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Der Welt-Detektiv Band 6

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Neue Gespenster – 6. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Sechste Erzählung

Das blinde Nachtgespenst

Im Spätherbst des Jahres 1789 weilte ich mit einigen Freunden, im Kreis einer edlen, gastfreien Familie, unweit M.. im sächsischen Erzgebirge. Die wilde romantische Umgebung, der immer tobende Waldstrom, die trauernden Nadelwälder umher und auf einem Granitfelsen über den schäumenden Wellen unsere alte halb verfallene Ritterburg mit ihren weiten, gotisch verzierten Höfen, Sälen, Korridoren und veralteten Möbeln, gaben uns eine ernste, feierliche Stimmung.

Sie spiegelten uns das Idol eines kraftvollen, aber finsteren und unsteten Geistes, welcher am Ende einer prekären Laufbahn wieder in Nacht und Dunkelheit versinkt.

Matthissons vortreffliche Elegie hat uns damals oft erquickt.

Lektüre, Musik und Jagd waren an der Tagesordnung, und abends bannten uns Wind und Schneegestöber an den friedlichen Kamin, wo nicht selten die Mitternacht uns in traulichen Scherzen überraschte. Freundlich tönte dann das Läuten der alten Pokale durch die hochgewölbten Hallen des Saales. Und nichts, als die Kultur der Bewohner, erinnerte an die Gegenwart.

An einem dieser traulich verplauderten Abende wurden die ersten, längst vermoderten Besitzer der Veste und ihre Taten gemustert. Zum Schluss erschöpfte man sich in scherzhaften Legenden über ihre fortdauernde Wiederkehr unter die Lebenden.

Da polterte es um Mitternacht unter den Panzern der alten Rüstkammer; da brannten Lichter; dort hallten schwere Fußtritte; hier ließen sich Reisige blicken; da bewegte es Zugbrücke und Torflügel; dort schmetterten einzelne Trompetenstöße durch die Luft; in dem nahen Wale gellte laut das heisere Hüfthorn und aus den Trümmern der Hauskapelle wanden sich unter Jammerlauten todbleiche Schatten sträubend durch die verödeten Gemächer.

Und – das waren immer die guten Vorfahren, längst bedeckt durch beinahe verwitterte Grabsteine. Gern hätten wir hier ein Abenteuer bestanden, aber uns zum Trotz zeigte sich – nichts.

Mit aller Anstrengung sahen wir nur die langen Schatten der Pfeiler, welche der Mond in seltsamen Umrissen auf die Wände des Hofes malte. Wir vernahmen nur das Sausen des Sturmes und das Seufzen und Klirren veralteter Fenster, das einförmige Knarren der Turmfahnen, die schaurigen Klagetöne der Nachtvögel und das widerhallende Geheul der Brunfthirsche. Uns profane Geister flohen die eigensinnigen Geister der Burg. Selbst das verrufene alte Tor hing ruhig in seinen rostigen Angeln.

Dem ungeachtet erzählte man immer fort und unser froher Zirkel verlachte die Kleingläubigen.

Selbst unser Zimmer, ein sehr geräumiges Gemach im ersten Stockwerk, mit Tafelwerk und alten Schildereien, war, der Sage nach, ein sehr beliebter Tummelplatz der Geister.

In einer Nacht, finster war es und still wie im Grab, öffnete sich deutlich hörbar die Flügeltür. Es trat eine schlanke weiße Gestalt herein. Langsam und fast unmerklich schwebte sie dem Hintergrund zu, wo mein Bett stand. Noch war ich nicht im Schlummer, denn unser Gespräch hatte eben geendet. Ich weckte daher leise meinen Nachbarn und dieser wieder den seinen.

Auf einmal vermehrten sich die Gestalten, und schon wandelten ihrer vier im Zimmer.

Für die Familie unseres biederen Wirtes schien mir ein Scherz dieser Art zu abgenutzt und gewagt. Ich vermag den Eindruck dieses ungewohnten Anblicks nicht zurück zu geben. Noch nie war mir etwas ähnliches vorgekommen; doch hatte ich es gewünscht. Wohlan!, dachte ich, wappnete mich mit Mut und verließ mein Lager, um das Phantom näher zu betrachten.

Bald war unsere ganze Gesellschaft auf den Beinen und umringte in aller Stille die Erscheinung, welche langsam und ruhig forttappte und einen leisen Tritt wahrnehmen ließ. Wir schlossen den Kreis dichter und berührten endlich den Körper eines, uns bis dahin ganz fremden Wesens. Es war – die betagte blinde Mutter des Pförtners, welche, durch ein natürliches Bedürfnis gequält, die Tür dicht neben der unsrigen verfehlt hatte.

Das Erschrecken war nun an dem Gespenst selbst. Wir wiesen die arme Alte freundlich zurecht, kehrten dann unter schallendem Gelächter in unsere weichen Besten zurück und wurden bald in süße Träume hinüber gewiegt, die kein neues Ungetüm unterbrach.

Wie leicht hätte dieses Ereignis unter anderen Umständen die Märchen des Schlosses bestätigen können!

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