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Aus dem Wigwam – Akkiwässi

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Akkiwässi

or langer, langer Zeit lebte unter den Dakota ein Medizinmann, der ein so frommer Mann war, dass ihn sein Meister in alle Geheimnisse der Zukunft einweihte und ihm Dinge zeigte, wie sie vordem nie ein sterbliches Auge erblickt hatte. Er war sehr alt und wurde daher Akkiwässi genannt. Damit er ungestörter mit dem Großen Geist Umgang pflegen konnte, hatte er seine Wohnung in einem hohlen Berg in der Nähe des großen Dorfes der Dakota aufgeschlagen. Dort besuchten ihn dann die Indianer, wenn sie der Jagd oder eines beabsichtigten Kriegszuges wegen seines Rates bedurften. Daran taten sie wohl, denn seine Lehren hatten sich stets als zuverlässig erwiesen. Auch der Erzählung von seiner Reise in das Land der Seelen hörten sie aufmerksam zu und glaubten sie gern.

Als Akkiwässi einst schlafend auf seinem Bett von Büffelfellen und weichem Gras lag, stieg der Manitu des Traumes zu ihm hernieder und führte ihn nach Wanaretebe oder dem Wohnplatz der Seelen verstorbener Dakota und befreundeter Stämme. Die Reise war lang und beschwerlich. Sie führte über himmelhohe, steile Gebirge, durch wilde Ströme und unbetretene Wälder zu einem Felsgrat, dessen schmale Oberfläche so scharf wie das schärfste Messer war. Dort standen zahlreiche Seelen, die er im Leben gekannt hatte, und harrten auf die Belohnung und die Strafe ihrer guten und bösen Taten. Ein Dakota, der früher zu faul gewesen war und tagelang träumend auf seiner Matte im Wigwam zugebracht hatte, während sich seine Frau und Kinder Nahrung und Kleider bei wohltätigen Verwandten erbetteln mussten, versuchte lange Zeit vergebens, die steile Felsenhöhe zu erklimmen. Als es ihm endlich gelungen war, wurde er in den schwindelnden Abgrund herabgestürzt, woselbst ihn der böse Geist auffing und zu einem Leben der Mühe und Arbeit verdammte. Ein großer Baumstamm wurde ihm auf den Rücken gelegt und in jede Hand ein großer Eimer voll Wasser gegeben, Der Teufel lief beständig mit einer langen Peitsche hinter ihm her und trieb ihn zu schnellerem Gang an.

Eine andere Seele, die den Felsgrat ebenfalls erreicht hatte, wurde verurteilt, ewig gegen die Schatten der Tetonen zu kämpfen. Jener Indianer hatte sich einst das Gesicht mit Kriegsfarbe bemalt, eine Skalplocke geflochten und den Kriegsruf gegen die feindlichen Tetonen ausgestoßen. Als es aber wirklich zum Krieg ging und seine Brüder wie Männer fochten, warf er Pfeil und Bogen weg und versteckte sich feige. Einem anderen Dakota, der die Diener des Großen Geistes stets verspottet und verlacht hatte, ging es ebenso. Der Sohn eines alten Häuptlings, der seine Mutter geschlagen und seinem Vater ins Gesicht gespuckt hatte, wurde auf eine dünne Stange, die beständig über dem schauerlichen Abgrund schwebte, gebunden.

Diejenigen, welche tapfer gefochten und nie gelogen hatten und weder Eltern noch Medizinmännern unfolgsam gewesen waren, erreichten die Felsenspitze leicht und bequem, und Akkiwässi begleitete sie zu der Wohnung Waktan Tankas, des Großen Geistes, die in der Mitte eines blumenreichen Tales stand. Die Dörfer der Verstorbenen lagen rings umher, und Akkiwässi sah seine Eltern und viele andere Bekannte darin. Sie pflanzten Korn und jagten den Büffel mit scharfen Pfeilen, die stets trafen. Sie führten ein glückliches und zufriedenes Dasein.

Akkiwässi fragte dann, ob es jenen Seelen nicht erlaubt sei, ihre alte Heimat wieder zu besuchen, erhielt aber eine verneinende Antwort. Ausnahmsweise sei es jedoch Eltern, deren Kinder im Sterben lägen, erlaubt, den hohen Felsen wieder zu überschreiten, um die zarten Seelen ihrer Lieblinge auf der Reise in das Paradies begleiten zu können.