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Schauernovellen 8 – Die neue Griseldis 2

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Die neue Griseldis
2. Kapitel

Liebesschauer

Es gibt gewisse Menschen, welche sagen: Wenn ein schöngeistiger, humoristischer, fatyrischer, sentimentaler und andere Schriftsteller auf Reisen geht, so hat er ein Abenteuer erlebt, ehe er die nächste Station erreicht, während andere vernünftige Leute – die gewissen Menschen meinen sich – die halbe Welt durchreisen können, ohne dass man ihnen nur ein einziges Mal zuruft: la bourse ou la vie, ohne dass eine hübsche Sünderin ihnen zulispelt: Ah Monsieur, vous étes trop aimable; on ne vous peut rien refuser. Diese gewissen Menschen sind aber so gewöhnliche Individuen der Menschengattung, dass der graud brigand und die petite grisette sie der Drohung und Verführung gar nicht würdig erachten; und Räuber und Grisetten haben doch bekanntlich eine feine Distinktionsgabe.

Ich aber glaube, als habitué au café d’amou behaupten zu können, dass man wohl Abenteuer erlebt par hasard, am meisten aber par désir, das heißt, wenn man sie sucht.

Man braucht gar nicht einmal auf Reisen zu gehen, um solche zu erleben, wenn man nur will. So erging es mir während meines akademischen Quinquenniums, das heißt, während der fünf Jahre, die ich mich Studierens halber in Leipzig aufhielt, dass, wenn ich mit einem gewissen Kommilitonen spazieren ging, ich nicht imstande war, nur einmal eine aventure d’amour zu finden, und zwar aus dem einfachen Grund, weil der sehr werte Kommilitone auf sein glattes Gesicht und seine braungelockten Haare zu eitel und mit seinen Beinen zu bequem war, als dass man ihn hätte bewegen können, einem hübschen Mädchen zu gefallen, umzukehren oder einen Umweg zu machen, um an der Pleiße Strand Blumen zu pflücken und Wassernymphen zu necken. Auch pflegte er in den Tanzsalons den dicken Mädchen, die er besonders liebte, Bier vorzusetzen, während ich meine Belles mit Punsch und Nekos überschwemmte. Die Folge war, dass man mir sagte: On ne vous peut rien re fuser, während er allein nach Hause ging oder höchstens ein bon soir sans baiser, ein trocknes Gute Nacht hörte.

Die gewissen Menschen, denen ich hierdurch die Möglichkeit aller möglichen Abenteuer beweisen will, werden allerdings sagen, das sind liederliche Abenteuer eines liederlichen Bonvivant. Gut. War aber das im vorigen Kapitel Erzählte auch eins der liederlichen Art? Und hätten sie es erlebt, sie, die ihre faulen Beine des Abends kaum vor die Tür setzen, geschweige denn auf einen im Abendtau gebadeten Feldraine bei Sternenflimmer wandeln? Sie, die am Tage in der Postchaise und abends im Hotel schlafen, begegnen keinen Räubern in den Abruzzen, sie müssten dann von Frankonis Reiterbude träumen.

Sapienti sat.

Zwei Monate vor der Begegnung mit jenem rätselhaften Mädchen hatte ich, von Paris kommend, Leipzig berührt, indem ich nach Berlin reiste. Weil ich trotz Paris und London Leipzig doch insbesondere goutierte, ihr Mädchen wisst, warum, so hielt ich mich zwei oder drei Tage dort auf. Berlin lernst du Zeit genug kennen, dachte ich und ging ins Theater. Madame Dessoir entfaltete all ihr höheres Talent in der Rolle der Griseldis und ich würde sie gern länger bewundert haben, wenn dem Stück selbst nicht die einem Drama so nötige tragische Erhebung abginge, da man nach einer zweistündigen Folter als Pointe des fünften Aktes weiter nichts sieht, als das, wie Griseldis den grausamen Percival, um mit der Sprache des gemeinen Lebens zu reden, abfallen lässt. Ich war aus einer Parterreloge herausgetreten. Weil der Abend regnerisch und kühl war, wickelte ich mich in meinen Mantel und wollte im Schatten eines Pfeilers einen Freund erwarten, dem ich im Theater wegen meiner morgigen Abreise ein Rendezvous gegeben hatte. Plötzlich öffnete sich die Tür einer Seitenloge und ein Mädchen trat heraus, hoch und schlank von Wuchs, ein schönes griechisches Profil, blitzende Augen, stolze, aber leidenschaftliche Haltung. Sie blickte sich forschend um, sah mich und eilte rasch auf mich zu.

»Mein Gott, Theodor was haben Sie denn heute? Sind Sie eifersüchtig, weil ein fader Geck an meiner Seite sitzt? Warum kommen Sie so spät, dass ich den für Sie aufbewahrten Stuhl einem anderen erlauben musste? Gehen Sie, bestellen sie einen Wagen, ich mag nicht länger bleiben. Sie peinigen mich; der Geck ennuyiert mich und das Stück könnte mich rühren, wenn es natürlicher wäre. Aber so gehen Sie doch, Theodor. Erwarten Sie mich drüben auf der Promenade; ich mag hier vor dem Haus nicht einsteigen. Gehen Sie!«

Sie schob mich aus der Halle und ich ging, ohne zu sagen: »Ich bin nicht Ihr Theodor. Komme, was da wolle«, sagte ich zu mir, »die Schuld ist nicht mein.«

Ich bestellte einen Wagen und ließ ihn an einer dunklen Stelle der Promenade halten. Nach fünf Minuten saß ich an der Seite der schönen Unbekannten. Beim Einsteigen hatte sie dem Kutscher zugerufen: »In die …straße, Nummer 12!« Und wir rollten dahin.

Sie musste ihren Theodor für mit Recht schmollend glauben, denn sie spielte die Reuige, Zärtlich, Liebkosende. Mein Stummsein fiel ihr nicht eben auf.

»Bist du noch böse?«, fragte sie und hing sich an meinen Hals.

Ich antwortete nicht und wäre bald aus der Rolle gefallen, denn in welcher Skala war der Ton zu suchen, mit welchem Theodor Ja oder Nein zu sagen pflegte?

»Bist du noch böse, bester Theodor?«, fragte sie noch dringender und beugte ihr schönes Antlitz näher an mich, dass ihr süßer Hauch mein Gesicht berührte.

Glücklich! Die Skala war gefunden, ich antwortete mit einem Kuss. O, wie war der Einfall so köstlich, die Antwort so natürlich und der Lohn so süß. Sie küsste mich tausendmal wieder, umarmte, drückte, herzte mich – denn ich hatte ihr verziehen. Ich setzte gleichfalls die stumme Sprache der Liebe fort und auf der gefundenen Skala, eine wahre Himmelsskala, gab es bald keinen Ton mehr, den ich nicht angeschlagen hätte.

Der Wagen hielt. Gott, wie glücklich war ich, dass in dieser Straße noch keine Gaslaternen brannten. Ich sprang aus dem Wagen, hob sie heraus und der Kutscher fuhr weiter. Darauf zog sie die Klingel. Die Tür öffnete sich durch einen Druck von oben und wir traten ein. Ich drückte die Tür hinter mir zu.

»Was tun Sie, Theodor«, fragte sie erschrocken über mein Benehmen.

Ich blieb stumm, suchte ihre Hand, erfasste sie bebend, zog die schöne Betrogene an mich und küsste sie mit allem Feuer, welches die Erwartung eines sinnlichen Glückes durch meine Adern goss. O! Was ist der Kuss doch für eine reiche, biegsame und viel bedeutende Sprachform des Herzens. Ich hatte noch kein Wort geredet und die Schöne hatte es so wenig bemerkt, dass sie mich im Gegenteil in diesem Augenblick für sehr beredt hielt. Sie hatte verstanden, um was dieser letzte, brennende Kuss flehte, sein Feuer hatte sich ihr mitgeteilt. Sie drückte meine Hand, führte sie an den stürmischen Busen und heftete ihre süßen Lippen in einem langen Kuss auf meinen Mund. Dann stammelte sie: »Um Gotteswillen, sprich keine laute Silbe, guter Theodor, der Vater, die Dienstboten kennen deine Stimme.«

O, Amor, konntest du gegen einen Sterblichen wohl günstiger sein?

Sie hielt mich bei der Hand und geleitete mich leise über den Hausflur, die Treppe hinauf in den ersten Stock. Dort öffnete sie am Ende einer langen Galerie ein Zimmer. Es war das süß duftende Boudoir der Schönen. Wir traten ein. Sie wollte Licht machen. Ich wehrte ihr. Sie unterließ es.

Als ich des Morgens erwachte, fand es sich, dass Amor uns weicher noch gebettet hatte als auf dem Sofa. Noch einen Kuss; sie erwachte.

Der Tag fing an zu grauen. Ich verließ sie und verließ das Haus.

Ich eilte durch Leipzigs Straßen zu meinem Hotel, fand mein Zimmer und warf mich halb entkleidet ins Bett. Ich war todmüde.

Die Sonne brannte durch die Fenster, als ich erwachte. Der benachbarte Rathausturm schlug eins.

»Befehlen Sie auf dem Zimmer zu speisen?«, fragte ein eintretender Kellner.

»Jawohl«, entgegnete ich.

Es wurde serviert. Kaum hatte ich gegessen, als ein Postschaffner eintrat.

»Ihren Koffer, mein Herr; in einer halben Stunde geht der Eilwagen.«

»Wohin denn?«, fragte ich erstaunt.

»Nach Berlin; Sie sind doch der Herr, der aus diesem Hotel mitfährt?«

»Ach verdammt! Ja, ich bin es; dort ist der Koffer.« Ich entsann mich eben erst, dass ich gestern Auftrag gegeben hatte, mich auf der Post nach Berlin einschreiben zu lassen.

Nun gut! Sind die Reisegefährten langweilig, bleibt mir doch eine süße Reminiszenz zur Unterhaltung.

Nach einer halben Stunde war die Deichsel nach Berlin gekehrt.

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