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Der Welt-Detektiv Band 6

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Deutsche Märchen und Sagen 101

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

132. Gib mir meinen Kopf wieder!

Ein sehr glaubhafter Mann, der zu Stendal Diakonus gewesen war, bezeugte als wahrhaftig die folgende Geschichte.

Ein Branntweinbrenner hatte sich die Hirnschale eines gehängten Diebes zu verschaffen gesucht, und zwar zu dem Ende, um den daraus gezogenen Spiritus unter den Branntwein zu mischen, welches man häufig tut, damit der Branntwein umso besser abgehe. Als er nun nachts mit seiner Destillation beschäftigt war, öffnete sich plötzlich die Tür von selbst, der gehängte Dieb trat in die Kammer, blieb eine Zeit lang vor dem Destillateur und seinen Gehilfen stehen und sprach dann mit einer schrecklichen Stimme: »Gib mir meinen Kopf wieder!«

Dass alle den Hasenpfad suchten, lässt sich wohl begreifen.

133. Dieb will seine Haut wieder haben

Ein Kerl, der sich durch viele Diebstähle des Strickes wohl wert gemacht hatte, wurde doch insofern begnadigt, dass er durchs Schwert starb. Ein gelehrter Doktor ersuchte den Magistrat, ihm die Leiche zu überlassen, damit er sie vor seinen Studenten zerschneiden könne, welches ihm auch willig zugestanden wurde. Nachdem er nun den Leichnam zerschnitten hatte, gab er die Haut einem Gerber, um dieselbe fürder zu säubern und bestens zuzubereiten. Während der Meister nun eines Mittags an dem Fell arbeitete, trat der Missetäter ohne Haupt und ohne Haut auf ihn zu. Er war schrecklich anzuschauen, denn man sah jede Muskel an seinem Leib. Nachdem er eine Weile dagestanden hatte, rief er dem Gerber, neben dem seine Hausfrau stand, welche zufällig in der Gerberei war, zu: »Gib mir meine Haut wieder!«

Einige Zeit danach kam er noch einmal wieder und forderte sich seine Haut, doch der Gerbermeister ließ ihn rufen und kümmerte sich nicht um ihn. Er blieb auch endlich aus. Der Meister übrigens hatte doch einen so großen Schreck davongetragen, dass er drei Tage krank zu Bett lag.

134. Doppelgänger

In einem gewissen fürstlichen Schloss in Deutschland hat sich das Folgende wahrhaftig zugetragen. Des Amtmanns Frau wollte in ihres Mannes Schreibstube gehen, um dort etwas zu holen, welches er eben verlangt hatte. Als sie aber die Tür der Schreibstube öffnete, siehe, da saß ihr Mann, den sie eben in der Küche verlassen hatte, leibhaft und eigentlich in seinem Stuhl am Schreibtisch, sodass sie im ersten Augenblick zweifelte, ob auch wirklich ihr Mann unten sei. Erschrocken lief sie die Treppe herunter, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, ob sie sich nicht betrogen hätte, doch da saß ihr Eheherr ruhig und still und von nichts wissend in der Küche. Mit großer Angst und Beben erzählte sie ihm ihre Geschichte, bat ihn aber zugleich nicht zur Schreibstube zu gehen, damit ihm kein Unglück widerfahre; sie hielt nämlich dafür, dass die Erscheinung ein Vorzeichen seines nahen Todes sei. Er war aber ein kühner Mann, der nicht leichtlich an solcherlei glaubte, und sprach, er müsse sich überzeugen, was an der Sache wäre, ging die Treppe herauf und öffnete, gefolgt von seiner zitternden Ehefrau, die Tür der Kammer. Da sah auch er sich in demselben Schlafrock sitzen, den er anhatte, ganz wie er leibte und lebte, und sah sich schreiben, so durchaus auf dieselbe Weise, wie er zu tun gewohnt war, dass es ein Wunder zu schauen war. Seine Frau bat ihn ernstlich, doch hinweg und wieder mit ihr herunterzugehen. Das ließ ihm aber seine Unverzagtheit nicht zu; im Gegenteil, er ging auf den Stuhl los, auf dem sein Doppelgänger saß, und befahl diesem aufzustehen, indem er sprach: »Höre, Geselle, es kommt mir zu, hier zu sitzen und nicht dir. Du hast nichts hier zu schaffen, darum packe dich!« Mit den Worten rückte er den Stuhl weg und das Gespenst verschwand.

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