Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Deutsche Märchen und Sagen 97

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

120. Der umwandelnde Priester in St. Bavo zu Gent

Eine Frau aus Gent war nach St. Bavos Kirche gegangen, um dort zu beichten. Da es schon spät war, blieb sie die Letzte in der Reihe der Beichtenden. Eben wollte sie in den Beichtstuhl treten, als der Priester gerufen wurde, einem Kranken die heilige Wegzehrung zu bringen. Da blieb sie knien, um zu warten, bis der Geistliche wieder zurückgekommen sein würde. Es wurde immer später und später, und als die Frau endlich umschaute, um zu sehen, ob der Geistliche noch nicht käme, da sah sie, dass die Kirche ganz dunkel war und nur noch das Gotteslämpchen brannte. Sie stand auf und ging einmal rund, aber sie fand niemand. Endlich aber meinte sie zu hören, wie ein großes Buch immer auf- und zugeschlagen würde. Dem Schall folgend, kam sie zur Sakristei und sah denn dort einen Priester stehen, der in einem gewaltigen Messbuch blätterte, es nun öffnete, dann wieder zuwarf. Sie näherte sich dem Geistlichen und bat ihn demütig, dass er sie doch aus der Kirche lasse. Er antwortete nichts, nahm ein großes Schlüsselbund und öffnete ihr die Tür.

Kaum war die Frau draußen, als sie sich umdrehen wollte, dem Geistlichen zu danken, aber sie fand die Tür geschlossen, ohne dass sie auch nur das geringste Geräusch gehört hätte.

Man sagt allgemein in Gent, dass das ein Priester ist, der Geld empfangen habe, um Messen dafür zu lesen, und gestorben sei, ohne die Messen gelesen zu haben.

121. Priestergeist im Kölner Dom

Ein Chorknabe war einmal im Dom eingeschlafen und erwachte erst spät in der Nacht. Da an Herauskommen aus der Kirche nicht mehr zu denken war, setzte er sich vor der großen Tür des Chores nieder, um den Morgen abzuwarten. Kaum hatte es aber zwölf Uhr geschlagen, als er das Glöckchen an der Sakristei läuten hörte. Gleich darauf sah er einen Priester im Messgewand und mit dem Kelch in der Hand sich dem Altar rechts neben der großen Glastür nähern. Er wartete noch einen Augenblick, um zu sehen, ob denn kein Knabe käme, um die Messe zu dienen. Da er keinen bemerkte, ging er selbst in die Sakristei, wo ein Licht brannte, holte das Messbuch und diente dem Geistlichen die Messe von Anfang bis zu Ende. Nachdem der Priester das Evangelium Johannis gelesen hatte, wollte der Chorknabe das Buch fassen, um in die Sakristei zurückzukehren, aber der Priester hielt ihn zurück, indem er sprach: »Nun danke ich Gott, dass ich erlöst bin. Auf dich habe ich schon hundert Jahre gewartet.« Und mit den Worten verschwand er.

Der Chorknabe hatte seit der Zeit Vorsput in allen Dingen und ist als alter Mann und als erster Domküster gestorben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert