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Der Welt-Detektiv Band 6

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Neue Gespenster – 4. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Vierte Erzählung

Erscheinung einer ins Fegefeuer zurückgesandten Wiener Seele

Die schöne Aurora von Königsmark hatte im Jahr 1692 eben den späteren Marschall von Sachsen Moritz geboren, als Kurfürst August II. sich ihren süßen Tändeleien entriss und dem Ruf der Ehre nach Ungarn folgte, wo das kaiserliche Heer gegen die Türken focht.

Doch das Lager war kein Harem. Die Beschwerden und das Getümmel des Krieges standen in einem so auffallenden und grellen Widerspruch mit den Zauberfesten von Moritzburg, dass August in seiner neuen Laufbahn bald Überdruss fühlte. Am Ende des Feldzuges kehrte er, um dem Kaiser seine Ehrfurcht zu bezeigen, über Wien zurück. Leopold empfing und behandelte den Kurfürsten mit einer Aufmerksamkeit und Auszeichnung, die vor ihm noch kein protestantischer Fürst an diesem Hof erfahren hatte.

Augusts freie und angenehme Manier lähmte für diese Periode die spanische Etikette und schuf den Geist der glänzenden Feste, die ihm zu Ehren durchgeführt wurden und deren eins das andere im bunten Gemisch verdrängte. Durch gleiche Jahre und Neigungen knüpfte sich zwischen ihm und dem damaligen römischen König Joseph sehr bald ein enges Band, welches den Höflingen von politischer Tendenz schien und daher allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Um Ihr Geheimnis zu entschleiern, wollte man den Kurfürsten durch Liebschaften fesseln; allein diese List schlug anfangs fehl.

Endlich versuchte die stolze und wollüstige Gräfin Esterle (Maximiliane Hiserle von Chodau) ihr Talent, den Helden zu bestricken, und Auroras Andenken war bald verwischt.

Noch berauscht von der Wonne der ersten Schäferstunde schwelgte August in lüsternen Morgenträumen, als er zum König gerufen wurde. Ungesäumt begab er sich dahin; allein wie staunte er, diesen Prinzen, den er am Abend vorher völlig gesund verlassen hatte, jetzt bleich, entstellt und fast wahnsinnig im Bett anzutreffen. Endlich erholte sich der König.

»Gott!«, rief der Kurfürst im Ausdruck der lebhaftesten Verwunderung, »was ist das? Was ist Ew. Liebden begegnet?«

»Die allerschrecklichste Begebenheit«, erwiderte Joseph, »hören Sie und Sie werden mit mir zittern! Ich hatte in voriger Nacht die fürchterlichste Erscheinung, die vielleicht je einen Sterblichen gepeinigt hat. Kaum hatte ich zwei Stunden geschlafen, als die Tür dieses Gemaches mit großem Geräusch sich öffnete. In der Meinung, es sei mein Page, schlug ich den Vorhang gar nicht zurück, sondern schmälte nachdrücklich, dass man meine Ruhe störe. Urteilen Sie aber von meinem Schrecken! Auf einmal vernahm ich Kettengerassel und nahe vor mir stand eine lange, weiße Gestalt, die mich mit dumpfer, grässlicher Stimme anredete: ›König Joseph! Sieh in mir eine Seele, welche die Strafe des Fegefeuers leiden und auf höheres Geheiß dir verkünden muss, dass du dich durch deine Freundschaft mit dem Kurfürsten von Sachsen in den Abgrund des Verderbens stürzen wirst. Ich komme, um dich zu warnen und zu retten. Entsage also dieser unseligen Verbindung oder erwarte die ewige Verdammnis!‹

Mit dieser Drohung verdoppelte sich das Getöse der Ketten. Weil Entsetzen meine Zunge band, so fuhr das Gespenst fort: ›Wie? Joseph! Du antwortest nicht? Solltest du so frech sein, dem Allmächtigen zu trotzen? Ist dir die Zuneigung, ist dir die Gunst eines Menschen werter als die Gnade Gottes, der du alles verdankst? Über drei Tage will ich deinen Entschluss vernehmen. Und wirst du mit dem Kurfürsten dann noch umgehen, so ist dein und sein Untergang unvermeidlich!‹

Hiermit verschwand die Figur und ließ mich in unaussprechlicher Angst. Ich hatte nicht genug Kraft, meine Leute zu rufen. Einige Zeit danach schellte ich mit viel Mühe, und mein Kammerdiener fand mich fast entgeistert. Jetzt bin ich schon etwas ruhiger, denn ich fühle den Vorsatz, mich zu bessern, und hoffe die Vergebung meiner Sünden. Nur um Sie bin ich besorgt, und deshalb beschwöre ich Sie: Nehmen Sie unsere Religion an; werfen Sie sich in den Schoß der allein seligmachenden Kirche und erringen Sie so das ewige Leben!«

Hier endete der König mit sichtbarer Anstrengung und sank erschöpft auf sein Kissen. Der Kurfürst blieb bestürzt, gerührt und stumm.

Endlich trug die Gewalt der vernünftigen Erziehung über ihn den Sieg davon. Nachdenkend musterte er die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit in Absicht dieses rätselhaften Ereignisses; allein nirgends konnte seine ruhige und unbefangene Vernunft einen Grund finden, diesen sonderbaren Vorgang für übernatürlichen Ursprungs zu erklären.

Er war nun bemüht, die Erscheinung als ein lebhaftes Traumbild, als das Spiel einer kränkelnden Fantasie darzustellen. Der König versicherte indessen wiederholt, er wisse leider zu bestimmt, dass er gewacht und richtig beobachtet habe.

»Aber! Ein absichtlicher Betrug, wäre der nicht möglich?«

Doch auch diesen Zweifel verwarf Joseph mit echter Grandezza, weil sich gewiss niemand erkühnen würde, ihn auf eine so plumpe Art zu hintergehen.

»Freilich«, versetzte August höflich, »spricht der Schein gegen diese Vermutung, aber die sünderbleiche Schar der Pfaffen, welche diesen Hof kabalierend umschleicht, zählt mitunter fruchtbare Genies. Sollten diese nicht die Absicht haben, mich zu entfernen, weil sie vielleicht in dem Wahn stehen, dass ich Ew. Liebden von Religionszwisten unterhalte und ihre Schelmereien aufdecke?«

Das fand Eingang. Auf die Frage, ob des Königs Beichtvater ihm niemals Bedenklichkeiten über ihre Freundschaft erregt habe, gestand Joseph sehr offenherzig, dass ihn derselbe schon oft davon abgemahnt und ihm sogar die Absolution verweigert hätte, sobald er seinen Umgang mit dem Kurfürsten fortsetzen würde.

»Nun sind wir, wohin wir wollten!«, rief der Kurfürst, den dieses Bekenntnis ungemein erheiterte. Er entwickelte dem König den wahrscheinlichen Zusammenhang und übernahm es, den Unglückspropheten zu entlarven. Beide gelobten sich das unverbrüchliche Stillschweigen über das Resultat der Abrede. August zog sich wieder in sein Zimmer zurück, welches er unter dem Vorwand einer Unpässlichkeit drei Tage nicht verließ. Hier überdachte er seinen Plan. Welche Resignation! Sogar die schöne Esterle versuchte es umsonst, ihn dieser Einsamkeit zu entziehen.

Am Abend des dritten Tages ließ er sich zum Schein entkleiden und begab sich zur Ruhe; doch kaum hatte er seine Bediensteten entlassen, als er sich durch eine verborgene Tür zum König verfügte. Versteckt erwartete er dort die Mitternacht.

Sie schlug und das Gespenst trat mit allen Schrecknissen des ersten Besuches hervor.

»König Joseph!«, tönte eine dumpfe Stimme, aber im Augenblick verhallte sie auch unter dem herkulischen Arm des Kurfürsten, der die Gurgel des Gespenstes gefasst hatte und es auf den Boden warf.

»Wer bist du, dass du es wagst?«, donnerte der Kurfürst.

Besorgt um Augusts Schicksal zitterte der König hinter seinem Vorhang.

»Jesus Maria!«, kreischte der Geist, »Barmherzigkeit! Um Gotteswillen, ich bin ein Pater.«

»Was?«, rief August, »ein Geist bist du, also zurück mit dir ins Fegefeuer, woher du gekommen bist. «

Er hatte inzwischen das Fenster geöffnet. Unter langem Ächzen flatterte die prätendierte Luftgestalt über die Zinnen der kaiserlichen Burg hinab.

Die Ketten klirrten durch die stille Nacht und beschleunigten den Fall.

Dieses Geräusch zog eine Patrouille der Schlosswache herbei, welche in der unglücklichen Seele einen Handlanger des königlichen Beichtvaters erkannte.

Durch einen zerschmetterten Körper war dieser arme Teufel für eine so ehrenvolle Sendung gewiss nicht anständig belohnt. Wenig Stunden danach gab er seinen Geist auf, der sich nicht weiter spüren ließ und nie wieder aus dem Fegefeuer zurückkehrte.

Scham, Schrecken und Wut mischten sich nun auf des Königs Antlitz. Er erstarrte über die elende Intrige und schwor, bei seiner Thronbesteigung alle Jesuiten aus dem Land zu jagen. Die Folge mäßigte indessen die Heftigkeit dieses raschen Entschlusses: Er hielt nicht Wort. Kaum war er vermögend, einen Beichtvater zu entfernen, der ihn doch so gröblich misshandelt hatte.

Der ganze Vorfall erregte allgemeines Aufsehen in Wien und bewirkte dem Kurfürsten Teilnahme und Bewunderung. Nur Kaiser Leopold äußerte sein Missfallen über diese voreilige Dreistigkeit an einem fremden Hof und wurde merklich kälter gegen den Kurfürsten, welcher diese Laune zu ignorieren schien, den Roman mit seiner ehrgeizigen Ungarin zu Ende spielte und dann triumphierend Wien verließ.

Die weisen Väter von der Gesellschaft Jesu mussten für dieses Mal ihren schon reifen Plan aufgeben, einen von Deutschlands mächtigsten Apostaten, dessen Ahnen das Reformationsgeschäft so kräftig unterstützt hatten, wieder in ihr Netz zu ziehen.

Doch nur einstweilen!

Was Pfaffentrug damals nicht bewirken konnte, das tat bald danach die unselige Lüsternheit nach der polnischen Krone. Eben der August, welcher die Grundsätze des Protestantismus sonst so eifrig verteidigt hatte, schwor in die Hände des Kardinal-Erzbischofs von Raab freiwillig den väterlichen Glauben ab. Im Besitz einer eingebildeten Würde wurde er später in ein Gewirr von Demütigungen und Mühseligkeit verwickelt, das seinen Glanz verdunkelte und ihm die Liebe seiner braven Sachsen schmälerte.

Bis an sein Ende lebte er in der sogenannten rechtgläubigen Kirche. Nun ließ er die Geister nach Belieben wandeln. Seine Annalen versichern, dass er alle späteren Nachterscheinungen jedes Mal zuvorkommend artig behandelt habe.

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