Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Schauernovellen 8 – Die neue Griseldis 1

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Die neue Griseldis

Ist Griseldis denn ein Wunder?
Oder ihre Tugend Plunder?
Können Weiber den verachten,
dem sie süße Opfer brachten?
Weiß es nicht; doch wer dies liest,
merk, dass es ironisch ist.
1. Kapitel

Erster Schauer

Ich war nach Leipzig zurückgekehrt. Diese Stadt wird einen ewigen Reiz für mich haben, denn welche andere ist für den Schöngeist so fruchtbar an Stoff zu Intrigen und Abenteuern, dass der Schöngeister großen Drang nach hier, ich mehr diesem Umstand als dem blühenden, konzentrierten Buchhandel zuschreiben möchte. Schöngeister, ich meine Belletristen, brauchen Stoff zu Novellen, und wenn man nicht Novellen erlebt, ist es ein schwieriges Ding, solche zu schreiben.

Und was setzt in diesem Bezug das eigentlich kleine Leipzig den größten Städten, insonderheit der Metropolis Frankreichs gleich?

Ich erwerbe mir durch Beantwortung dieser Frage die Gunst vieler schönen Leserinnen.

Denn wer will es leugnen, dass Leipzigs liebenswürdige Damen es sind, welche gleich Magneten, alle Eisenbahnen auf Leipzig ziehen, die Fremden locken und uns zu manchen kühnen Abenteuern führen?

Also darum war ich nach Leipzig zurückgekehrt.

Mehrere Abende nacheinander strich ich, ohne meinen Zweck zu erreichen, an einem Haus der Vorstadt vorüber, das mir nicht nur denk- und merkwürdig, sondern auch geheimnisvoll anziehend war, wenn ich gleich befürchten muss, durch Erzählung des fraglichen Abenteuers die erlangte Gunst der Leipziger Damenwelt wieder zu verscherzen. Daher finde es seinen Platz in einem besonderen Kapitel, das man beliebig überschlagen kann.

Weil ich also mehrere Abende hintereinander an jenem Haus der Vorstadt vergeblich, denn ich sah nicht, was ich sehen wollte, vorbeigewandert war, ging ich ein Stück weiter und gerade zum äußeren Tor hinaus. Der Abend war schön und da ich den ganzen Tag Verse geschmiedet hatte, verlor ich mich ins Freie und rief mit Kleist: »Empfangt mich heilige Schatten, ihr Wohnungen süßer Entzückung«, wenn ich auch gerade nicht in »hohen Gewölben voll Laub« lustwandelte, ist mir doch immer die Nacht »voll dunkel schlafender Lüste.« Ich ging auf einem Rain und weiß nicht, bis zu welchem Dorf ich fortgeträumt wäre, hätte ich im Sternenlicht nicht eine dunkle Gestalt vor mir erblickt. Das war bedenklich, zumal wenn man bedenkt, dass ich keine Waffen, nicht einmal einen Stock bei mir führte, denn dass ich auch kein Geld hatte, das wusste doch der mutmaßliche Räuber nicht und schlug mich erst tot, ehe er zu dieser für mich und ihn gleich traurigen Gewissheit kam. Während ich dieses sehr weise dachte, war ich auch natürlicherweise stehen geblieben, was immer ein Beweis von Mut war, da ich ja furchtsamer Weise fliehen konnte. Die Gestalt bewegte sich zwölf bis zwanzig Schritte vor mir; wer hätte zählen können. War sie doch nahe genug, um zu hören, wie gewaltig es in meinem Herzen hämmerte.

Die Sterne flimmerten, die Lichter der Stadt schimmerten, die Kutschen rollten auf den fernen Landstraßen, Musik tönte von T…ʼs Tanzsalon nur schwach und leise herüber. Ach, ein Walzer! Guter Strauß, der letzte, den ich von dir höre. O! Wäre ich doch lieber da drüben unter den niedlichen Grisetten als hier vor dieser ominösen Figur.

Die Gestalt erhält Bewegung und Leben. Ich zittre. Die Arme vagieren, ihre Hände halten etwas gefasst. Ich verliere keine Geste und starre hin, wie das von der Schlange erkorene Opfer in die Augen der Schrecklichen. Seht, da blitzt das Pulver von der Pfanne einer Pistole, die nicht gegen mich, die auf die Gestalt selbst gerichtet ist. Kein Schuss folgt, die Waffe hat versagt. Aber was hat dieser Blitz mir gezeigt! Habe ich recht gesehen? Eine Selbstmörderin! O, könnte ich malen und meine Pinsel tauchen in die tragische Fülle jenes Momentes. Bleich, wie das fahle Licht des auffliegenden Pulvers, blickten krampfhaft verzerrt, aber noch schön, die Züge eines weiblichen Antlitzes, zwei große, starre tränentrockene Augen in das verderbliche Feuer. Die Gestalt war hoch und stolz; beide Hände hielten die tödliche Waffe gefasst und gegen die Brust gerichtet. Schnell war der Blitz und kurz der Augenblick, aber das schauerlich schöne Bild – wer kann es fassen aus trockenen Worten?

Ich habe es gesehen und was ich gedacht habe, weiß ich nicht; aber gefühlt hatte ich, denn als ich die Gegenwart erkannte, stand ich bei ihr und hielt die Hand gefasst, welche die Waffe zum zweiten Mal heben wollte.

»Unglückliche, was wollen Sie tun?«

»Lassen Sie mich, ich beschwöre Sie!«

Wir rangen um die Waffe, die auf den Boden fiel. Sie versuchte sie nicht aufzuheben. In namenloser Zerrüttung sank sie stöhnend in sich zusammen. Lange währte ihr Schweigen und ich betrachtete sie, die stolze Gestalt, zerknirscht in den Tau des Abends gebeugt. Reiche Kleidung schimmerte im matten Sternenlicht. Tiefe Seufzer erleichterten ihre Brust und endlich betete sie, anfangs verworren, dann aber sprach sie fest: »Allmächtiger, ich danke dir. Du hast mir verziehen und mich gerettet. Möge mein Retter ein edlerer seines Geschlechtes sein als der, der mich hierher geführt hat.«

Und sie erhob sich nach diesen Worten und wandte sich zu mir: »Wer sie auch sein mögen, edler Mann, ich nenne Sie so, weil Sie es sein müssen, wenn Sie durch Ihre Tat mich nicht noch elender machen wollen. Sie werden schweigen?«

Ich hob die Rechte zum reich gestirnten Himmel: »Wenn diese nicht reden, wird niemand wissen, dass Sie schwach sein konnten.«

Sie bebte zusammen. »Schwach sein konnte?« sprach sie langsam nach, »ach, dass ich es war; aber wer hat es Ihnen gesagt?«

Die Arme hatte mich missverstanden und sich verraten.

»Habe ich es nicht gesehen?« fragte ich und konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, welches dem Ton eine geringe Beimischung gegeben haben mochte.

Sie wurde sichtlich verwirrt und rief dann: »O, wie grausam benutzen Sie ihre kaltblütige Stimmung, um ein zweites Geheimnis meiner Brust zu entringen. Möchten Sie, da ich leben soll, mich nie vor anderen als vor Ihnen und meinem eigenen Schuldbewusstsein erröten lassen.«

»Und möchte ich Ihnen bald beweisen können, dass, wenn ich nicht ein Besserer, doch wenigstens ein anderer bin als viele meines Geschlechtes« erwiderte ich und bot der Unglücklichen meinen Arm.

Lange sah sie mich schweigend an, als wolle sie mit ihren Augen die Nacht durchdringen, um in meinen Zügen zu lesen. Dann nahm sie den dargebotenen Arm und sagte: »Ich vertraue Ihnen. Das Schicksal hat sie mir gesandt und das wird nicht immer grausam sein.«

Ich erwiderte nichts, erwägend, dass Worte nicht immer Vertrauen in dem Maße einflößen, wie sie es in den setzen musste, welcher mit zwei Geheimnissen ihre ganze weibliche Existenz in seiner Brust trug. Wenn Vertrauen nicht schnell durch Handlungen erweckt wird, so muss es langsam mit der Zeit kommen.

Schweigend gingen wir nebeneinander, denn musste nicht wenigstens ihre Stimmung Schweigen bedingen? Ich konnte den sanguinischen Adamssohn nicht verleugnen und die grausame, körperliche und geistige Lage der Unglücklichen vergessend, fragte ich mich, ob sie wohl hübsch ist. Denn die Züge jenes Momentes, wo der Pulverblitz ihr Gesicht beleuchtete, waren nicht natürlich, nicht eigentümlich, waren gespensterhaft bleich verzerrt, aber doch grässlich schön gewesen. Ich mochte sie nicht festhalten, wenn sie mir auch heute bei der Erinnerung an jenen Moment schaurig entgegen starren; mochte sie nicht festhalten, weil ein warmer, weicher Mädchenarm in dem meinen ruhte, weil die leichte Berührung eines weiblichen schlanken Körpers während des Gehens mir sanftere Vorstellungen erweckte.

Ich tröstete mich und meine Zweifel mit der Nähe der Stadt und des zu erwartenden Gaslichtes. Aber leider war gerade dieses der Umstand, welchen meine Begleiterin fürchtete.

Kaum näherten wir uns den ersten Häusern der äußersten Vorstadt, als sie plötzlich aus ihrem tiefen schmerzlichen Sinnen aufschreckte und ihren Arm heftig aus dem meinen löste.

»Hier müssen wir uns trennen!«, rief sie.

»Trennen?« fragte ich kleinlaut.

»Ja, trennen«, erwiderte sie fest. »Was nützt es Ihnen, mehr zu erfahren, als Sie schon wissen. Ist es Ihnen nicht genug, im Besitz zweier grässlicher Geheimnisse meiner Schande, meines Verbrechens zu sein? Sie sind ein anderer als viele Ihres Geschlechtes. Beweisen Sie es, verlassen sie mich!«

»Aber …«

»Aber – diese kleinliche Neugierde, meine Adresse, meinen Namen zu kennen, in das bleiche Gesicht einer Verbrecherin zu schauen, steht – soll ich es sagen – nur einem Weib.«

Ich biss mich auf die Lippen und ging einige Schritte vorwärts.

Sie glaubte, dass ich mich entfernen wollte und rief mir nach: »Leben Sie wohl und gedenken Sie einer Unglücklichen, indem Sie ihre Geheimnisse ehren!«

Aber ich ging nicht. Der weichere Ton ihrer Stimme fesselte mich. Ich trat rasch auf sie zu und fasste ihre Hand. »Geloben Sie mir«, sprach ich mit einer Stimme, die sie zu rühren schien, »geloben Sie mir, zu leben, und wenn es sein soll, zu leiden.«

»Ich gelobe es Ihnen, bei den einzigen Zeugen dieser Stunde.« Die Sterne glänzten in zwei großen Tränenperlen ihrer zum Himmel gehobenen Augen.

Sie war erweicht. Ich wagte weiter zu sprechen: »Und halten Sie ferner nicht für kleinliche Neugierde das aufrichtige, höhere Interesse, welches ein teilnehmendes Herz für Sie und Ihre Leiden fühlt. Geben Sie mir, wie und wann es sei, ein Zeichen Ihres Lebens oder gestatten Sie, dass ich Ihnen, wenn Sie je meiner bedürfen, die treuesten Dienste erweise.«

»Sie fordern, was ich kaum gewähren kann und versprechen, was Sie bereuen würden, wenn ich es in Anspruch nähme. Aber es sei. Geben Sie mir Ihre Adresse.«

Ich riss das Kuvert von einem Brief.

Sie empfing es. »Und nun gehen Sie, edler Mann. Wenn aber der Mond seinen Wechsellauf beendet hat und Neumond die Abende wieder dunkel lässt, wie heute, und ich noch keinen Gebrauch von diesem Blatt gemacht habe, dann kehren Sie eines Abends zurück an diese Stelle zur selben Stunde.«

Sie sprach das langsam und fast feierlich. Mein Herz bebte, als ob Sie mir eine Liebeserklärung gemacht hätte. Ihre feine Hand noch einmal drückend, verließ ich sie, wähnend, einen Gegendruck empfunden zu haben.

Ich ging, nicht ohne zu öfteren Malen nach ihr zurückzusehen. Sie folgte mir mit den Augen und als ich bei einer Krümmung des Weges noch einmal nach ihr umschauen wollte, war sie verschwunden oder die Nacht verhüllte sie meinem Blick.

Was ich an diesem Abend noch tat, können nur die verraten, welche zuweilen Narren sind, wie ich.

Ich ging wohl bis tief in die Mitte der Stadt, aus Furcht, sie könnte mir folgen und mein Umkehren übel deuten und dann ihres Versprechens am ersten Neumondabend, mich wiederzusehen, sich enthoben achten. Nach mehreren Wendungen nahm ich aber wieder die Richtung nach jener äußersten Vorstadt und war bald wieder im Freien, suchte und fand die Stelle, wo ich die Pistole ihren Händen entwunden hatte, und saß auf dem Rain und starrte in die Nacht.

Aber kein Pulverblitz erhellte sie, auch kein Mondschein, sonst hätte ich meiner Brieftasche und der Nachwelt vielleicht Verse geliefert, durchsichtig wie Mondschein und fahl wie Pulverblitz.

Als ich mich aber wieder in meinen vier Pfählen sah und mich zerstreuen wollte, zwang ich mich, an ein anderes weibliches Wesen zu denken, eine weniger tragische Situation und Aventüre zu schildern und schrieb das folgende Kapitel.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert