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Die Sage des Billy the Kid Teil 3

Die Sage des Billy the Kid
Kapitel 1 – Teil 3
Der König des Tals

Ich habe nur glückliche Erinnerungen an die South Spring Ranch.

Mein Onkel John hat nie geheiratet – dafür war er auch zu beschäftigt – und ich war die Herrin des Hauses. Ich war jeden Tag von morgens bis abends damit beschäftigt, den Haushalt zu führen und die ­Dienerschaft anzuleiten. Während der Frühjahrs- und Herbsttreibjagden­, wenn die Cowboys von den Weiden kamen, wurde ich auf Trab gehalten. Das Haus war immer voller Menschen; die Ranch war eine kleine Welt für sich; ich hätte nicht einsam sein können, wenn ich es versucht hätte.

Jeder Mann, den es im Südwesten zu kennen gilt, und viele, die es nicht wert sind, ihn zu kennen, waren das eine oder andere Mal Gast unter Onkel Johns gastfreundlichem Dach. Ich traf sie alle – Gouverneure, Abgeordnete, Geschäftsleute, Armeeoffiziere, Glücksspieler­, Räuber, Mörder – und behandelte sie alle gleich. Was sie waren, machte keinen Unterschied bei der Begrüßung. Manchmal ritt ein Mann in Eile ­heran, aß in Eile eine Mahlzeit und reiste in Eile ab. Das Aufgebot des Sheriffs, das wenig später eintraf, würde einen Hinweis auf seine Eile geben. Die Länge des Besuchs eines Gastes hing manchmal davon ab, wie viele Meilen er dem Sheriff voraus war.

Billy the Kid kam oft und blieb manchmal für eine oder zwei Wochen. Mit seinem Ruf als böser Mann und Killer, erinnere ich mich, wie verängstigt ich war, als er das erste Mal auftauchte. Ich saß im Wohnzimmer, als mir die Nachricht gebracht wurde, dass dieser berühmte Desperado angekommen war. Ich verfiel in Panik. Ich stellte ihn mir in all der bösen Hässlichkeit eines blutrünstigen Unholds vor. Ich erwartete halb, dass er mir die Kehle aufschlitzen würde, wenn ihm mein Aussehen nicht gefiel.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals, als ich seine Schritte auf der Veranda hörte und wusste, dass Onkel John ihn hereinbrachte. Wie benommen hörte ich Onkel John mit einer Handbewegung sagen: »Sallie, das ist mein Freund Billy the Kid.« Ein gut aussehender, klaräugiger Junge stand da mit seinem Hut in der Hand und lächelte mich an. Automatisch streckte ich ihm meine Hand entgegen, und er ergriff sie mit einer Hand, die so klein war wie meine eigene.

»Howdy, Miss Chisum, ich freue mich, Sie kennen zu lernen«, sagte er mit einer ehrerbietigen Verbeugung, wie sie an der Grenze gang und gäbe war.

»Sie sind Billy the Kid?«, murmelte ich.

»So nennen sie mich«, sagte er mit sanfter Stimme.

Ich bin auf das Sofa gesunken und habe gelacht, bis mir die Tränen kamen. Er muss gedacht haben, dass ich verrückt bin, aber er hat auch gelacht.

«Nun«, sagte ich, als ich wieder sprechen konnte, »natürlich schulde ich Ihnen eine Erklärung und eine Entschuldigung. Aber sehen Sie, ich hatte nicht erwartet, Sie so vorzufinden, wie Sie aussehen.«

»Ja«, antwortete er gutmütig, »ich verstehe.«

Und wir sind beide wieder in Gelächter ausgebrochen.

Billy the Kid und ich wurden gute Freunde. Böse war er sicher, aber sicher nicht nur böse. Er hatte viele bewundernswerte ­Eigenschaften. Wenn er ein Feind­ war, war er ein Feind, aber wenn er ein Freund war, war er ein Freund. Er strotzte vor unbeschwerter Fröhlichkeit und guter Laune. Was seine Kleidung betraf, so sah er immer so aus, als wäre er gerade aus einer Hutschachtel gestiegenen. Mit breitkrempigem weißem Hut, dunklem Mantel und Weste, grauer Hose über den Stiefeln, grauem Flanellhemd und schwarzer Krawatte und manchmal – man glaubt es kaum – einer Blume im Revers war er eine schneidige Figur und ein richtiger Dandy. Ich nehme an, es klingt absurd, von einem solchen Charakter als Gentleman zu sprechen­, aber vom Anfang bis zum Ende unserer langen Freundschaft, in all seinen persönlichen Beziehungen zu mir, war er das Aushängeschild der ­Höflichkeit und der höflichste kleine Gentleman, den ich je getroffen habe.

Billy the Kid und ich sind oft zusammen übers Land galoppiert, und an vielen schönen Abenden saßen wir stundenlang auf der vorderen Galerie und unterhielten uns. Es gab einen Bach voller Fische, der unter dem Haus an einer Ecke der Küche verlief, und ich saß oft auf der hinteren Veranda in einem Schaukelstuhl, mit Billy als Angler, und fing eine Reihe von Barschen zum Abendessen.

Als Onkel John seine Pappeln pflanzte, pflanzten er mit seinen Brüdern Pitzer und James drei junge Bäume nahe beieinander und banden sie zusammen, indem sie ihre Stämme nach innen bogen. Mit der Zeit wuchsen die drei Bäume zu einem einzigen heran, und er steht heute noch, ein hoch aufragender Riese, der unten von breiten Dreifachbögen getragen wird, die aus den drei ursprünglichen Stämmen gebildet wurden. Als ich Billy das erste Mal den Baum der drei Brüder zeigte und ihm sagte, dass er die Liebe der drei Männer zueinander verkörpere, so wie es Onkel John gesagt hatte, als die Setzlinge gepflanzt wurden, erinnere ich mich, wie gerührt Billy von einem solchen Beispiel brüderlicher Zuneigung war­. Er war nur ein Junge, wissen Sie, und tief in seinem harten kleinen Herzen muss ­noch ­ein wenig Gefühl übrig gewesen sein; und als er vielleicht an die Liebe und Zärtlichkeit dachte, die er in ­seinem eigenen Leben vermisst hatte, sah er so wehmütig und traurig aus, dass ich mich berufen fühlte, ihn aufzumuntern. »Du brauchst nicht zu weinen«, sagte ich zu meinem sentimentalen Desperado.

Sheriff Pat Garrett war ein weiterer häufiger Besucher auf der Ranch. Ein ungeheuer großer Mann, aber nicht plump oder unbeholfen; er bewegte sich sogar mit einer gewissen schwungvollen Anmut, die Kraft und Sicherheit suggerierte. Trotz seines schiefen Mundes und seines schiefen Lächelns, das sein ganzes Gesicht schief erscheinen ließ, war er ein bemerkenswert gut aussehender Mann. Ein ruhiger, ausgeglichener Geist schien einen aus seinen gleichmäßigen grauen Augen anzuschauen. In Garrett steckte wenig Poesie – er war so lyrisch wie einer seiner eigenen Six Shooter, aber das Gesicht des alten Grenzkämpfers erinnerte auf eine vage Weise an das von Edgar Allan Poe. Er sah melancholisch und tragisch aus, aber er konnte genial und gesellig sein, und wenn seine Herzkammern von einem steifen, altmodischen Toddy gewärmt wurden, war er das Leben der Gesellschaft, die abends auf der Veranda zu sitzen pflegte. Er war ein malerischer Geschichtenerzähler. Sein Leben als Büffeljäger, Sheriff, Kämpfer und Kopfgeldjäger hatte ihm einen interessanten Hintergrund gegeben, und die meisten seiner Geschichten stammten aus eigener Erfahrung.

­”Er hatte die Leichtigkeit und Kameradschaftlichkeit eines Südstaatlers, und es war leicht, sein Freund zu sein. Aber er hatte viele Feinde, die ihn herzlich hassten; was leicht zu verstehen war­, denn was auch immer er sich vornahm, er tat es auf Biegen und Brechen, wie er zu sagen pflegte, und wenn ein oder zwei Männer verletzt oder getötet wurden, machte das für ihn keinen Unterschied.

Nachdem er zum Sheriff von Lincoln County gewählt wurde und seine enge Freundschaft mit Billy the Kid brach, um sein unerbittlicher Feind zu werden, hörte ich Männer wetten, dass, wenn die beiden Männer jemals aufeinander treffen würden, Billy ihn töten würde. Jeder dachte, Billy sei der gefährlichere Mann und der schnellere und sicherere Schütze. Das war er zweifelsohne. Aber wie sich herausstellte, wurde die bittere Fehde zwischen diesen beiden – dem Gesetzlosen und dem Sheriff – nicht durch die relativen Kampffähigkeiten der Männer bestimmt, sondern durch Glück, oder wie manche es nennen würden, durch Schicksal. Garrett tötete Kid, nicht weil Garrett der überlegene ­Kämpfer war­, sondern weil es für Kid an der Zeit war, zu sterben. Jahre später, als Garrett an der Reihe war, wurde der Veteran vieler Schlachten von einem Mann getötet, der als Kämpfer als Greenhorn eingestuft ­werden könnte. Garrett und The Kid waren ­einfallsreiche, verzweifelte Kämpfer. Aber als ihre Stunde schlug, waren sie so hilflos wie Babys, um ­sich­ zu retten oder zu verteidigen­.

Ich kannte diese beiden Männer sehr gut, und jeder hat auf seine Weise Geschichte geschrieben. In Billy the Kid mischte sich das Gute mit dem Schlechten und in Pat Garrett das Schlechte mit dem Guten. Beide waren ausgesprochene Menschen, beide bemerkenswerte Persönlichkeiten. Egal, was sie in der Welt taten oder was die Welt von ihnen dachte, sie waren meine Freunde. Beide waren echte Männer. Beide waren es wert, sie zu kennen.

John Chisum starb 1884 in Eureka Springs, Missouri, und liegt in Paris, Texas, seiner Jugendheimat, begraben, und die von ihm gegründete Stadt ist sein Denkmal. Die Geschichte hat sich nur spärlich mit ihm beschäftigt. Man findet seinen Namen hier und da in gedruckten Chroniken erwähnt, mit einem überraschenden Mangel an biographischen Details. Er bleibt eine schemenhafte Gestalt, ­die nur ab und zu von einer Episode erhellt wird, wie ein Berggipfel, auf den gelegentlich ein Sonnenstrahl fällt, der durch den Nebel scheint. Es gibt noch ein Daguerreotypie-Porträt des alten Viehkönigs, der in seinen Hemdsärmeln auf einem Pony zu Reichtum und Macht ritt. Es zeigt ein gutes, häusliches, ehrliches Gesicht mit wachen, scharfsinnigen Augen und einer ­Andeutung von Kraft und Tatendrang in dem kantigen Kinn und der Form des großzügigen Mundes. Es ist kaum ein beeindruckendes Bild. Aber es wäre eine ungerechte Einschätzung, würde man John Chisum nicht als einen der großen Wegbereiter und Pioniere des Südwestens bezeichnen. Er war von Anfang bis Ende eine konstruktive Kraft – ein Baumeister. Vielleicht kein Architekt der Zivilisation, aber ein Arbeiter, der im Schweiße seines Angesichts die ­Grundsteine legte­, auf denen Zivilisation, Recht und Ordnung entstanden.

Die Jahre haben das untere Pecos Valley verändert. Nördlich, in Sichtweite der South Spring Ranch, steht heute Roswell, die Metropole des östlichen New Mexico, mit zehntausend Einwohnern, asphaltierten Straßen, imposanten Geschäftshäusern, schönen Häusern, die in Bäumen eingebettet sind. Die einst trockenen Ebenen blühen jetzt wie die Rose. Artesisches Wasser aus einem unerschöpflichen unterirdischen Reservoir sprudelt aus tausend Brunnen zur Bewässerung von Farmen und Gärten. Entlang des Weges, dem Chisums Herden zum Markt folgten, verläuft heute eine Eisenbahnlinie.

Die South Spring Ranch ging in den Besitz von H. J. Hagerman, dem ehemaligen Gouverneur von New Mexico, über, der die Eisenbahn gebaut hat, und ist immer noch im Besitz seiner Familie. Vom ebenen Makadam-Highway bis zum stattlichen Backsteinhaus der Hagermans führt eine breite königliche Allee, über der riesige Pappeln mit einem Stammdurchmesser von fünf Fuß ihre Äste verflechten. Das sind die Setzlinge, die John Chisum per Maultierzug aus Las Vegas mitgebracht hatte. Wo einst Chisums Longhorn-Rinder Büffelgras mähten, grasen heute Herden reinrassiger Herefords auf Luzerne-Weiden. Die großen Obstgärten, die Chisum pflanzte, jetzt knorrig und uralt, blühen immer noch in der Saison auf und hängen schwer mit Äpfeln, Pfirsichen und Birnen. Chisums Rosenhecke überliefert die duftende Tradition früherer Zeiten. Die scharlachroten Nachfahren der Vögel, die Chisum aus Tennessee mitbrachte, die Tangaren, schwingen von Baum zu Busch wie Pfeile aus lebendiger Flamme, und Bob-Whites vertonen die Erinnerungen an den alten Rinderkönig, wenn ihr flüssiger Jodler über das ganze Tal schallt.

In einer abgelegenen Ecke unter hoch aufragenden Pappeln in der Nähe der Ställe steht das bröckelnde Fragment einer alten Lehmmauer. Es ist alles, was von John Chisums ehemaligem Haus übrig geblieben ist, einst der Sitz von Komfort und guter Laune und königlicher Gastfreundschaft, Treffpunkt des gesamten Südwestens. Diese ruinierte alte Mauer ist eine Tragödie. Die Vergangenheit schlägt gegen sie wie eine schattenhafte Woge. Sie steht in monumentaler Wachsamkeit über den toten Jahren. Hinter ihr sind Gespenster. Der Wind in den Baumwollsträuchern darüber ist wie ein Klagelied. Es ist wie ein ergreifendes Lied, belastet mit der Traurigkeit der Erinnerungen. Vorbei sind die Tage.

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