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Des Freiherrn von Münchhausen wunderbare Reise und Abenteuer … 6

Des Freiherrn von Münchhausen
wunderbare Reise und Abenteuer zu Wasser und zu Lande, wie er dieselbe bei der Flasche im Zirkel seiner Freunde selbst zu erzählen pflegte
Mit 16 Federzeichnungen von Hosemann
Neue Originalausgabe, Dieterich’schen Buchhandlung Göttingen, Berlin, 1840

Manche Reisende sind bisweilen imstande, mehr zu behaupten, als, genau genommen, wahr sein mag. Daher ist es denn kein Wunder, wenn Leser oder Zuhörer ein wenig zum Unglauben geneigt werden. Sollten indessen einige von der Gesellschaft an meiner Wahrhaftigkeit zweifeln, so muss ich sie wegen ihrer Ungläubigkeit herzlich bemitleiden und Sie bitten, sich lieber zu entfernen, ehe ich meine Schiffsabenteuer beginne, die zwar fast noch wunderbarer, aber doch ebenso authentisch sind.

*

 

Des Freiherrn von Münchhausen Seeabenteuer
Erstes Seeabenteuer

Gleich die erste Reise, die ich in meinem Leben machte, geraume Zeit vor der russischen, von der ich eben einige Merkwürdigkeiten erzählt habe, war eine Reise zur See.

Ich stand, wie mein Onkel, der schwarzbärtigste Husarenoberst, den ich je gesehen habe, mir oft zuzuschnurren pflegte, noch mit den Gänsen im Prozess. Man hielt es noch für unentschieden, ob der weiße Flaum an meinem Kinn Keim von Daunen oder von einem Bart wäre, als schon Reisen das einzige Dichten und Trachten meines Herzens war.

Da mein Vater teils selbst ein ehrliches Teil seiner früheren Jahre mit Reisen zugebracht hatte, teils manchen Winterabend durch die aufrichtige und ungeschminkte Erzählung seiner Abenteuer verkürzte, von denen ich Ihnen vielleicht in der Folge noch einige zum Besten gebe, so kann man jene bei mir wohl mit ebenso gutem Grund für geboren wie für eingeflößt halten. Genug, ich ergriff die Gelegenheit, die sich anbot oder nicht anbot, meine unüberwindlichen Begierde, die Welt zu sehen, Befriedigung zu erbetteln oder zu ertrotzen; allein vergebens.

Gelang es mir auch einmal bei meinem Vater eine kleine Bresche zu machen, so taten Mama und Tante desto heftigeren Widerstand, und in wenigen Augenblicken war alles, was ich durch die überlegensten Angriffe gewonnen hatte, wieder verloren. Endlich fügte es sich, dass einer meiner mütterlichen Verwandten uns besuchte. Ich wurde bald sein Liebling; er sagte mir oft, ich wäre ein hübscher munterer Junge, und er wolle alles Mögliche tun, mir zur Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches behilflich zu sein. Seine Beredsamkeit war wirksamer als die meine, nach vielen Vorstellungen und Gegenvorstellungen, Einwendungen und Widerlegungen wurde endlich zu meiner unaussprechlichen Freude beschlossen, dass ich ihn auf einer Reise nach Ceylon, wo sein Onkel viele Jahre Gouverneur gewesen war, begleiten sollte.

Wir segelte mit wichtigen Aufträgen ihrer Hochmögenden, der Staaten von Holland, von Amsterdam ab. Unsere Reise hatte, wenn ich einen außerordentlichen Sturm abrechne, nichts Besonderes. Dieses Sturmes aber muss ich, seiner wunderbaren Folgen wegen, mit ein paar Worten gedenken. Er nahm sich auf, gerade als wir bei einer Insel vor Anker lagen, um uns mit Holz und Wasser zu versorgen, und tobte mit solcher Heftigkeit, dass er eine große Menge Bäume von ungeheurer Dicke und Höhe mit der Wurzel aus der Erde riss und durch die Luft schleuderte. Ungeachtet einige dieser Bäume mehrere hundert Zentner schwer waren, so sahen sie doch wegen der unermesslichen Höhe – denn sie waren wenigstens fünf Meilen über der Erde – nicht größer aus als kleine Vogelfederchen, die bisweilen in der Luft umherfliegen.

Indessen, so wie der Orkan sich legte, fiel jeder auch senkrecht in seine Stelle und schlug sogleich wieder Wurzeln, dass kaum eine Spur der Verwüstung zu sehen war. Nur der Größte machte hiervon eine Ausnahme. Als er durch die plötzliche Gewalt des Sturmes aus der Erde gerissen wurde, saß gerade ein Mann mit seiner Frau auf den Ästen desselben und pflückte Gurken, denn in diesem Teil der Welt wächst diese Frucht auf Bäumen. Das ehrliche Paar machte so geduldig wie Blanchards Hammel die Luftreise mit, veranlasste aber durch seine Schwere, dass der Baum sowohl von seiner Richtung gegen seinen vorigen Platz abwich als auch in einer horizontalen Lage herunterkam. Nun hatte, so wie die meisten Einwohner auf dieser Insel, so auch ihr allergnädigster Kazike während des Sturmes seine Wohnung verlassen, aus Furcht, unter den Trümmern derselben begraben zu werden, wollte gerade wieder durch seinen Garten zurückgehen, als dieser Baum hernieder sauste und ihn glücklicherweise auf der Stelle tot schlug.

Glücklicher Weise?

Ja, ja, glücklicherweise; denn, meine Herren, der Kazike war, mit Erlaubnis zu melden, der abscheulichste Tyrann, und die Einwohner der Insel, selbst seine Günstlinge und Mätressen nicht ausgenommen, die letzten Geschöpfe unterm Mord. In seinen Vorratshäusern verfaulten die Lebensmittel, während seine Untertanen, denen sie ausgepresst waren, vor Hunger verschmachteten.

Seine Insel hatte keine auswärtigen Feinde zu fürchten; dessen ungeachtet nahm sie den jungen Kerl weg, prügelte ihn höchst eigenhändig zum Helden und verkaufte von Zeit zu Zeit seine Kollektion im meistbietenden benachbarten Fürsten, um zu den Millionen Muscheln, die er von seinem Vater geerbt hatte, neue Millionen zu legen.

Man sagte uns, er habe diese unerhörten Grundsätze von einer Reise, die er in den Norden gemacht habe, mitgebracht; eine Behauptung, auf deren Belegung wir uns, allen Patriotismus ungeachtet, schon deswegen nicht einlassen konnte, weil bei diesem Insulanern eine Reise in den Norden eben sowohl eine Reise zu den kanarischen Inseln, als auch eine Spazierfahrt nach Grünland bedeutet. Eine bestimmt Erklärung mochten wir aus mehreren Gründen nicht verlangen.

Zur Dankbarkeit für den großen Dienst, den das Gurken pflückende Paar, obwohl nur zufälligerweise, seinen Mitbürger erwiesen hatte, wurde es von diesen auf den erledigten Thron gesetzt. Zwar waren diese guten Leutchen auf ihrer Luftfahrt dem großen Licht der Welt so nahe gekommen, dass sie das Licht ihrer Augen und noch überdies eine kleine Portion ihres inneren Lichtes dabei zugesetzt hatten. Allein nichtsdestoweniger regierten sie so löblich, dass, wie ich in der Folge erfuhr, niemand Gurken aß, ohne zu sprechen: Gott erhalte den Kaziken.

Nachdem wir unser Schiff, das von diesem Sturm nicht wenig beschädigt war, wieder ausgebessert und uns von dem neuen Monarchen und seiner Gemahlin beurlaubt hatten, segelten wir mit ziemlichen Wind ab und kamen nach sechs Wochen glücklich zu Ceylon an.

Es mochte ungefähr vierzehn Tage seit unserer Ankunft verstrichen sein, als mir der älteste Sohn des Gouverneurs den Vorschlag unterbreitete, auf die Jagd zu gehen, den ich auch herzlich gern an. Mein Freund war ein großer starker Mann und an die Hitze jenes Klimas gewöhnt. Ich aber wurde in kurzer Zeit und bei ganz mäßiger Bewegung so matt, dass ich, als wir in den Wald gekommen waren, weit hinter ihm zurückblieb.

Ich wollte mich eben an dem Ufer eines reisenden Stromes, der schon einige Zeit meine Aufmerksamkeit beschäftigt hatte, niedersetzen, um etwas auszuruhen, als ich auf einmal auf dem Weg, den ich gekommen war, ein Geräusch hörte. Ich sah zurück und wurde fast versteinert, als ich einen ungeheuren Löwen erblickte, der gerade auf mich zukam und mir nicht undeutlich mehr erkennen ließ, dass er gnädigst geruhe, meinen armen Leichnam zu seinem Frühstück zu machen, ohne sich nur meine Einwilligung auszubitten. Meine Flinte war bloß mit Hasenschrot geladen. Langes Besinnen erlaubte mir weder die Zeit noch meine Verwirrung, doch entschloss ich mich, auf die Bestie zu feuern, in der Hoffnung, sie zu schrecken, vielleicht auch zu verwunden. Allein dadurch in der Angst nicht einmal wartete, bis mir der Löwe zum Schluss kam, wurde er dadurch gemacht und kam mit aller Heftigkeit auf mich los mehr aus Instinkt als aus vernünftiger Überlegung versuchte ich eine Unmöglichkeit zu entfliehen. Ich kehrte mich um und mir lief noch, so oft ich daran denke, ein kalter Schauer über den Rücken. Wenige vor mir stand ein scheußliche das schon fürchterlich seinen Rachen auf, um mich zu verschlingen.

Stellen Sie sich, meine Herren, das schreckliche meiner Lage vor auf hinter mir der Löwe, vor mir das Krokodil, zu meiner Linken ein reißender Strom, zu meiner Rechten ein Abgrund, in dem, wie ich danach hörte, die giftigen Schlangen sich aufhielten.

Betäubt – und das war einem Herkules in dieser Lage nicht übel zu nehmen – stürzte ich zu Boden. Jeder Gedanke, dem meine Seele noch vermochte, war die schreckliche Erwartung, nun die Zähne oder Klauen des wütenden Raubtieres zu fühlen oder in dem Rachen des Krokodils zu stecken, doch in wenigen Sekunden hörte ich einen starken, aber durchaus fremden Laut. Ich wagte es, endlich meinen Kopf zu heben und mich umzuschauen, und – was meinen Sie – zu meiner unaussprechlichen Freude finde ich, dass der Löwe in der Hitze, in der er auf mich los schoss, in eben dem Augenblick, in dem ich niederstürzte, über mich weg in den Rachen des Krokodils gesprungen war. Der Kopf des einen steckte nun in dem Schlund des anderen. Sie strebten mit aller Macht, sich voneinander loszumachen. Gerade noch zur rechten Zeit sprang ich auf, zog meinen Hirschfänger, und mit einem Streich haute ich den Kopf des Löwen ab, sodass der Rumpf zu meinen Füßen zuckte. Darauf rammte ich mit dem unteren Ende meiner Flinte den Kopf noch tiefer in den Rachen des Krokodil, das nun jämmerlich ersticken musste.

Bald nachdem ich diesen vollkommenen Sieg über zwei fürchterliche Feinde erforscht hatte, kam mein Freund, um zu sehen, was die Ursache meines Zurückbleibens wäre.

Nach gegenseitigen Glückwünschen maßen wir das Krokodil und fanden es genau vierzig Pariser Fuß, sieben Zoll lang.

Sobald wir dem Gouverneur dieses außerordentlichen Abenteuer erzählt hatten, schickte er einen Wagen mit einigen Leuten aus und ließ beiden Tiere zu seinem Haus holen. aus dem Fell des Löwen musste mir ein dortiger Kürschner Tabakbeutel anfertigen, von denen ich einige meinen Bekannten zu Ceylon verehrte. Mit den Übrigen machte ich bei unserer Rückfahrt nach Holland Geschenke an die Bürgermeister, die mir dagegen ein Geschenk von tausend Dukaten machen wollten, dass ich nur mit viel Mühe ablehnen konnte.

Die Haut des Krokodils wurde auf gewöhnlicher Art ausgestopft und macht nun eine der größten Merkwürdigkeiten im Museum zu Amsterdam aus, wo der Vorzeiger die ganze Geschichte jedem, den er herumführt, erzählt. Dabei macht er immer einige Zusätze, von denen verschiedene Wahrheit und Wahrscheinlichkeit in hohem Grade beleidigen. So pflegt er zum Exempel zu sagen, dass der Löwe durch das Krokodil hindurch gesprungen sei und eben durch die Hintertür habe entwischen wollen, als Monsieur, der weltberühmte Baron, wie er mich zu nennen beliebt, den Kopf, so wie ihr herauskam und mit dem Kopf drei Fuß vom Schwanz des Krokodils abgehauen hätte. Das Krokodil, fährt der Kerl weiter fort, blieb bei dem Verlust seines Schwanzes nicht gleichgültig, drehte sich um, riss Monsieur den Hirschfänger aus der Hand und verschlang ihn mit solcher Hitze, dass er mitten durch das Herz des Ungetüms fuhr und es auf der Stelle sein Leben verlor.

Ich brauche nicht zu sagen, meine Herren, wie unangenehm mir die Unverschämtheit dieses Schurken sein muss. Leute, die mich nicht kennen, werden durch dergleichen handgreifliche Lügen in unserem zweifelsüchtigen Zeitalter leicht veranlasst, selbst in die Wahrheit meiner wirklichen Taten ein Misstrauen zu setzen, was einen Kavalier von Ehre in höchstem Grad kränkt und beleidigt.

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