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Blutrosen – 3 – Das unheilvolle Haus

Blutrosen
Schauererzählungen
frei nach dem Französischen des Eugène Sue, Alexandre Dumas d. Ä, Honoré Balzac, Victor Hugo und andere
Verlags-Comptoir. Breslau. 1837
Druck von M. Friedländer in Breslau
Erster Teil

Das unheilvolle Haus

Mit dem Vorsatz, mich wenigstens einige Jahre in Frankreich aufzuhalten, kam ich in Granville an. Vorläufig stieg ich im Gasthof ab und traf sogleich Anstalten, um mir einen, meiner Lebensweise und meinem Geschmack entsprechenden bleibenden Aufenthaltsort zu wählen.

Noch war ich nicht drei Tage in der Stadt, als man ein in der Umgegend gelegenes Haus zum Verkauf ausbot, welches ganz für mich zu passen schien. Es war nicht teuer, klein, aber geräumig genug für mich, kaum eine Stunde von Granville entfernt, und hatte nur den Fehler, dass es zu einsam lag. Mir war das nur willkommener.

Der Eigentümer des Häuschens, welcher, wie man sagte, nur zum Schein die Schneiderprofession trieb, stand im Verdacht, ein viel gewinnreicheres Gewerbe mit den Schleichhändlern von Jersey zu treiben. Auch kündigte sein Äußeres mehr den Schmuggler als den Mann von der Schere an. Er war schlank und hager, hatte ein blasses, fast ganz von einem gewaltigen Bart bedecktes Gesicht, dem eine breites über Stirn und Wange laufende Schmarre ein noch wilderes Aussehen gab.

Sein Äußeres versprach zwar wenig Gutes, ich hatte mich jedoch nicht über ihn zu beklagen, als wir unser Geschäft abmachten. Seine Forderung war äußerst billig, wenn ich das Häuschen bloß auf lebenslänglich kaufen wollte. Das war mir gerade recht; das Häuschen passte ganz prächtig zu mir; es enthielt bloß ein paar Zimmer zu ebener Erde, hatte jedoch Raum genug für eine kleine Familie.

Auf des Schneiders Empfehlung hatte ich ein Mädchen aus Granville in meinen Dienst genommen, die mir Koch, Bedienter und Gärtner, alles in einer Person war. Ich glaube, hätte ich einen Kutscher nötig gehabt, sie wäre ebenso bereit gewesen, den Bock zu besteigen, um geschickt die Pferde zu lenken.

Madelon war etwa zwanzig Jahr alt und ein schalkhaftes Mädchen; das merkte ich bald. Ihr Wuchs war üppig, ihr Gesicht zwar etwas gebrannt, aber voll und rund und ihre Augen hatten einen verführerischen Glanz.

Der Schneider hatte sie mir nicht genug loben können; doch Madelon trat mehr auf Fürsprache ihres einnehmenden Wesens als auf die ihres Gönners bei mir in Dienst.

Das Mädchen war unschätzbar für mich. Ich konnte mir kein aufmerksameres, anhänglicheres, kein fleißigeres, unermüdlicheres Mädchen denken. Bei ihr bedurfte ich keiner Uhr; brachte sie mir das Frühstück, so konnte ich gewiss sein, dass es Punkt acht Uhr war; stand mein Mittagessen auf dem Tisch, so war es genau vier Uhr, und wenn sie mir abends den Kaffee brachte, so wusste ich, dass es zehn geschlagen hatte.

An einem schönen Junitag befand ich mich in besonders heiterer Stimmung, warf die Bücher beiseite und verließ mein düsteres Arbeitszimmer, um auf den Feldern, die mein kleines Eigentum umgaben, herum zu spazieren. Da begegnete ich einen armen französischen Matrosen. Er bettelte nicht, betrachtete mich aber lange mit einem gewissen wehmütigen Blick, der mich vermuten ließ, er würde eine kleine Gabe nicht ausschlagen.

Ich reichte ihm ein Silberstück; er nahm es mit Dank an, und ich ließ mich mit ihm in ein Gespräch ein. Als er dabei erfuhr, dass ich Eigentümer jenes nahe liegenden Häuschen sei, gab er seine Überraschung oder sein Bedauern – das konnte ich nicht unterscheiden – durch ein Achselzucken und ein langgezogenes Ach! zu erkennen.

Ich stutzte und fragte: »Nun Freund, es scheint mir, als gefiele Euch mein Häuschen nicht. Was habt Ihr daran auszusetzen? Es ist geräumig für mich und fest genug, um auszudauern, solange ich lebe.«

Ein wiederholtes langgedehntes Ach!, begleitet von einem mitleidigen Achselzucken, war seine einzige Antwort.

»Es scheint, als wolltet Ihr nicht offen sprechen«, entgegnete ich. »Sagt doch, was meint Ihr?«

Er wollte noch immer nicht recht mit der Sprache heraus. Ich drang nun neugierig mehr in ihn, bis er mir endlich gestand, dass er mein Haus für ein Unglückshaus halte. Binnen drei Jahren war das Haus in den Händen von vier Besitzern gewesen, die alle einen frühzeitigen Tod fanden. Den einen hatte man eines Morgens tot im Bett gefunden, nachdem er des Abends zuvor vollkommen gesund gesehen worden war. Ein Zweiter war in den Brunnen gefallen und ertrunken. Der Dritte hatte sich in einem Anfall von Schwermut an einem Obstbaum im Garten aufgehängt, und der Vierte wurde mit einer Kugel im Leib tot auf der Landstraße gefunden.

«Da sieht der Herr, dass ich wohl Grund habe«, schloss der Matrose seine Rede, »dieses Haus ein Unglückshaus zu nennen. Gehörte es mir, ich verkaufte es noch diesen Tag.«

»So, so! Und wer würde es denn kaufen?«, fragte ich etwas höhnisch, denn ich war fest überzeugt, dieser Schuft sei von einem anderen geschickt worden, um mir das Haus zu verleiden und es recht wohlfeil an sich zu bringen; vielleicht gar von dem Schneider selbst, den der billige Verkauf reue.

»Nun, wer würde es kaufen?«, wiederholte ich.

»Ich würde es wahrlich nicht kaufen«, versetzte der Matrose ernst, »weder für mich noch für einem anderen. Das kann mir der Herr auf mein Wort glauben.« Darauf grüßte er höflich und ging seines Weges.

Gerade kam auch die pünktliche Madelon, mich zum Mittagessen zu rufen, mit dem sie zu ihrem großen Ärger schon eine Viertelstunde gewartet hatte.

Doch Madelon sollte noch mehr Verdruss haben. Kaum hatte ich mich zu Tisch gesetzt, so trat ein Polizeibeamter ein. Das arme Mädchen erbleichte bei dessen Anblick, und mir selbst, obwohl ich mich ganz unschuldig fühlte, war peinlich zumute, da ich mir nicht denken konnte, wodurch ich in meiner Zurückgezogenheit die Aufmerksamkeit der Granviller Polizei auf mich gezogen haben mochte. Dem Beamten beliebte es auch nicht, mir auf diese meine Frage nur die geringste Auskunft zu geben. Ohne das bestürzte Mädchen zu beachten, befahl er mir, ihm zu folgen, wobei er bemerkte, dass er alle Mittel zur Hand habe, sich augenblicklichen Gehorsam zu verschaffen, wenn ich etwa so unklug wäre, ihm nicht freiwillig folgen zu wollen. Draußen vor der Tür sah ich auch wirklich drei stämmige Burschen stehen, die nur auf seinen Wink zu warten schienen. Was blieb mir nichts anderes übrig, als zu gehorchen.

Der auffallenden Grobheit und Kürze des Beamten zufolge erwartete ich eben keinen höflichen oder freundlichen Empfang von seinem Vorgesetzten. Aber der Präfekt, ein langer Mann von dunkler Gesichtsfarbe, mit scharfen, aber keineswegs unangenehmen Zügen, empfing mich mit viel Höflichkeit, indem er sich entschuldigte, dass er mich inkommodiert hatte, doch könne er mir die Beweggründe, die ihn dazu genötigt hatten, vor der Hand nicht mitteilen.

»Sie sind ein Engländer?«, fragte er, nachdem er mich zum Sitzen genötigt hatte.

»Ja.«

»Haben wahrscheinlich in der Armee gedient?«

»Nein.«

»Also in der Marine?«

»Nein, ich beschäftige mich mit der Literatur.«

Ein unzufriedenes Hm! folgte dieser Antwort. Der Präfekt war sichtbar verlegen und schien in einem gefassten Vorsatz wankend zu werden. Endlich fragte er mich: »Haben Sie Mut?«

Es lag etwas so Sonderbares in dieser Frage, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder mich ärgern sollte. Ich antwortete: »Einen Mann fragen, ob er Mut habe, das ist, als wollte man ein Frauenzimmer nach ihrer Keuschheit fragen. Welche Antwort können Sie auf eine solche Frage erwarten?«

Der Präfekt lächelte und fuhr fort: »Nun gut, lassen Sie uns weitersprechen, mein Herr. Ihr Leben schwebt heute Nacht in großer Gefahr. Sie sind erstaunt! Doch es ist nur zu gewiss. Haben Sie Waffen in Ihrem Schlafzimmer? Pistolen zum Beispiel!«

»Ich habe stets ein paar geladene Pistolen in meinem Schlafgemach.«

»Was sich auch begeben mag, was Sie auch sehen oder hören, diesmal dürfen Sie keinen Gebrauch davon machen, wenn nicht überhaupt schon Vorkehrungen dagegen getroffen sind.«

»Wie?«, rief ich, »mich nicht verteidigen, wenn ich einen Spitzbuben in meinem Schlafzimmer finde, der mir die Kehle durchschneiden will?«

»Nein,« entgegnete der Präfekt kalt. »Sie dürfen nicht sprechen, ja sich nicht bewegen; überhaupt von dem, was sie sehen, keine Notiz nehmen. Haben Sie dazu Mut und Festigkeit genug? Wenn nicht, so bitte ich es, offen zu sagen. Indessen ich denke, einen Mann von Ehre vor mir zu haben.«

Ich verbeugte mich, was konnte ich anderes tun?

»So sind wir also einig?«, fuhr der Präfekt fort. »Sie vertrauen auf meine Wachsamkeit und versprechen mir, vollkommen ruhig zu bleiben, was auch geschehen möge?«

»Ja; doch freilich möchte ich in einer Sache, die mich, wie es scheint, so nahe angeht, lieber die Hauptrolle übernehmen.«

»Ich bin überzeugt, Sie werden die Sache nachher anders sehen. Also, ich habe Ihr Wort, dass Sie sich ruhig verhalten?«

»Mein Wort darauf.«

»Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Aber noch eins: Sie müssen mir versprechen, von dem, was wir hier eben sprachen, gegen niemanden auch nur das Geringste zu äußern. Sie haben eine neugierige Dienerin, die Sie fragen könnte.«

»Ich werde nichts merken lassen,« entgegnete ich, »obwohl ich nicht den entferntesten Grund habe, an ihrer Treue zu zweifeln.«

»Ich auch nicht, aber sie könnte doch schwatzen oder ängstlich werden und sogar zu leicht unsre Pläne vereiteln.«

»Das Erste ist unmöglich«, erwiderte ich, »sie hat außer mir niemanden im Haus, mit dem sie sprechen könnte. Doch ich richte mich ganz nach Ihren Wünschen.«

Ich empfahl mich und kehrte nach Hause zurück. Ich wusste nicht, was ich von meiner ersten Bekanntschaft mit der französischen Justiz denken sollte. Da so viel Geheimnisvolles in diesem ihrem Verfahren lag und ich so ernstlich dabei beteiligt war, setzte ich mich unruhig und nachdenkend an mein halb verdorbenes Essen, indessen Madelon, mit der bei französischen Dienstleuten gewöhnlichen Vertraulichkeit mich mit tausend Fragen und Mutmaßungen bestürmte.

»Der abscheuliche Präfekt, den Herrn so zu inkommodieren? Wer weiß, ob ihm nicht seine Spione etwas aufgebunden haben.«

»Nicht möglich.«

»Vielleicht bildet er sich ein, der Herr wolle dem König ans Leben.«

»Nun, das wäre doch etwas Wichtiges, aber der Präfekt hat nicht halb so viel Fantasie wie du.«

»Ach, der Präfekt ist sehr dumm! Ich würde mich nicht wundern, wenn er Sie für einen Schleichhändler ansähe.«

»Ei, warum nicht gar!«

»Desto besser! Es gibt strenge Gesetze gegen die armen Teufel, die Schleichhändler. Vielleicht hat er gehört, des Herrn Garten sei bestohlen worden und will den Dieb ausfindig machen.«

»Auch das nicht!«

»Potz Wetter!«, rief Madelon ungeduldig; »Warum schickt denn der Narr Gendarmen zu dem Herrn?«

»Die Schuld liegt an dir, Madelon!«

»An mir!«, sprach oder schrie vielmehr Madelon, tödlich erblassend, »an mir?«

Da ich das arme Mädchen so in Angst sah, machte ich mir Vorwürfe über meinen Scherz und sagte ihr, dass ich nur im Spaß so gesprochen habe.

»Im Scherz!«, wiederholte Madelon schnell. »Der Herr hat nur gescherzt?«

»Ja Madelon, um dich für deine Neugierde zu strafen.  Doch du kannst immer die Wahrheit erfahren. Ich war vor einigen Tagen in Granville und scheine mich zu freimütig über eure vortreffliche Regierung ausgesprochen zu haben. Das mag dem Präfekten vermutlich einer seiner Spione hinterbracht haben. Er begnügte sich aber, mir einen Verweis wegen meiner Unvorsichtigkeit zu geben und nahm mir das Wort ab, dass ich mich in Zukunft vorsichtiger äußern wolle.«

Madelon schien mit dieser Erklärung sehr zufrieden zu sein.

Als der Abend kam, fühlte ich gerade keine Furcht – ich will mir nicht selbst Unrecht tun – aber doch einige Unruhe und Beklommenheit. Ich blieb so lange wie möglich beim Abendessen sitzen, zum sichtbaren Ärger Madelons, die keine Freundin vom langen Aufbleiben war. Endlich aber begab ich mich zu Bett, in einer Gemütsstimmung, die ich vergeblich zu schildern versuchen würde.

Meine erste Sorge war natürlich, die Tür doppelt zu verschließen und auch die Fensterriegel sorgfältig vorzuschieben. Mein dem Präfekten gegebenes Versprechen hinderte mich nicht, die nötigen Maßregeln zu meiner Verteidigung zu treffen. Ich untersuchte meine Pistolen – die Ladung war herausgezogen und mein Pulverhorn geleert! So waren die Räuber also schon im Haus! Sie entwaffneten mich, ehe sie mich angriffen.

Zum ersten Mal fuhr mir nun der Argwohn durch den Kopf. Madelon, so ehrlich sie schien, könnte mit im Einverständnis gegen mein Leben sein.

Was sollte ich tun? Ich war allein und ohne Waffen; die Mörder schon im Haus, an Entkommen war also nicht zu denken. Ließ ich die Räuber im Geringsten merken, dass sie entdeckt waren, so beschleunigte ich die Sache. Vertraute und wartete ich dagegen auf die Hilfe des Präfekten, so blieb mir doch noch einige Hoffnung, gerettet zu werden. Gerade, als ich mein Zimmer untersuchen wollte, vernahm ich ein leises Geflüster, so leise allerdings, dass es nur ein durch das Bewusstsein vorhandener Gefahr geschärftes Ohr unterscheiden konnte; es kam offenbar unter dem Bett hervor.

Mein erster Gedanke war, zu fliehen, da ich nichts zur Gegenwehr hatte. Nach augenblicklichem Besinnen fand ich aber, dass ein Versuch, das Zimmer zu verlassen, das sicherste Mittel sei, meine Mörder zur Eile zu treiben, deren Plan augenscheinlich war, zu warten, bis ich eingeschlafen sei. Hiernach nahm ich meine Maßregeln, und zwar mit einer Fassung, über die ich nun selbst staune. Zweierlei hoffte ich: erstens, dass die Polizei mir zu Hilfe kommen, und zweitens, dass, solange ich wach bliebe, der Mordversuch nicht gemacht würde. Daher schob ich meine Zurüstungen zum Schlafengehen so lange hinaus, wie ich konnte, ohne Verdacht zu erregen. Nachdem ich wohl länger als eine halbe Stunde mit dem Entkleiden zugebracht hatte, ging ich endlich zu Bett, aber ich nahm ein Buch mit mir und ließ meine Lampe neben mir auf dem Tisch brennen. Um die Mörder zu überzeugen, dass ich noch wach sei, las ich laut; indessen ich gestehe, dass ich nicht wusste, was ich las.

In solchen Fällen zählt man die Zeit nach Minuten und denkt und fühlt in einem Augenblick mehr als sonst in einem ganzen Tage.

Eine halbe Stunde war vergangen und noch immer ließ sich keine Polizei blicken. Wie verwünschte ich in meinem Herzen den säumigen Präfekten?

Es war schwer, zu erwarten, dass die Mörder noch länger zögern würden. Ich fürchtete, mit Lesen aufzuhören, um die Katastrophe auch nicht um eine Minute zu beschleunigen, und doch hatte ich wer weiß was drum gegeben, wenn ich auf das Flüstern hätte lauschen können, welches nun, wenn auch ebenso leise wie früher, rascher und ungeduldiger wurde.

Gewiss war nun die Entscheidung vor der Tür; es war, ich gestehe es frei, ein furchtbarer Augenblick. Hätte ich Waffen gehabt, es wäre dann weniger schrecklich gewesen; das Bewusstsein, die Mittel zur Notwehr zu besitzen, hält das Blut in Wallung, aber der Gedanke, mit einer Bande nächtlicher Mörder wehrlos im Zimmer eingeschlossen zu sein, ist fürchterlich!

Das Flüstern wurde immer vernehmlicher. Und wäre augenblicklicher Tod erfolgt, ich hätte nicht weiter lesen können. Das Buch entfiel meiner Hand. Um keinen Laut zu verlieren, horchte ich atemlos auf das beinahe unhörbare Geflüster. Nun hörte ich den Hahn einer Pistole spannen – da wurde zu meinem unbeschreiblichen Erstaunen plötzlich die Tür sachte aus ihren Angeln gehoben. In diesem Augenblick, ich weiß nicht, war es die Wirkung des Luftzuges aus der geöffneten Tür oder meiner eigenen Bewegung, kurz, in diesem Augenblick fiel der Bettvorhang, den ich beim Lesen zurückgeschlagen vor, und ich konnte durch ihn bloß die Schatten zweier Gestalten sehen.

Da ich meine Blicke unverrückt auf sie heftete, zeigte mir das Licht, welches eine derselben emporhielt, als wolle sie das Zimmer untersuchen, ihre Umrisse noch deutlicher. Ich konnte sehen, dass einer eine Waffe in der Hand hielt und dass sie sich beide gegen mein Bette herschlichen. Es entstand eine Pause. Aus der Bewegung der Hand, die der Mann mit dem entblößten Dolch oder Messer machte, schloss ich, dass er denen unter dem Bett ein Zeichen gäbe; auf jeden Fall rührten sie sich.

Ich vernahm ein leichtes Geräusch und sah, meine Blicke zur Rechten wendend, durch die Vorhänge auf dieser Seite die Schatten von nicht weniger als vier Männern, welche nacheinander unter dem Bett hervorgekommen waren.

Der natürliche Trieb der Selbstverteidigung reizte mich mitten unter sie zu stürzen und für mein Leben zu kämpfen, aber ehe ich mich rühren konnte, schoben die Schatten zu meiner Rechten pfeilschnell um mein Bett … ein heller Schrei erfolgte … ich riss den Vorhang zurück … und erblickte Madelon und den Schneider in den Händen der Polizeisoldaten.

Nun erfuhr ich, dass der schnelle Tod meiner vier Vorgänger, in dem Besitz des Hauses, so wie der Umstand, das es immer nur auf Lebenslang verkauft wurde, was in Frankreich nicht gewöhnlich ist, längst schon Verdacht erregt hatte. Der Präfekt kam auf die Vermutung, die auch später durch das Geständnis Madelons bestätigt wurde, dass der Schneider durch die Wohlfeilheit des Kaufpreises Käufer anlockte und sie, wenn er das Geld empfangen hatte, sobald wie möglich wieder aus dem Weg schaffte, um sein Eigentum von Neuem an sich zu ziehen.

Wie stark aber auch die Verdachtsgründe des Präfekten waren, der Schneider hatte seine Anstalten zu gut getroffen, als dass man der Sache auf den Grund gekommen wäre, und gleich meinen Vorfahren würde auch ich den Tod gefunden haben, wäre nicht der Schneider so unvorsichtig gewesen, sich in einem Gespräch mit Madelon von einem kleinen Mädchen belauschen zu lassen, gerade, als sie die Zeit und die Art meines Todes verabredeten. Das Kind erzählte seinen Eltern, was es gehört hatte, und diese teilten es der Polizeibehörde mit. Jedoch wiedersprach sich das Mädchen, welches kaum sieben Jahr alt war, teils aus Furcht, teils aus Unverstand, so vielfältig in seiner Erzählung, dass der Präfekt es für klüger hielt, die Verbrecher bei dem Mord selbst zu ergreifen. Er benutzte die Abwesenheit Madelons am Nachmittag, um seine Leute in mein Schlafzimmer zu verstecken. Während ich dem Verlauf weiter nachforschte, erschien der Präfekt mit einem Trupp Gendarmen. Er war sehr erfreut über den glücklichen Erfolg seines Planes.

»Nicht wahr, mein Herr, es ist ein kleiner Novum«, rief er, als er mich erblickte.

Ich gab seiner klugen Anordnung meinen vollen Beifall, bemerkte aber, dass er mir nicht wenig Besorgnis erspart haben würde, wenn er mich in das ganze Geheimnis eingeweiht hätte.

»Ohne Zweifel«, versetzte er, »aber man glaubte zu Granville allgemein, Sie hätten eine kleine Liebschaft mit Madelon, und ich fürchtete, sie möchten vielleicht in einer Anwandlung von Großmut, dem Mädchen einen Wink von der ihr drohenden Gefahr geben. Dann wären mir beide Verbrecher entwischt.«

»Es ist traurig«, versetzte ich, »dass man nicht in Ruhe und Abgeschiedenheit mit einem weiblichen Wesen leben kann, ohne gleich in der ganzen Stadt verschrien zu werden, als stände man in irgendeinem Verhältnis.«

Der Präfekt zuckte die Achseln, bat mich, des anderen Tages früh auf dem Polizeiamt zu erscheinen, und wünschte mir mit aller Höflichkeit eine gute Nacht.

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