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Der Welt-Detektiv Band 6

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Aus dem Wigwam – Die Entdeckung der Oberwelt

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Die Entdeckung der Oberwelt
Eine Sage der Minnetari

ie Minnetari und alle anderen Indianerstämme wohnten zuerst im Inneren der Erde. Der Große Geist hatte sie dort untergebracht, weil er oben noch nicht alles für sie eingerichtet hatte. Im inneren der Erde lebten sie wie die Maulwürfe in einer großen Höhle, und nur sehr wenige hatten Menschengestalt. Die Paukunnawkut waren Hasen, die Delawaren Schildkröten und die Tuscarora, Sioux und andere waren Klapperschlangen; aber die Minnetari waren immer Menschen und der Teil ihrer Höhlenwohnung befand sich in der Nähe der Schneegebirge. Er wurde durch die Sonnenstrahlen, welche durch die zahlreichen Felsspalten drangen, erleuchtet, währenddessen die Wohnplätze der anderen Stämme gänzlich in Dunkel gehüllt waren. Ihr Leben war eintönig und traurig, da sie aber von keinem besseren Zustand wussten, so waren sie zufrieden und freuten sich ihres Daseins, so gut es ging. Sie hatten keine Kleider und starben so nackt wie sie geboren wurden. Sie aßen Schlangen, Würmer, Maulwürfe und zuweilen auch Fledermäuse, die sich durch die Felsspalten zu ihnen verirrten. Als diese Tiere selten wurden, nahmen sie, um den Hunger zu stillen, ihre Zuflucht zu Sand und Erde und wurden dadurch allmählich so schwach und elend und mit ihrer unglücklichen Lage so unzufrieden, dass sie jedes Mal Klagelieder anstimmten, wenn ein Kind geboren wurde, und sich laut freuten, wenn jemand starb.

Nun waren unter den Minnetari zwei Knaben, die sich seit ihrer frühesten Kindheit durch erstaunliche Klugheit und großen Scharfsinn ausgezeichnet hatten. Dieselben fragten einst ihre Eltern, woher die hellen Strahlen und die Wurzeln der großen Weinstücke kämen. Ihr Vater sagte, er wisse es nicht, und die Mutter lächelte über diese alberne Frage. Darauf fragten sie die Medizinmänner, aber diese wussten es auch nicht genau und meinten, jene Strahlen seien die Augen eines großen Wolfes. Auch die Schildkröten hatten auf diese Frage keine Antwort und ebenso die meisten anderen Tierindianer. Nur der Häuptling der Klapperschlangen sagte, er wisse es, doch ehe sie sich verbindlich machten, den Frieden zwischen ihrem und seinem Stamm dauernd herzustellen, wolle er es nicht mitteilen. Darauf gingen denn die beiden Knaben auch ein, und der Klapperschlangenhäuptling erzählte, dass oben noch eine andere, und zwar eine viel schönere Welt sei, die sie erreichen könnten, wenn sie an der Wurzel des Weinstockes emporkletterten.

Bald danach vermisste man die beiden Knaben, niemand wusste, wo sie hingegangen waren, und ein Medizinmann sagte, er habe sie im Traum als Bewohner des Geisterlandes gesehen.

Nach einigen Tagen kehrten sie jedoch zum Erstaunen aller wieder zurück. Sie tanzten, sangen und sahen so groß, blühend und wohlgenährt aus, dass ihre Eltern sie kaum noch erkannten. Sie traten so fest und männlich auf, dass die ganze Höhle unter ihren Tritten dröhnte. Ihr Körper war mit einem Stoff bedeckt, den die Minnetari nie gesehen hatten, nämlich mit Tierfellen. Jeder trug ein Bündel schmackhafter Trauben und fetten Wildes.

»Als wir«, so erzählten sie, »bis an das Ende der Felsspalte geklettert waren, befanden wir uns plötzlich in einem Land, wo alles Licht und Schönheit war. Ein großer Feuerball – derselbe, dessen Strahlen unsere Höhle erleuchten – verbreitete angenehme Wärme, und rings umher war alles mit grünem Gras und süß duftenden Blumen bedeckt. In den Wäldern sangen Vögel von blendender Farbenpracht und in den klaren Gewässern regten sich unzählige Fische. Große Herden wilder Tiere, Bison genannt, durchzogen die Ebenen. Die Bewohner dieses Landes, welche viel schöner und stärker als wir sind, gaben uns Pfeil und Bogen und lehrten uns, wie man diese Tiere, deren Fleisch so schmackhaft und nahrhaft ist, schießen kann.«

Die Indianer freuten sich ob dieser angenehmen Nachricht ungemein, aßen von dem Fleisch und den Weintrauben und beschlossen, ihre traurige Behausung zu verlassen. Nur der Dachs und der Maulwurf hatten keine Lust dazu und sagten, sie wollten auch da sterben, wo ihnen der Große Geist das Leben gegeben habe. Das Kaninchen wollte abwechselnd über und unter der Erde wohnen, und die Klapperschlange und Schildkröte baten sich aus, wenigstens den Winter in einer Höhle verbringen zu dürfen.

Darauf begannen alle Frauen, Kinder und Männer der Minnetari den Weinstock hinaufzuklettern. Die Hälfte davon hatte bereits die Oberfläche der Erde erreicht, als sich ein unverhofftes Unglück ereignete. Es befand sich nämlich ein sehr dicker Mann unter ihnen, der so viel wog, wie sechs andere. Als dieser den anderen nachklettern wollte, zerriss die Wurzel des Weinstockes. Der Dicke und der Rest des Stammes mussten in der Unterwelt zurückbleiben.

Die Schildkröte, welche sehr stark ist, da sie von der Großen Schildkröte, welche die Erde trägt, abstammt, fand leicht einen anderen Ausgang, aber die Monsee oder Wölfe, die unter dem Onondoga Lake wohnten, hatten schon mit größeren Schwierigkeiten zu kämpfen; doch gelang es endlich dem Ältesten auch, sich durch ein Loch hinauszuarbeiten. Derselbe fing gleich einen Hirsch und warf ihn seinen Brüdern hinunter. Diese aßen ihn und fanden sich dadurch so gestärkt, dass sie ebenfalls hinausklettern konnten. Auch die Truthähne kletterten durch dieselbe Öffnung und später auch noch die Mingo.

Bald danach schlossen die Stämme der Schildkröten, der Wölfe und der Truthähne ein Bündnis ab, um die mächtigen und grausamen Bären zu be­kriegen. Jene verbanden sich wieder mit den Klapperschlangen; doch dauerte dieser Vertrag nicht lange, da eine derselben zur der Zeit als die Langmesser (Engländer) ins Land kamen, einen Indianer biss, den sie irrtümlich für einen Weißen angesehen hatte.

Als sich die Minnetari häuslich eingerichtet hatten, erschienen eines Tages merkwürdige Menschen, die oben Menschen- und unten Tiergestalt hatten. Es gelang ihnen, eines dieser Tiere zu schießen, wonach die anderen wegliefen. Bei der Gelegenheit stellte es sich heraus, dass der Mann auf das vierbeinige Tier nicht festgewachsen war. Da Letzteres nur leicht verwundet war, genas es bald wieder. Von ihm stammen die Pferde der Minnetari ab.