aufs Geratewohl …«

»Das könnt Ihr aber nicht aufs Geratewohl nennen, wo wir alle Tage Briefe von drüben herüber bekommen, von denen einer immer besser lautet als der andere. Da – hier liegt gleich einer, der Letzte, den ich bekommen habe, wo ein Deutscher, den ich selber hinüber befördert habe und dem es jetzt ausgezeichnet gut geht, an mich schreibt und ein oder zwei gute gelernte Schafknechte haben will. Lesen Sie einmal den Brief.«

Leupold legte seine Mütze wieder hin, nahm den Brief und las ihn aufmerksam durch. Er nickte dabei mehrmals mit dem Kopf und sah dann wieder zu dem Agenten auf, der ihn indessen mit einem triumphierenden Lächeln betrachtet hatte.

»Nun?«, fragte der Letztere, als jener das Schreiben beendet und wieder zusammenfaltete, »wie klingt das?«

»Sehr gut« sagte Leupold leise, »aber es hilft mir doch nichts. Wenn ich jetzt mein kleines Häuschen, das ich mir mit Mühe und Not zusammengespart und aufgebaut habe, auch verkaufen wollte, fände ich erstlich keinen Käufer. Und dann bekäme ich auch das nicht dafür wieder, was es mich selber gekostet hat; wie gesagt, der Sperling in der Hand ist doch wohl besser als die Taube auf dem Dach.«

»Bah, Taube«, sagte Herr Weigel mürrisch, »wenn die Taube auf dem Dach ebenso fest und sicher sitzen bleibt, bis man sie holen kann, wie Amerika ruhig liegt und auf die wartet, die hinüber kommen, so ist sie mir lieber als ein erbärmlicher Sperling, zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig; aber überlegt es Euch – ah, da kommt der Briefträger. Was für mich?«

»Nun, guten Morgen, Herr Weigel«, sagte der Tischler und wollte sich eben entfernen, während der Briefträger dem Agenten mehrere für ihn gekommene Briefe überreichte.

»Siebzehn Silbergroschen, drei Pfennige« sagte er dabei.

»Siebzehn Silbergroschen?«, rief Herr Weigel verwundert, »aha da ist ein Amerikaner dabei – halt, wartet noch einmal einen Augenblick Leupold – da ist vielleicht gleich noch was für uns, und was ganz Neues – wollen gleich einmal sehen, was die Leute schreiben. Wahrscheinlich wieder von jemand, den ich hinüber befördert habe, und der sich jetzt bedankt – das kostet aber viel Geld …«

»Apropos Neues«, sagte Leupold, während der Agent den Briefträger bezahlt hatte und seine Papierschere vom Tisch nahm, den amerikanischen Brief aufzuschneiden, »haben Sie schon gehört, dass gestern Nachmittag bei Herrn Dollinger eingebrochen und für siebentausend Taler Gold und Juwelen gestohlen wurde?«

»Alle Wetter«, rief Herr Weigel, mit der zum Schnitt aufgehaltenen Schere in der Hand, »gestern Nachmittag?«

»Am hellen Tag«, bestätigte Leupold.

»Und weiß man nicht, wer der Täter ist?«

»Sie haben den einen Kontordiener in Verdacht und auch schon eingezogen«, sagte der Tischler.

»Gewiss den Loßenwerder«, rief Weigel.

»Ich glaube so heißt er – er ist ein wenig verwachsen …«

»Und schielt – derselbe, ich habe den Burschen von jeher nicht leiden können; hat mir auch schon ein paar Mal Kunden abspenstig gemacht, aus reinem Brotneid; ich wüsste wenigstens sonst nicht, weshalb, und habe ihn dabei stark in Verdacht, dass er selber damit umgeht, eine Agentur für Auswanderer zu errichten. Da könnte jeder hergelaufen kommen, ohne Briefe, ohne Konnexionen und ohne Kenntnis vom Land – schickte nachher die Leute ins Blaue hinein, dass sie dort säßen und nicht wüssten, wo aus noch ein. Na, nun wird ihm das Handwerk wohl gelegt werden. Ich gönne nicht gern einem Menschen etwas Übles, aber bei dem freut es mich, dass sie es wenigstens herausbekommen haben und er seine Schurkerei nicht mehr heimlich forttreiben darf. Ist denn das Geld schon wieder gefunden?«

»Soviel ich weiß nicht, einige hundert Taler ausgenommen, von denen aber der Mann beteuert, dass er sie sich gespart hätte. Es ist manches dabei zusammengekommen, was ihn verdächtig macht; das Nähere weiß ich nicht.«

»Hm, hm, hm«, sagte Herr Weigel, kopfschüttelnd den Brief, den er noch immer in der Hand hielt, anschneidend, »böse Geschichten – böse Geschichten, was man nicht alles hört auf der Welt. Nun wollen wir also einmal sehen, was der Herr da aus Amerika schreibt – hm – Washington County, Tennessee, den siebenten Januar 18… Alle Wetter, der Brief ist lange unterwegs gewesen – Herrn F. G. Weigel in Heilingen, Hauptagent der Central-Auswanderungs- und Kolonisation-Gesellschaft in Deutschland – ahem – Sie nichtsw – hm – Sie haben – hm – vor allen Dingen – hm – hm – hm – hm.« Herrn Weigels Gesicht verlängerte sich immer mehr, je weiter er in seiner, wie es schien, nicht eben angenehmen Lektüre vorrückte, aber er brach mit dem Lautlesen des Inhalts, dessen Einleitung unerwarteter Weise höchst derber Art war, schon gleich nach den ersten Silben ab und murmelte, das Ganze nur flüchtig überfliegend, bloß einzelne nicht zusammenhängende Worte, aus denen Leupold nichts herausfinden konnte, vor sich hin.

»Nun, was schreiben sie?«, fragte dieser endlich lächelnd. Er wäre schon lange gegangen, wenn ihn Weigel nicht eben zurückgehalten hätte. »Gute Neuigkeiten?«

»Bah!«, sagte Herr Weigel, den Brief zurück auf seinen Schreibtisch werfend, »jemand, der seine Geschwister will hinübergeschickt haben und mich ersucht, das Geld für ihn auszulegen. Da müsste ich schöne Kapitale herum stehen haben, wenn ich allen Leuten umsonst wollte die Familie nachschicken. Nachher sitzt der mitten im Land drin, und ich kann ihn dann suchen.«

»Ne, das ist ein bisschen viel verlangt«, sagte der Meister, wieder nach der Klinke greifend. Und diesmal hielt ihn Herr Weigel nicht zurück. »Aber nun leben Sie auch recht wohl, und verlassen Sie sich darauf, ich besorge Ihnen das heute noch.«

»Sein Sie so gut«, sagte der Agent. Er war auf einmal einsilbig geworden, und Meister Leupold verließ mit nochmaligem Gruß das Zimmer, in dem nun Herr Weigel mit in die Tasche geschobenen Händen, aber keineswegs mehr so guter Laune wie vorher, raschen, heftigen Schrittes auf und ab ging.

»Und vierzehn Groschen bezahlt für den Wisch – es ist eine Frechheit, wahrhaftig, die ins Bodenlose geht. Lumpengesindel! Glaubt, die gebratenen Tauben sollen ihm da ins Maul fliegen, sobald sie es nur aufsperren.« Und wieder riss er den Brief vom Pult, rückte sich die Brille zurecht und las mit halblauter, aber heftiger Stimme den Inhalt noch einmal, und zwar aufmerksamer durch als vorher.

»Sie nichtswürdiger Halunke – wenn ich dich nur hier hätte, mein Bursche, dafür solltest du mir brummen – schändlich betrogen und angeführt – wozu hat dir denn der liebe Gott die großen Glotzaugen gegeben, wenn du sie nicht aufsperren willst – Land eine Wüste – na versteht sich, ein Gewächshaus habe ich ihm nicht verkauft – Hälfte gar nicht zu bekommen« – Holzkopf – kein Mensch wollte die Billetts nehmen – bah, geschieht dir recht – Wohngebäude zu schlecht für einen Hund – für dich noch immer viel zu gut, mein Schatz – wenn Sie nur einmal herüber kämen, Sie miserabler – bah«, unterbrach sich Herr Weigel in dieser nichts weniger als schmeichelhaften Lektüre, indem er den Brief in zwei Hälften riss und sich dann ein Streichhölzchen mit einem Gewaltstrich an der Tür entzündete, »so viel für den Wisch!« Das Papier anbrennend, warf er das Auflodernde in den Ofen und schloss die Klappe, so heftig er konnte.

Allerdings wollte er sich nun über den Brief hinwegsetzen, aber geärgert hatte er sich doch. Rock und Stiefel anziehend, drückte er sich seinen Hut in die Stirn, griff seinen Stock aus der Ecke und verließ sein Büro, das er sorgfältig hinter sich abschloss und eine kleine Pappe mitten an die Tür hing, auf der die Worte standen: Kommt um elf Uhr wieder.

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