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Der Hexer GK 571

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer
Tyrann aus der Tiefe

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 21. August 1984, 64 Seiten, 1,60 DM, Titelbild: Julek Heller
Erschienen als Gespenster-Krimi Nr. 571

Der Wind peitschte den Regen beinahe waagerecht über die Wasseroberfläche. Mit der Nacht waren Wolken vom Meer her gekommen, eine schwarze, brodelnde Front, die das bleiche Licht des Vollmonds verschluckte und eisige Regenschauer auf die Erde herabstürzen ließ. Der böige, eiskalte Wind sorgte zusätzlich dafür, dass die Bewohner dieses Küstenlandstrichs vergaßen, dass nach dem Kalender eigentlich Hochsommer war und selbst die Nächte warm sein sollten. Der See wirkte wie ein schwarzes, lichtschluckendes Loch. Und dicht unter der Oberfläche begann ein gewaltiger Schatten das kleine Ruderboot zu umkreisen …

Leseprobe

Selbst das regelmäßige Klatschen, mit dem die Ruder ins Wasser tauchten, klang gedämpft und wurde vom Rauschen des unablässig fallenden Regens verschluckt.

Steve Cranton ließ mit einem erschöpften Seufzen die Riemen los, setzte sich auf und streckte die Arme nach beiden Seiten aus. Sein Rücken schmerzte. Sie ruderten seit fast einer Stunde im Kreis über den kleinen, runden See, und das Boot war schwer vom Regen geworden. Seine Füße, die in schwarzen Gummistiefeln steckten, standen bis zu den Knöcheln im eisigen Wasser, und die Kälte war beharrlich durch die Stiefel und die zwei Paar Wollsocken gekrochen, die er darunter trug. Bis zu den Knien hinauf fühlten sich seine Beine taub an.

»Müde?« fragte O’Banyon leise. »Wenn ich dich ablösen soll …«

Cranton schüttelte den Kopf und griff wieder nach den Rudern, ließ die Hände jedoch reglos auf den Riemen liegen, ohne sie zu bewegen. Das Boot schaukelte sanft auf dem Wasser, und wie zur Antwort auf O’Banyons Frage peitschte der Wind einen neuen Regenschwall heran. Cranton schauderte, als das Wasser unter seinen Regenmantel lief und eisig in seinem Nacken herabrann.

»Nein«, antwortete er mit einiger Verspätung. »Ich komme mir nur ganz langsam dumm vor, hier im Kreis zu rudern und mich durchnässen zu lassen. Wir sollten aufhören.«

O’Banyon lachte leise. »Du hast Angst«, behauptete er.

Cranton starrte sein Gegenüber wütend an. Obwohl sie sich kaum drei Meter entfernt gegenübersaßen, war O’Banyons Gesicht nicht mehr als eine dunkle, konturlose Fläche vor dem noch dunkleren Hintergrund des Sees. Die Wolkendecke war massiv wie eine Mauer und ließ nicht den geringsten Lichtschimmer hindurch.

»Nein«, schnappte Cranton verärgert. »Ich blamiere mich nur nicht gerne, das ist alles. Wahrscheinlich sitzen sie in Goldspie jetzt alle beisammen in einem Pub und lachen sich einen Ast über uns.«

»Du hast Angst«, behauptete O’Banyon noch einmal, als hätte er die letzten Worte gar nicht gehört. »Aber jetzt ist es zu spät, mein Lieber.« Er seufzte, kramte einen Moment unter seinem Regenmantel herum und förderte Tabaksbeutel und Pfeife zutage. Cranton sah stirnrunzelnd zu, wie er sich trotz des strömenden Regens bedächtig eine Pfeife stopfte, mit den Händen einen Schutz gegen den Wind bildete und ein Streichholz anriss. Der Tabak fing Feuer, aber er war nass und schmorte nur vor sich hin, statt richtig zu glühen. O’Banyon knurrte etwas, klopfte die Pfeife auf dem Bootsrand aus und steckte sie wieder ein. Dann zog er seine Uhr aus der Tasche, riss ein zweites Streichholz an und versuchte, im flackernden Licht der winzigen Flamme die Stellung der Zeiger abzulesen.

»Es ist gleich soweit«, sagte er. »Mitternacht. In wenigen Augenblicken.«

»Und dann kommt es, wie?« Cranton bemühte sich, möglichst viel Spott in seine Stimme zu legen, aber der Unterton von Furcht, der seine Worte begleitete, verdarb ihm den beabsichtigten Effekt. »Das Ungeheuer von Loch Shin – dass ich nicht lache! Mit solchen Geschichten verschrecken sie ihre Kinder, wenn sie nicht schlafen wollen. Oder halten ahnungslose Trottel aus der Stadt zum Narren.«

»Damit meinst du mich«, sagte O’Banyon kopfschüttelnd. Cranton wollte widersprechen, aber O’Banyon brachte ihn mit einer raschen Bewegung zum Schweigen und schüttelte den Kopf. »Ich nehme es dir gar nicht übel, mein Lieber. Vielleicht würde ich ähnlich denken, wenn ich an deiner Stelle wäre. Aber du hast nicht gehört, was ich gehört habe.«

»Das Gerede eines Wahnsinnigen«, knurrte Cranton. »Was bedeutet das schon?«

»Aber er hat ihn beschrieben!« antwortete O’Banyon eindringlich. »So genau, wie nicht einmal ich es gekonnt hätte. Das kann der Mensch sich gar nicht ausgedacht haben, Steve. Ich …«

Irgendwo, nicht sehr weit entfernt von dem Boot mit den beiden Männern, klatschte etwas auf die Wasseroberfläche. O’Banyon brach mitten im Wort ab, setzte sich pfeilgerade auf und starrte aus zusammengekniffenen Augen in die samtene Schwärze hinaus, die wie eine erstickende Decke über dem See lag. »Was war das?«

»Dein Ungeheuer«, murrte Cranton. Aber seine Stimme zitterte noch stärker als vorher.

O’Banyon ignorierte ihn. »Da ist etwas«, murmelte er. »Ich spüre es ganz deutlich …« Er starrte eine weitere Sekunde auf die schwarze Wasseroberfläche hinab, fuhr mit einem Ruck herum und begann mit den Händen zu fuchteln. »Die Lampe!« rief er. »Schnell, Steve. Und die Kamera!«

Ein sanfter Stoß traf den Boden des Bootes. Cranton verlor für einen Moment das Gleichgewicht, rutschte auf der schmalen Sitzbank nach vorne und klammerte sich erschrocken am Bootsrand fest. Das kleine Schiffchen bebte. Es war ein Gefühl, als wäre es von etwas Weichem, Nachgiebigem – aber trotzdem ungeheuer Starkem – getroffen worden. Wieder war das Geräusch von Wasser zu hören, das mit einem harten Schlag geteilt wurde. Eine Welle traf das Boot, zersprühte an seinem Rumpf und überschüttete seine Insassen mit einem Schwall eisigem Wasser.

Cranton fluchte, beugte sich vor und versuchte mit klammen Fingern, ihre Ausrüstung aus dem wasserdichten Ölsack zu nehmen.

»Beeil dich, Steve«, sagte O’Banyon ungeduldig. »Da ist etwas – ich spüre es ganz deutlich.«

Der See war plötzlich von Geräuschen erfüllt. Wellen trafen in immer kürzeren Abständen das Boot, und irgendwo, links und nicht sehr weit von ihnen entfernt, bewegte sich etwas Dunkles, Massiges über dem See.

»Die Karbidlampe!«, verlangte O’Banyon ungeduldig. »Wie lange dauert denn das?!«

Cranton richtete sich mit einem ärgerlichen Knurren auf, reichte O’Banyon die kleine, sonderbar geformte Lampe und starrte mit klopfendem Herzen in die Dunkelheit hinaus. Auch er glaubte jetzt etwas zu erkennen – aber eben nur irgendetwas, ohne dass er hätte sagen können, was.

Aber was immer es war, es war groß.

»Verdammt, Jeff, lass uns hier verschwinden«, murmelte er. »Die Sache gefällt mir nicht.«

O’Banyon hatte den Glaskolben der Lampe ein Stück angehoben und versuchte mit bebenden Fingern, ein Streichholz anzureißen, aber der Wind blies ihm die Flamme schneller wieder aus, als er sie in die Lampe bekommen konnte. Sein Blick wanderte immer wieder über den See und saugte sich an dem schwarzen Ding fest, das inmitten der Dunkelheit erschienen war. Das Boot schaukelte mittlerweile wild auf den Wellen und begann sich langsam zu drehen. Ein neuer, unheimlicher Ton begann sich in das Heulen des Windes zu mischen. Ein Laut, wie ihn keiner der beiden jemals zuvor in seinem Leben gehört hatte: etwas wie ein dunkles, unendlich mühsames Atmen und Schnauben, aber so mächtig, dass die beiden Männer in dem winzigen Boot schauderten.

»Lass uns hier verschwinden«, sagte Cranton noch einmal. »Jeff – bitte!«

Statt einer Antwort riss O’Banyon ein weiteres Streichholz an, schirmte die Flamme mit der Hand ab und entzündete endlich die Lampe.

Cranton schloss geblendet die Augen, als die Dunkelheit über dem Boot schlagartig der weißen, unangenehm grellen Helligkeit der Karbidlampe wich. O’Banyon blinzelte, hob die Lampe mit der linken Hand in Kopfhöhe und fummelte mit der anderen an der komplizierten Anordnung von Spiegeln, die ihr Licht bündeln und weit hinaus auf den See werfen sollten. Ein flackernder, dreieckiger Kegel weißer Helligkeit huschte über die Wasseroberfläche. O’Banyon fluchte, hielt die Lampe etwas höher und verstellte die Spiegel. Aus dem dreieckigen Lichtteppich wurde ein dünner, gebündelter Strahl, der fünfzig und mehr Meter weit auf den See hinausreichte. Irgendwo an seinem Ende bewegte sich etwas; etwas Formloses und Schwarzes und Titanisches. Ein unwilliges, unglaublich tiefes Grollen ertönte, als der Lichtfinger für einen Moment einen bizarren Umriss aus der Dunkelheit hervorzauberte und dann weiterwanderte.

»Hör auf, Jeff, ich bitte dich!« keuchte Cranton.

»Da ist es!« murmelte O’Banyon. »Ich habe recht gehabt, Steve – Truman hat nicht gelogen.« Er fuhr herum, packte Cranton mit der freien Hand beim Kragen und deutete mit der Lampe auf den See hinaus. »Sie es dir an, Steve! Truman war kein Verrückter! Er hat recht! Dieses Wesen existiert wirklich! Es ist real, und …«

Cranton schlug seine Hand beiseite. »Ich will es gar nicht wissen!« brüllte er. »Ich will hier weg, sonst nichts! Verdammt, Jeff – begreifst du denn nicht?! Dieses Monster wird uns umbringen!!«

O’Banyon blinzelte verwirrt. Er schien noch gar nicht auf den Gedanken gekommen zu sein, dass sie sich in Gefahr befanden.

Eine neue, besonders mächtige Welle traf das Boot; so heftig, dass sowohl O’Banyon als auch Cranton die Balance verloren und übereinander stürzten.

Fluchend arbeiteten sie sich wieder hoch. Das Boot schaukelte wild, aber die Lampe war wie durch ein Wunder nicht erloschen. Der kalkweiße Lichtstrahl zuckte wie ein dünner bleicher Finger über den See, bohrte sich in den Himmel und senkte sich wieder.

»Um Gottes willen, Jeff – nicht!!!«

Crantons Schrei ging in einem ungeheuren, trompetenden Brüllen unter. Der Schatten am Ende des Lichtstrahls wuchs ins Ungeheuerliche, explodierte in einer Woge von Schwarz und glitzernden Schuppen und sprang mit einem gewaltigen Satz auf die beiden Männer zu.

Das Boot bäumte sich auf. Eine weitere Welle traf seinen Rumpf, riss eines der Ruder weg und ließ das Ende des anderen wie eine Keule kreisen; Cranton schrie auf, als ihn das unterarmstarke Holz am Hinterkopf traf und abermals nach vorne schleuderte. Auch O’Banyon schrie vor Schrecken, kippte hintenüber und ließ die Karbidlampe fallen. Der kalkweiße Lichtstrahl kreiste noch einmal über dem See, als die Lampe auf den Bootsrand prallte und zischend verlosch.

Aber den Bruchteil einer Sekunde, bevor der Lichtstrahl vom Schwarz der Nacht verschluckt wurde, war in seinem Zentrum ein gewaltiger, alptraumhafter Umriss erschienen …

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