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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Der Kammerdiener des Maharadschas – 2. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Der Kammerdiener des Maharadschas

2. Kapitel

Der berühmte Professor

Der Inspektor blieb auf dem Balkon am Frühstückstisch. Wir rasierten uns im Schlafzimmer. Harst hatte es auffallend eilig. Dies veranlasste mich zu der Frage: »Fürchtest du etwa, dass Warbatty heute den Plan, von dem du damals andeutungsweise sprachst, ausführen und fliehen könnte?«

»Ja. Hoffentlich kommen wir nicht zu spät. Nimm doch ein anderes Messer! Du wirst heute mit deinen Bartstoppeln überhaupt nicht fertig!«

Ich schnitt mich natürlich dreimal, musste dann mit bepflastertem Kinn mit in den Wagen hinein, den der Kellner für uns besorgt hatte.

Ach – es war damals ein Prachtwetter! Wie herrlich fuhr es sich durch die Parkanlagen am Fluss, wie freundlich nickten die Riesenpalmen mit ihren Wedeln, wie heiter glitzerte der Gumtistrom, auf dem Frachtboot an Frachtboot mit singenden braunen Menschen dahinzog.

Warbatty verdarb mir schon wieder den Genuss. Harst saß da mit steinernem Gesicht, mit schmalen Lippen, halb zugekniffenen Augen. Ich kannte diese Miene. Sie war wieder Sturmball an den deutschen Küstenstationen: Alarmsignal!

Wir fuhren in den Garten des Riesengebäudes ein, bogen um die Buschgruppen des runden Rasenplatzes vor dem Haupteingang. Ein Auto kam uns entgegengesaust; ein eleganter offener Wagen. Darin saß außer dem Fahrer nur noch ein Herr mit weißgrauem Spitzbart, goldener Brille und breitem Strohhut.

Harst schnellte hoch, wandte sich um, schaute dem Auto nach.

»Was gibt es?«, fragte Greaper etwas bestürzt.

»Wenden – umkehren!«, brüllte Harst.

Auch Greaper und ich blickten nun unwillkürlich zurück.

Der Kraftwagen jagte gerade außerhalb des Gitters die Allee zur Stadt entlang.

Und der Herr mit der Brille stand halb aufrecht – winkte – winkte zu uns herüber.

»Zu spät!«, sagte Harst dumpf. »Wir holen ihn nicht mehr ein.«

»Wen?« Der Inspektor machte entsetzte Augen.

»Wen? Warbatty! Hinauf in seine Zelle! Ich muss sehen, ob ich richtig vermutet habe!«

Wir sprangen die Stufen zum Eingang hinauf. Greaper war hier gut bekannt. Ohne Aufenthalt ging es in den Seitenflügel zur Zelle Nr. 9. Der hier patrouillierende Wärter war gerade am Ende des endlosen Flurs.

»Hallo – hierher!«, rief der Inspektor.

Der Aufseher lief auf uns zu.

»Zelle Nr. 9 öffnen. Schleunigst!«, befahl Greaper. Auch er fieberte förmlich vor Ungeduld.

Die Schlüssel klirrten. Die Tür ging auf.

Vor dem vergitterten Fenster hing ein Leinenvorhang. In der Zelle war es halbdunkel. Trotzdem erkannten wir am Tisch einen schreibenden Menschen.

Harst riss den Vorhang herab. In der Lichtflut stand nun ein kleiner, magerer Mensch, der auf den ersten Blick entfernte Ähnlichkeit mit Warbatty hatte.

»Wer sind Sie?«, donnerte Greaper den Mann an, der genau so wie Warbatty gefesselt war.

Der Kerl grinste und schwieg. Nichts half, nichts! Er war nicht zum Reden zu bewegen.

Der Aufseher erzählte Folgendes:

Vor einer Viertelstunde war Professor Haberton mit einem schriftlichen Ausweis des Untersuchungsrichters erschienen. Dem Wortlaut des Ausweises nach sollte das Gefängnispersonal alle Anordnungen des Professors genau befolgen. Haberton war mit dem Gefangenen ein paar Minuten allein in der Zelle geblieben, hatte den Aufseher dann durch die Klingel herbeigerufen und befohlen, dass der Gefangene fortan in der halb verdunkelten Zelle gehalten werden solle. Ein Vorhang sei sofort herbeizuschaffen – irgendein Stück Leinen. Später könnte etwas anderes am Fenster angebracht werden. Der Aufseher holte das Gewünschte, und Haberton verweilte abermals etwa acht Minuten bei Warbatty. Dann schellte er wieder nach dem Aufseher und erklärte, er würde nach einer Stunde mit Professor Makkaray wiederkommen. Inzwischen solle man Warbatty nicht stören. Dieser würde sicher noch heute sein Geständnis zu Protokoll geben. Da der Gefangene an seinem Tisch saß, hatte der Aufseher keinerlei Verdacht geschöpft.

Wir fuhren, da der falsche Professor Haberton noch immer beharrlich stumm blieb, sofort zu Richter Dakberty zum Distriktgericht.

Dieser wollte zunächst gar nicht glauben, dass Warbatty tatsächlich entflohen sei.

»Ich kenne allerdings Professor Haberton nicht persönlich«, meinte er dann, »aber doch von Bildern her. Er war es ohne Zweifel …«

Er kramte in einem Stoß Zeitschriften, holte eine Nummer der Kalkutta Morning Post hervor und wies auf ein Bild, unter dem gedruckt stand: Indiens berühmter Gerichtsarzt, Professor Thomas Haberton, Kalkutta.

Allerdings – das Bild glich fraglos dem Herrn im Auto!

Nun, ich will hier nicht im Einzelnen schildern, wie Harst in zwei Tagen den Schwindel vollständig aufdeckte und bewies, dass nur auf diese Weise Warbatty hatte fliehen können, nämlich so:

Der falsche Haberton trug auf der linken Fußsohle eine Tätowierung: zwei gekreuzte Schwerter, darüber eine halb aufgerichtete Schlange. Dieses Zeichen bewies seine Zugehörigkeit zum Geheimbund der Putra Rakisana, der Schwertbrüder, dessen Mitglied auch Warbatty war, wie wir genau wussten. Die Verbrechergeheimgesellschaft hatte sofort alles nur Erdenkliche getan, Warbatty zu befreien, wobei sie sich genau an die Anweisungen hielt, die Warbatty bereits vor seiner Festnahme für alle Fälle einem Vertrauten erteilt hatte. Die Putra Rakisana ist über ganz Indien verbreitet. In Benares wohnte nun ein Engländer namens Middleton, der zum Schein einen Barbierladen besaß, in Wahrheit aber Diebeshehler spielte. Dieser Middleton mit seiner kleinen, mageren Gestalt wurde dazu auserkoren, den Professor Haberton zu spielen, der damals tatsächlich in Benares weilte und im Alexandra-Hotel abgestiegen war. Haberton wird also in Benares abends überfallen und zwei Tage von maskierten Leuten gefangen gehalten. Seine Kleider zog Middleton an, begab sich ins Alexandra-Hotel, wo er, da es inzwischen elf Uhr geworden war, unangefochten auf Habertons Zimmer gelangte. Hier lag schon die inzwischen aus Lucknow eingetroffene Antwortdepesche des Richters Dakberty. Die erste Depesche an diesen hatte Middleton abgesandt. Man sieht, wie fein jeder Zug dieses Spiels berechnet gewesen war. Middleton reist als Haberton mit dem Nachtzug sofort nach Lucknow, zeigt hier dem Richter Dakberty die Antwortdepesche, erhält den Ausweis, fährt im Auto Dakbertys zum Gefängnis, lässt die Zelle halb verdunkeln, wechselt mit Warbatty die Verkleidung, öffnet natürlich auch die Hand- und Fußschellen und ermöglicht Warbattys Flucht, indem er getrost die seiner wartende Strafe für Gefangenenbefreiung der hohen Belohnung wegen, die ihm von den Schwertbrüdern zugesagt worden ist, ruhig auf sich nehmen will.

Der von den Schwertbrüdern wieder freigelassene echte Professor Haberton hat dann Harsts Feststellungen genauso bestätigt, wie auch Middleton, der es plötzlich mit der Angst bekam, als er einsah, dass seine Zugehörigkeit zur Putra Rakisana und seine Hehlertätigkeit ihn ins Zuchthaus bringen würde und der nun durch ein Geständnis mildere Richter zu finden hoffte.

Ich hätte dieses Zwischenspiel unseres Kampfes gegen Cecil Warbatty sehr gern ganz eingehend beschrieben, da auch hier Harald Harsts seltene Fähigkeiten wieder im hellsten Licht erstrahlten. Ich will jedenfalls noch eine Äußerung Harsts hier anführen, die er mir gegenüber tat, als er von dem Abstecher nach Benares hochbefriedigt zurückkehrte.

»Lieber Alter«, sagte er, »als Inspektor Greaper vor drei Tagen auf dem Hotelbalkon die Depesche erwähnte, durch die Haberton sich Richter Dakberty anbot, da wusste ich so ziemlich Bescheid, was bevorstand. – Haberton ist berühmt, sehr berühmt. Aber dabei als einer der bescheidensten, zurückhaltenden Menschen bekannt, die es nur gibt. Seine angebliche Depesche entsprach so gar nicht seinem Charakter. Nie hätte er sich in dieser Weise vorgedrängt. Er selbst hat mir das nachher bestätigt. Die Depesche war also das Verdachterregende, war das Hauptmoment, nachdem ich längst ahnte, dass Warbatty damals in der Zelle bei unserem Besuch es darauf abgesehen hatte, auf den Inspektor einen möglichst widerspruchsvollen Eindruck zu machen, das heißt, Greaper zu veranlassen, recht viel Irren- und Polizeiärzte heranzuziehen, die ihn beobachten sollten. Kurz: Ich habe von vornherein damit gerechnet, dass Warbatty mit unfreiwilliger Unterstützung eines dieser Ärzte zu fliehen versuchen würde. Und der Barbier Middleton, diese gescheiterte Existenz mit der Vergangenheit des Studenten der Medizin, hat ja auch zugegeben, dass Warbatty den Schwertbrüdern verschiedene genau ausgeklügelte Pläne zu seiner Befreiung vorsichtshalber entwickelt hat, dass diese weitverzweigte Verbrecherbande unschwer in der Lage war, den Professor Haberton für ihre Zwecke auszunutzen. Ich gestehe ehrlich, lieber Alter: Warbatty im Bunde mit der Putra Rakisana kann einem direkt auf die Nerven fallen! Wenn dieses Genie sogar so schlau ist, selbst für den Fall seiner Verhaftung derartige Vorkehrungen zu treffen, so ist gegen ihn kaum noch aufzukommen! Nun, wir werden trotzdem den Krieg fortsetzen! Wir reisen noch in dieser Nacht heimlich ab. Wie? Das wirst du schon sehen!«

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