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Neue Gespenster – 11. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Elfte Erzählung

Der spukende Sarg bei Erfurt

Im menschlichen Leben stoßen uns jezuweilen Ereignisse auf, die selbst der größte Scharfsinn nicht zu berechnen, und die höchste Klugheit nicht vorherzusehen vermag; Ereignisse, welche den Mut, die Besonnenheit und die Entschlossenheit selbst des durch kein Vorurteil der Jugend und der Erziehung irre geleiteten Mannes, auf eine harte Probe stellen; Ereignisse, die, wenn nicht etwa ein glückliches Ungefähr ihren Zauber und ihr Wunderbares wohltätig beleuchtet, den Glauben an die Wirklichkeit der Geistererscheinungen oft unerschütterlich fest gründen. Hierher gehört folgende in ihrer Veranlassung einfache, aber durch die begleitenden Umstände höchst abenteuerliche und rätselhafte Tatsache:

Ich wurde als Schüler der Stadtschule zu Buttstädt im Weimarischen im Jahre 1778 von dem Gastwirt des benachbarten Dorfes Nirmsdorf eingeladen, ihn nach Erfurt zur Fronleichnamfeier zu begleiten. Wer die allgemeine Heiterkeit aus Erfahrung kennt, welche bei dergleichen Volksfesten zu herrschen pflegt, dem werde ich nicht erst sagen dürfen, dass mir die Einladung zu einer Zerstreuungsreise dieser Art willkommen war, und dass ich sie freudig und dankbar annahm.

Wir wollten nach getroffener Verabredung sonntags früh abreisen. Ich musste daher, weil Nirmsdorf eine Stunde von Buttstädt liegt, schon am Sonnabend mich dorthin begeben. Mancherlei Verrichtungen verzögerten indessen meine Abreise bis abends um zehn Uhr. Der Weg war mir genau bekannt und Geister fürchtete ich nicht. Aus diesen Gründen nahm ich keinen Augenblick Anstand, die Wanderschaft so spät anzutreten. Die Umstände waren mir aber keineswegs günstig; wenn ich auch, fern von Vorurteilen gegen die Nacht, die keines Menschen Freund sein soll, frei von aller Furcht war und daher im Geringsten nicht ahnte, dass mir ein erschütterndes Abenteuer bevorstände, so hätte ich doch dieses, der Umstände wegen, ahnen sollen.

Es war nämlich nicht mondhell, nur hier und da schimmerte ein freundlich funkelnder Stern durch das Himmelsgewölk. Mein Weg führte mich über die wüste und verrufene Dorfstätte eines im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Ortes, Nießdorf genannt. Einsam und öde ist diese Feldmark; niedrig und sumpfig die Gegend, im Herbst und Frühjahr überschwemmt, und ein Wohnsitz der Irrwische und der Gespenster. So geht wenigstens allgemein die Volkssage. Nicht leicht wagt sich daher gegen die Nacht ein Wanderer auf diesen Tummelplatz der Unholde!

Einzig mit dem Gedanken an die bevorstehende Reise und an das Vergnügen beschäftigt, welches meiner zu Erfurt wartete, dachte ich kaum an diese unverbürgte Sagen und verfolgte meinen Weg, nicht aufgehalten von den verführerischen Dünsten des sumpfigen Bodens, die sich in flatternden Lichtgestalten, bald rechts, bald links, meinen Augen zudringlich darstellten. Aber plötzlich erweckten mich nun grauenerregende, kaum vernehmbare Töne aus dem süßen Schlummer der Gleichgültigkeit gegenüber jener Volkssage – Töne, die bald dem Winseln eines Kindes, bald dem Röcheln eines Sterbenden glichen. Mit verdoppelten Schritten eilte ich der Gegend zu, aus welcher das Winseln und Ächzen zu kommen schien. Wem anderes, dachte ich, können diese Seufzer angehören wie etwa einem Verunglückten, der auf meine Rettung Ansprüche macht. Aber wie sehr hatte ich geirrt!

So weit es das Helldunkel der Nacht gestattete, blickte ich mit spähendem Auge umher, um irgendwo den Gegenstand des Erbarmens zu entdecken. Wer es kann, der stelle sich mein Entsetzen vor, als ich da, wo der Weg sich um eine kleine Anhöhe zieht, mit einmal vor einem offenstehenden Sarge stand, an dessen Seite der Deckel mit einem großen weißen Kreuz lag. Auch ein leerer Sarg würde unter diesen Umständen unangenehm überraschen! Aber dieser hier war nicht einmal leer. Es lag ein Etwas darin, das sich bewegte, sich aufzurichten versuchte und schrecklich stöhnte und röchelte.

Ich stand da, einer Bildsäule gleich. Ganz verließ mich indessen die Besinnung nicht. Vielmehr war ich nun noch fest entschlossen, die Auflösung dieser wunderbaren Erscheinung standhaft und ohne Beben abzuwarten. Das im Sarg liegende Wesen stöhnte fort auf eine schreckliche Weise, richtete spukhaft auf und sprach mich mit einigen unverständlichen Worten an.

Hin waren von dem Augenblick dieser Anrede an all meine guten Vorsätze! Ich lief davon – und wer an meiner Stelle würde es nicht ebenso gemacht haben? Schweißtriefend, atemlos und am ganzen Leib zitternd erreichte ich endlich das Ziel der nächtlichen Wanderschaft.

Wer sollte mir nun das große Rätsel lösen, das an Ort und Stelle durch niemand anders als durch mich selbst hätte enträtselt werden sollen? Dass der ganze Vorfall mit allen seinen Sonderbarkeiten einen natürlichen Zusammenhang haben und zu erklären sein müsse, davon war ich nun fest überzeugt. Daran konnte ich nur in den ersten überraschenden Augenblicken des Entsetzens zweifeln. Ich war nahe daran, im Wirtshaus das ganze Abenteuer zu erzählen, um Anstalten zu Untersuchung und Aufklärung des Wunders treffen lassen zu können. Die Besorgnis, ausgelacht zu werden und für einen Poltron zu gelten, dem die Einbildungskraft einen bösen Streich gespielt habe, hielten mich indessen davon zurück. Und doch würde es vielleicht zu meiner Beruhigung beigetragen haben, wenn ich mir diese Blöße gegeben hätte.

Am nächsten Morgen traten wir die Reise nach Erfurt an. In welcher Stimmung der Begleiter des Gastwirts war, werden sich die Leser ohne meine Zusätze denken können. Meinen Augen schwebte fortdauernd der bekreuzte Sarg vor; meine Ohren gellten noch immer von den Krächzen und Stöhnen der lebendigen Leiche. Meine Fantasie gaukelte unter den Irrwischen der nach meiner Überzeugung nun mit Recht verrufenen wüsten Dorfstätte umher und mein Herz nahm keinen Anteil an dem Jubel der Fronleichnamfeier. Ich hatte nur einen Wunsch, den Wunsch über die Begebenheit der Schreckensnacht einen sicheren Aufschluss zu bekommen und konnte es doch nicht wagen, zu hoffen, dass er mir werden würde.

Aber gottlob, dieser Wunsch wurde mir früher gewährt, als ich erwarten konnte. Ich mischte mich an dem Abend der Rückkehr von Erfurt, der Zerstreuung wegen, in das Gastzimmer des Wirts. Die Unterhaltung war – wie das an einem öffentlichen Ort dieser Art immer der Fall zu sein pflegt – gemischt, buntscheckig, launig, mitunter auch witzig und trivial. Nur eine Partei der Schwätzer eines besonderen Tisches, erregte meine Aufmerksamkeit im höchstmöglichen Grad. Der Kantor des Ortes saß an dem Tisch und einige Bauern. Es begann fügendes Gespräch:

Bauer: »Wie kommt es, Herr Kantor, dass der Tobias Brei erst heute begraben wurde? Er sollte doch gestern schon beigesetzt werden?«

Kantor: »Habt Ihr denn nicht von dem Streich gehört, den uns unser Nachtwächter gespielt hat?«

Bauer: »Wie sollte ich? Ich bin indessen in Erfurt gewesen.«

Kantor: »Nun, dann muss ich Euch wohl dieses ärgerliche Geschichtchen zum Besten geben. Während man in dem Haus des Verstorbenen mit der Zubereitung zum Leichenbegängnis beschäftigt war, wurde der Nachtwächter nach Buttstädt geschickt, um dort den bestellten Sarg abzuholen. Er konnte mit dem Sarg den Sonnabendnachmittag zur guten Zeit hier sein, und man hatte auch mit Gewissheit darauf gerechnet; aber wer nicht kam, das war …«

Bauer: »Unstreitig der versoffene Nachtwächter.«

Kontor: »Ganz recht! Und mit ihm blieb natürlich auch der Sarg aus.«

Bauer: »Nun? Und daran waren gewiss nicht

der Buttstädter Tischler, sondern die dortigen Brauer und Branntweinbrenner schuld?«

Cantor: »Die auch wohl nicht, aber seine Unmäßigkeit im Trinken.«

Bauer: »Recht, Herr Cantor! Wenn man mäßig trinkt, wie Er und ich, dann möchten die Brauer immerhin brauen und brennen.«

Cantor: »Weiter. Mit Sehnsucht sah man seiner und des Sarges Ankunft entgegen; aber vergebens. Das Läuten musste mir wahrhaftig abbestellt werden.«

Bauer: »Und unserem Herrn Pastor die Parentation?«

Cantor: »Jawohl! Weiter. Endlich wurde den Leuten bange; sie besorgten, um Nachtwächter und Sarg zugleich zu kommen. Es konnte ihm ein Unfall zugestoßen sein. Es wurde daher ein zweiter Bote abgeschickt. Dieser fand den Nachtwächter. Nun, wo meint Ihr wohl, dass er ihn fand?«

Bauer: »Halter! Unter dem Tisch in einer Buttstädter Branntweinschenke!«

Cantor: »Nein! Bei Nießdorf lag er unter freiem Himmel besoffen im Sarg und schlief den Rausch aus.«

Von diesem Gespräch, das mit lautem Gelächter endete, war mir auch nicht eine Silbe entgangen. Klar und aufgedeckt war nun alles vor mir da: das Röcheln und das Stöhnen, der Sarg und die Auferstehung des Toten! Einen so lustigen Aufschluss der mir so schrecklichen Erscheinung hatte ich unmöglich ahnen können.

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