Elbsagen 84

Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig

86. Das Fräulein von Wittenberge

Die heutige Stadt Wittenberge an der Elbe hat nicht immer da gestanden, wo sie heute steht. Noch heute wird eine außerhalb der Stadt gelegene Feldflur die Altstadt genannt. Man kann noch die Gräben und Wälle erkennen, die einst die Stadt umgaben. Auch sieht man noch in der Nähe einen Hügel, der von einem Graben umgeben ist. Hier soll vorzeiten ein Schloss gestanden haben, von dem auch noch einige Mauerreste vorhanden sind.

In diesem Schloss wohnte einst ein adliges Fräulein, deren Name nicht mehr bekannt ist. Mit einem jungen Ritter hatte sie sich die Ehe versprochen. Als der Bräutigam in einen Krieg ziehen musste, gelobte sie ihm Treue bis zu seiner Rückkehr. Aber je mehr der Krieg sich in die Länge zog, desto weniger gedachte das Fräulein ihres Versprechens. Als ein anderer Ritter sich um ihre Hand bewarb, sagte sie ihm zu und wurde mit ihm getraut. Als der erste Bräutigam des Fräuleins von dem Treuebruch seiner Geliebten Kunde erhielt, zog er mit bewaffneter Macht gegen das Schloss, eroberte und zerstörte es und auch die dabei gelegene Stadt. Als die Kriegsunruhen vorüber waren, suchten sich die Einwohner einen anderen, in der Nähe der Elbe gelegenen Platz aus, um ihre Stadt wieder aufzubauen. Daraus entstand das heutige Wittenberge.