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Dreizehn Jahre im Wilden Westen – Kapitel XLIII

Dreizehn Jahre im Wilden Westen
Oder: Abenteuer des Häuptlings Sombrero
Nürnberg, 1877

XLIII. Über die Grenze nach Mexiko. Raubgierige Schlangen. Carricito Ranch. Bienen. Gopher Jagd. Indianische Sage. Zurück nach San Diego. Über San Bernardino nach Los Angeles. Milchgeschäft in Anaheim. Monte Christo mit dem eisernen Fuß. Weinlese. Weihnachten in Los Angeles. San Fernando-Tunnel. Zurück nach San Diego. Chinesisches Begräbnis. Englisches Kriegsschiff Rocket.

Eines Morgens nahm ich Abschied von der Stadt und ritt an der Küste hinab die schöne Bay von San Diego entlang. Ein vierstündiger Ritt brachte mich an den Tijuana River, wo die mexikanische Grenze ist. Ich ritt am Zollhaus vorüber und hielt mein Mittagsmahl auf mexikanischem Boden und an einem mexikanischen Hafen. Bald verließ ich den Tijuana River, ritt durch eine Schlucht, wo Tausende Hasen und Rebhühner herumsaßen und mich anstarrten. Die Hasen sind teils große, teils eine Kaninchenart, welche unter Felsen, Kakteen und Löchern in der Erde ihren Bau haben. Beide Arten sind sehr zahlreich. Auch Rebhühner gibt es in unglaublicher Menge, doch ist der Mexikaner zu faul, um sie zu jagen. Als ich langsam das Tal entlang ritt, hörte ich von einer Gruppe großer Baumwollbäume her das Geschrei des Oriole, eines unserer buntesten Vögel und besten Sänger. Aus dem kläglichen Ton erkannte ich sogleich, dass irgendein Feind seinem Nest nahe war, ritt daher zu den Bäumen, um nachzusehen. Von einem Zweig hoch oben hing das Nest des Oriole an einer langen, von Gras geflochtenen Schnur herab, dem Anschein nach für Raubtiere unzugänglich. Von einem stärkeren Ast hing eine zehn Fuß lange Prärieschlange der Länge nach herab. Das Ende des Schwanzes hatte sie um den Zweig gewunden, an dem sie sich festhielt. Der Körper schwebte, sodass sie mit dem Kopf gerade das Nest erreichte, wo sie die jungen Vögel erwürgte. Mit einer Kugel schoss ich sie entzwei, sodass beide Stücke zu Boden fielen, wo ich sie mit einem Prügel völlig schadlos machte. Sobald die Schlange getötet war, ließ sich eine zweite, die weiter zurückgelegen war, herunter in derselben Stellung wie die erste. Ein Schuss verwundete sie nur leicht. Sie ringelte furchtbar in der Luft, war aber nicht imstande, sich zurückzuziehen, und stürzte endlich nach langen vergeblichen Anstrengungen zur Erde, wo der Prügel ihren mörderischen Vorsätzen ein schnelles Ende machte.

Ein paar Tage Ritt brachte mich zu der Carricito Ranch des Mr. Osborne, mit welchem ich mich verständigte, um Käse zu machen. Dreitausend Kühe wurden uns von Juan Maron und anderen Viehbesitzern zur Verfügung gestellt, für welche es natürlich großen Wert hatte, ihre Kühe gezähmt zu bekommen. Wir suchten dreißig der besten Milchkühe aus und gingen an die Arbeit. Bei Tagesanbruch wurde gemolken, um halb acht aßen wir Frühstück, und um halb elf Uhr waren vierzig bis fünfzig Pfund Käse in der Presse. Damit waren wir für den Tag fertig. Sonntags ließen wir die Kälber mit den Kühen laufen und melkten gar nicht. Nachmittags ritt ich gewöhnlich drei Meilen weit zum Haus eines alten Spaniers, Don Pedro Duarte, wo ich den Abend verbrachte. Oft hatten wir sehr wilde Kühe im Korral, doch brachten wir sie gewöhnlich in acht Tagen so weit, dass sie ruhig standen zum Melken. Die ersten drei bis vier Tage mussten sie mit dem Lasso gefangen und festgebunden werden. Und dann arbeitete man noch unter Schwierigkeiten. Da Frank sehr schwer hörte und man ihm ins Ohr brüllen musste, um sich verständlich zu machen, so war die Arbeit gefährlich, weil er eine Warnung, die man ihm zurief, natürlich nicht verstand. So fing ich eines Morgens eine junge wilde Kuh mit dem Lasso. Frank stand gegen die Einzäunung gelehnt und streichelte ein kleines Kalb. Sobald sich das Lasso um die Hörner der Kuh festzog, wurde sie wütend, brüllte und stürzte auf Frank los, welcher ruhig dastand und gar nicht aufblickte. Ich konnte das Vieh nicht halten und rief Frank so laut ich konnte zu: »Pass auf, Frank!« Doch mein lieber Frank hörte es nicht, sondern fuhr fort, das kleine Kalb zu streicheln, bis die Kuh seinen Kopf zwischen ihre Hörner bekam und ihn gegen die Einzäunung drückte, dass ihm das Blut aus der Nase quoll. Mit einem gewaltigen Zug am Lasso riss ich den Kopf der Kuh auf die Seite und gab dadurch Frank Gelegenheit, loszukommen, welche er auch schnell benutzte und sich aus dem Staub machte. Sein Gesicht war tüchtig geschunden, auch hatte er den Tag über etwas Kopfweh.

Auf der Ranch waren viele Schluchten und Berge mit Eichen bewachsen. Da fanden wir viele hohle Bäume und kleine Felsenhöhlen, in welchen sich Bienen angesiedelt hatten. Wir gingen oft hinaus, nahmen den Honig und versetzten die Bienen in Kästen, wo sie tüchtig arbeiteten, sodass es uns nie an schönem weißen Honig fehlte. Wir hatten ein Kästchen gemacht, das man wie einen Tornister auf den Rücken hing, in welchem wir die Bienen heimtrugen, wo wir sie dann erst in die richtigen Kisten umsiedelten. Bei dieser Arbeit, welche sehr langsam und mit großer Ruhe getan werden muss, da schnelle Bewegungen die Bienen zum Stechen reizen, ging ich in Hemdsärmeln zu Werke. Der einzige Schutz, den ich gebrauchte, war meine Pfeife, da der Rauch mir die Bienen aus dem Gesicht vertrieb. Doch Franks Frau, eine alte Spanierin, die zu der Familie Lopez gehörte, musste immer zusehen, was aber ohne Plaudern von ihrer Seite nicht möglich war. Dabei hatte die die Gewohnheit, mit den Händen zu gestikulieren, was einmal die Bienen veranlasste, sie anzugreifen. Obwohl sie sofort die Flucht ergriff, wurde sie doch tüchtig zerstochen und ihr Kopf sah mehr dem eines Ungeheuers gleich als dem eines menschlichen Wesens. Ein Auge war ganz geschlossen, die Nase so dick geschwollen, dass sie einem Kürbis gleichsah, kurz, sie machte den Rest des Tages einen ganz komischen Eindruck und ich musste lachen, so oft ich sie ansah. Wir hatten auch einen hübschen Gemüsegarten, in welchem aber die Gopher viel Schaden anrichteten, indem sie maulwurfartig alles untergraben und abfressen. Doch kamen sie auch oft an die Oberfläche, und Frank lag manchmal den halben Tag im Garten, um sie zu schießen, sobald sie auftauchten. Als er mich eines Tages ersuchte, Gopher für ihn zu schießen, nahm ich nach Tisch meinen Revolver und legte mich der Länge nach auf die Erde mit mörderischen Gedanken in meiner Brust. Doch die Hitze und das lange Ausbleiben meines Schlachtopfers hatten ihre Wirkung, denn bald erfreute ich mich eines gesunden Schlafes.

Als ich gegen Sonnenuntergang erwachte, fand ich, dass der Gopher gerade unter meiner Nase weggegraben hatte, gab die Jagd auf und kehrte nach Hause zurück. Etwa vier Meilen von uns stand ein hoher Berg, welchen die Indianer in großer Verehrung halten, und man sagt, dass es regnet, so oft jemand den Gipfel dieses Berges besteigt. Folgende Sage wird von den Indianern erzählt: In alter Zeit hatten sie einen sehr trockenen Sommer. Flüsse und Quellen trockneten aus und es war ein großer Mangel an Wasser. Pferde, Vieh und Wild starb dahin. Da stieg eine junge Indianerin auf jenen Berg, um den großen Geist zu bitten, ihr Volk zu retten. Als sie oben angekommen waren, tat es einen großen Schlag, Frau und Kind wurden in Stein verwandelt, eine Quelle guten Wassers entsprang zu ihren Füßen und es regnete im ganzen Land. Die Quelle ist heute noch da und fließt aus dem Berg nahe dem Gipfel. Im Land der Erdbeben und früherer vulkanischen Ausbrüche ist die Sage leicht zu erklären. In einem Felsen, der neben der Quelle steht, kann man mit einiger Einbildungskraft auch die versteinerte Frau erkennen.

Frank führte vor kurzer Zeit mit einem Franzosen Krieg, der sich auf seinem Land ansiedelte und es nicht mehr verlassen wollte. Er hatte bereits eine Hütte gebaut, welche Frank, während der Squatter anderswo beschäftigt war, wieder einriss. Der Franzose fing an, eine andere zu bauen, Frank forderte ihn auf, sein Land zu verlassen. Da dieser sich weigerte, so machte ihm Frank einen dritten Besuch, brachte auch diesmal sein Gewehr mit, um ihn von der Wichtigkeit der Sache zu überzeugen. Es wurden einige Worte gewechselt, Frank legte an und schoss nach dem Franzosen, welcher sich eilig in die Büsche flüchtete. Sobald Frank sein Gewehr abgeschossen hatte, lief er ebenfalls davon, so schnell er konnte, denn er traute dem Franzosen doch nicht recht. Dieser aber verließ noch am selben Abend die Gegend.

Bald war das Gras wieder vertrocknet, sodass die Kühe nicht hinreichend Milch gaben, um für die Arbeit zu zahlen. Wir gaben deshalb das Geschäft bis zum Winter auf. Während dieser Zeit wollte ich mich etwas im Land umsehen, sattelte daher mein Schlachtross und kehrte nach San Diego zurück. Ich stellte mein Pferd in den Stall und sah mich in der Stadt nach einem alten Bekannten um. Ehe ich mich zu Bett begab, ging ich noch ein­mal zum Stall, um zu sehen, ob mein Pferd mit Futter versorgt sei, denn des Eigentümers Ehrlichkeit war mir bekannt. Ich hatte mich auch gar nicht geirrt, denn sobald ich am Abend den Stall verlassen hatte, entfernte der Schurke sämtliches Futter von meinem Pferd und das arme Tier hatte gar nichts zu fressen. Um mit dem Kerl gleich zu werden, band ich das Pferd los, führte es in die Heukammer, wo es sich über Nacht Gutes tat. Als am Morgen der Eigentümer mehr Bezahlung haben wollte, weil das Pferd im Heu gewesen war, sagte ich ihm, dass, wenn er ein Pferd nicht anbinden könne, ohne dass es über Nacht los würde, so täte er besser, sein Geschäft aufzugeben. Mit diesem Rat musste er wohl zufrieden sein. Den Tag verbrachte ich im Lesezimmer, da ich erst am Abend die Stadt verlassen und auf der San Diego-Mission übernachten wollte. Doch verspätete ich mich etwas, und es war bereits dunkel, als ich aufbrach. Ich hatte fünf Meilen von der Stadt zur Mission zu machen, welche ich gegen neun Uhr zu erreichen hoffte. Doch als ich eine Stunde geritten war, schlief ich ein. Bei meinem Erwachen dachte ich, dass es höchste Zeit sei, am Fluss zu sein, denn ich war schon lange genug geritten, konnte aber in der Finsternis keines der mir bekannten Landzeichen entdecken. So ritt ich eben fort mit dem Gedanken, dass ich mit der Zeit doch irgendwohin gelangen würde, als ich den Leuchtturm von San Diego erblickte. Es war nun klar, dass mein Pferd, während ich schlief, sich gewendet und mich zurück zur Stadt gebracht hatte, wo ich auch gleich bis zum nächsten Morgen blieb. In aller Frühe verließ ich die Stadt wieder, denn ich wollte am 4. Juli dem Wettrennen in Temecula beiwohnen und es war heute schon der erste. Die erste Nacht fand mich bereits im Bear Valley, und die zweite in Pala Mission, von welcher ich am Morgen in einer Stunde nach Temecula ritt. Ich schlug mein Quartier im Hotel Levy auf, um den Festlichkeiten beizuwohnen. Die Wettrennen waren gut. Gegen Abend waren alle Indianer, einige hundert an der Zahl, vollständig betrunken. Als ich am Morgen fertig zur Abreise war, konnte ich mein Pferd nicht finden. Ich hatte es nämlich bei meiner Ankunft laufen lassen und mich nicht mehr um es bekümmert. Da ich wusste, dass es sich mit der Zeit nach mir umsehen würde, blieb ich ruhig sitzen, und richtig, gegen vier Uhr nachmittags tauchte es auf. So machte ich mich auf den Weg und ritt noch neun oder zehn Meilen.

Am nächsten Tag ritt ich vierzig Meilen zum Santa Ana River und aß Frühstück am Morgen in San Bernardino. Nach zwei Tagen Aufenthalt, in welcher Zeit ich Tausende von Orangen aß, kehrte ich San Bernardino den Rücken und stattete der Cucamonga Ranch einen Besuch ab, wo ich mir einige Proben vorlegen ließ. Dann ging ich durch Spadra, San Gabriel Mission, welches ein wahres Paradies ist, nach Los Angeles. Hier blieb ich einen Tag, dann reiste ich durch das fruchtbare Tal von Los Nietos nach dem Wein anbauenden deutschen Städtchen Annaheim, wo ich in einem Milchgeschäft Arbeit fand, welches diese Stadt mit Milch versorgte. Die Leute bezahlten monatlich, und mein Geschäft war, die Bücher in Ordnung zu halten, Rechnungen zu schreiben, zu präsentieren und einzukassieren. Dabei überließ mir der Prinzipal die ganze Geschichte und hielt sich ganz und gar in der Stadt auf, wo er schlechten Whiskey trank und sich häufig Gefechte lieferte. Um drei Uhr morgens weckte ich die Jungen zum Melken und Schlag fünf Uhr war der Wagen in der Stadt. Nach dem Frühstück ließ ich die Kühe aus der Korral, welche dann von einem mexikanischen Jungen gehütet wurden. Um acht Uhr schickte ich einen anderen Jungen mit den Kälbern hinaus, die man täglich bis Mittag grasen ließ. Hierauf konnte ich bis nachmittags drei Uhr der Ruhe pflegen. Um diese Stunde wurden die Jungen mit den Kühen hereingerufen, die Kühe sofort gemolken. Um fünf Uhr schickte ich den Wagen mit der Milch in der Stadt. Meine Tagesarbeit war dann vollendet. Wir hatten einhundert feine Kühe, welche indessen zurzeit nicht alle gemolken wurden, denn der Brunnen war die zuverlässigste Kuh auf der Ranch. Hie und da behaupteten Leute, dass die Milch gewässert sei, was aber nur eine Idee von ihnen war. Es können nur sehr wenige Sachverständige die reine von gut gefälschter Milch unterscheiden, ohne sie einem chemischen Prozess zu unterwerfen.

Es war dort der Brauch, dass die Schullehrer, welche in der Gemeinde leben, die Runde machen, d. h. heute essen und wohnen sie mit dieser Familie, morgen mit jener, kurz, sie gehen von einer zur anderen. Als die Reihe der Fütterung an unser Haus kam, war der Lehrer von verschiedenen unserer Kunden beauftragt, ein Auge offen zu haben, um zu sehen, ob wir die Milch rein zur Stadt schickten. Er knüpfte ein Gespräch an, aus welchem ich bald ersah, wo er hinaus wollte. Als es Zeit zum Melken war, ging er mit zum Korral, da, wie er sagte, schönes Vieh ihn immer interessiere. Die Jungen melkten wie gewöhnlich in ihre Eimer und gossen die Milch dann durch einen Seiher in die großen Blechkannen, in welchen sie zur Stadt gefahren wurden. Ich hatte inzwischen die Vorsicht gebraucht, in jede Kanne erst ein bis zwei Liter Wasser zu gießen, ehe sie zum Korral gebracht wurden. Der Schulmeister sah zu, wie jeder Eimer Milch gerade von der Kuh weg in die Kannen gegossen wurde, welche dann auf den Wagen geladen direkt zur Stadt gingen. Als er selbst in die Stadt zurückkehrte, war er bereit, einen Eid zu schwören, dass in unserer Milch weder Wasser noch irgendeine Fälschung vorkomme.

Wir hatten ein Original als Koch. Er war früher Goldgräber, kam im Jahr achtundvierzig nach Kalifornien und hatte durch ein Unglück seinen Fuß verloren. Da er ein ingeniöser Kerl war, so machte er sich in einer Schmiede einen eisernen Fuß zum Anschnallen, der nahezu fünfunddreißig Pfund wog. Deshalb gab man ihm den Namen Monte Christo mit dem eisernen Fuß. Er war auf jedem Ball und Tanz, wo er das Haus zum Dröhnen brachte, so oft er diesen Fuß auf den Boden setzte. Auch spielte er Tambourin, Violine und sang komische Lieder, kurz, er war ein lustiger Kerl.

Wenn ich monatlich das Geld in der Stadt einkassierte, so fuhr ich in einem Einspänner umher, welcher zur Ranch gehörte. So kam ich eines Nachmittags aus einem Restaurant, stieg auf den Wagen und war gerade im Begriff, fortzufahren, als sich im nächsten Haus, einem mexikanischen Trinksalon, ein Streit erhob. Ich hielt gleich an, um zu sehen, wie die Sache verliefe. Da stürzte ein Mexikaner heraus, verfolgt von einem Zweiten mit der Pistole in der Hand. Der Erste flüchtete sich hinter mich, der andere schoss gerade an mir vorbei nach dem Flüchtling, und war näher daran, mich zu treffen, als den Mexikaner. Er legte wieder an, der Flüchtling hielt sich immer hinter mir, von einer Seite auf die andere hüpfend. Das wurde mir denn doch zu bunt, denn ich stand fortwährend in Gefahr, von dem Esel erschossen zu werden. Ich riss schnell meinen großen Revolver unter dem Wagenkissen hervor und wandte mich gegen den Angreifer. Dieser schien inzwischen meine Gedanken erraten zu haben und machte sich eilig aus dem Staub.

Zur Zeit der Weinlese konnten wir uns an den schönen großen Trauben, wie sie nur in Kalifornien wachsen, Gutes tun. Auch fehlte es nicht an Äpfeln, Birnen, Orangen, Melonen und anderen Früchten, sodass wir Tag und Nacht Obst aßen. Hie und da kam eine Konzert- Gesellschaft oder ein mexikanischer Zirkus in die Stadt, welche ich fleißig besuchte. Ich war nun nahezu sieben Monate in Anaheim, hielt es daher für die höchste Zeit, mich wieder in einer anderen Gegend umzusehen, und verabschiedete mich bei meinem Prinzipal, der mich nicht gehen lassen wollte. Dann machte ich mich auf nach Los Angeles, wo ich Weihnachten zu verbringen gedachte. Der Heilige Abend fand mich im Hotel etabliert, wo es ziemlich voll war, da Goldgräber und alle Leute vom Land ihre Feiertage in der Stadt zubringen. Die Trinksalons in der Stadt waren alle zum Erdrücken voll, und bereits waren viele Zecher so weit, um kampflustig zu werden. Im Schankzimmer meines Hotels ging es lebhaft zu. Alle Nationen, außer Chinesen und Afrikaner, waren hier vertreten. Bald kamen Streitigkeiten vor, die wie gewöhnlich in Raufereien übergingen. Es war höchst interessant, ein stiller Beobachter dieses Durcheinanders zu sein. Zwei Kellner, kräftige Burschen, hatten nichts weiter zu tun, als Streitsüchtige und Betrunkene zur Tür hinauszuwerfen, welche sogleich zu einer anderen wieder hereinkamen, sodass ihre Arbeit gar kein Ende nahm. An nächsten Tag sah man manches blaue Auge und manchen geschwollenen Kopf auf der Straße.

Am dritten Tag nach Weihnachten fuhr ich mit einigen Bekannten per Bahn zum San Fernando-Tunnel, einem neuen Eisenbahntunnel, an welchem bereits ein Jahr gearbeitet wurde, um ihn zu besichtigen. Er führte unter einem hohen Berg hin­durch, ist über eine englische Meile lang und eine gute Meile unter dem Gipfel des Berges. Von beiden Seiten des Berges hatte man hineingearbeitet sowie auch im Zentrum einen Schacht oder incline gesenkt, um von der Mitte aus ebenfalls zu arbeiten. Dampfpumpen sind Tag und Nacht beschäftigt, um den Tunnel frei von Wasser zu halten. Die Arbeit unter der Erde wird von Chinesen getan, welche wieder Weiße als Aufseher haben, sodass auf sechs Chinesen ein Aufseher kommt. Da die Arbeit meistens im Sprengen besteht, so ist sie sehr gefährlich, und jeden Tag kommen einige Unglücksfälle vor. Dabei sind die Chinesen tückisch und es ist schlecht, mit ihnen auszukommen. Obwohl die Company sehr gut bezahlt, können sie doch kaum Weiße genug bekommen, um im Tunnel zu arbeiten, da erstens die Gefahr groß ist und zweitens nach einigen Monaten Arbeit sich der Rheumatismus einstellt. Kurz vor unserer Ankunft kam ein Unglücksfall vor. Beim Schacht im Zentrum des Berges brach das Seil, an welchem die kleinen, aber schweren Wagen hinuntergelassen werden. Der Wagen rollte nun mit Blitzesschnelle in den Schacht hinab, wo er, unten angekommen, sieben Chinesen tötete, deren einem der Kopf abgetrennt wurde. Einer der weißen Aufseher, welcher Herodes Tochter nachahmen wollte, nahm den Kopf auf eine Schaufel, wand den langen Zopf schön herum und trug ihn den Schacht hinauf. Die Chinesen folgten ihm voll Entrüstung und griffen ihn oben in großen Massen an. Er flüchtete sich in den Maschinenraum, wo mithilfe des Ingenieurs und Heizers und mittelst Eisenstangen die Heiden zurückgeschlagen und noch einige derselben zu Grunde gerichtet wurden.

Obwohl die Bezahlung sehr verlockend für mich war, so hatte ich doch keine Lust, meine Zeit unter der Erde zuzubringen, solange oben die Sonne so schön schien, und kehrte am nächsten Tag nach Los Angeles zurück. Dann trat ich meinen Rückweg nach San Diego an, diesmal die Straße der Küste entlang nehmend. Ich schonte mein Pferd und erreichte erst nach acht Tagen San Diego. Kurz nach meiner Ankunft in der Stadt war ich Augenzeuge eines chinesischen Begräbnisses, wobei die Haupttrauernde, in ein großes weißes Tuch gehüllt, hinter dem Leichenwagen hüpfte. Nachdem die Zeremonien beendet waren, wurde eine große Schüssel mit gekochtem Reis und Delikatessen auf das Grab gestellt, sodass der Verstorbene etwas zur Erfrischung auf seiner Höllenfahrt hatte. Sobald die Versammlung den Kirchhof verlassen hatte, stürzte eine Bande Digger-Indianer hinein und fielen über die Schüssel her, welche sie in wenigen Augenblicken leerten. Sie hatten in der Nähe des Kirchhofes ihr Lager aufgeschlagen, wo sie jede Schüssel ausfraßen, die auf ein Grab gestellt wurde. Die Chinesen dachten eben, ihre Toten hätten das Essen verbraucht.

Ich hatte mir schon vor einiger Zeit wieder einen großen Hund angeschafft, der mich auf meinen Reisen begleitete und nachts für mich Wache hielt. Es war bereits sehr spät abends, als ich mich von einer Versammlung Bekannter trennte und zum Hotel zurückkehrte. Auf meinem Zimmer fand ich zu meinem Erstaunen, dass es schon bewohnt war. Ein Herr oder Kerl schnarchte ganz zufrieden in meinem Bett. Voll Entrüstung packte ich ihn, ohne ein Wort zu sprechen, beim Kragen und schmiss ihn hinaus, wo er Hilfe und Mörder schrie. Der Gastwirt, welcher herbeieilte, wurde von meinem Hund gepackt und in die Ecke gedrängt, aus welcher Lage ich ihn halb tot vor Schrecken befreite. Es stellte sich heraus, dass der Fremde durch ein Versehen des Wirtes in mein Zimmer gewiesen wurde, er daher unschuldig war. Ich sagte dem Herrn, dass ich nie um Entschuldigung bitte, aber, wenn er Satisfaktion haben wollte, könne er ja den Wirt, der die Sache angestellt hatte, zur Treppe hinunterwerfen. Dagegen wehrte sich der Gastwirt, und die Sache wurde beiseitegelegt. Nachdem dem Eindringling ein anderes Zimmer angewiesen und mein Bett mit frischer Wäsche versehen war, begab ich mich zur Ruhe.

Am anderen Tag betrachtete ich den Hühnerhof des Herrn S., in welchem er über zweihundert Enten hatte. Da sie alle sehr schmutzig aussahen, so riet ich ihm, die ganze Schar zur Bay zu treiben und tüchtig baden zu lasse. Er war gleich dabei und trieb die Enten mit viel Mühe zur Bay, wo sie sich in das schöne Meerwasser stürzten und tüchtig herumflatterten. Doch waren sie nicht an das Baden gewöhnt, tranken auch zu viel von dem ihnen unbekannten Salzwasser, sodass sie zu schwach zum Gehen wurden und heimgetragen werden mussten. Ja, einige erlagen den Strapazen. S. war den ganzen Tag damit beschäftigt, seine Enten nach Hause zu schleppen. Nach Tisch angelte ich eine halbe Stunde in Gesellschaft einiger Freunde. Einer derselben fing einen sieben Fuß langen jungen Hai, welchen wir mit vereinigten Kräften an Land zogen.

Nächsten Tag war eine Aufregung in der Stadt. Das englische Kriegsschiff Rocket, welches direkt von England um Cap Horn gekommen war und zu dem britischen Teil Amerikas gehen sollte, war im Hafen von San Diego eingelaufen. Nachdem das Schiff Panama verlassen hatte, wurde seine Maschine unbrauchbar und die Mannschaft musste sich auf die Segel verlassen. Schlechtes Wetter hatte sie aufgehalten, sodass das Schiff siebenunddreißig Tage von Panama nach San Diego brauchte. Ihr Proviant war erschöpft und die Mannschaft war seit vierzehn Tagen auf halbe Ration gesetzt.

Vor dem Hafen von San Diego angekommen, sandten sie ein Boot herein, um telegrafisch von San Francisco die Erlaubnis einzuholen, dass das Schiff in den Hafen von San Diego einlaufen dürfe. Diese wurde mit Vergnügen erteilt. Nun lag Her Majestyʼsship Rocket am Wharf von San Diego. Die Kaufleute Metzger und Bäcker waren wild vor Freude, als ihnen eine Wagenladung ihrer Ware nach der anderen abgekauft wurde. Jedes lebende Wesen in San Diego ging, um sich das englische Schiff von innen und außen anzuschauen. Auch die Indianer machten ihren Besuch. Diese wurden von der Schiffsmannschaft mit großer Bewunderung betrachtet, da es die Ersten waren, die sie je gesehen hatten. Am dritten Tag stach das Schiff in See und die Stadt verfiel wieder in die alte Ruhe.

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