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Der Arzt auf Java – Dritter Band – Kapitel 5

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Dritter Band
Kapitel 5

Unerwartete Enthüllungen

Als Esther van der Beek mit Tagesanbruch erwachte, war sie sehr überrascht, Eusebius nicht an ihrer Seite zu erblicken.

Sie vermutete, dass ihr Mann die Frische des Morgens hätte benutzen wollen, um einen Spaziergang in der Gegend zu machen. Sie rief Cora, um sich von ihr das kleine Kind bringen zu lassen. Cora antwortete nicht. Die anderen Frauen erschienen, um ihrer Gebieterin mitzuteilen, dass Cora nicht in dem Gasthaus sei und die Matte, auf welcher sie hätte schlafen sollen, unberührt geblieben wäre.

Das Staunen der jungen Frau ging nicht bis zum Argwohn. Ihr Herz versuchte nicht, irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden Coras und dem frühen Ausgang ihres Mannes ausfindig zu machen. Indessen verflossen die Stunden, und weder der Holländer noch die schwarze Amme kehrten nach Gavoet zurück.

Esther, welche von Besorgnis verzehrt wurde, begab sich zum Gouverneur des Distrikts. Dieser war krank und konnte sie nicht empfangen. Allein einige Augenblicke darauf erschien bei Madame van der Beek ein Malaie und sagte, dass er gegen hinreichende Belohnung in der Nachbarschaft alle Nachforschungen anstellen wollte, die sie wünschen könnte.

Die junge Frau bewilligte alle seine Forderungen. Bald darauf sahen sie unter den Fenstern des Hauses, in welchem sie wohnten, den Malaien an der Spitze eines Trupps wohlbewaffneter Reiter vorübersprengen, in der Richtung zum Berg zu.

Esther war voll Hoffnung. Es schien ihr möglich, dass van der Beek und Cora sich in den Wäldern verirrt hatten, welche die Abhänge des Berges Taikoekoie bedecken. Der Malaie hatte sich ihr als einen so gewandten Jäger bezeichnet, dass es unmöglich schien, er könnte die Spur eines Europäers nicht entdecken.

Spät in der Nacht kehrte er zurück und erklärte Esther, die mit leicht zu begreifender Unruhe auf ihn wartete, dass er nichts aufgefunden hätte. Er gab ihr zu verstehen, er vermute, dass der Weiße und die Afrikanerin die Beute eines Tigers oder einer der großen Schlangen geworden wären, von denen der Wald wimmelte.

Wäre der Blitz zu den Füßen Esthers niedergeschlagen, so hätte er sie nicht schmerzlicher berühren können als diese Erklärung. Sie erblasste, taumelte und würde zu Boden gestürzt sein, hätte nicht eine ihrer Frauen sie aufgefangen. Der Malaie benutzte die Ohnmacht der jungen Europäerin und wollte sich entfernen. Sie aber fand in ihrer Verzweiflung neue Kräfte, warf sich zu den Füßen des Menschen nieder und beschwor ihn mit Tränen in den Augen und mit herzzerreißenden Worten, am nächsten Tag seine Nachforschungen fortzusetzen.

Bei dieser Äußerung des Schmerzes verzog sich das Gesicht des Malaien zu einem boshaften Lächeln. Er antwortete Esther kalt, seine Bemühungen würden nun fruchtlos sein. Er hätte die Überzeugung, dass er am nächsten Tag nicht glücklicher sein würde. Übrigens riefen seine persönlichen Angelegenheiten ihn weit von Gavoet fort. Sie könnte sich an andere wenden, aber er machte sie darauf aufmerksam, dass da, wo er gescheitert wäre, niemand eines glücklicheren Erfolgs schmeichelte dürfe. So verließ er sie, von Verzweiflung ergriffen.

Die Betrübnis Esthers war zu tief, als dass sie darauf verzichtet hätte, den wiederzufinden, den sie liebte. Sie brachte alle Jäger und Bauern der Nachbarschaft auf die Beine. Es wurde ein förmliches Treibjagden veranstaltet und kein Gebüsch nicht durchsucht gelassen. Wie der Malaie es vorausgesagt hatte, blieben mehrere Tage lang alle Durchsuchungen der Ebene und des Berges vergeblich.

Esther war durch ihr Unglück niedergeschlagen, vernichtet, aber es liegt in der Liebe eine Hartnäckigkeit, welche durch nichts entmutigt wird. Nirgends hatte man die Spur bemerkt, welche ein Kampf jederzeit zurücklässt. Man hatte keinen Fetzen von Kleidern gefunden, keine Überbleibsel menschlicher Gebeine, welche das Mahl eines wilden Tieres zurücklässt. Esther fühlte sich dadurch überzeugt, dass das Geheimnis vom Verschwinden ihres Gatten anderwärts zu suchen sei. Sie bestand darauf, ihre Nachforschungen fortsetzen zu lassen, als der Gouverneur des Distrikts bei ihr erschien.

Nach einigen Äußerungen der Teilnahme mit dem Unglück der Madame van der Beek fragte er sie nach den nähern Umständen von dem Ereignis, durch welches sie ihres Gatten beraubt worden war. Bei den ersten Worten, welche die junge Frau von dem Malaien sagte, nahm das Gesicht des Beamten den Ausdruck des lebhaftesten Staunens an. Er bestürmte Esther mit Fragen über das Wesen, das Gesicht, die Kleidung dieses Menschen und erklärte endlich, dass er ihn nicht kenne, dass er ihn nicht zu ihr geschickt hätte. Darauf trat er ihrer Meinung vollkommen bei. Es schien ihm sehr wahrscheinlich, dass weder Eusebius noch die Afrikanerin von den Tigern zerrissen worden waren noch einer Boa zur Mahlzeit gedient hätten. Er gestand aber zugleich, dass er glaubte, ihre Lage sei nicht viel besser, denn aller Wahrscheinlichkeit nach wären Herr van der Beek und die Sklavin Cora durch die Piraten geraubt worden.

Er stützte diese Ansicht auf die folgenden Tatsachen:

Einige Tage vor Eusebius’ Verschwinden hatten die Meerzigeuner eine verwegene Landung in der Provinz Bantam bewirkt. Sie waren weit genug in das Innere eingedrungen, um den Palast eines der angesehensten Männer der Insel Java, des Rajah Thsermai, zu plündern, in Brand zu stecken und zu verwüsten.

Was mit dieser Vermutung übereinstimme, war, dass malaiische Proas an dem Tag vor Eusebius Ankunft in Gavoet bei dem Cap Candjora, welches kaum zehn Seemeilen von dem Berg Taikoekoie entfernt ist, kreuzend signalisiert worden waren. Beinahe gewiss wurde aber die Sache dadurch, dass das Signalement des Führers der Meerzigeuner vollkommen mit der Beschreibung übereinstimme, welche Madame van der Beek von dem Malaien machte, der bei ihr erschienen war. Ohne Zweifel hatte er, indem er selbst die Nachforschungen leitete, seinen Banditen die Zeit gewähren wollen. Das hohe Meer, oder eine ihrer Zufluchtsbuchten mit ihrer Beute zu erreichen.

Er fügte hinzu, aller Wahrscheinlichkeit nach hätte diese Entführung nur einen Zweck, nämlich den, von dem reichen holländischen Kaufmann ein Lösegeld zu erpressen. Er forderte daher Madame van der Beek auf, so schnell wie möglich die Hauptstadt der Insel wieder zu erreichen, wo es ihr leichter sein würde, den Preis zusammenzubringen, den die Piraten auf die Freiheit ihres Mannes setzen würden oder die Kreuzer der Gesellschaft zu deren Verfolgung auszusenden.

Esther empfand einen lebhaften Widerwillen, Gavoet zu verlassen. Es schien ihr, als würde sie sich dadurch noch weiter von ihrem Mann entfernen. Sie meinte, wenn die Piraten ihr eine Botschaft sendeten, so würde dieselbe gewiss an den Ort gerichtet werden, wo ihr Anführer sie verlassen hätte, und sie fürchtete, wenn diese Botschaft sie nicht mehr in Gavoet träfe, könnte die Befreiung ihres Gatten, für welche sie ihr ganzes Vermögen zu opfern bereit wäre, eine Verzögerung erleiden, und dadurch könnte das Leben ihres Mannes in Gefahr kommen.

Um sie zur Entfernung zu bestimmen, gestand der Gouverneur ihr, dass der Aufenthalt in diesem Flecken, so weit von der Hauptstadt entfernt, in diesem Augenblick nicht sicher sei. Es liefen von den Eingeborenen sonderbare Gerüchte um. Geheimnisvolle Boten wären in der Provinz Preangers erschienen und hätten sie nach allen Richtungen durchstreift, bei allen Schichten der Bevölkerung Gedanken an Aufstand und Unabhängigkeit erweckend. Während der Nacht hätte man große Feuer auf den Bergen brennen sehen, und man hielte sich überzeugt, dass die Verschworenen in den Wäldern nächtliche Zusammenkünfte veranstalteten. Die javanischen Häuptlinge zeigten sich herrisch und unverschämt gegen die Europäer. Alles ließe eine nahe bevorstehende Insurrektion vermuten. Esther setzte sich daher allen Gefahren aus, wenn sie in Gavoet bliebe.

Die arme Frau achtete in diesem Augenblick nicht auf ihr Leben, aber sie überlegte, dass von demselben auch Eusebius Wohl abhing und nach ihrem Tod ihn niemand befreien würde.; Sie dachte an ihr Kind, beschloss, dem Rat des Gouverneurs zu folgen, und machte sich am nächsten Tag auf den Weg.

Ungeachtet der Ungeduld, mit welcher sie die Maultiertreiber anspornte, gelangte sie erst am Abend des dritten Tages in die Umgegend von Batavia. Sie war seit achtzehn Tagen von Eusebius getrennt. Als sie sich der Hauptstadt der Insel näherte, konnte sie bemerken, dass diese die Besorgnisse teilte, welche der Gouverneur von Gavoet gegen sie ausgesprochen hatte. Piquets der Kavallerie durchstreiften die Gegend und mehrere Male kreuzte sich der Wagen Esthers mit Patrouillen der Miliz. Der Kutscher befragte einen Nachzügler nach dem Grund dieser ungewöhnlichen Erscheinungen. Eusebius’ Frau hörte, wie dieser dem Diener antwortete, seit einigen Tagen wären die Umgebungen von Batavia durch Brandlegungen heimgesucht worden, und selbst in Weltevrede wären verschiedene Häuser durch Feuer zerstört, das man nur der Böswilligkeit zuschreiben könnte.

Es war nicht bloß diese ungewöhnliche Entwicklung der Streitkräfte, welche die Besorgnisse der Regierung bewies. Als Madame van der Beek an den ersten Häusern der Vorstadt vorüberkam, bemerkte sie, dass die Unruhe sich der Bevölkerung selbst bemächtigt hatte. Die Bewohner bildeten vor den Häusern Gruppen. Der Gouvernementsplatz hatte sein heiteres Ansehen, das er jeden Abend annahm, verloren. Es zeigten sich nur einzelne Equipagen; dagegen war dieser Platz mit Kolonisten gefüllt, die sich lebhaft von den Ereignissen unterhielten, welche man zu fürchten schien, nach Neuigkeiten fragten, und über die, welche man mitteilte, ihre Bemerkungen machten. Angst war auf allen Gesichtern zu lesen; die Symptome der Empörung schienen in der Luft umherzufliegen.

Die Nacht war schon zu weit vorgerückt, als dass Esther, welche die regelmäßigen Gewohnheiten des Herrn Maes kannte, daran denken durfte, wie sie es zu tun beschlossen hatte, nun von ihm Rat und Beistand zu erbitten. Sie blieb in ihrer Wohnung und schloss sich in ihre Zimmer ein, um sich durch Ruhe auf die Mühseligkeiten vorzubereiten, die sie für den nächsten Tag kommen sah.

Aber in diesem Haus, welches von Erinnerungen an Eusebius erfüllt war, bluteten die Wunden der armen Frau aufs Neue. Ihr Schmerz wurde heftiger und ihre Tränen flossen reichlicher. Erst gegen zwei Uhr morgens fand sie ein wenig Schlaf. Kaum seit einer halben Stunde war sie eingeschlafen, als lautes Geschrei, welches aus dem Inneren ertönte, sie aufschreckte. Esther stand rasch auf, eilte zum Fenster und öffnete es. Die Holländer haben in den Kolonien ihre Sitten und ihre nationalen Neigungen noch den Gewohnheiten des großartigen Luxus geformt, welche dem Orient eigentümlich sind. Ihre Architektur mahnt an die Erinnerungen des Mutterlandes; die Häuser Weltevredes sind geräumig und prachtvoll; die Verhältnisse sind übermäßig groß, aber man findet darin dennoch die bemerkenswerte Physiognomie wieder, welche die Privathäuser der Vereinigten Staaten bezeichnet.

Es sind dieselben damenbrettartig mit Ziegelsteinen und Quadern gepflasterten und sorgfältig rein gehaltenen Höfe, dieselben Gärten mit regelmäßigen Blumenbeeten, aber in Batavia haben diese Damenbretter oft mehrere hundert Meter Umfang, die Gärten sind Parks, und statt der Hyazinthen, Tulpen und Anemonen erblickt man auf den Blumenbeeten Javas die ganze Flora der Tropenländer.

Eusebius van der Beeks Wohnung bestand aus einem ungeheuren Wohngebäude, zu dem man durch einen Garten gelangte. Hinter dem Hauptgebäude, auf einem mit Bäumen bepflanzten Hof, lagen die Ställe, die Remisen, die Wirtschaftsgebäude. Das Ganze lag an der Ecke einer Straße.

Als Madame van der Beek das Fenster öffnete, bemerkte sie einen Menschen, der die ihr gerade gegenüberliegende Umhegungsmauer überkletterte.

Sie stieß bei seinem Anblick einen durchdringenden Schrei aus.

Bei diesem Schrei kam der Mensch schnell auf sie zugelaufen. Esther wollte erschrocken in das Gemach zurückweichen, aber noch ehe sie diesen Vorsatz ausführen konnte, hatte der Mann ihren Arm ergriffen.

»Ohne den, welcher mit dir spricht, würde dein Kind nie Ormuzds Licht erblickt haben«, rief er mit dumpfer wilder Stimme. »Wird die Mutter dessen Kopf den Henkern ausliefern?«

Indem er diese Worte sprach und ehe Esther in ihrer Verwirrung noch daran gedacht hatte, sich ihm zu widersetzen, schwang der Mann sich mit wunderbarer Gewandtheit an der Mauer empor in das Fenster, sprang in das Zimmer hinein. Nun erst erkannte Madame van der Beek bei dem Schein der Tischlampe, die das Zimmer erleuchtete, den Guebern, durch dessen Vorschriften ihre Niederkunft auf so wunderbare Weise herbeigeführt worden war.

»Was ist denn vorgefallen? Was verlangt Ihr?«, rief sie überrascht.

»Das sind zu viel Fragen für einen Mund«, erwiderte Harruch. »Gleich meinen Beinen ist auch meine Zunge erschöpft. Man verfolgt mich. Erreicht man mich, so ist das der Tod. Willst du, dass ich sterbe, willst du, dass ich lebe? Spricht!«

»Aber mein Gott, was habt Ihr denn getan? Welches Verbrechen habt Ihr denn begangen?«

»Wenn der Tiger am Tage seine Jungen verlässt, verfolgt ihn das Geschrei der Schukaris und der Drongos, welche ihm von Baum zu Baum nachfolgen und dem Jäger seine Fährte verraten. Ich werde nicht darauf warten, dass deine Stimme meine Zuflucht denen verraten hat, welche auf meiner Spur heulen. Ich werde mich ihnen ausliefern, um dir ein Verbrechen zu ersparen, mir eine drückende Last der Dankbarkeit.«

Esther machte eine Bewegung, um Harruch zurückzuhalten, und ergriff seinen zerlumpten Sacong.

»Gueber«, sagte sie, »mein Glaube gebietet, gleich dem deinen, all denen, welche ihm folgen, einen empfangenen Dienst nicht zu vergessen. Du bist in Sicherheit in diesem Haus, in welches du unlängst die Freude zurückgeführt hast.«

»Das Wort der Weiber deines Volkes gleicht dem Saft des Gambir. Er ist weiß, wenn er aus der Pflanze kommt, die ihn enthält; aber der Hauch eines Kindes, welcher über das Gefäß streift, in dem man ihn auffing, genügt, ihm die Farbe des Blutes zu geben. Willst du, dass ich dir glaube, so schwöre bei dem, dessen Abwesenheit du beweinst, schwöre bei dem, an welchem du die Züge des Mannes suchst, der dich verlassen hat.«

Indem Harruch diese Worte sprach, deutete er auf die Wiege, in welcher der Sohn Esthers lag. Aber von alledem, was der Gueber gesprochen hatte, schien Madame van der Beek nur ein einziges Wort aufgefallen zu sein.

»Mich verlassen!«, rief sie. »Mich verlassen, sagst du?«

In diesem Augenblick erschütterten heftige Schläge die äußere Tür ihres Hauses. Esther leistete hastig den Eid, den Harruch von ihr forderte, und verbarg ihn dann schnell hinter einem Vorhang. Es war die höchste Zeit dazu, die Falten des Teppichs bewegten sich noch, ehe die Diener Zeit gefunden hatten, den nächtlichen Besuchern zu antworten, die durch zahlreiche schnell wiederholte Stöße erschütterte Tür nachgab, und ein Haufe Bewaffneter in den Garten stürzte.

»Der Brandstifter! Der Brandstifter! Tod dem Brandstifter!«, heulte die Menge, hinter welcher ein riesengroßer Mensch, der sie zu kommandieren schien, atemlos herstürzte, der sich vergebens bemühte, ihren Ungestüm zu zügeln.

»Einen Augenblick, Ihr Herren, einen Augenblick!«, rief dieser Mann, der über seiner Kleidung von weißem Zeug ein wahres Magazin von Waffen aller Art trug: Säbel, Pistolen, Dolche und einem Muskedonner, sodass er einem wandernden Arsenal glich. »Einen Augenblick, tausend Teufel! Indem sie ein Vergehen unterdrücken wollen, machen sie sich selbst eines solchen schuldig. Sie verletzen das Hausrecht eines Bürgers, ein Vergehen, für welches das Gesetzbuch der Kolonie im Voraus eine Strafe bestimmt hat. Dieser Bürger ist mein Client; das vergrößert ihre Schuld und verdient …«

Herr Maes ließ seine Rede unbeendet; die Furcht vor einer Kriminaluntersuchung schien ihm vollkommen geeignet, die Verbrecher zu erschrecken.

»Endlich«, fuhr er mit einer donnernden Stimme fort, »verachten Sie auch die Befehlen — was sage ich von den Befehlen — sie verachten die Bitten ihres Kommandanten! Wissen Sie wohl, meine Herren, dass das Kriegsgericht der Miliz minder Strafbare verurteilt hat?«

Zum Unglück für die Wirkung der Rede des Herrn Maes wurde sie durch Madame van der Beek unterbrochen.

»Herr Maes! Herr Maes!«, rief sie, »kommen Sie zu mir.«

Bei dem Ton dieser weiblichen Stimme entstand eine förmliche Revolution in der niederschmetternden Haltung des Führers der Patrouille. Seine rechte Hand versuchte die drohende Waffe, die sie schwang, in die Scheide zu stecken, während die Linke sich mit der Ersteren kreuzend den Hut abnahm, der mit einer ungeheuren holländischen Kokarde geschmückt war, und den er eine höchst anmutige Bogenlinie beschreiben ließ.

Der Notar hätte auf die zuschreiten mögen, welche das Wort an ihn gerichtet hatte; aber er strengte sich vergebens an, die erste der beiden erwähnten Handlungen auszuführen. Die Scheide verweigerte hartnäckig die Aufnahme des Dolches.

»Aber so helft mir doch, Ihr Dummköpfe!«, rief der Notar, indem er sich als General an die Milizen wendete.

Einer derselben bezog die Aufforderung auf sich, ergriff die Spitze der Waffe mit den Fingern, brachte sie der Scheide nahe, und sie glitt wie durch Zaubergewalt hinein. Herr Maes, der so dieser Sorge entledigt war, konnte sich nun der Dame nähern und tat dies mit dem Wesen der vollendeten Galanterie.

Erst einige Schritte von dem Fenster entfernt, erkannte er die Züge Esthers.

»Sie in Weltevrede? Wann, großer Gott, sind Sie denn angekommen?«, rief der Notar.

Madame van der Beek wollte antworten, doch einer der Milizen trat vor und sagte hastig: »Wenn Sie an Ihrem Fenster waren, so müssen Sie soeben den, welchen wir suchen, die Mauer Ihres Gartens haben überklettern sehen, gerade dem Ort gegenüber, an welchem Sie sich befinden.«

Esther zögerte mit der Antwort, doch Herr Maes ersparte ihr die Verlegenheit einer Lüge, indem er heftig rief: »Tausend Teufel! Die ehrenwerte Company, welche die Kosten für einen Waffenmeister bestreitet, diese braven Krämer in der Handhabung der Waffen zu unterrichten, täte wahrlich gut, ihm auch noch einen Professor der Höflichkeit hinzuzufügen. Wie, eine hübsche Frau beehrt ihren Kommandanten mit einer Unterredung, und Sie stürzen sich zwischen sie und ihn wie ein schlecht gezogener Pekari in ein Maisfeld? Bei der nächsten Ratsversammlung werde ich den Vorschlag machen, ihre Anmaßung durch die Ruten zu belohnen. Wissen Sie wohl, dass ich mich meines verwünschten Auftrags sogleich entledigen werde, indem ich Madame van der Beek für Sie um die Erlaubnis bitte, ihren Garten durchsuchen zu dürfen? Dort werden Sie den Menschen finden, von dem Sie behaupten, dass sie sahen, wie er ein brennendes Bündel auf die Gebäude warf, die an dieses Haus anstoßen, wenn nicht etwa Tafia, Arak und Furcht ihnen das Hirn verwirrt haben!«

Madame van der Beek bewilligte die Bitte des Notars. Die Milizen verteilten sich in dem Garten, doch beinahe augenblicklich rief neues Geschrei sie wieder zusammen.

Dieses Geschrei ertönte hinter dem Haus und wurde von den Dienstleuten der Madame van der Beek ausgestoßen. Es bewies, dass der Alarm nicht vergeblich gewesen war, denn es bezeichnete den Anfang eines Brandes in den Wirtschaftsgebäuden.

Herr Maes zog tapfer seinen großen Säbel und verkündete, dass er die Flammen und das Feuer bekämpfen würde, mit eben dem Ton, den ein Paladin angenommen haben würde, um seiner Tante die Versicherung zu geben, dass er für sie siegen oder sterben wollte. Er fügte hinzu, er hätte der Madame van der Beek wichtige Mitteilungen zu machen und würde in einigen Augenblicken wieder bei ihr sein.

Nach der Entfernung des Herrn Maes und der Milizen, die nach der Seite des Hofes gestürzt waren, wo die Gefahr bestand, blieb ihr Garten während einiger Augenblicke verödet.

Esther, welche vor Furcht zitterte, dass ihre Frauen, wenn sie in ihr Gemach treten oder Herr Maes, wenn er das gegebene Versprechen erfüllte, Harruch entdecken konnte, beschloss, die Unordnung und Verwirrung, die augenblicklich in dem Haus und auf der Straße herrschten, zu benutzen, um ihn zu retten.

Sie ging zu dem Vorhang und fand den Guebern ganz so, wie sie ihn verlassen hatte. Er schien ruhig und beinahe gleichgültig gegen das Los, das seiner wartete.

»Flieht«, rief Esther ihm zu. »Hört das Wirbeln der Trommeln in den Straßen. In einigen Augenblicken vielleicht ist der Garten schon von Menschen erfüllt, die der Brand herbeizieht. Es würde mir dann unmöglich sein, Eure Entfernung zu sichern.«.

»Wisst Ihr, wer dieses Feuer angelegt hat?«, fragte Harruch.

»Ich will es nicht wissen; geht und haltet Euch überzeugt, dass eine Christin ihrem Eid ebenso treu sein kann, wie ein Heide. Euer Gewissen möge zwischen mir und Euch richten.«

Harruchs Gesicht nahm einen finsteren Ausdruck an. Es schien, als ob dieser Beweis der Seelengröße seinen Unwillen und seinen Zorn erregte.

»So geht doch«, fuhr Esther fort. »Ehe Ihr Euch aber entfernt, und wenn Ihr mir einige Dankbarkeit schuldig zu sein glaubt …«

»Ha, Ihr wollt einen Preis auf Eure Wohltat setzen?«, sagte Harruch.

»Nein, nein«, entgegnete Esther kopfschüttelnd, »ich werde die Besorgnisse, von denen meine Seele verzehrt wird, zu beschwichtigen wissen. Ihr gehört nicht zu denen, welche den Schmerz einer armen Frau begreifen können, die um das einzige Wesen weint, welches sie auf dieser Welt liebt. Geht … geht …«

»Weib«, erwiderte der Gueber, »übereile dich nicht, den zu verdammen, von dem du sprichst. Lass Ormuzd zwischen ihm und dir richten – Du sollst erfahren, was du zu wissen wünschst: Dein Mann lebt.«

»Er lebt, er lebt! Ha! Ihr täuscht mich nicht?«

»Er lebt, sage ich dir, aber er tritt die Schwüre, die du von ihm empfingst, unter die Füße. Er verschwendet an einem anderen Weib die Liebe, die nur dir allein gehören sollte.«

»Was kümmert mich das?«, rief Esther außer sich. »Er lebt! Gott und meine Zärtlichkeit werden das Übrige tun. Willst du Gold, willst du alles, was ich besitze, um mich zu ihm zu führen?«

Harruch zögerte einen Augenblick, dann sagte er mit einem heftigen, finsteren Ausdruck, der Esther verriet, wie nutzlos es sein würde, weiter in ihn zu dringen.

»Nein!« Hierauf schwang er sich zum Fenster hinaus, durch welches er hereingekommen war, mischte sich geschickt unter die Gruppen der Arbeiter, die von allen Seiten herbeieilten, und verschwand den Augen der jungen Frau.

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